Schweitzer Fachinformationen
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Nein, Jef, bist nicht allein,
Und nu heul doch nich mehr.
Was solln die Leute denn sagen!
Nur weil das Stückchen Mist
dir ausgerissen ist (...)
Weiß, dass du traurig bist,
Doch lass uns endlich gehn, Jef
Jacques Brel, Der zivilisierte Affe
»Warum parkt da ein Panzer vor meinem Haus?«, fragte ich und deutete auf einen imposanten Sportwagen, dessen breite Reifen auf dem schmalen Bürgersteig der Colony Road standen.
»Das ist kein Panzer«, antwortete Milo gekränkt, »das ist ein Bugatti Veyron, Modell Black Blood, einer der leistungsstärksten Sportwagen der Welt.«
Ein sonniger Nachmittag
Das Rauschen des Windes in den Baumkronen
»Hast du schon wieder ein neues Auto gekauft! Sammelst du die jetzt, oder was?«
»Aber das ist viel mehr als ein Auto, mein Lieber. Das ist ein Kunstwerk!«
»Für mich sieht dein Kunstwerk mehr wie eine Tussifalle aus. Gibt es wirklich Mädchen, die noch auf die Sportwagentour reinfallen?«
»Als bräuchte ich so 'ne Kiste, um Frauen aufzureißen!«
Ich war mir da nicht ganz sicher. Ich hatte nie die Begeisterung meiner männlichen Artgenossen für Coupés, Roadsters und Cabriolets verstanden ...
»Komm, sieh ihn dir mal aus der Nähe an!«, schlug Milo mit leuchtenden Augen vor.
Um meinen Freund nicht zu enttäuschen, ließ ich die ganze Führung um das Fahrzeug herum über mich ergehen. Mit seiner ovalen, elliptischen Form glich der Bugatti einem Kokon mit ein paar Auswüchsen, die in der Sonne glitzerten und sich von der nachtblauen Karosserie abhoben: verchromter Kühlergrill, metallische Außenspiegel, glitzernde Felgen, hinter denen man das Flammenblau der Bremsscheiben erahnte.
»Möchtest du einen Blick auf den Motor werfen?«
»Aber natürlich«, erwiderte ich mit einem Seufzer.
»Wusstest du, dass es auf der ganzen Welt nur fünfzehn Exemplare von diesem Modell gibt?«
»Nein, aber ich bin begeistert, es zu erfahren.«
»Mit diesem geilen Teil erreichst du innerhalb von nur zwei Sekunden eine Beschleunigung von null auf hundert Stundenkilometer. Und die Höchstgeschwindigkeit beträgt schlappe vierhundert Stundenkilometer.«
»Sehr nützlich bei den derzeitigen Benzinpreisen und den Radarfallen alle hundert Meter ... und für die Umwelt ist es wirklich super.«
Diesmal konnte Milo seine Enttäuschung nicht verbergen.
»Musst du denn immer so ein Spielverderber sein, Tom, unfähig, die Leichtigkeit und Freuden des Lebens einfach mal zu genießen?«
»Nun, einer von uns beiden muss so sein, und da du deine Rolle als Erster gewählt hast, konnte ich nur die nehmen, die noch übrig war.«
»Komm, steig ein.«
»Darf ich fahren?«
»Nein.«
»Warum?«
»Weil du ganz genau weißt, dass dein Führerschein eingezogen wurde ...«
*
Der Rennwagen verließ die schattigen Alleen von Malibu Colony und bog auf den Pacific Coast Highway, der an der Küste verläuft. Der Bugatti hatte eine optimale Straßenlage. Das Innere, mit weichem Leder ausgestattet, strahlte etwas Warmes, Behagliches aus. Ich fühlte mich beschützt in dieser Atmosphäre und schloss die Augen, als die Melodie eines alten Songs von Otis Redding ertönte.
Ich wusste, dass dieses zerbrechliche Gefühl von Ruhe nur auf die Beruhigungsmittel zurückzuführen war, die ich nach dem Duschen unter der Zunge hatte zergehen lassen, aber diese kleinen Atempausen waren so selten, dass ich gelernt hatte, sie zu schätzen.
Seit Aurore mich verlassen hatte, fühlte ich mich, als würde eine Art von Krebs mein Herz zerfressen, sich darin dauerhaft einnisten wie eine Ratte in einer Speisekammer. Hungrig auf frisches Fleisch, hatte der Kummer mich verschlungen, bis ich nicht mal mehr zu einer Gefühlsregung oder auch nur der geringsten Willensanstrengung fähig war. Während der ersten Wochen hatte mich die Angst vor der Depression wach gehalten und genötigt, mich mit Händen und Füßen gegen Verzweiflung und Verbitterung zu wehren. Doch dann hatte mich auch die Angst verlassen und mit ihr die Würde und selbst der einfache Wille, den Schein zu wahren. Diese innere Lepra hatte mich gnadenlos zernagt, hatte die Farben des Lebens verwaschen, alle Energie aus mir gesogen, jeden Funken zum Erlöschen gebracht. Bei der geringsten Anwandlung, mein Leben wieder unter Kontrolle zu bringen, verwandelte sich das Geschwür in eine Schlange, die mir bei jedem Biss ihre Giftdosis einimpfte und in Form von schmerzhaften Erinnerungen in mein Gehirn drang: der Schauder auf Aurores Haut, ihr Geruch, ihr Wimpernschlag, das Gold in ihren Augen ...
Dann waren sogar die Erinnerungen verblasst, da ich so mit Medikamenten vollgepumpt war, dass alles verschwamm. Ich hatte begonnen, mich treiben zu lassen, meine Tage im Dunkeln auf dem Sofa ausgestreckt zu verbringen, geschützt durch eine chemische Rüstung, betäubt von Xanax, was an schlechten Tagen in Albträume ausartete, bevölkert von Nagetieren mit spitzen Schnauzen und rauen Schwänzen, Albträume, aus denen ich schweißgebadet und zitternd erwachte, nur von dem Wunsch besessen, durch eine noch höhere Dosis an Antidepressiva erneut der Realität zu entfliehen.
In diesem komatösen Nebel vergingen Tage und Monate ohne Sinn und Substanz und ohne dass ich mir dessen bewusst wurde. Doch die Realität existierte: Mein Schmerz war immer noch da, und ich hatte seit einem Jahr keine Zeile mehr geschrieben. Mein Gehirn war gelähmt. Die Worte waren mir entflohen, jede Lust zu schreiben hatte mich verlassen, meine Fantasie war versiegt.
Auf Höhe des Santa Monica Beach bog Milo auf die Interstate 10 Richtung Sacramento.
»Hast du die Baseballresultate gesehen?«, fragte Milo und reichte mir sein iPhone, das eine Sportsite anzeigte. »Die Angels haben die Yankees geschlagen!«
Ich warf zerstreut einen Blick auf das Display. »Milo?«
»Ja?«
»Du solltest dich auf die Fahrbahn konzentrieren, nicht auf mich.«
Ich wusste, dass meine inneren Qualen meinem Freund zu schaffen machten und mit etwas konfrontierten, das er nur schwer zu verstehen vermochte: Meine mentale Entgleisung und diese Unausgeglichenheit, die wir alle in uns tragen und von der er mich zu Unrecht verschont geglaubt hatte.
Wir nahmen die Ausfahrt nach Westwood und erreichten das Golden Triangle von Los Angeles. Wie oft hervorgehoben wird, besitzt das Viertel weder Krankenhaus noch Friedhof. Nur makellose Straßen mit teuren Boutiquen, in denen man wie beim Arzt einen Termin vereinbaren muss. Demografisch betrachtet wurde niemand in Beverly Hills geboren oder beerdigt ...
»Ich hoffe, du bist hungrig«, sagte Milo und bog in den Canon Drive ein.
Vor einem edlen Restaurant brachte er den Bugatti zum Stehen.
Nachdem er einem Mann vom Parkservice den Schlüssel überreicht hatte, führte mich Milo in sein »Stammlokal«.
Der einstige Straßenjunge von MacArthur Park konnte ohne Reservierung im Spago ein und aus gehen, wie er wollte, während Normalsterbliche Wochen vorher reservieren mussten. Der Oberkellner führte uns in einen exklusiven Innenhof, in dem die besten Plätze den Berühmtheiten der Geschäftswelt und des Showbiz vorbehalten waren. Milo gab mir diskret ein Zeichen: Nur ein paar Meter von uns entfernt tranken Jack Nicholson und Michael Douglas ihren Digestif, während einen Tisch weiter eine Sitcom-Schauspielerin, die unsere Jugendfantasien angeregt hatte, ihren Salat aß.
Unbeeindruckt von all diesen Stars ringsherum nahm ich Platz. Während der letzten zwei Jahre hatte ich bei meinem Aufstieg in Hollywood-Sphären nicht selten Gelegenheit gehabt, mich Menschen zu nähern, die ich früher idealisierte. Auf Privatpartys, in Klubs oder in Villen, groß wie Paläste, plauderte ich mit Schauspielern, Sängern und Schriftstellern, von denen ich als Jugendlicher geträumt hatte. Doch diese Begegnungen hatten zu nichts anderem als zu Desillusionierung und Ernüchterung geführt. Besser, man weiß nicht, was sich hinter den Kulissen der Traumfabrik abspielt. Im »wirklichen Leben« waren die Helden meiner Kindheit oft nur moralische Wracks auf der Jagd nach Mädchen, die sie nach Gebrauch wegwarfen, um sich auf noch frischeres Fleisch zu stürzen. Nicht weniger traurig: Manche Schauspielerinnen, die auf der Leinwand so charmant und apart waren, lavierten in der Realität zwischen Kokslinien, Anorexie, Botox und Fettabsaugen. Aber wer war ich, um über diese Leute zu urteilen? War ich nicht selbst zu einem dieser Typen geworden, die ich verachtete? Opfer der gleichen Vereinsamung, der gleichen Abhängigkeit von Betäubungsmitteln, der gleichen Egozentrik, die in lichten Momenten zum Selbstekel führten?
»Lass dir's schmecken!« Milo lächelte und deutete auf die Kanapees, die uns zusammen mit unserem Aperitif serviert worden waren.
Ich nahm einen winzigen Bissen von einem Stückchen Brot, das mit einer hauchdünnen Scheibe zarten marmorierten Fleisches bedeckt war.
»Das ist Kobe-Rind«, erklärte er. »Wusstest du, dass die Tiere in Japan mit Sake massiert werden, damit sich das Fett gleichmäßig in den Muskeln verteilt?«
Ich runzelte die Stirn.
»Um sie zu verwöhnen«, fuhr er fort, »mischt man Bier unter ihr Futter, und um sie zu entspannen,...
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