Schweitzer Fachinformationen
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Ich kam oft in die Bains des Pâquis und genoss den Anblick der Segelboote und die Aussicht auf die Berge, die sich im Wasser spiegelten. Manchmal ging ich auch einfach spazieren, machte Umwege und schlenderte dahin. Im Winter, wenn es so kalt war, dass der Wind Bäume und geparkte Autos mit einem stromlinienförmigen Eispanzer überzog und einem schon nach wenigen Minuten im Freien die Lippen blau anliefen, verlegte ich mein frühabendliches Entspannungsritual ins Einkaufszentrum und ließ mich vom allgemeinen Sog durch die Regale spülen.
Knappe zehn Minuten wackelte ich mit den Füßen im kühlen Wasser, dann zog ich sie auch schon wieder heraus und machte mich barfuß auf den Heimweg. Mein Magen knurrte wie ein Löwe. Den ganzen Tag über hatte ich kaum etwas gegessen. Trotz meines Hungers ignorierte ich die Flut von Restaurants, die links und rechts um die Gunst der Hungrigen wetteiferten. Und auch an den allgegenwärtigen Imbissbuden, in denen ich mir regelmäßig den Bauch mit zweitklassigem Fraß vollschlug, ging ich zielstrebig vorbei. Mich erwartete etwas Besseres. Etwas, auf das ich mich schon seit Stunden freute; ein Stück Fleisch der ganz besonderen Art: ein Elefantenohr. Auf meinem gestrigen Streifzug war ich zufällig in ein Delikatessengeschäft mit dem vielversprechenden Namen Bel Paese gestolpert, in dem sich vom hölzernen Boden bis unter die stuckverzierte Decke die erlesensten Köstlichkeiten türmten. Nachdem ich mich eine Weile umgesehen hatte, entdeckte ich in der Auslage schließlich ein riesiges, platt geklopftes, paniertes Stück Kalbfleisch, das die Italiener in Anlehnung an das tierische Original »orecchia d'elefante« nannten - das hatte mir zumindest der alte Wucherer erzählt, der hinter der Kasse stand. Ohne nachzudenken, blätterte ich wahnwitzige dreißig Franken hin. Die Zubereitung nahm weniger als zehn Minuten in Anspruch und war kinderleicht: kurz in Butter auf beiden Seiten anbraten, dazu ein Zitronenschnitzchen und fertig. Während ich halb betäubt vor Vorfreude durch die Straßen schwebte und das Treppenhaus hochflog, malte ich mir den Genuss in allen Farben aus: erst das knusprige Paniermehl und dann das zarte Fleisch; jeder einzelne Bissen reine, ehrliche Glückseligkeit; ein Tellerchen voll Glück für die vom Alltag gebeutelte Abenteurerseele.
Auf dem letzten Absatz, nur wenige Armlängen von der rettenden Mahlzeit entfernt, stieg mir plötzlich ein verdächtiger Geruch in die Nase. Von bösen Ahnungen erfüllt warf ich die Tür auf. Ich ließ die Schuhe fallen und rannte in die Küche. Dort fand ich mich in einer triefenden Wolke aus Bratfett wieder. In der Spüle lag eine benutzte Pfanne, darauf Besteck und ein verschmierter Teller. Ich riss den Kühlschrank auf. Vergeblich. Es war nicht mehr da. Im Abfalleimer stieß ich schließlich auf das rosarote Einschlagpapier, in das der Halsabschneider meine kostbare Delikatesse gewickelt hatte. Fassungslos betrachtete ich das Schlachtfeld.
Nach dem Übeltäter musste nicht lange gesucht werden. Für so ein Verbrechen kam nur einer infrage: Jérôme Decastel, mein Mitbewohner und Vermieter, dessen Anwesenheit mir in der Hektik entgangen war. Dieser unersättliche Barbar hatte mein Elefantenohr nicht einfach nur rücksichtslos aufgefressen, sondern es auch noch mit Unmengen an Ketchup vergewaltigt. Ich riss das Küchenfenster auf, um den Fettnebel zu lichten. Dass es so etwas wie einen Dampfabzug gab, hatte er in seiner blinden Gier vergessen.
In Christus-Erlöser-Pose, die langen Beine auf dem Beistelltisch abgelegt und die Arme über der Rückenlehne ausgebreitet, beobachtete Jérôme traumversunken und mit Unschuldsmiene die braunen goldumrandeten Vorhänge bei ihrem Tango mit dem Wind, der durch die offenen Wohnzimmerfenster hereinströmte.
Ich baute mich vor ihm auf und hielt ihm den verschmierten Teller unter die Nase. »Musste das unbedingt sein?«
Mit dem Handrücken wischte er lethargisch über sein fettglänzendes, kantiges Kinn. Anstatt zu antworten, ließ er einen gewaltigen Rülpser fahren.
»Sprich!«
»Da macht man ausnahmsweise mal früher Feierabend und dann das .« Er grinste und küsste affektiert seine Fingerspitzen. »Köstlich! Göttlich! Das beste Schnitzel aller Zeiten.« Als er die Wut in meinen Augen aufblitzen sah, hob er beschwichtigend die Hand. »Ganz ruhig, mein Lieber. Denk nach. Denk gut nach.«
Ich sah ihn an.
Er musterte mich abwartend. »Na, dämmert's?«
»Mist!« Es gab Regeln, genauer gesagt Kühlschrankregeln, deren Einhaltung absolute Ehrensache war. Das Regelwerk umfasste zwei Punkte: Erstens, der Inhalt des Kühlschranks ist vogelfrei und, zweitens, Ausnahmen von dieser Regel müssen klar und deutlich angemeldet werden. Dummerweise hatte ich vergessen, von Punkt zwei Gebrauch zu machen und ihm dadurch zu einem unverhofften, aber legalen Leckerbissen verholfen. Nichtsdestotrotz hätte er wissen müssen, dass dieses besondere Stück allein für mich bestimmt war, und entsprechend Rücksicht nehmen können.
Ich legte den Teller zurück in die Spüle und appellierte an sein Gewissen: »Das Recht mag auf deiner Seite sein, aber vom moralischen Standpunkt her hast du mich beschissen.«
Er brach in heulendes Gelächter aus. Sein muskulöser, einen Meter siebenundneunzig großer Körper bebte. Die braunen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und sein vollkommen symmetrisches Gesicht verzog sich zu einer grölenden Fratze. Prustend deutete er auf eine halb zerknüllte Einkaufstüte auf dem Esstisch. »Da, ich hab was für dich . Haaa! Waaah!«
»Was soll da drin sein?«
Er japste wie ein Irrer und wippte vor und zurück. »Waaaah! Wüü! Würstchen! Und gummiges Brot. Waahaaa!«
»Krieg dich wieder ein, du Penner.«
Eigentlich wollte ich seine Almosen zurückzuweisen, doch meine Hand steckte schon in der Tüte.
»Ich habe Danielle abgeschossen«, sagte er und kam damit auf den aktuellen Stand seiner Affäre zu sprechen, die mit vier Monaten Dauer seinen bisherigen Rekord von fünf Wochen geradezu pulverisiert hatte. Wie sich nun herausstellte, war aber auch das nur ein kurzes Strohfeuer gewesen. Seine Stimme klang berichtsmäßig, ohne hörbaren Anflug von Bedauern, so als lese er den Wetterbericht vor.
Mein Mund war zu voll, um nach dem Warum zu fragen, also runzelte ich die Stirn.
»Es ist unfassbar. Dieses dumme Huhn wollte mich ihren Eltern vorstellen.«
»Eine Frechheit«, schmatzte ich. »Was erlaubt die sich?« Mein Sarkasmus ärgerte ihn.
»Hundert-, ach was, tausendmal hab ich ihr gesagt, dass ich von diesem Beziehungsmist nichts wissen will. Und dann fällt der doch tatsächlich nichts Besseres ein, als mich für den kommenden Sonntag bei ihren Eltern anzukündigen .«
»Ist doch kein Grund, sich gleich zu trennen. Findest du das nicht etwas übertrieben?«
»Trennen? Jetzt fang du nicht auch noch an. Trennen kann man sich nur von jemandem, mit dem man zusammen war. Danielle und ich hatten nur ein bisschen Spaß, das war's. Tss, ihren Alten vorstellen, so weit kommt's noch.«
»Deswegen musst du doch nicht gleich an die Decke gehen.«
»So, findest du nicht? Du bist zu blauäugig, mein Lieber. Bei solchen Sachen muss man konsequent sein. Ich hatte keine andere Wahl, als sofort einen sauberen Schlussstrich zu ziehen. Willst du wissen, was passiert, wenn ich am Sonntag da auftauche?«
Natürlich wollte ich es nicht wissen. Seine Ansichten waren mir zur Genüge bekannt, und ich bereute bereits, mich überhaupt auf diese Diskussion eingelassen zu haben. Es war immer die gleiche Leier, eine Wiederholung in Endlosschleife.
In Erwartung des Unvermeidlichen zog ich ein weiteres Würstchen aus der Verpackung.
»Sobald sie mich jemandem vorstellt, zum Beispiel ihren Freunden, gelten wir bei denen als Paar, was zwangsläufig zur Folge hat, dass sie das genauso sieht. Der Schaden mit den Freunden ist mit etwas Geschick noch zu beheben. Sobald aber die Mama ins Spiel kommt, bist du geliefert. Lies es von meinen Lippen ab: GELIEFERT. Die schaut mich an, sieht einen jungen, gut aussehenden Banker und denkt sich, das wär doch ein toller Schwiegersohn. Davon überzeugt sie dann ihr Töchterchen, sofern in deren Kopf nicht sowieso schon die gleichen Vögel pfeifen. Kurz darauf erfährst du, dass sie versehentlich, weiß der Teufel wie, zufällig, irgendwie halt schwanger geworden ist. Ein paar Monate später schiebst du dann mit leerem Blick einen Kinderwagen durch die Gegend und nimmst eine Hypothek für ein Reihenhaus auf. Diese Einladung ist ein Komplott! Und darüber soll ich mich nicht aufregen? Lass dir eines gesagt sein: Bei den Frauen musst du ständig auf der Hut sein. So ein Balg trifft dich härter als jede Kugel.«
Mit meteorischem Worthagel verkündete er die Weisheiten, die er über die unergründliche Psyche der Frau in langen Stunden aufreibender Denkakrobatik ersonnen hatte. Er war sich durchaus bewusst, dass mir sein Gefasel auf den Senkel ging, und so nahm er es mir auch nicht übel, als ich während einer seiner Feuerpausen, die er nutzte, um Argumente und Standpunkte nachzuladen, die Flucht ergriff.
»Es sind nicht die Despoten oder korrupten Politiker, die uns mit ihren Gesetzen und ihrer Vetternwirtschaft knechten«, brüllte er mir nach, »sondern die Frauen, die uns um den Finger wickeln! Merk dir meine Worte! Und sag nie, ich hätte dich nicht gewarnt!« Ein Kondom segelte an meinem Kopf vorbei und prallte gegen die Wand, von wo es zu Boden fiel und liegen blieb. »Pass bloß auf, Louis!«
Er reihte Eroberung an...
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