Schweitzer Fachinformationen
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Du hast nichts falsch gemacht.«
Elisabeth nahm ihn tröstend in den Arm. Er aber wand sich aus der Umarmung, ging zum Fenster und starrte hinaus.
»Gestern Abend hat er sich erhängt«, flüsterte er unter Tränen. »Sie haben ihn in seinem erbärmlichen Klinkerbau gefunden! Und morgen steht es in allen Zeitungen: >Von der Steuerfahndung in den Selbstmord getrieben!< Die Menschen werden uns noch mehr hassen! Wir haben doch jetzt schon Angst, durchs Dorf zum Bahnhof zu laufen. Und nach dieser Sache wird es richtig gefährlich für . mich.«
»Du weißt nicht, ob dieser Selbstmord überhaupt etwas mit den Steuern zu tun hat! Vielleicht wollte er sich schon lange diesem enormen Druck . entziehen?«
Es fiel ihr schwer, ihn zu beruhigen, die Sache herunterzuspielen, ihm zu sagen, es sei alles nicht so schlimm. Denn im Grunde teilte sie sein Entsetzen: Der Mann hatte sich wegen des Besuchs der Finanzbeamten umgebracht. Es war klar, dass die Presse das Ganze zu einem Skandal aufbauschen würde, durch den das schlechte Image der Behörde noch weiter abzusacken drohte. Und natürlich würden sie innerhalb der Behörde versuchen, einen Sündenbock zu finden.
»Du wirst das wieder geraderücken, da bin ich sicher«, schob sie hastig hinterher. »Mach dir keine Sorgen. Es kommt alles wieder ins Lot. Und jetzt vergiss die Arbeit einmal. Ich habe mit dem Verleger wegen deines Vorschlags gesprochen. Er ist begeistert von dem Haus. Er hat bereits einen Termin mit dem Fotografen ausgemacht. Du hast mal wieder die richtige Spürnase bewiesen.«
Anton drehte sich zu ihr um, langsam, als erkenne er irgendwo in der Ferne einen Funken Hoffnung für sich.
»Wirklich? Wann soll das stattfinden?«
»Donnerstagvormittag. Könntest du dabei sein? Ich würde dich von der Arbeit abholen.«
»Donnerstag? Ja, das könnte klappen«, nickte er. »Aber dieser Hanif Amid ist ein schmieriger Typ, findest du nicht?«
»Er hat sich hochgearbeitet. Er hat Medizin studiert und sich hochgearbeitet. Ein weiter Weg für einen Schafhirten aus Ägypten bis zum Chirurgen in Deutschland, meinst du nicht? Was findest du daran schmierig?«
Anton zuckte mit den Schultern und senkte den Blick.
»Du bist in Gedanken immer noch bei diesem Pollach, stimmt's?«, meinte Elisabeth kopfschüttelnd. »Glaub mir, übermorgen jagen sie eine andere Sau durchs Dorf. Solche Dinge versanden. Es wird nicht so schlimm, wie du fürchtest.«
Sie versuchte noch einmal, ihn zu berühren, zu trösten. Wieder wehrte er sie ab. Etwas Raues, Brutales lag in der Geste. Immer öfter kroch diese Anspannung in ihre Unterhaltungen, schuf Momente, in denen Kleinigkeiten genügten, um den anderen zu verletzen. Es hatte schleichend begonnen. Eine latente Aggression lag zwischen ihnen wie eine unsichtbare Mauer. War sie daran schuld, weil sie nach und nach alle Hoffnungen in ihre Beziehung hatte fahren lassen? Weil es diese Lebens-Sicherheit, in der sie sich wähnte, gar nicht gab? Viel zu naiv hatte sie geglaubt, dass er sich als Beamter in diplomatische oder europäische Institutionen versetzen lassen könne, einfach so, nach Washington, Paris, London. In Städte, die sie in den Ferien besucht hatten, um Pläne zu schmieden, wo es sich am schönsten wohnen ließe. Wie naiv war sie gewesen! Irgendwann hatte sie begreifen müssen, dass es niemals dazu kommen würde: als Anton bei der Steuerfahndung in einem Kaff an der polnischen Grenze gestrandet war. Inzwischen galt es für sie als Highlight, zur Weihnachtsfeier ins Potsdamer Ministerium eingeladen zu werden. Er könnte von Glück reden, sollte ihm eines Tages der Sprung dorthin gelingen. Wenigstens etwas.
Natürlich war sie enttäuscht von seiner Karriere, und natürlich blieb es an ihr hängen, ihm die Enttäuschung auszureden, Tag für Tag. Zumindest, tröstete sie sich, war es keine plötzliche Erscheinung, es hatte sich nach und nach so ergeben, irgendwann war die Realität einfach eine andere, und weil ihre eigenen Buchprojekte und Aufträge sie mit vielen interessanten Persönlichkeiten zusammenführten, fiel es ihr nicht zu schwer, den ursprünglichen Traum aufzugeben. Sie redete sich ein, für Unzufriedenheit keinen Platz in ihrem Leben zu haben, und dachte kaum noch an die vielen vertanen Chancen. Doch seit diesen Zwischentönen in ihren Gesprächen, seit er aus heiterem Himmel aufbrauste und Vorwürfe auf sie niederprasseln ließ, lag sie oft nachts wach und zweifelte an ihrer Beziehung. Dieses Leben mit Anton - war es nicht eine Sackgasse? Es hatte sich wie ein Gift in ihre Gedanken eingeschlichen. Immer öfter ertappte sie sich dabei, wie sie sich ausmalte, was passieren würde, wenn .
Mit Leonies Vater hatte sie das schon einmal durchlebt. Bis heute war da dieser bittere Nachgeschmack, der Trennung damals war ein harter Kampf vorausgegangen. Er und sie hatten einen großen Freundeskreis gehabt, aber mit der kleinen Leonie hatte sie den Kontakt zu ihrem damaligen Umfeld bald verloren. Anders als ihre Freunde hatte sie auf einmal keine Zeit mehr für Kurzurlaube, Nächte in Clubs oder Abenteuer. Und Leonies Vater hatte sich bestenfalls noch um die Tochter gekümmert, aber nicht mehr um sie. Als sie sich schließlich trennten, gab es nicht einmal Streit, so erschöpft, so betäubt hatte sie sich gefühlt.
Eine Trennung von Anton würde vermutlich viel kälter über die Bühne gehen als die Trennung von Leonies Vater. Anton und sie, sie hatten nie an gemeinsame Kinder gedacht. Anton hatte Leonie zwar stets fair behandelt, aber blieb immer wie ein Unbeteiligter. Niemals wäre ihm der Gedanke gekommen, er könne ihr ein Vater sein. Seit Leonies Pubertät war diese Fairness, dieses Auf-Distanz-Halten immer schroffer geworden, Leonie hatte darunter gelitten, auch wenn sie nie ein Wort darüber verlor. Andererseits, vielleicht wäre es noch viel schlimmer gewesen, wenn er sich als ihr Vater aufgespielt und durchgegriffen hätte. Nein, für die Erziehung ihrer Tochter blieb allein sie zuständig. Vielleicht war es ein Glück, dass Leonie jetzt ausgezogen war. So konnten sie sich wieder auf sich konzentrieren. Doch sie spürte, die Leichtigkeit von früher, sie käme nicht zurück.
Hing es mit dieser latenten Erschöpfung zusammen, die inzwischen manchmal den ganzen Tag wie ein Bodennebel in ihrem Kopf hing? Die sie wie ein Migräne-Anfall überfiel, wie die Betäubung einer Spritze, die so plötzlich wirkte, dass sie sich setzen und durchatmen musste, um nicht einzuschlafen. Die ihr manchmal wie ein Vorbote einer ernsthaften Erkrankung vorkam (einer Erkrankung, die ihr Hausarzt nicht feststellen konnte und bloß einen »allgemeinen Erschöpfungszustand« diagnostizierte). Was bedeutete das schon: Erschöpfungszustand? Sie wusste genau, was sie an diesem Zustand so erschöpfte: Sie kam sich nicht mehr attraktiv vor, auch wenn sie seit ihrem vierzigsten Geburtstag vor zwei Jahren auf bessere Kleidung und Make-up Wert legte. Was war los mit ihr? Sie hatte so vieles, um glücklich zu sein, und schaffte es doch nicht. Übersprang diese Hürde aufgetürmter Hindernisse nicht. Manche Augenblicke, mit Anton oder allein, waren voller Schwingung und Erleichterung, hinterher konnte sie gar nicht fassen, wie erfüllt alles gewesen war. Aber dann, im Alltag, flachte alles schnell wieder ab. Das Buch über die Häuser wollte nicht recht vorankommen, auch wenn der Verleger ihr versicherte, sie müssten nur noch dieses eine Haus fotografieren, dann ginge alles in Druck. Sie hatte den Donnerstagvormittag ausgewählt. Donnerstag, weil dieser arrogante Typ ihr getextet hatte, an diesem Tag sei er nicht zu Hause, und wenn es sich partout nicht verschieben lasse, würde er dafür sorgen, dass jemand da sei.
Sie wollte ihm auf keinen Fall ein zweites Mal begegnen. Seit der Hausbesichtigung hatte er sie mit Textnachrichten überhäuft. Zuerst hatte sie geglaubt, es seien Werbetexte, Dinge, die sich gar nicht speziell an sie richteten, Informationen über seine Praxis und über die neuesten chirurgischen Methoden, mit denen er und seine Kollegen an Frauen herumoperierten, über Cool Sculpturing und diverse Lasertechniken. Wahrscheinlich hatte er sie einfach auf seinen Verteiler gesetzt. Aber dann, gestern, kam statt einer weiteren dieser sinnfreien und seltsam anmutenden Nachrichten eine SMS, die unzweifelhaft nur an sie gerichtet war:
Lass uns treffen! Nur wir beide!
»Auf mich wirkt er finster«, hörte sie wie von fern Antons Stimme.
»Was sagst du?«, fragte sie verschreckt, als hätte er sie bei etwas ertappt.
»Dieser Chirurg, dem das Haus gehört. Auf mich wirkt er finster.«
Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sie fühlte sich, als habe er ihre Gedanken gelesen und ihre geheimsten sexuellen Phantasien enttarnt.
»Wenn du magst«, wechselte sie schnell das Thema, »könnten wir deinen Chef kommende Woche zum Essen einladen. Er wohnt doch in Berlin, oder?«
»Aber er ist mein Vorgesetzter.«
»Umso besser, wenn du ihn einlädst! Ist er verheiratet?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Hat er einen Partner?«
»Willst du sagen, er sei schwul?«
»Es wäre nur normal, dass er mit jemandem zusammenlebt.«
»Das wäre mir neu. Ich habe noch nie darüber nachgedacht.«
»Isst er Fleisch?«
Doch Anton schien gar nicht zuzuhören und in seinen Gedanken verloren.
»Wie bitte?«, meinte er nach einer Weile.
»Ich habe gefragt, ob Keitel Vegetarier ist.«
»Woher soll ich das denn wissen?« Aufgebracht durchschnitt er mit der Hand die Luft, als könne er so die lästige Frage verscheuchen. »Nein, nein, ich glaube...
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