Schweitzer Fachinformationen
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Heiri Weber, der frühere Hauptkommissar der Kripo Bern, freut sich wie ein Kind auf das große Ereignis. Seit Tagen, besser gesagt, seit der Rückkehr von ihrer mehrmonatigen Europareise im Wohnmobil, fiebert er der Sensation entgegen. Mit seiner Frau Rita hat er in Bargen den Siebzehn-Uhr-Zug in Richtung Lyss-Bern bestiegen, um keinesfalls den Konzertbeginn um zwanzig Uhr im Kulturcasino Bern zu verpassen. Während Rita ahnungslos und daher fast emotionslos die Gratiszeitung 20 Minuten durchblättert, die zuvor auf ihrer Sitzbank gelegen hat, schaut Heiri gutgelaunt der am Fenster vorbeiziehenden Landschaft nach. Seine Gedanken kreisen um Paganini, den Solisten, dem es offensichtlich gelungen ist, seine Second Chance zu nutzen. Will heißen, dass er aus seinem Burn-out und psychischen Loch nach beinahe zwanzig Krisenjahren auf die Bühne zurückgefunden hat. Den wohl größten Anteil an seinem wundersamen Comeback trägt sicher Silvia Möri, Doktor der Psychologie und Leiterin der Psychiatrischen Klinik in Aarberg. Sie hat ihn unter ihre Fittiche genommen und in unzähligen Therapiestunden wieder aufbauen können. Es würde mich nicht wundern, wenn sich Silvia damit weit über Aarberg hinaus einen Namen als «Wunderheilerin» machen würde, überlegt Heiri und schmunzelt zufrieden.
Erstaunlich, welch positive Wirkung ihr Vertrauen dem einstigen Wunderkind mit seinen genialen geigerischen Fähigkeiten gegenüber tat. Eine größere Genugtuung, als ihn heute als Solisten, begleitet vom Sinfonieorchester Bern, auf der großen Bühne spielen zu sehen, kann man sich nicht vorstellen, sinniert er. Die Vorfreude aufs Konzert ist begleitet von der Sorge um ein mögliches Versagen von Paganini. Dies käme einer Katastrophe gleich, weiß Heiri und wischt sich mit dem Taschentuch die Schweißtropfen von der Stirn. Das Verlangen nach dem Rauchen, das er verspürt, macht ihn noch nervöser. Ärgerlich konstatiert er, dass ihm das Pfeifenrauchen auf der halbjährigen Europareise zur Gewohnheit geworden sein muss. Um diesem Verlangen etwas entgegenzuwir-ken, schiebt er sich einen Kaugummi in den Mund.
«Willst du mir nicht endlich das Ziel unserer Reise bekannt geben?», fragt Rita, schon etwas besorgt ob seiner steigenden Nervosität. Ich komme mir ein wenig vor wie an unserem Hochzeitstag, als ich auch, in Gala gekleidet, als Braut entführt wurde. Weißt du noch?»
Heiri nickt. «Ja, dein plötzliches Verschwinden damals hat mich ebenso ins Schwitzen gebracht. Und weißt du was? Ich ärgere mich heute noch, auf den Tag genau nach vierzig Jahren, darüber, dass Esther, mit diesem aus Bayern importierten Brauch, uns beinahe das Fest versaut hat. Ihr ging es doch nur um eine Selbstinszenierung. Eine typische Sängerin halt! - Ich verspreche dir, dass dies heute ein viel genüsslicherer Abend wird. Trotzdem lasse ich mir die Würmer nicht aus der Nase ziehen, du weißt doch am besten, wie stur ich sein kann, hm!», albert er und küsst Rita auf die Wange.
«Also gut, dann erzähle mir bitte wenigstens, wie du heute Morgen dein Aarberg, das du auf unserer Reise so vermisst hast, angetroffen hast.»
«Gut, eigentlich unverändert! Hauptthema ist nach wie vor der baldige Baubeginn der Migros auf der Ostseite des Stedtlis. Die Meinungen sind nach wie vor kontrovers. Alte Querelen werden neu aufgekocht. Das Coop-Lager scheint nach wie vor die Oberhand zu haben. Die Migros-Fans, die jahrzehntelang nach Lyss zum Einkaufen fuhren, haben sich zum Teil umbesonnen und zu Denner oder Lidl, gewechselt. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass Aarberg ganz gut ohne die Migros ausgekommen wäre. Hoffentlich haben die Aarberger mit der Stedtlianbindung an den neuen orangen Konsumtempel kein Eigentor geschossen. Egal, das wird sich zeigen. Lächerlich, wie sich die Menschen mit ihrem bevorzugten Lebensmittelladen identifizieren. Viele scheinen weder reformiert, noch katholisch, noch muslimisch zu sein, sondern Migros-, Coop- oder Aldi-Menschen zu werden!»
«Der Mensch ist ein Gewohnheitstier», findet Rita. «Schau, auch wir sind nicht anders gestrickt. Schon oft habe ich mich gefragt, warum ich täglich die gleiche Walkingstrecke wähle, oder du deinen Tearoom-Besuch bei Steffens sogar in Griechenland vermisst.» Das Gespräch über diese Thematik endet in einem psychedelischen Disput. Unter anderem geht es darum, ob Pensionierte die erlangte Freiheit des Tun-und-Lassen-Könnens nicht aushalten und sich daher an immer wiederkehrenden Gewohnheiten als Struktur im Alltag festklammern.
Nachdem sie an der «Front», sprich auf dem Bärenplatz, etwas Kleines gegessen haben, legt Heiri die bereits erstandenen Logenplatz-Karten für das Konzert auf den Tisch. «Paganini spielt dein Mozart-Lieblingskonzert, stell dir vor, und dies genau heute an unserem Goldenen Hochzeitstag. Welch ein Glück, welch ein Zufall. Das Konzert ist seit Wochen ausverkauft!», verkündet er sichtlich bewegt.
«Aber doch nicht der Paganini aus Silvias Klinik!», ruft Rita völlig überrascht. «Das hättest du bestimmt nicht so lange vor mir geheim halten können, oder?»
«Doch, doch. Da du weder Tageszeitungen liest noch Lokalfernsehsendungen guckst, konntest du nichts ahnen, und ich habe mich bewusst zurückgehalten. Es ist doch schön, nach vierzig Ehejahren immer noch Geheimnisse voreinander zu haben!», entgegnet er und beginnt dann, von Paganinis langem Weg zurück zum Solisten zu erzählen.
Heiri freut sich über Ritas positive Reaktion. Als frühere Supervisorin erkennt sie sofort, welch wundersame Heilung Silvias Therapie in Paganini ausgelöst haben muss. «Diese Frau Möri, eure Rote Zora, muss tatsächlich immense Kräfte besitzen, um Menschen so aufbauen zu können. Im Mittelalter hätte man sie höchstwahrscheinlich auf deinem Aarberger Stedtliplatz als Hexe verbrannt, glaubst du nicht auch? Das Beispiel Paganini zeigt eindeutig, wie wichtig es ist, Vertrauen in einen Menschen zu haben. An jemanden glauben, hilft diesem, Berge zu versetzen, nicht wahr?»
«Welch kluge Frau ich doch habe», blafft Heiri und meint dies für einmal nicht ironisch, obwohl ihm Rita unter dem Tisch einen Tritt ans Schienbein versetzt.
Leider unterläuft ihm dann ein Regiefehler. Ohne sich viel dabei zu denken, zieht er, kaum im Freien angelangt, seine Tabakpfeife aus dem Mantelsack und will sie sich nach dem Stopfen anzünden. Rita, die diese Szene beim Betrachten eines Schaufensters im Spiegelbild beobachtet, reagiert äußerst heftig und schlägt ihm die Pfeife beinahe aus dem Mundwinkel.
«Ist es schon so schlimm mit deiner Sucht! Du weißt, einen Raucher hätte ich niemals geheiratet!» Wie ein kleiner Junge, der von seiner Mami zurechtgewiesen wird, nicht in der Nase zu popeln, lässt Heiri die Pfeife schuldbewusst wieder in seiner Manteltasche verschwinden.
Die gute Stimmung, die er mit seiner ausgeklügelten Regie aufgebaut hat, ist im Eimer. Die alten Eheleute gehen fortan mürrisch und wortlos nebeneinander her und bleiben erst beim Zytgloggeturm stehen, wo Heiri mit dem Hinweis: «Schau, es ist sieben Uhr, wir können zur Feier des Tages auch noch rasch das Glockenspiel ansehen!», das nervenzehrende Schweigen zu durchbrechen versucht.
Artig folgt ihm Rita, welche ob ihrer heftigen Reaktion selbst etwas erschrocken ist, hinüber in die Kramgasse. Einigermaßen versöhnt durch das Uhren-Spektakel mit dem Figurenkarussell und dem krähenden Hahn überqueren sie anschließend voller Vorfreude aufs Konzert die Münstergasse. Ihre verbesserte Stimmung erleidet jedoch bald einen zweiten, diesmal kaum zu verkraftenden Dämpfer.
Konzert abgesagt, auf unbestimmte Zeit verschoben!
Ungläubig lesen sie die Hiobsbotschaft, die an den verschlossenen Türen des Casinosaales angebracht ist. Heiris Gedanken rasen. Haben Paganinis Nerven nicht gehalten?, fragt er sich. Die Anspannung muss für ihn wohl groß gewesen sein und die Angst, zu versagen, noch größer. Also doch kein zweites Wunder von Bern, wie Uwe, Silvias deutscher Lebenspartner, angekündigt hat, sondern der zu befürchtende Rückfall in die Muster der Psychose. Doch wie hat sich die gezeigt? Hatte er einen Zusammenbruch? Ist er vor sich selber geflüchtet und hat sich in seinem Zimmer verschanzt? So etwas in dieser Richtung ist naheliegend, denkt Heiri und versucht, durch einen der Nebeneingänge ins Casino zu gelangen.
Wenn die Absage so kurzfristig mitgeteilt werden musste, müssten doch hier ein paar Musiker zu sehen sein, die normalerweise zwischen der Einspielprobe und dem Konzert auf dem Gehsteig noch etwas Sauerstoff tanken oder kurz eine Zigarette rauchen gehen. Aber nichts! «Be triebsferien!», brummt Heiri trocken, als ihn beim Zurückgehen zur ebenso enttäuschten Rita ein Anruf erreicht.
Sofort erkennt er Lauras Stimme, die...
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