Schweitzer Fachinformationen
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»Wir waren Helden? Höchste Zeit, dass wir wieder welche werden!«
Günther sitzt am Steuer seines verrosteten Ford Transit, die Ramones knallen aus den Boxen und er brüllt herum wie in seinen besten Tagen.
»Oder weißt du noch, die Tour in der Slowakei? Die Show in Zilina?«
»Branko war so auf Borovicka, dass er jeden Song doppelt so schnell gespielt hat.«
»Und den Leuten war's komplett egal, Oida. Sie haben sowieso kein Wort verstanden.«
»Die waren einfach froh, dass jemand einen Stopp in ihrem Kaff einlegt.«
»An dem Abend hab ich ernsthaft an meiner Theorie gezweifelt.«
Günther hat schon vor Jahren die Hypothese aufgestellt, dass Bassisten erstens die besseren Musiker sind und zweitens auch die besseren Menschen.
»Bass und Drums halten alles am Laufen, die müssen ein eingeschworenes Team sein, das im Gleichschritt operiert. An dem Abend ist Branko aber davongaloppiert und wir kamen nicht mehr hinterher. Der Borovicka wirkte bei ihm wie ein Metronom, je mehr Promille, desto mehr Beats in der Minute.«
»Soviel dazu, dass Bassisten die besseren Musiker sind.«
»Er ist zumindest der einzige von uns, der von der Musik leben kann. Und das ziemlich gut, was man so hört.«
Branko hat sich nach dem Ende von Pop ist tot als Produzent selbstständig gemacht und anfangs vor allem Alben von Punkbands betreut. Dann ging es in Richtung Pop, weil da mehr zu holen war, und irgendwann machte er auch vor Schlager nicht mehr halt. Er hat sein Studio mittlerweile in ein altes Bauernhaus im Nirgendwo verlegt, wo er die Wiesen und Wälder ungestört mit ohrenbetäubenden Klängen beschallen kann, für die jeder Nachbar ihn abmurksen würde, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.
»Du weißt, wie's rennt, Oida: Der Bassist bildet das Fundament einer Band. Nicht nur im rhythmischen Sinn wie der Drummer, sondern auch melodisch und harmonisch. Er sticht nicht groß hervor, aber ohne ihn würde der ganze Unterbau eines Songs wegfallen. Der Gitarrist will alle Aufmerksamkeit und die Höschen der Groupies, darum dreht er alle Regler bis zum Anschlag auf. Der Bassist hingegen muss sich nicht mit Solos beweisen, er weiß um seinen Stellenwert und legt deshalb auch keinen Wert darauf, ständig im Rampenlicht zu stehen. Er braucht die Bestätigung von außen nicht, weil es für ihn klar ist, dass ohne ihn sowieso nichts läuft. Er weiß, was er kann, lässt es aber nicht raushängen, indem er sich einen auf seine Bassläufe runterholt. Darum sind Bassisten die besseren Menschen.«
»Und wenn der bessere Mensch auf einmal Schlager produziert?«
»Dann muss ich meine Theorie vielleicht noch mal überdenken.«
Günther biegt auf eine schmale Straße ab, die uns geradewegs durch frisch gedüngte Felder führt. Wir beschuldigen uns gegenseitig, die Ursache des Gestanks zu sein, öffnen die Fenster, schließen sie aber sofort wieder, da uns die herbe Landluft ein paar olfaktorische Watschen auflegt, Günther fummelt schließlich einen neuen Duftbaum aus dem Handschuhfach und hängt ihn zum alten an den Rückspiegel. Damit ist die Sache für ihn erledigt.
Das Gemisch aus Mist, Tannenzapfen und Günthers aufdringlichem Aftershave verbrennt mir die Nasenhaare. Ich frage mich, warum der Typ eigentlich so penetrant nach Aftershave riecht, obwohl er gar nicht rasiert ist.
»Warum riechst du eigentlich so penetrant nach Aftershave, obwohl du gar nicht rasiert bist?«
»Das ist der Duft der Männlichkeit, Oida. Frauen fahren wahnsinnig darauf ab, das kannst du mir glauben. Das Aftershave signalisiert glatte Haut, der Dreitagebart bringt sie dann total aus dem Konzept, als ob ich mich soeben rasiert hätte und der Bart in Sekundenschnelle wieder nachgewachsen wäre. Allein schon hormonell gesehen macht mich das zum perfekten Sexual-partner.«
Ich atme durch den Mund.
Wir nähern uns dem Bauernhaus mit riesigem Stall, aber es sind weit und breit keine Tiere zu sehen. Ein dumpfer Beat dringt aus dem alten Gemäuer und zeigt uns, dass wir an der richtigen Adresse gelandet sind. Wir haben uns nicht angekündigt, sondern haben vor, einfach bei Branko reinzuschneien und ihm die irrwitzige Idee der Reunion zu unterbreiten. Ich drücke auf die Klingel. Wir warten, aber nichts rührt sich. Günther schaut um die Ecke und winkt mich zu sich. Wir gehen um das Haus herum und folgen dem lauter werdenden Beat. Ist das Techno? Durch die Stalltür kommen wir in einen Raum, der früher die Milchkammer gewesen sein muss. Ich folge Günther und plötzlich stehen wir in einem Tonstudio, auf das von außen bis auf den Lärm nichts hingedeutet hat.
Die Musik stoppt abrupt. Branko springt auf, geht in Kampfstellung wie ein routinierter Boxer und wirkt dabei gleichzeitig bedrohlich und absurd. Er geht auf uns Eindringlinge los und deutet einen Schlag in Günthers Magengrube an. Kurz bevor er einen Treffer landet, bremst er ab und lacht. Seine Faust streift Günther trotzdem, ein bisschen zu fest, als dass es als freundschaftlicher Klaps interpretiert werden könnte.
»Ihr wisst schon, dass ich Einbrecher töten darf.«
Während Günther sich auf den Boden setzt und »Oida« flucht, umarmt mich Branko und klopft mir auf die Schulter. Er sieht gut aus in seinem Fred-Perry-Poloshirt, auftrainiert und braungebrannt, sichtlich gesettelt und erfolgreich. Der Bart verleiht ihm etwas von diesen geläuterten Gangsta-Rappern, die die Straße hinter sich gelassen haben. Branko deutet an, auf Günther einzutreten, dann reicht er ihm die Hand und hilft ihm hoch.
»Na, du Arschloch?«
Günther reibt sich den Bauch und sagt: »Du kannst froh sein, dass ich dir nicht deinen Teppichboden vollkotze.«
Zwischen den beiden gab es schon früher Reibereien, ich hoffe, das ist Schnee von gestern.
»Was führt euch in mein Reich?«
»Wir wollten mal sehen, was du so treibst. Man hört ja die allerschlimmsten Gerüchte.«
Branko zeigt auf die Goldenen Schallplatten an der Wand und sagt: »Die sind alle wahr.«
Er macht den Sound wieder an und zeigt uns, woran er gerade arbeitet. Ein Beat für eine junge Sängerin aus Deutschland, ja, manche würden das als Schlager bezeichnen, im Grunde sei es Popmusik, auch nichts anderes als das, was Lady Gaga oder Taylor Swift fabrizieren, nur eben mit seinen geilen Sounds aus dem ehemaligen Kuhstall. Den Bass hat er selber eingespielt, den Rest macht er mit Midi-Keyboards und Plugins, am Ende muss nur noch drübergesungen werden, dann schraubt er noch ein bisschen herum und fertig ist der nächste potenzielle Hit.
»Wenn man heutzutage in diesem Business erfolgreich sein will, muss man dazu fähig sein, jeden Tag einen Hit zu produzieren. Da reicht es nicht mehr, alle drei Jahre ein Album rauszubringen. Manche Songs gehen in der unfassbaren Masse an Neuerscheinungen unter, der eine oder andere schlägt ein, wenn man Glück hat. Ist schon ein geiles Gefühl, wenn einer meiner Künstler durch die Decke geht.«
»Du bezeichnest diese Tussis und Lackaffen also als Künstler?«, fragt Günther.
»Der wahre Künstler bin ich, keine Frage«, sagt Branko, mit halb gespielter, halb echter Arroganz.
»Aber ich würde mich nicht in die Stadeln und Messehallen stellen, da braucht es junge Talente, die sich nicht zu schade sind für Playbackauftritte und Schlagerparaden. Es ist ein hartes Business, aber immer noch das Genre, wo die meiste Kohle zu machen ist. Wer kauft denn noch CDs, abgesehen von Pensionisten und Nostalgikern?«
Günther ist von den Goldenen Platten und dem riesigen Mischpult sichtlich beeindruckt. Andererseits merkt man ihm an, dass er den Erfolg von Branko, gerade auf dem niederträchtigsten Gebiet, das die Musikindustrie zu bieten hat, verachtet. Sein Bauernhof und seine braungebrannte Haut, die Keyboards und die Poloshirts - alles Zeichen des Verrats. Des Verrats an einer Idee, die er, Günther, gekommen ist, aus den Niederungen der Vergangenheit emporzuheben, aus der Asche längst vergilbten Ruhms zu neuen Höhen zu führen. Er hebt zu einer Rede an:
»Schlager ist tot und du solltest .«
Branko unterbricht ihn, ohne von seinem Mischpult aufzuschauen.
»Erstens: Schlager ist zwar nicht hundertprozentig das, was ich immer machen wollte, aber tot ist er ganz bestimmt nicht, er riecht noch nicht mal nach Tod, kein bisschen. Zweitens: Ich weiß, warum ihr hier seid.«
Er dreht sich um.
»Ich hab für Johnny Obstler ein paar Tracks gemischt, da sind wir auf die Tour zu sprechen gekommen. Superschnaps hat gerade einen...
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