Schweitzer Fachinformationen
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Das Treffen mit Lopez in Zürich war gut gelaufen, und dennoch hat Ferris ein mieses Gefühl. Wo hatte er den Kerl bloß schon mal gesehen?
Er kommt nicht drauf, was ihn ärgert.
»Ich könnte schwören, dass ich ihn von irgendwoher kenne«, sagt er zu Remi Ekrem. »Wie er redet und sich bewegt.«
»Na und?«, sagt Ekrem.
Na und?
Ferris schaut seinen Boss an. Der fette Sack hängt im Bademantel auf der Couch vor dem überdimensionierten Flachbildschirm, wo seine türkische Lieblingssoap Suleiman Empire läuft. Die Fenster der Villa sind geöffnet, und von draußen schallt der blecherne Ruf eines Muezzins rein. Dann geht es überall in der Stadt los, ein einziges Gejaule.
Willkommen in Prizren, Kosovo. August 2019.
»Ich wette, das endet böse mit Suleiman«, sagt Ekrem und deutet mit der Fernbedienung auf die Glotze, die er etwas lauter stellt. »Sein Schwager will ihn abservieren.«
»Und ich will, dass du mit Goran redest.«
»Die Feinde lauern immer da, wo man sie am wenigsten erwartet«, sagt Ekrem. »Denk an Julius Cäsar. Das müsste Suleiman eigentlich wissen. Tut er auch, aber Fatima lullt ihn ein. Immer diese scheiß Weiber, ich sag's dir.«
Der Typ macht ihn wahnsinnig.
Ferris kratzt über seine Bartstoppeln, in die sich das erste Grau mischt. »Hör zu, ich will morgen ein Back-up haben. Nur zur Sicherheit.«
Ekrem greift nach einem Fruchtshake auf dem Tisch, trinkt einen Schluck davon und sagt: »Ich wette, dass Fatima was mit ihrem Schwager anfängt.«
»Ruf Goran an.«
»Warum soll ich ihn anrufen?«
Es ist sinnlos, mit Ekrem zu reden. Ferris kennt dessen depressive Phasen, aber wie es aussieht, wird es von Mal zu Mal schlimmer. Selbst Mona scheint den Respekt zu verlieren, fängt an, Ferris schöne Augen zu machen. Sie spielt hier mit dem Feuer, und das sollte sie besser nicht tun.
Ferris ist ihr vorhin in der Küche begegnet, wo sie frisches Obst in dem Mixer schredderte. Sie stellte das Gerät aus und sagte: »Du bist ein gut aussehender Mann, Ferris, weißt du das?«
Was soll man darauf antworten?
»Warum hast du keine Frau und keine Kinder?«
»Hat sich noch nicht ergeben.«
»So was ergibt sich nicht, Ferris, da muss man was für tun.«
Sie lächelte ihn an. Ferris räusperte sich und sagte: »Und warum habt ihr noch keine Kinder?«
»Remi kriegt keinen mehr hoch.«
Das wollte Ferris nicht hören, obwohl er es sich schon gedacht hatte, so wie der Mann sich gehen ließ.
»Wo ist er denn?«
»Drüben im Wohnzimmer.«
Mona füllte ein Glas von dem Fruchtshake ab, schlug ein Ei rein, verrührte es und reichte ihm den Drink.
»Danke«, sagte Ferris, »aber ich mag kein rohes Ei.«
»Ist auch nicht für dich.«
Am nächsten Tag geht es los.
Die Kolonne verlässt das Anwesen, das oberhalb der Altstadt von Prizren im ethnisch gesäuberten serbischen Viertel hinter Mauern mit NATO-Draht verborgen liegt. Vorne in dem schwarzen Hummer sitzt Ekrems Leibgarde. Sie haben ihre Kalaschnikows unter den Sitzen liegen und können sicher sein, dass sie an der Grenze zu Albanien niemand kontrollieren wird. Dahinter im Mercedes folgen Ekrem und Ferris mit Luhan und dem Fahrer und dahinter dann noch einmal fünf Leute in einem schwarzen Range Rover. Einer von ihnen trägt einen Anzug und sieht nicht so aus, als hätte er sich schon jemals die Finger schmutzig gemacht. Sie werden sich um die Ware kümmern, die anderen sind für Ekrems Sicherheit zuständig. Mit der Hälfte der Männer hat er schon den Krieg gewonnen, und sie würden nicht zögern, wieder für ihn in den Krieg zu ziehen.
Nach ein paar Kilometern hält die Kolonne das erste Mal an, weil Ekrem pinkeln muss. Die Beifahrertür schwingt auf, und Luhan steigt aus. Er stellt sich ein paar Meter neben den Boss, der umständlich seinen Schwanz unter der Wampe rauspult, und schlägt seinen Blouson beiseite, sodass jeder den Griff seiner schicken Beretta sehen kann, der aus dem Hosenbund rauslugt. Sein Blick hinter der verspiegelten Ray-Ban ist vermutlich betonhart.
Aber wo ist das Publikum?, denkt Ferris.
Er macht aus seiner Verachtung für Luhan keinen Hehl. Ein Typ Mitte zwanzig mit olivfarbener Haut, die muskelbepackten Arme voller Tattoos. Auf dem Kopf trägt er sein glänzend schwarzes Haar zu einem schicken Dutt geflochten, wie eine Schwuchtel. Er scharwenzelt die ganze Zeit um Mona herum, reicht ihr das Handtuch, wenn sie in ihrem knappen Bikini perlend aus dem Pool steigt. Neulich hat Ferris beobachtet, wie er ihr den Nacken mit Sonnenmilch einrieb. Mona lag auf dem Bauch auf der Liege, ihr BH hinten geöffnet.
Kurz vor Kukës, als sie hinter der albanischen Grenze auf der neuen Autobahn durch die tiefen Bergschluchten fahren, kriegt Ekrem Hunger. Sie sind in vier Stunden mit Lopez in Durrës verabredet und haben noch drei Stunden Fahrtzeit vor sich. Eine Stunde Puffer, das ist nicht viel bei so einer Sache.
»Pass auf«, sagt Ferris zu Ekrem, »wir sind ein bisschen knapp dran, was hältst du davon, wenn wir an der Tankstelle ein paar Snacks holen?«
»Ich will keine Snacks, ich will Köfte.«
Köfte, um zehn Uhr morgens nach einem üppigen Frühstück mit Käse, Oliven, Tomaten, zwei gebratenen Eiern, Hähnchenschenkeln und Quittenkompott.
»Remi, wir sollten nicht zu spät kommen.«
»Wir kommen nicht zu spät«, sagt Ekrem und klopft dem Fahrer auf die Schulter. »Nimm die nächste Ausfahrt.«
Ferris spürt den Triumph in Luhans Augen hinter der Sonnenbrille, die ihn im Rückspiegel beobachten. Es gefällt dem Kerl zu sehen, wie Ekrem ihn hier herumkommandiert und auf seinen Platz verweist. Ferris schluckt es runter wie bittere Galle. Wer kümmert sich denn hier um alles? Wer tritt denn diesem feisten Sack ständig in den Arsch, um den Laden am Laufen zu halten? Und wer hat gestern noch mit Goran telefoniert?
Über eine holprige Straße erreichen sie Kukës, einen heruntergekommenen Ort, wo orientalischer Basar auf stalinistische Erinnerungsarchitektur trifft. Ferris weiß, wo Ekrem hinwill: zu seinem alten Kumpel Bekir Hasani, dem ein Restaurant gehört, wo schon am Vormittag Köfte neben Paprikaschoten auf dem Grill brutzelt. Ekrem wird respektvoll empfangen, so wie es sich für einen ehemaligen Kriegshelden gehört, der hier sein militärisches Rückzugsgebiet hatte, unerreichbar für die Serben. Selfies werden gemacht, tellerweise Gerichte aufgetischt, Raki ausgeschenkt, und Ekrem lässt sich feiern, als gebe es kein Morgen und keine hundert Kilo Kokain, die in Durrës auf sie warten.
Ferris schaut nervös auf die Uhr, als Shatira ihm aus Berlin über Telegram eine verschlüsselte Textnachricht mit der Adresse des Supermarktes schickt, wo die Ladung in Bananenkisten versteckt angeliefert werden soll. Wenigstens auf den ist noch Verlass. Der Junge hat gute Arbeit geleistet, hat die Libanesen weggehauen, ihre Reviere übernommen und einen Taxiservice aufgebaut, der die Endkunden direkt on demand beliefert, frei Haus ab einem Bestellwert von hundert Euro. Das Business brummt. Shatira kommt gar nicht mehr hinterher. Er braucht dringend Nachschub, und den wird er kriegen.
»Kommt jetzt«, sagt Ferris und steht auf. »Wir müssen los.«
»Hey .«, sagt Ekrem, woraufhin sich Luhans Schultern merklich anspannen. Ferris pellt ein paar Euroscheine aus seiner Hosentasche und wirft sie auf den Tisch, während er sich bei Bekir für die Gastfreundschaft bedankt. Doch Bekir nimmt das Geld und gibt es Ferris zurück. Geht aufs Haus. Remi Ekrem ist ein Held, ein wahrer Patriot und jederzeit willkommen. Ekrem nickt gerührt und steht ächzend auf.
Weitere Selfies.
Küsschen werden ausgetauscht, Hände geschüttelt, Schultern geklopft. Es dauert weitere zehn Minuten, bis alle endlich in ihren Karren sitzen und weiterfahren können.
Lopez ist schon da, als sie eine halbe Stunde zu spät in Durrës aufschlagen. Er trägt eine dunkle Sonnenbrille zum hellen Leinenanzug, schwarzes T-Shirt, goldene Halskette. Sieht aus, als wäre er direkt aus der Glotze ins Leben gestolpert, denkt Ferris, wie er so mit seinen Leuten an einem schwarzen Mercedes lehnt, dort, vor der Lagerhalle an der lauten Straße mit Geschäften, Kfz-Werkstätten und Baumärkten. Lopez schnipst seine Kippe weg, zertritt sie mit dem Stiefelabsatz und kommt auf Ferris und Ekrem zu, während Luhan sich umblickt, ob die Luft rein ist.
»Ihr seid spät dran«, sagt Lopez.
Ekrem schaut ihn aus trüben Augen an. »Wir hatten noch was zu erledigen.«
»Der Container ist schon unterwegs, er müsste gleich hier sein.«
»Gut so«, sagt Ekrem, legt Lopez den Arm um die Schulter und geht mit ihm in die Lagerhalle.
Ferris hinterher.
Klar ist der Container unterwegs, denkt er. Wer hat sich denn darum gekümmert, dass er im Hafen nicht kontrolliert wird? Und jetzt läuft er hinterher wie ein Angestellter. Was er in gewisser Weise ja auch ist. Er ist kein Ekrem, gehört nicht zur Familie. Dafür hat er seit dem Krieg immer loyal gedient. Ist das der Lohn dafür? Dass Ekrem ihn vor Luhan, dem Trottel, zurechtweist? Dass er ihn hinterhertrotten lässt wie einen Dackel, obwohl Ferris den Deal mit Lopez eingefädelt hat?
In der Halle stapeln sich Baustoffe. Zementsäcke, Folien, Dämmwolle, Dachrinnen, Rohre, Kabel und was man zum Hausbau sonst noch so alles braucht. Einer von Ekrems Männern parkt den Range Rover in der Halle mit der...
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