Schweitzer Fachinformationen
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Immer weniger Leute verirren sich ins früher so gut funktionierende stolze mittelalterliche Städtchen. Längst hat es die Funktion als Begegnungszentrum verloren. Das Ladensterben hat ein fatales Ausmaß angenommen. Nicht einmal die nötigsten Lebensmittel sind hier noch erhältlich, geschweige denn Schuhe oder Kleider. Mehrere Gasthäuser sind bis auf Weiteres oder für immer geschlossen. Den Hausbesitzern fehlt es zunehmend an Geld und an Innovation. Man hat den Zeitpunkt verpasst, das natürlich gewachsene Ortszentrum weiterzuentwickeln. Zu lange wollte man die Familienbetriebe bewahren. Jetzt fehlt es an interessierten und fachkundigen Nachkommen. Und wer will schon einen großen Teil seines Privatlebens opfern, um rund um die Uhr für die spärlichen Kunden da zu sein?! Längst ist das Städtchen umringt von Einkaufszentren, welche billigere Waren anbieten, längere Öffnungszeiten haben und dank ihren Parkhäusern bequem mit dem Auto zu erreichen sind. So kam es, dass der Ortskern zu einem zwar äußerlich hübschen, aber bald toten, beinahe nur noch musealen Touristenort verkommen ist. Man hat dem Städtchen seine gute alte Seele genommen. Es hat jeglichen Charme eingebüßt und läuft Gefahr, immer mehr zu einer leblosen Kulisse zu verkümmern. Der immense Durchgangsverkehr lädt auch die Touristen nicht mehr zum Verweilen ein. Ihr Aufenthalt dauert höchstens zehn Minuten und nicht wie früher mindestens eine Stunde mit obligatem Kaffeehalt und einer kleinen Shoppingtour. Ein paar Bilder knipsen und Abflug, heißt es heutzutage. Einzig ein paar Alteingesessene treffen sich noch regelmäßig am Stammtisch. Wehmütig erinnern sie einander an die früheren Zeiten, als im «Städtli» echt noch etwas los war. In der Frühe duftete es nach frischem Brot. Die Gerüche weckten die müden Geister. Frische Waren aus dem Seeland wurden an Marktständen und in Lebensmittelläden feilgeboten. Man konnte sich die Haare noch beim alten Schulfreund nebenan schneiden lassen und sich in einem der zahlreichen Restaurants zum Kaffee oder Bier treffen.
«Wir haben längst nichts mehr zu sagen!», ist einer der Sätze, die man an einem selten gewordenen Gespräch unter Einheimischen oft hört. Oder aber: «Hätten sie doch damals nur auf uns gehört!» Doch keiner nennt in diesem Zusammenhang diese «sie» mit Namen. Alle Stammmitglieder wissen um ihre Mitschuld am Untergang. Die meisten von ihnen sind nämlich Leute, die im Ort durchaus etwas zu sagen hatten. Von ehemaligen Gemeinderatsmitgliedern über alteingesessene Burger bis hin zum Kirchgemeindepräsidenten, dem Arzt und dem längst pensionierten Schulleiter. Vieles hatte man der unterschiedlichsten persönlichen Interessen und Meinungen wegen versäumt. Statt rechtzeitig klare Regelungen herauszugeben, wollte man es immer allen recht machen. Nach Jahren der Versäumnis hat man dann irgendeine Kompromisslösung durchgewinkt, die am Ende niemanden wirklich glücklich macht. So kam es, dass zum Beispiel ein Denner-Satellit im Städtchen Einzug halten konnte oder ein billiger Schickimicki-Kleiderladen. Nie hat man sich auf eine schlaue Verkehrsregelung einigen können. Der Ausverkauf und Niedergang des ehemals gesunden Ortes kam schleichend.
Vor gut zwei Jahren kam es dann zum Eklat. Niemand konnte verhindern, dass der Wirt und Hotelbesitzer Bruno Möri seine ganze Liegenschaft der Tochter überschrieb und diese eine Bewilligung erwirkte, um im riesigen Gebäudetrakt eine Klinik für psychisch Kranke unter dem Label Second Chance einzurichten. Die Bekanntmachung wurde zum emotionalen Stein des Anstoßes. Auch von der Presse wurde diese richtiggehend ausgeschlachtet, was wiederum viel böses Blut schuf. Die Schlagzeilen der regionalen Medien lösten unter den Alteingesessenen wütende Reaktionen aus. «Skandal! Der altehrwürdige Gasthof mitten im Städtchen wird zum Irrenhaus umfunktioniert! - Die Hausbesitzer schrecken vor nichts zurück und verkaufen die Seele des Städtchens dem Teufel!» In der Lokalzeitung hagelte von Leserbriefen, und an den Stammtischen wurden vernichtende Urteile gefällt. In Burger- und Bürgerkreisen wurde heftig protestiert und lamentiert. Kritik, hinter vorgehaltener Hand, wie sie vielen, im Grunde gutmütigen und weitsichtigen Seeländern eigen ist, sickerte überall durch. «Die hätten das Städtli besser einem reichen Ausländer verkauft!», munkelte man. «Oder einer Großbank. Die könnten das malerische Städtchen dann als Hotelresort à la Mittelalter vermarkten, mit Treibjagden im Frienisbergwald.» Die Gemüter mochten sich kaum mehr beruhigen.
Ein paar Wochen hielt sich gar das hartnäckige Gerücht, das Städtli würde überdacht und zum geschlossenen Gesundheitstempel für reiche Kurgäste umfunktioniert. Die Infrastruktur sei mit der bestehenden Apotheke, der Physiopraxis und dem praktizierenden Osteopathen in Ansätzen bereits vorhanden. Geplant sei nun ein Wellness-Bereich, in den die Alte Aare zum Kneipen und kühlen Bad nach der Sauna integriert sein werde. Selbstverständlich werde die ganze Anlage nur einem erlesenen Kreis von wohlhabenden Gästen zugänglich sein. Indes würden so über hundert neue Arbeitsplätze geschaffen, und die Steuereinnahmen wären beträchtlich. Ja, der Fantasie über die Zukunft Aarbergs waren auf einmal keine Grenzen mehr gesetzt. Auch die Variante «Lebendiges Heimatmuseum à la Ballenberg» wurde diskutiert: Das Städtli wird tagsüber geöffnet. Den Besuchern wird das Leben im Mittelalter in interaktiven Workshops vorgeführt.
Vielen Aarbergerinnen und Aarbergern wurde erst in dieser Phase die Mitschuld am Untergang eines ehemals so lebendigen und einmaligen Zentrums, dem Herzen eines beachtlichen Teils vom Seeland, bewusst. Aber nun war es definitiv zu spät für eine Revitalisierung. Niemand konnte schließlich verhindern, dass die weitherum bekannte Gaststätte mit Hotel und Konzertsaal zur geplanten Klinik umgebaut wurde. Diese bot rund zwanzig Langzeitpatienten Platz und war innert kürzester Zeit ausgebucht. Die Leitung übernahm das neue, kinderlose und - wie sich später feststellen ließ -, in einer offenen Beziehung lebende Besitzerpaar. Uwe Kepler als geschäftlicher Leiter und die neue Besitzerin Silvia Möri als Chefärztin. Silvia galt schon als Kind als intelligent und sehr ehrgeizig. Sie liebte es, voranzugehen. Dank ihrem sicheren Auftreten und den rötlichen Haaren trug sie in jungen Jahren den Übernahmen «Rote Zora». Ihr Psychologiestudium hatte sie vor Jahren in Berlin mit Auszeichnung abgeschlossen. Uwe, ihr Partner, hat Wirtschaftsökonomie studiert.
Es dauerte mehrere Monate, bis sich die Wogen der Empörung über die «Verschandelung» des Ortskerns etwas geglättet hatten und die heftigsten Kritiken nahezu verstummten. Und dann diese Schlagzeilen:
«Mord in Städtli-Klinik!. Da waren's nur noch neun!» «Jenseits des Wahnsinns!»
«Pas de Chance» (in Anspielung an den Kliniknamen «Second Chance»).
Die Reaktionen aus den von der SVP wohl als «das Volk» bezeichneten Kreisen blieben nicht aus. Von der «Rache Gottes» bis «Das haben wir nun davon, wenn wir solches Gesindel in unserem Städtli beherbergen» war die Rede. Ja sogar Sätze wie: «Nun bringen sie sich noch gegenseitig um, diese Weicheier und Sozialschmarotzer. Uns soll es recht sein. Wir müssen von morgens bis abends krampfen, und sie lassen sichs da drin von unserem Geld gut gehen!», machten die Runde. Selbstverständlich gab es auch wohlwollendere Meinungen: «Was wollen wir alle psychisch Kranken aus unseren Reihen auf den Hasliberg oder weiß ich wohin schicken. Die Hilfsbedürftigen sind Seeländerinnen und Seeländer wie wir. Niemand von uns ist vor einem Burn-out oder einer Depression gefeit. Nehmen wir doch den ermordeten Marc Flückiger als Exempel. Hat er nicht bis vor drei Wochen den Druckereibetrieb in Lyss geleitet und so gut einem Dutzend Mitmenschen über Jahre hinweg einen Job gesichert?! - Und ehrlich gesagt, wer fühlte sich durch die Inbetriebnahme der Klinik in irgendeiner Form eingeschränkt? Das Gegenteil ist der Fall. Im Raum der Begegnung treffen sich oft auch auswärtige Gäste, denn hier ist ein kleines Kulturaustauschzentrum am Entstehen. Viele Einheimische haben zudem in der Klinik einen neuen, gut bezahlten Job gefunden. Die tüchtige Silvia ist eine große Verfechterin eines gerechten Mindestlohnes. Wer hundert Prozent arbeitet, soll davon seine Familie ernähren können, ist ihre Devise. Vorbildlich, wie sie ihren Laden führt!»
Rund um den zu Tode gekommenen Marc Flückiger zirkulierten innert kürzester Zeit die wildesten Gerüchte: «In dieser Familie Flückiger stimmte doch etwas nicht. Die verstorbene Mutter war ein Drachen. Die Frau des Verstorbenen geht schon lange fremd. Stimmt mit ihm etwas nicht? Warum sind sie kinderlos geblieben? Was oder wer hat Marc in den Wahnsinn getrieben? Hat sein Tod mit seinem zweifelhaften Verhalten in der Jugend zu tun? Hat sich jemand an ihm gerächt? Auch der verdächtige verrostete Kleinbus mit französischem...
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