Schweitzer Fachinformationen
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Ich erinnere mich an das Jahr, in dem ich siebzehn wurde, als an eins mit hartnäckigen Jahreszeiten. Der Sommer zog sich weit in den Herbst, und der Herbst belagerte den halben Winter. Im Mai war es heiß und im November kalt. Die alten Leute in meinem Township schworen, sie hätten so was noch nie erlebt. Der Winter knabberte am Frühling und der Frühling am Sommer.
Es war genau dreizehn Tage, bevor ich die Highschool abbrach. In der Schule war für mich absolut nichts mehr zu holen. Meine Zeugnisse waren eine einzige Ansammlung von »Nicht bestanden«. Ich war der Obernuschler der Klasse. In Mathematik lag ich weit unter dem Durchschnitt. Nichts an der Schule machte irgendwie Sinn, hatte seit der ersten Klasse keinen Sinn gemacht. Seit der Zehnten wusste ich definitiv, dass das nichts für mich war. Die kindische Hoffnung, irgendwann mal was zu kapieren, hatte mich durch die ersten Schuljahre geschleust. Aber im Mai dieses Jahres ging der Hoffnung die Puste aus.
Als ich meinen Eltern beibrachte, dass ich von der Schule abgehen würde, tobte meine Mutter zwei Tage lang rum. Mein Vater drohte mit einer Tracht Prügel, die ich mein Lebtag nicht vergessen würde. Ich zeigte ihnen meine miserablen Noten. Nachdem sich die Wut meiner Mutter etwas gelegt hatte, hörte sie sich an, was ich zu sagen hatte, aber natürlich verstand sie es nicht. Im Unterricht käme ich überhaupt nicht mehr mit, sagte ich ihr. Ja, ich war in der Zehnten, aber das letzte Mal, dass ich wirklich was kapiert hatte, sei in der siebten Klasse gewesen - und auch damals war ich grade mal Durchschnitt. In den ersten fünf Unterrichtsminuten kriegte ich alles mit - fünf Minuten, in denen ich mich voll konzentrieren konnte. Aber in den folgenden fünfunddreißig Minuten driftete ich ab, verirrte ich mich im Gewirr der Tangenten.
Es war Mai, und der Schulfußball lag auf Eis, weil es bei einem Auswärtsspiel Anfang des Jahres auf der Tribüne eine Messerstecherei gegeben hatte. Von der Schönheit dieses Spiels verstand ich was. Ich war Stürmer in der Schulmannschaft und ein begnadeter Torjäger. Auf dem Fußballplatz glänzte ich. Das Jahr konnte sich hinziehen, im Unterricht würde ich nur falsche Antworten vor mich hinnuscheln, und zum Ausgleich gäb's noch nicht mal Fußball. Das eingestampfte Fußballprogramm war nicht der eigentliche Grund für meinen Abgang von der Schule, es war bloß das Tüpfelchen auf dem i.
Wir alle überschliefen die Sache erst einmal. Die nächsten paar Tage war im Haus dicke Luft. Meine Eltern zogen die Verwandtschaft zurate. Onkel und Tanten belehrten mich am Telefon. Schule ist wichtig. Eine gute Ausbildung ist der Schlüssel für die Zukunft. Was ist denn in dich gefahren, das hättest du nicht tun sollen. Ich war höflich, sagte zu allem Ja und Amen, aber mit den Gedanken war ich ganz woanders. Ich wünschte, ich hätte Superkräfte und könnte meine Zeugnisse durch den Hörer quetschen, damit sie all die unsäglichen Noten sähen, die bewiesen, dass ich den Schüssel für eine bessere Zukunft eben nicht in der Hand hatte.
Meine Eltern setzten alle Hebel in Bewegung, wirklich alle. Ma brüllte, schüttelte mich, verlangte weitere Erklärungen; sie versuchte es zu begreifen, vergeblich - da ging es ihr genau wie mir in der Schule. Sie weinte sogar.
»Ich weiß noch nicht, was ich mache, Ma, aber mit der Schule bin ich fertig. Schau dir doch mein Zeugnis an. Ich werd in keinem einzigen Fach bestehen. In der Schule läuft's einfach nicht mehr rund. Jeden Tag, den ich da hingehe, stirbt irgendwas in mir ab. Du siehst doch jedes Jahr die Zeugnisse, Ma, in der Schule gibt's für mich nichts mehr zu holen«, erklärte ich.
»Aber man gibt nicht so einfach auf in dieser Welt. Du musst dranbleiben, es weiter versuchen«, sagte sie.
»Ich weiß, Ma.«
Meine Eltern gaben sich Mühe. Meine Onkel und Tanten gaben sich Mühe. Die Tage gingen ins Land, und irgendwann verstummten die Anrufe. Allmählich verzog sich zu Hause die dicke Luft.
»Wenigstens war er so ehrlich und hat uns seinen Entschluss mitgeteilt. Wir wissen, wo er steckt. Wenigstens tut er nicht so, als ginge er zur Schule, wie's viele andere machen, obwohl sie schwänzen«, hörte ich Ma zu Dad sagen.
Dreizehn Tage nach meinem Abgang von der Schule war mein siebzehnter Geburtstag.
Ich saß auf der Mauer vor unserem Haus, die sowohl als Umzäunung wie auch zum Abhängen dient, und wartete auf Musa, da merkte ich, dass alle Bäume in unserer Straße die Blätter abgeworfen hatten. Die Mauer, außen himmelblau angestrichen, obendrauf und an der Innenseite aber roh, geht einmal fast rund ums Haus. Damals war unser Vierzimmerhaus gerade mal verputzt und wartete auf seinen Anstrich. Einen ganzen Tag lang hatte ich es mit dem Sandstrahler abgestrahlt und danach Muskelkater an Stellen, von denen ich gar nicht wusste, dass es dort Muskeln gab. Aber es hatte sich gelohnt; nachts, wenn alle Straßenlaternen erloschen waren, ging von dem Haus ein mattes Strahlen aus, wie manchmal am Sandstrand. Es war kurz vor Mitternacht, und ich hatte Durst.
Unser Haus ist das auffälligste am Wendekreis einer Sackgasse. Die blaue Mauer beansprucht dort den meisten Platz, und unser Haus ist das letzte. Das letzte in der Straße, das letzte, das verputzt wurde, das letzte, das in die feste Umarmung jener Mauern gequetscht wurde, die wir Zaun nennen. Der Verputz unseres Hauses hat sich in die Länge gezogen, begonnen hat es bei den von außen sichtbaren Mauern - der vorderen und einer der Seitenmauern. Das Hochziehen der Mauer dauerte sogar noch länger. Mein Vater feuerte regelmäßig die Bauarbeiter, aber man muss fairerweise sagen, dass die meisten auch nicht das Geringste taugten. Es hat Jahre gedauert, bis die Arbeiten endlich abgeschlossen waren, immer stand erst etwas Wichtigeres an - Wasser- und Stromrechnungen, Lebensmittel, Schuluniformen und Schuhe.
Am Rand des Township wurde ein Einkaufszentrum hochgezogen, während auf dem Haufen Bausand hinter unserem Haus allmählich das Gras wuchs und ihn in ein Gebüsch verwandelte. Der Maueranstrich stammte von mir. Es war ein seltsames Blau; ich hatte Ma ja gesagt, die Farbe sei nicht mehr gut.
Auch der Kauf eines Tors, um die Mauerlücke zu schließen, zog sich hin. Mein Vater kam auf die Idee, zur Bewachung des Durchlasses zwei Hunde anzuschaffen, aber das brachte gar nichts. Tagsüber mussten die Hunde durchgefüttert werden, und nachts war beim Durchlass Zapfenstreich. Diese als Haustiere verkappten Streuner waren jedenfalls nie da. Woche für Woche brachte Ma aus der Stadt Prospekte und Kostenvoranschläge für ein Tor mit. Monate verstrichen, und das Geld ging für andere Sachen drauf.
Unser Haus steht leicht schräg und befindet sich am Ende der 2523 Close in der M-Sektion von Umlazi. Womöglich ist unsere Straße derzeit die einzige in den Hügeln von Umlazi, die beinahe flach ist.
Mama Mkhizes Taverne liegt am Anfang der 2524 Close. Die Tür zu dieser Oase steht immer offen, und ständig dringt stampfende Musik raus. Es ist ein Zufluchtsort für alle Nachtschwärmer. Ich wusste, dass Musa an dem Abend spät dran sein würde, also machte ich mich auf den Weg dorthin.
Der Mond war voll und gelb wie die frisch aufgegangene Sonne, und er tauchte die dunkle 2524 Close in bläulichen Schein. Der Mittags- und Nachmittagstrubel war vorbei wie die Zeitung von gestern. Mit voranschreitender Nacht stellte sich in der 2524 Close eine leise Betriebsamkeit ein; dass Leute vorbeigingen, merkte man nur am schlichten Gruß und an dem bernsteinfarbenen Aufglimmen beim Anstecken von Zigaretten. Auf dem Rücksitz eines Wagens küsste eine Nachbarstochter einen Mann. Um Mitternacht riecht es im ganzen Township nach Marihuana. Beim Vorbeilaufen atmete ich eine Rauchschwade ein. Der Mond verschob sich und tänzelte im Rhythmus meiner Schritte mit.
Mama Mkhize verkauft Bier in Dosen, Flaschen und kistenweise Gras in Plastiktütchen und Mandraxpillen einzeln und in ganzen Packungen. Sie ist ein Kraftwerk von einer Frau, und Gerüchten zufolge hat sie Leute in ihrer Familie, die beim Töten nicht lang fackeln.
»Mein Neffe, der aus Johannesburg, hat seinen BMW zu diesen, wie heißen die . Agenten?, gebracht. Sechstausend Rand, sag ich dir, nur für die Motorreparatur.«
Meine beiden Amstel hielt sie in der rechten Hand, die vier losen Zigaretten und das Wechselgeld in der Linken. Sie sah aus, als würde sie mich gleich umarmen. In mehreren Lagen schlängelte sich Gold um ihren Hals, es blinkte an ihren Fingern und baumelte von beiden Handgelenken. Ihre Arme waren schlank, aber durchtrainiert. Jedes Mal, wenn ich sie sah, regte sich was bei mir; vielleicht wegen der Dieseljeans, die sie trug und in der sie aussah wie ein Teenager in vollem Saft. Dass sie den Namen ihres Ladens geerbt hatte, war ungerecht, sie war nämlich erst Ende dreißig, was ich nie geglaubt hätte, bis ich bei der Inspektion ihres Wagens mal ihren Führerschein sah. Ich hatte sie für jünger gehalten.
»Sipho, ich seh doch, dass du immer noch wegen letzter Woche rumgrübelst. Lass das. Du hast doch kapiert, was ich gesagt hab, oder? Also, entspann dich. Ich hab dir gesagt, dass ich verstanden hab. Und außerdem war das nur so ein Geplapper im Suff.«
Auf die Liste ihrer Vorzüge gehört noch Taktgefühl, denn »letzte Woche« hatte ich definitiv eine Grenze überschritten. Es war fünf Tage nachdem ich meinen Eltern die »Schulbombe« gelegt hatte. Der Qualm der Explosion schwebte zu Hause immer noch in der Luft, aber ich war...
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