Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Vom Autor des Bestsellers "Offene See"
Earlon »Bucky« Bronco hat mit seinen siebzig Jahren noch nie das Meer gesehen. Und doch treibt er seit dem Tod seiner Frau durch Chicago wie ein Schiffbrüchiger. Zwischen Bett und Walmart-Apotheke zählt er die Stunden bis zum Ende. Da erreicht ihn eine unerwartete Nachricht: eine Einladung zu einem Soul-Festival im englischen Scarborough. Tatsächlich hat Bucky eine Vergangenheit als Soulsänger, doch in den USA sind seine wenigen Songs längst vergessen. An der britischen Küste angekommen, begreift er, dass er hier eine Art Legende ist. Und er trifft auf Dinah, eine melancholische und lebenskluge Mittfünfzigerin, die ihren deprimierenden Alltag am besten vergessen kann, wenn sie Buckys Lieder hört oder sich in die kalte Nordsee stürzt.
Benjamin Myers erzählt von zwei Gestrandeten, von den Stürmen des Lebens und dem Sog der Erinnerung. Vor allem aber erzählt er vom Meer, auf dessen Oberfläche immer ein Streifen Hoffnung schimmert.
»[Myers] erinnert beim Erzählen an einen Soulschlagzeuger, der eher über das Becken drippelt, als dass er die Bassdrum prügelt.« Christian Buß, DER SPIEGEL»Benjamin Myers schreibt zärtlich, poetisch und mit feinem Humor über die Schönheit des Alterns und der Möglichkeit einer Selbsterfindung. Besonders geeignet für laue Sommerabende, an denen man innehalten und dem Leben nachspüren möchte.« Elisabeth Bold, SWR »Kurz, charmant und voller Hoffnung.« Sven Trautwein, 24BOOKS.DE»Sehr glaubwürdig, sehr bildhaft und eindringlich erzählt [Myers] >Buckys< Weg zur Bühne zu seinem Auftritt. Ganz großes Kino!« Angela Perez, ESCHBORNER-STADTMAGAZIN.DE
Until the Wheels Fall Off
In den frühen Morgenstunden, als der Himmel noch einen Rest Mondlicht verströmte, fingen die Möwen an, als folgten sie alle einem unsichtbaren Signal. Vielleicht war es ja so. Bucky war sofort wach. Ob er überhaupt geschlafen hatte, er wusste es nicht und verspürte keine der Wohltaten, die eine längere Bewusstlosigkeit hätte mit sich bringen müssen. Ein Tag war einfach in den anderen übergegangen, und er war das Opfer eines besonderen fiebrigen Anfalls von Schlaflosigkeit.
Flach lag er da und fühlte sich wie ein Negativ-Porträt seiner selbst, ausgebleicht und dem Blick entschwindend, beinahe blutlos. Schwer lag sein Körper auf der eingesunkenen Matratze, und der pulsierende Schmerz, der ihn quälte, war so emotional wie körperlich. In eine aufrechte Haltung zu kommen schien undenkbar, lächerlich.
Der Vogellärm war überall, oben, unten, bewegte sich im Raum vor dem verschlierten Fenster umher, kam aber vor allem direkt vom Gesims davor. Sie waren so mächtig und klangen so nah. Es war, als säßen die Möwen in den Mauern des Hotels, oder gar in seinem Zimmer, seinem Bett, unter der Decke und drangsalierten ihn mit ihren Tiraden. Ihr Geschrei klang so quälend wie gequält, als kämpften da etliche Trupps gegeneinander. Es war fürchterlich, infernalisch, eine Marter.
Schweiß durchnässte das Laken, das Bucky mit seinen nächtlichen Verrenkungen von der Matratze getreten und das sich um sein pochendes Bein gewickelt hatte. Die Decke hing halb auf dem Boden. Bucky fühlte die Morgenkälte, sie stach bis tief in seine Knochen. Ein stählerner, gramvoller Schmerz pulsierte in ihm. Keine Hitze, keine Wärme vermochte da Erleichterung zu bringen. Tränen sammelten sich in seinen Augen und ließen das Zimmer glasig werden.
Zu diesen Entzugserscheinungen war es schon mehrere Male gekommen, aber noch nie so weit von zu Hause entfernt, und Maybell war immer da gewesen und hatte ihm feuchte Tücher auf die Stirn gelegt, eine würzige Suppe mit Würstchen und Reis gekocht, sein Rezept abgeholt - oder vielleicht sogar etwas anderes Kleines gefunden, um ihm über die Runden zu helfen, als der volle Schrecken um sich griff, genau wie er es jetzt tat. Ein rachsüchtiger Gott übte schwere Vergeltung für Buckys sündige Schwächen. Anders konnte er es nicht beschreiben.
Bucky erhob sich aus seiner verschwitzten Grube, benommen und halb im Delirium, wie ein Wiedergänger. Erst saß er so da, hob dann die Beine aus dem Bett und stellte die Füße auf den Boden, stand auf und folgte dem bescheidenen Streifen fahlen Lichts, der von der Öffnung im Vorhang auf den Teppich fiel. Einen Moment verharrte er, um schließlich den Vorhang mit aller Kraft, die er aufzubringen vermochte, aufzureißen.
Eine große Möwe saß da und starrte Bucky an, als hätte sie auf ihn gewartet, als wäre ihr Schreien ein Versuch gewesen, ihn herbeizuholen. Diese Möwe war es auch, wie er begriff, die während der langen Stunden seiner rastlosen Nacht für das grässliche Klopfen ans Fenster verantwortlich gewesen war. Was ihn sich ganz und gar nicht besser fühlen ließ. Es machte ihn höchstens noch wütender, genau wie ihr launisches Schweigen jetzt.
So aus der Nähe sah er, was für ein riesiges, überfressenes weißes Viech sie war, nichts als Fleisch, Federn und Aasfresser-Gier. Ihr Schnabel glich zwei Klingen eines geschlossenen Klappmessers. Die grauen Flügel waren angelegt, die beiden Schwimmfüße vielleicht das Widerlichste, was Bucky je gesehen hatte, die ledrige Haut zwischen den Zehen, dazu die schwarz glänzenden, prähistorisch aussehenden Krallen. Sie zeugten von Angriff, Tod und dem gnadenlosen Ausweiden ihrer Opfer. Ein Urviech.
Tatsächlich waren es die Augen des Vogels, die ihn wirklich verstörten. Wie zwei höllische schwarze Löcher ins Nichts sahen sie ihn an, und was sie ihm mitzuteilen schienen, war reine, unverhohlene Geringschätzung. Nein, mehr als das. Niedertracht und Heimtücke, ohne jede Achtung, die Möwe wünschte ihm Unglück, dessen war er sich sicher. Voller Überheblichkeit neigte sie den Kopf leicht zur Seite und klopfte noch einmal mit der Spitze ihres Schnabels locker gegen die Scheibe, langsam und höhnisch.
Bucky war schlecht. Er fühlte sich in die Enge getrieben, in der Falle. Herrgott, dachte er, was für Qualen wird dieser Tag sonst noch mit sich bringen? Er sagte sich, dass es doch nur eine Möwe war, nur eine verdammte dumme Möwe mit einem Hirn von der Größe einer Sojabohne, dennoch war er dankbar für das dicke Glas zwischen ihnen.
Er beugte sich langsam in ihre Richtung, doch da stieß die Möwe unversehens einen Schrei aus, einen höllischen Schrei, und für einen kurzen Moment konnte er in ihren Schnabel sehen, hinein in ihren nassen rosafarbenen, sich dehnenden Schlund. Weiter noch sah er, tief hinein in sie, und der Schrecken, den ihm das versetzte, war zeit- und wortlos, etwas aus ferner Vergangenheit, elementar und unerklärlich. Es war der Zugang zu einer grässlichen, teuflischen neuen Dimension.
Der Schrei, der Schock und der Blick ins Innere der Möwe ließen Bucky zurücktaumeln, er schlug mit den Armen um sich, suchte nach Halt, griff ins Nichts und ging zu Boden, was einen scharfen Schmerz hervorrief, der vom Steiß den Rücken hochschoss. Gekrümmt lag er auf dem Teppich und fragte sich, ob er sich ernsthaft verletzt hatte. Als jedoch kein neuer, größerer Schmerz zu seinen bestehenden Leiden hinzukam, hob er den Kopf. Die Fensterbank war leer, verlassen, und alles, was vor ihm lag, war ein weiterer Tag in einem fremden Land - und auf dem Fenster feuchter grüner Kot, in dem zwei weiße Federn steckten, wie von einem rüden Pop-Art-Künstler hingeschmiert.
Es fiel Bucky schwer, darin kein Omen zu sehen, die Voraussage, dass es nur noch schlimmer werden würde.
*
Der Himmel war bedeckt, aber Bucky war froh über die kalte, beißende Luft, die ihm ins Gesicht blies, als er sich steif auf eine Parkbank auf einem Stück Rasen unterhalb des Museums zubewegte.
Seine Hand, in der er einen Becher mit heißem schwarzen Kaffee hielt, zitterte, und er stellte ihn zum Abkühlen neben sich und legte die Hand auf das Holz. Sein Blick fiel auf eine Distel voller glitzernder Tautropfen. Er wusste, er sollte etwas essen, doch alle Gedanken daran traten hinter die Frage zurück, wie er an ein paar Opioide kommen konnte. Und wenn nicht an Opioide, dann an irgendein Narkotikum, das den Schmerzen des Entzugs, die ihre Krallen aggressiver denn je in ihn schlugen, zumindest etwas von ihrer Schärfe nahm.
Verflucht. Er steckte mittendrin.
In einer wahren Hölle auf einem gnadenlosen Planeten.
Von seiner Bank hatte Bucky einen klaren Blick hinunter auf den Strand, wo wieder mehrere Leute im Meer schwammen. Jedes Mal, wenn er hinsah, schienen einige ins salzige Wasser zu gehen und herauszukommen, so feindselig und abweisend es ihm auch vorkam. Dieses Yorkshire-Volk war entweder absolut zäh oder von Natur aus verrückt, dachte er. Oder beides.
Es waren auch Leute mit ihren Hunden unterwegs, die Stöcke über den nassen, mit Schaumfetzen überzogenen Sand warfen und sich hier und da bückten, um die Ausscheidungen ihrer geliebten Hunde mit Plastikbeuteln aufzusammeln, die ihnen wie modische Accessoires um die Handgelenke baumelten. Hunde, fiel ihm auf, schien es überall in England zu geben, und sie wurden von ihren Besitzern offenbar wie ihresgleichen behandelt. Wie Götter gar. Nun, warum auch nicht?, dachte er. Hunde hatten sich, historisch gesehen, von einer guten Seite gezeigt. Katzen ebenfalls. Im Gegensatz zum Menschen schienen beide nicht die Absicht zu haben, etwas zu zerstören, abgesehen vielleicht von dem ein oder anderen Sofa und der morgendlichen Zeitung. Und sie hatten sich beim Menschen auf eine Weise eingeschmeichelt und integriert, die nahelegte, dass sie weit klüger waren, als ihnen zugestanden wurde.
Jemand kam den steilen Weg herauf auf ihn zu. Erst als sich die Person näherte, begriff er, dass es Dinah war. Ihr meernasses Haar hing glatt und strähnig nach unten, und sie schnappte leicht nach Luft.
»Bucky Bronco, so wahr ich lebe und zu atmen versuche.«
»Himmel, Dinah, das war kein Witz mit der verrückten Schwimmerei, wie?«
»Sie sollten es auch mal probieren. Wie gesagt, es ist gut für Sie. Es klärt den Kopf, betäubt ein paar Wehwehchen und Schmerzen und stärkt das Immunsystem. Beugt Erkältungen vor.«
»Sich zu unterkühlen beugt Erkältungen vor? Also das ist eine verdrehte Logik, wenn es so etwas gibt.«
Dinah setzte sich zu ihm auf die Bank.
»Sie wären überrascht, Bucky. Und ich bin überrascht, Sie so früh schon zu sehen. Wie haben Sie geschlafen?«
»Es Schlaf zu nennen wäre übertrieben.«
»Haben Sie was gegessen?«, fragte Dinah. »Haben Sie gefrühstückt?«
Bucky schüttelte den Kopf.
»Möchten Sie was?«
Wieder schüttelte er den Kopf.
»Nicht jetzt. Normalerweise bin ich ein guter Esser, nur im Moment hat sich mein Appetit komplett verabschiedet.«
»Sie sollten aber was essen. Sie sollten frühstücken.«
»Vielleicht genehmige ich mir noch so ein Knickerbocker-Ding.«
Dinah lachte. Sie holte eine Thermosflasche hervor, schenkte einen Kaffee ein und bot ihn Bucky an. Der hob seinen Becher in die Höhe. Sie tranken gemeinsam.
»Ich fürchte, ich kann nicht lange bleiben. Ich muss rüber in die Spring Gardens, aber erst noch nach Hause und mich umziehen.«
»Verstehe. Wer ist zu Hause?«
»Russell und Lee.«
»Ihre Kinder?«
»Ja. Aber unglücklicherweise bin ich mit einem von ihnen verheiratet.«
»Oh.«
»Mit Russell. Sie könnten das große Unglück haben, ihn irgendwann...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.