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»Nun?« Die Pause, die Frau Dr. Sheila Harris nach diesem Wort macht, ist mit unausgesprochenen Fragen aufgeladen. Sie sieht mich erwartungsvoll an, das iPad auf dem Schoß. Ich bin nur widerstrebend zu diesem Termin erschienen, denn ich habe es satt, ständig mein Verhalten und meine Gefühle analysieren zu müssen. Diese ewige Frage: Wie fühlen Sie sich dabei? Endlos wiederholt. Wie geht es Ihnen? Bla, bla, bla.
Das steht mir echt bis hierhin.
»Nun was?« Ich ziehe die Augenbrauen hoch.
Sheilas Mundwinkel zucken. Wie schön, dass ich sie erheitern kann. »Wie geht es Ihnen?«
Da ist der Satz ja. Pünktlich auf die Minute. Soll ich jetzt die Wahrheit sagen oder lügen? Eigentlich soll ich doch vollkommen offen zu Sheila sein. Sie ist die einzige Person, auf deren Objektivität ich mich verlassen kann. Mom und Brenna stehen auf meiner Seite. Sie werden immer Partei für mich ergreifen, ohne groß darüber nachzudenken. Vergiss diesen Ethan oder Will oder wie auch immer er heißt. Er hat mir unrecht getan. Mich hereingelegt. Darum ist er der Böse. Und er sollte nie wieder eine Chance bekommen.
Es ist so leicht, in diesen Bahnen zu denken, insbesondere wenn ich sein Gesicht nicht sehen und seine Stimme nicht hören muss. Wenn er jetzt aber hier wäre, wenn er vor mir stünde, wie würde ich dann reagieren? Würde ich mich ihm an den Hals werfen und hoffen, dass er mich umarmt?
Oder würde ich ihm klarmachen, wie wütend ich bin, und ihm furchtbare Gemeinheiten an den Kopf werfen?
Das ist mein täglicher Kampf. Ich dachte, es wäre überhaupt kein Problem für mich, ihn zu vergessen, nach vorn zu schauen und nach wie vor wütend auf ihn zu sein, weil er mir das alles angetan hat. Und meistens empfinde ich es auch so. Dass er mich so hintergangen hat, hat mich zutiefst verletzt.
Aber ganz verborgen in meinem Inneren gibt es eine weiche Stelle, und mit diesem Teil meiner selbst möchte ich ihm vergeben und ihn in mein Leben zurückholen. So geht es einem, wenn man jemanden wirklich wahnsinnig gernhat.
Letzthin wünsche ich mir manchmal, ich hätte gar kein Herz. Dann könnte es mir auch nicht brechen.
»Es geht mir .« Fürchterlich. Entsetzlich. Beschissen. Ich bin so einsam. »Ganz okay.« Ich hole tief Luft und halte den Atem kurz an, bevor ich ihn langsam ausstoße. So versuche ich, einen klaren Kopf zu bekommen und zu mir selbst zu finden.
Doch es hilft nichts. Das Hässliche, Kaputte, Schwarze kriecht wieder in mich hinein und nimmt meine Gedanken, mein Herz und meine Seele in seinen Würgegriff. Ich bin . wütend.
Aber das will keiner hören. Inzwischen nicht mehr. Ich sollte allmählich darüber hinweg sein. Das sagen meine Schwester und meine Mutter.
Sie haben leicht reden. Sie wurden ja nicht nach Strich und Faden belogen.
»Einfach ganz okay? Bei unserem letzten Gespräch waren Sie sehr bedrückt.« Sheilas Gesichtsausdruck bleibt vollkommen neutral. Das kann sie wirklich ausgezeichnet. So ein Pokerface hätte ich auch gern.
Ich war deprimiert, um es genauer zu sagen. Doch das habe ich hinter mir gelassen. Inzwischen konzentriere ich mich auf meine Wut über das, was geschehen ist, und die treibt mich an. Sie gibt mir den Mut, zur Abwechslung einmal das zu tun, was ich selbst will, und sogar ein bisschen trotzig zu sein.
Und das war ich nicht mehr, seit ich zwölf war.
»Ich habe das Weinen satt.« Ich zucke mit den Schultern. Ich habe genug Tränen für fünfzig Leben vergossen.
Sheila lächelt. »Sie verhalten sich heute anders als sonst.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich würde am liebsten rebellisch sagen, aber ich weiß nicht, ob es das richtige Wort ist.« Sie tippt sich mit dem Finger an die Lippen und mustert mich. Ich sitze mit vor der Brust verschränkten Armen und versteinerter Miene im Sessel. Ich spüre meine eigene Reglosigkeit, mit der ich sie beobachte und darauf warte, dass sie fortfährt. Rebellisch, denke ich, trifft es genau. »Eigensinnig? Als würden Sie die Schultern zucken? Als wäre das, was Ethan Ihnen angetan hat, nur eine Lappalie?«
Sie bringt das Gespräch auf ihn. Natürlich. Mein Herz setzt verdammt noch mal einen Schlag aus, wann immer ich seinen Namen höre. Schauer überlaufen mich. Die ganze Lovestory läuft noch einmal von vorn ab, und das kotzt mich an. Allerdings vermisse ich Ethan auch.
Es kann einen rasend machen: dass man jemanden vermisst, auf den man wütend ist. Die widersprüchlichen Gefühle scheinen sich einen unausgesetzten Kampf zu liefern.
»Es war keine Lappalie«, antworte ich ruhig und lasse die Arme sinken, um meine eiskalten Hände zusammenzulegen.
»Haben Sie mit ihm geredet? Sich mit ihm getroffen?«
Ich schüttele den Kopf. Vor einer Woche habe ich eine Textnachricht erhalten. Die erste und letzte. Als Ethans Name auf meinem Handy angezeigt wurde, schlug mir das Herz bis zum Hals. Ich wusste nicht, wie ich reagieren, was ich ihm antworten sollte. Was hätte ich auch schon sagen sollen?
Bitte rede mit mir.
Schließlich ließ ich es bleiben. Ich antwortete nicht. Wie denn auch? Er hat mich belogen. Belogen. Und zwar fortlaufend, während er gleichzeitig so tat, als wolle er nur mein Bestes. Oh nein, eigentlich ging es ihm nur um seine eigenen Interessen.
Als ich mich beruhigt hatte und wieder klar denken konnte, ist mir im Nachhinein so unendlich viel aufgefallen. Als wäre ich mit Blindheit geschlagen gewesen. Eine Idiotin. Als ich mich in ihn verliebte, wusste er schon die ganze Zeit, dass er mich hinters Licht führte. Mit mir spielte.
Ich erinnere mich, wie ich als Kind den alten Superman-Film mit Dad geschaut habe. Das war vor dem Schlimmen, das später passierte. Damals hatte er noch Zeit für mich und schaute mich nicht ständig so an, als wäre ich besudelt. Beschädigt. Während wir den Film sahen, den Dad als Kind so geliebt hatte, musste ich unwillkürlich denken, wie unglaublich blöd es von Lois war zu übersehen, dass Clark Kent in Wirklichkeit Superman war.
Ich bin zu einer Lois Lane geworden. Ethan ist mein Clark Kent. Und Will war mein Superman.
Stirnrunzelnd blinzele ich mit den Augen und richte den Blick wieder auf Sheila.
»Hat er eigentlich versucht, Sie zu kontaktieren?«
Ethans Textnachricht habe ich nach meiner letzten allwöchentlichen Sitzung bei Sheila erhalten, davon weiß sie also nichts. »Er hat mir eine SMS geschickt.«
»Haben Sie darauf geantwortet?«
Wieder schüttele ich den Kopf. Stumm. Statt meiner eigenen Stimme habe ich plötzlich den Klang der seinen im Ohr. Warm, tief, beständig und wahrhaftig, wenn er meinen Namen sagte:
Katie.
Sonst nennt mich niemand so. Das lasse ich nicht zu. Nach allem, was passiert war, gab es keine Katie mehr. Nach meiner Heimkehr wurde ich Katherine. Bis Ethan auftauchte und mich erneut Katie nannte. Und ich feststellte, dass es mich nicht störte. Jetzt verstehe ich, warum er mich von Anfang an so genannt hat.
Für Will ist Katie mein Name.
Es tut so furchtbar weh, an ihn zu denken und mir sein schönes Gesicht vorzustellen. Wie er beim Lächeln Lachfältchen um die Augen bekam. Seine Worte und die Versprechen, die er mir gegeben hat. Wie er mich manchmal fast ehrfürchtig berührte, als wäre ich so empfindlich, dass ich zerbrechen könnte.
Er hatte recht. Ich fühle mich, als könnte ich jeden Augenblick in tausend Scherben zerspringen.
»Was ist mit Lisa Swanson? Hat sie sich erneut an Sie gewandt?«, fragt Sheila freundlich.
»Ja. Sie will unbedingt, dass ich ihr ein zweites Interview gebe. Ein Art Gegendarstellung zu Aar.« Meine Stimme versagt, und ich kann . ich kann seinen Namen nicht aussprechen. Dass ich dieses Problem noch immer habe, sagt eine Menge über mich aus. »Zu seinem ersten Interview, für das sie ihn im Gefängnis aufgesucht hat.«
»Seinem einzigen Interview«, wirft Sheila ein.
»Stimmt.« Ich hole noch einmal tief Atem und stoße die Luft langsam wieder aus. »Vorher hat er noch nie mit den Medien gesprochen.«
»Sind Sie neugierig auf das, was er zu sagen hat?«
»Nein. Eigentlich nicht.« Ein winziger Teil meiner selbst ist tatsächlich neugierig, aber ansonsten fühle ich mich abgestoßen, und es widert mich vor allem an, dass er glaubt, gerade jetzt wäre die richtige Zeit zum Reden. Ist es wegen meines vor einiger Zeit ausgestrahlten Interviews mit Lisa? So muss es wohl sein.
Was denkt Ethan eigentlich darüber? Es sollte mir gleichgültig sein, aber es fällt mir noch immer schwer, die Vorstellung in meinen Kopf hineinzubekommen, dass Ethan tatsächlich der Sohn von Aaron Monroe ist. In all der Zeit, die ich gemeinsam mit Ethan verbracht habe, ist mir niemals auch nur eine Andeutung von Gewalttätigkeit oder Hass aufgefallen. Er war nie gemein. Er war immer liebevoll und respektvoll.
Auch in den kurzen quälenden Stunden, die ich mit Will durchlitten habe, und während unseres anschließenden Kontakts - Briefe, Handygespräche und Textnachrichten - war er immer nur nett zu mir. Allerdings gab es da auch etwas fast Gereiztes, als bräuchte er den Kontakt zu mir und verabscheute ihn doch gleichzeitig.
Es fällt mir schwer, mir den Will von damals in Erinnerung zu rufen, ohne dass der Ethan, den ich heute kenne, meine Erinnerungen verfälscht - bis zur Unkenntlichkeit. Aber ich weiß, was zwischen uns vorgefallen ist, als wir beide Kinder waren. Es ist...
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