Schweitzer Fachinformationen
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Wir verbrachten ganze Tage am Wawanash River und halfen Onkel Benny beim Fischen. Wir fingen für ihn die Frösche. Wir jagten sie, beschlichen sie, krochen ihnen nach unter den Weiden am schlammigen Flussufer und in den sumpfigen Löchern voller Wolfsdisteln und Riedgras, das haarfeine, zunächst unsichtbare Schnitte in unseren nackten Beinen hinterließ. Alte Frösche waren schlau genug, sich vor uns zu verstecken, aber sie wollten wir auch nicht; wir waren hinter den schmächtigen jungen, grünen her, den prächtigen halbwüchsigen, die kühl und schleimig waren; wir ließen sie lustvoll durch unsere Hände glitschen, dann in einen Honigeimer plumpsen und setzten den Deckel darauf. Dort blieben sie, bis Onkel Benny so weit war, sie an den Haken zu stecken.
Er war kein Onkel. Nicht unser und überhaupt.
Er stand ein Stück weit draußen in dem seichten braunen Wasser, da, wo der schlammige Grund in Kiesel und Sand übergeht. Jeden Tag, sein Leben lang, wo man ihn auch sah, trug er die gleichen Sachen - Gummistiefel, Overall, kein Hemd, einen verschossenen schwarzen Sakko, der zugeknöpft war und ein V von rauer roter Haut mit einem feinen weißen Rand sehen ließ. Dem Filzhut auf seinem Kopf waren ein schmales Band und zwei kleine Federn geblieben, die vom Schweiß ganz dunkel geworden waren.
Obwohl er sich nie umdrehte, merkte er es stets, wenn wir einen Fuß ins Wasser setzten.
»Ihr Gören wollt im Schlamm rumplanschen und mir die Fische verscheuchen, verschwindet und macht das woanders, haut ab von meinem Ufer.«
Es gehörte ihm nicht. Genau hier, wo er gewöhnlich fischte, gehörte das Ufer uns. Aber auf den Gedanken kamen wir nicht. In seiner Vorstellung gehörten der Fluss und das wilde Buschland und der Grenochsumpf mehr oder weniger ihm, weil er dies alles besser kannte als jeder andere. Er behauptete, er sei der Einzige, der den Sumpf vollständig durchquert und nicht bloß kleine Vorstöße an den Rändern unternommen habe. Er sagte, dort drinnen gebe es ein Treibsandloch, in dem ein Zweitonner verschwinden würde wie ein Bissen zum Frühstück. (Er sagte »quicksand«, und in meiner Phantasie sah ich es glänzen und nasstrocken kullern, weil ich es mit Quecksilber verwechselte.) Er sagte, es gebe im Wawanash Stellen, die auch mitten im Sommer zwanzig Fuß tief seien. Er sagte, er könnte uns dorthin mitnehmen, aber er tat es nie.
Er war immer bereit, beim leisesten Schimmer von Zweifel beleidigt zu sein.
»Ihr werdet noch in so eins reinfallen, dann glaubt ihr mir.«
Er hatte einen mächtigen schwarzen Schnurrbart, wilde Augen, ein schlaues Räubergesicht. Er war nicht so alt, wie man nach seinen Kleidern, seinem Schnurrbart, seinem Verhalten meinen mochte; er gehörte zu der Sorte Mann, die schon zu unerschütterlichen Exzentrikern werden, bevor sie zwanzig sind. In allen seinen Äußerungen, Vorhersagen, Urteilen lag eine geballte Leidenschaft. Auf unserem Hof schaute er einmal zu einem Regenbogen hinauf und rief: »Wisst ihr, was das ist? Das ist das Versprechen Gottes, dass es nie wieder eine Sintflut geben wird!« Seine Stimme bebte angesichts der Tragweite dieses Versprechens, als wäre es eben erst gemacht worden und er selbst wäre der Überbringer.
Wenn er die Fische gefangen hatte, die er haben wollte (er warf Schwarzbarsche zurück, behielt aber Döbel und Rotflosser und sagte, der Rotflosser sei ein schmackhafter Fisch, obwohl er so voller Gräten sei wie ein Nadelkissen voller Nadeln), kletterten wir aus der schattigen Flussmulde heraus und liefen über die Felder zu seinem Haus. Owen und ich gingen auch barfuß mühelos über Stoppeln. Manchmal folgte uns unser ungeselliger Hund Major in einigem Abstand. Drüben am Rand des Dickichts - des Dickichts, das eine Meile weiter in den Sumpf überging - stand Onkel Bennys Haus, groß und silbergrau, aus alten ungestrichenen Brettern, die im Sommer trocken gebleicht wurden, und dunkelgrünen zerschlissenen und zerfetzten Jalousien, die an allen Fenstern heruntergelassen waren. Das Gestrüpp dahinter war schwarz, heiß, dornenverfilzt und erfüllt von Insekten, die in Myriaden herumschwirrten.
Zwischen dem Haus und dem Buschland standen mehrere Gehege, in denen er immer ein paar gefangene Tiere hielt - ein halbzahmes goldfarbenes Frettchen, ein Paar Wildnerze, eine Rotfüchsin, die sich in einer Falle das Bein verletzt hatte. Sie hinkte und heulte bei Nacht und hieß Duchess. Für die Waschbären brauchte er kein Gehege. Sie lebten rund um den Hof und in den Bäumen, zahmer als Katzen, und kamen an die Tür, um sich füttern zu lassen. Sie mochten Kaugummi. Auch Eichhörnchen kamen und saßen keck auf den Fenstersimsen und stöberten in den Zeitungshaufen auf der Veranda.
In der Erde neben der Hauswand gab es außerdem noch eine Art flaches Gehege oder Loch, das auf den drei freien Seiten fast zwei Fuß hoch von festgenagelten Brettern umgeben war. Dort hatte Onkel Benny die Schildkröten gehalten. In einem Sommer hatte er alles andere aufgegeben, um Schildkröten zu fangen. Er sagte, er werde sie einem Amerikaner aus Detroit verkaufen, der ihm fünfunddreißig Cents das Pfund bezahlen wolle.
»Macht man Suppe draus«, sagte Onkel Benny, während er sich über das Gehege für die Schildkröten beugte. Sosehr ihn das Zähmen und Füttern der Tiere freute, sosehr freute ihn auch ihr unerfreuliches Schicksal.
»Schildkrötensuppe!«
»Für Amerikaner«, sagte Onkel Benny, als ob das alles erklärte. »Ich selber würde sie nicht anrühren.«
Entweder erschien der Amerikaner nicht, oder er wollte nicht bezahlen, was Onkel Benny verlangte, oder er war ohnehin nur ein Gerücht gewesen - aus dem Plan wurde nichts. Ein paar Wochen später machte Onkel Benny, wenn man Schildkröten erwähnte, ein ausdrucksloses Gesicht und sagte in einem Ton, als bedauerte er, dass man so weit hinter der Zeit zurück war: »Ach, darüber werde ich mir doch nicht mehr den Kopf zerbrechen.«
Wenn er auf seinem Lieblingsstuhl gleich neben unserer Küchentür saß - er saß stets dort, als habe er kaum Zeit sich zu setzen, wolle niemanden stören, werde in einer Minute wieder fort sein -, war Onkel Benny immer voller Neuigkeiten über irgendeine Geschäftsidee, immer etwas Außergewöhnliches, mit dem Leute gar nicht weit weg von uns, unten im Süden des County oder noch näher im Ortsgebiet von Grantly, unglaubliche Summen verdienten. Sie züchteten Chinchillas. Sie züchteten Wellensittiche. Sie verdienten zehntausend Dollar im Jahr und brauchten kaum dafür zu arbeiten. Wahrscheinlich war der Grund, warum er immer weiter bei meinem Vater arbeitete, obwohl er nie länger in einem anderen Job gearbeitet hatte, dass mein Vater Silberfüchse züchtete und dass ein solcher Beruf etwas Unsicheres und Ungewöhnliches an sich hatte, eine zauberhafte und ungreifbare, nie verwirklichte Hoffnung auf Reichtum.
Er nahm die Fische auf seiner Veranda aus, und wenn ihm nach Essen war, briet er schnell ein paar in einer Pfanne, in der noch das alte verbrannte Fett war. Er aß aus der Pfanne. Ganz gleich, wie heiß und hell es draußen war, hatte er immer ein Licht brennen, eine nackte Birne, die an der Decke hing. Die vielen, vielen Schichten von Gerümpel und der Schmutz im Haus verschluckten Licht.
Wenn Owen und ich heimgingen, versuchten wir manchmal, die Dinge aufzuzählen, die er in seinem Haus oder bloß in seiner Küche hatte.
»Zwei Toaster, einen mit Klappen und einen, wo man das Brot drauflegt.«
»Einen Autositz.«
»Eine aufgerollte Matratze. Ein Akkordeon.«
Aber wir schafften nicht einmal die Hälfte, das wussten wir. Die Dinge, an die wir uns erinnerten, hätte man aus dem Haus fortnehmen können, und sie wären nie vermisst worden; sie waren nur einige erkennbare und identifizierbare Dinge zuoberst auf einem riesigen Haufen, einem üppigen, dunklen, verrottenden Durcheinander aus Teppichen, Linoleum, Möbelteilen, Maschinenteilen, Nägeln, Draht, Werkzeugen, Geräten. Es war das Haus, in dem Onkel Bennys Eltern ihr ganzes Eheleben lang gewohnt hatten. (Ich konnte mich noch vage an sie erinnern, wie sie alt und dick und halbblind, in viele dunkle Schichten zerschlissener Kleider gehüllt, auf der Veranda in der Sonne saßen.) Ein Teil der angehäuften Dinge ging also auf fünfzig oder mehr Jahre Familienleben zurück. Aber es waren auch weggeworfene Sachen anderer Leute dabei, die sich Onkel Benny erbat und heimbrachte oder die er gar vom Müllplatz in Jubilee holte. Angeblich hoffte er, die Sachen zusammenzuflicken und wieder brauchbar zu machen und sie dann zu verkaufen. Wenn er in einer Stadt gewohnt hätte, hätte er einen riesigen Trödelladen gehabt; er hätte sein Leben zwischen fleckigen Möbeln und Bergen ausgedienter Geräte, angeschlagener Schüsseln und verstaubter Bilder von Verwandten anderer Leute verbracht. Er schätzte Abfall um seiner selbst willen und gab nur vor, sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber, dass er vorhabe, irgendeinen praktischen Nutzen daraus zu ziehen.
Aber das Liebste an seinem Haus waren mir die Zeitungen auf der Veranda; ihrer wurde ich niemals müde. Er bekam weder den >Herald-Advance< aus Jubilee, noch die Stadtzeitung, die mit einem Tag Verspätung in unserem Briefkasten landete. Er hatte kein Abonnement des >Family Herald< oder der >Saturday Evening Post<. Seine Zeitung kam einmal in der Woche und war schlecht und auf billiges Papier gedruckt, mit drei Zoll hohen Schlagzeilen. Sie war seine einzige Informationsquelle über die Außenwelt, da er selten ein funktionierendes Radio besaß. Es war eine ganz andere Welt als die, über die meine Eltern in der Zeitung lasen oder in...
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