Schweitzer Fachinformationen
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Wenn du in der stillen, menschenleeren Frühlingsnacht von der Straße abbiegst und deine Schritte zum öffentlichen Park lenkst, wenn du vor dem hohen schmiedeeisernen Tor stehst und die Hand hebst, um sie auf die große, abgegriffene Messingklinke zu legen, dann wirst du vor Aufregung schlucken.
Es könnte daran liegen, dass es Nacht ist, denn die Nacht ist eine verbotene Zeit. Wie ein alter Dieb drehst du dich unmerklich um und wirfst einen hastigen Blick zu den Häusern auf der anderen Seite der Straße hinüber. Die Häuser schlafen. In hundert Fenstern, die meisten mit vorgezogenen Gardinen, ist nichts zu sehen. Die Stadt schläft.
Es könnte daran liegen, dass es sich um einen abgelegenen Park handelt, den du betreten willst; das Wissen um einen einsamen Park flößt den Menschen das Gefühl eines unerklärlichen schlechten Gewissens ein. In der Kindheit und in der frühen Jugend haben wir alle irgendwelche Dinge in einem öffentlichen Park getan. Wir haben vergessen, was wir getan haben, aber wir haben es in einem Park getan. Und wir taten es im Frühling, als es dunkel war, als es Nacht war, als es nach Erde und Bäumen roch.
Es könnte aber auch daran liegen, dass ein Park etwas Unerbittliches und Unabänderliches hat, und hast du ihn erst einmal betreten, bedarf es einer Beschwörung, eines Entschlusses oder einer Buße, um ihn wieder zu verlassen. Gewiss liegt über einem öffentlichen Park der friedliche grüne Schimmer einer Oase, doch das ist die Außensicht. Hast du diese Oase betreten, bemerkst du, dass sie von einem hohen schmiedeeisernen Gitter umgeben ist, du bist gefangen, die Oase hat sich wie durch einen Zauberschlag in eine Zelle verwandelt. Bist du denn in den Park gegangen, weil du eine Begegnung oder eine Entscheidung erzwingen wolltest? Das große Auge der Nacht wird forschend auf dir ruhen und enthüllen, was dein Herz wert ist. Vor dieser Möglichkeit fürchten sich alle Menschen, daher wirst du in einer Frühlingsnacht vor dem Tor eines einsamen Parks stets vor Aufregung schlucken.
Vor allem aber liegt es daran, dass du ein dreiundzwanzigjähriger Student bist, dass der Abschlussball des Sommersemesters gerade vorbei ist, dass du noch die Töne des Liedes »Du glückliche Studentenzeit« in dir hörst, und weil die Bässe »Kein Sturm in unseren Herzen wohnt« sangen, und das hat dir wehgetan, weil du die Wahrheit liebst; du schluckst, weil es zwei Uhr nachts ist, weil es eine milde und samtweiche Frühlingsnacht ist, weil du vor dem schmiedeeisernen Tor des Parks mit der jungen Frau stehst, nach der du dein Leben lang gesucht hast und die an diesem Abend deine Dame auf dem Ball war, weil du sie gefragt hast, ob sie dich auf einen Spaziergang in den Park begleitet, und sie hat zugestimmt, weil du ein furchtsamer junger Mann bist, weil du diese junge Frau von allen Lebenden auf der Welt am meisten bewunderst und anbetest, weil du niemals gewagt hast, sie von deinen innigsten Gefühlen und deiner wilden, wüsten Hoffnung auch nur das Geringste ahnen zu lassen, weil sie ein Engel ist und du ein Zentaur und weil du hoffst, dass in dem Park ein Wunder geschieht und du den Mut findest, dich zu erklären. Du schluckst, weil du genau weißt, dass du nicht weißt, wie du diese Welt von Glück annehmen könntest, wenn das Wunder geschähe und sie deine Gefühle erwiderte.
Jeder ist erwachsen genug, um zu leiden. Erwachsen genug, um glücklich zu sein, ist nur der Starke.
Mainacht, Frühlingsnacht, unsere Nacht.
Kommt in Norwegen der Frühling, dann weinen die Herzen der Menschen vor geschmolzener Kälte; das Glück ist böse, zögernd und qualvoll, als würde ein erfrorenes Glied auftauen. Denn das Frühjahr ist so gewaltig und grausam bei uns. Wir können es nicht nur sehen und riechen, wir hören es auch. Es flüstert, plaudert und rumpelt in unseren Ohren; das schmelzende Eis tropft von den Dachrinnen und den Ästen der Bäume, die Bäche glucksen und die anschwellenden Flüsse brausen; der Wind pfeift, und die Springseile der kleinen Mädchen klatschen auf den Bürgersteig. Der Frühling singt uns aus den Kehlen der Vögel entgegen und trällert metallisch beim Gebimmel der Fahrradklingeln; der Frühling wispert im sprießenden Gras und unter dem welken Laub des Vorjahrs; der Frühling simmert leise in der dunklen Erde und steigt wie gärender Wein in die Stängel der Blumen, in die Stämme der Bäume und in die Glieder der Menschen: Baumsäfte, Milch, Blut und Samen. Der Frühling schnurrt seinen dumpf drohenden Gesang, als wäre er eine schlafende Riesenkatze im Inneren der Erde, und wann wird diese Katze wohl erwachen und sich strecken?
Der Frühling ist ein Versprechen, vor allem aber ist er eine Herausforderung. Eine wüste, unmögliche, herzzerreißende Herausforderung. Denn wer könnte das Ende des Jahres ebenso großartig und majestätisch erscheinen lassen wie seinen Anfang? Der Frühling ist eine Herausforderung, und in ihren Herzen wissen alle Menschen, dass sie nicht genügend Zeit haben werden. Deshalb ist der Frühling so grausam, deshalb weinen die Herzen der Menschen im Frühling.
Die Spitzen der hohen Eisenpfosten des Gitters ragten zum schwach leuchtenden Nachthimmel auf wie Speerspitzen. Auf dem Weg zum Park hatten sie sich gefragt, ob der Park zu dieser Tageszeit wohl offen sein würde. Sie meinten, gehört zu haben, dass öffentliche Parks nachts normalerweise geschlossen waren.
Er legte die Hand auf den schweren Messinggriff, drückte ihn herunter und zog. Das eiserne Tor glitt auf. Einen Augenblick spürte er dessen schweres, zitterndes Gewicht in seiner Hand.
Beide erschauderten, als das Tor in den Angeln knarrte. Leise warteten sie einen Moment und hielten den Atem an. Sie blickten sich in die Augen. Er hielt ihr das Tor auf. Sie lächelte ihn mit einem munteren Blick an, doch er sah, dass sie müde war. Es war ein langer Tag gewesen, und nun war es zwei Uhr in der Nacht. Vielleicht ist es ja das, was ich will, dachte er verwundert: sie erschöpfen. Sie in einem Maß erschöpfen, dass sie schließlich auf der Bank zusammensinkt (denn es wird im Park doch wohl eine Bank geben, auf der wir sitzen können) und bittet, ihren Kopf in meinen Schoß legen zu dürfen. Und legt sie den Kopf in meinen Schoß, dann ist es passiert, dann darf ich ihre Wange streicheln, dann hat sie geantwortet, ohne dass ich gefragt habe. Oder soll ich sie dermaßen ermüden, dass sie umfällt und ohnmächtig wird? Dann hätte ich eine Entschuldigung, den Arm um sie zu legen und sie hochzuheben, eine Entschuldigung, ihren Arm zu berühren, ihre Hand in meiner zu halten, ihr übers Haar zu streichen, ihr all die Zärtlichkeiten zu sagen, die ich nun unausgesprochen in mir trage.
Sie ging hinein, und er schloss das Tor hinter ihr und wusste, dass er nicht den Mut finden würde, ihr sein Herz zu öffnen.
Langsam gingen sie über den Kiesweg. Auf beiden Seiten standen hohe dunkle Bäume: Buchen, Pappeln, Birken, Tannen, und einige exotische grüne Nadelbäume mit Zweigen wie pendelnde Tigerschwänze; sie hatten das Gefühl, unter einem Kirchengewölbe zu gehen.
Er zuckte zusammen, als sie stehen blieb und die Stille unterbrach. Sie sagte: »Wollen wir nachsehen, ob die Schwäne wach sind?«
Er nickte und zwang sich zu einem Lächeln.
»Schwimmende Schwäne gehören mit zum Schönsten, was ich mir vorstellen kann«, sagte sie wie zu sich selbst. Dann sah sie ihn an und fügte mit diesem munteren Lächeln hinzu, das ihn jedes Mal erbeben ließ: »Übrigens heißt es in der Stadt, dass sie schon brüten.«
Sie gingen zum Teich. Doch die Schwäne ließen sich nicht blicken.
Langsam, plaudernd, gingen sie zurück auf den Weg. Er zeigte auf eine Bank.
»Wollen wir uns setzen?«
»Mhm«, sagte sie.
»Warte!«, hielt er sie zurück. »Dein Mantel ist so hell, er könnte Flecken bekommen.« Mit einem Taschentuch wischte er den nächtlichen Tau von den langen Holzlatten der Bank. Das Taschentuch wurde so nass, dass es sich beinahe auswringen ließ. Er wischte die Bank mit einem Gefühl von Zärtlichkeit ab, er strich über die Latten, als segnete er sie.
»Danke«, sagte sie, »das ist nett von dir.«
»Schon gut«, erwiderte er.
Sie setzten sich.
Er legte die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß. Allerdings war nun sein Schuh so deutlich zu sehen, und er trug doch keine Lackschuhe zum Smoking, nur gewöhnliche, flache schwarze Boxcalf-Schuhe, also stellte er den Fuß wieder auf den Boden. Dann lehnte er sich zurück, streckte die Arme aus und legte sie auf die Rücklehne der Bank. Sein rechter Arm lag nun direkt hinter ihrem Nacken; er brauchte ihn nur einen Zoll zu senken, dann würde er auf ihrer Schulter liegen.
Er fragte: »Möchtest du eine Zigarette?«
»Ja, gerne«, antwortete sie.
Er hielt ihr das Päckchen hin, riss ein Streichholz an und musste die Augen schließen, als sie ihr Gesicht über die Flamme beugte, so nah kam sie ihm. Sie waren allein in der Nacht, allein im Park, sie und er, und er brachte kein Wort...
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