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Nach den Arbeiten von Walter Tormin,1 Eberhard Kolb2 und Peter von Oertzen3 sind die revolutionären Obleute seit mehr als fünfzig Jahren fester Bestandteil der nachfolgenden Monographien zur Novemberrevolution. Eine umfassende Studie zu ihnen gibt es jedoch bislang nicht.4 Die Darstellungen Richard Müllers, des langjährigen Leiters der revolutionären Obleute - "Vom Kaiserreich zur Republik", "Die Novemberrevolution" und "Der Bürgerkrieg in Deutschland"5 - heben sich zwar wohltuend von der postrevolutionären Rechtfertigungsliteratur ab, zählen letztlich aber doch dazu. Die späteren geschichtswissenschaftlichen Arbeiten von Erwin Winkler6 und Dirk H. Müller7 widmeten sich ausschließlich der Vor- und Frühgeschichte der revolutionären Obleute. Ingo Materna betonte deren Rolle im Vollzugsrat der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte.8
Für die Zeit vor dem 9. November greift die Mehrzahl der Autoren auf die Erinnerungen von Richard Müller sowie von Emil Barth zurück, der zwischen Januar und Dezember 1918 an der Spitze der Gruppierung stand.9
Die Quelleneditionen zum Rat der Volksbeauftragten10 sowie zum Zentralrat11 bieten besonders in ihren oft instruktiven Anmerkungen zahlreiche Details, die für ein Gesamtbild der revolutionären Obleute nach wie vor unverzichtbar sind. Sie blieben bislang jedoch nahezu unbeachtet. Mit der zwischen 1993 und 2002 publizierten dreibändigen Edition über die "Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenräte in der Revolution 1918/19" haben sich die Bedingungen für eine Darstellung der Geschichte der revolutionären Obleute in der Novemberrevolution grundlegend geändert,12 auch durch die zahlreichen politischen Kurzbiographien ihrer hervorragendsten Aktivisten.13
Die Obleute repräsentierten als Betriebssprecher die Berufsvertrauensleute eines Betriebes und waren gleichzeitig für die Kommunikation zwischen der Basis und der Ortsverwaltung des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes zuständig. Die historische Rezeption der revolutionären Obleute wird vor allem durch die drei von ihnen vorbereiteten politischen Massenstreiks vom Juni 1916, April 1917 und Januar 1918 bestimmt sowie vom bewaffneten Arbeiteraufstand in Berlin, der dem Kaiserreich am 9. November den finalen Schlag versetzte.
Die Frage, warum die mehrfachen massiven Verstöße der Gewerkschaftsopposition gegen das alleinige Recht des Zentralvorstandes, Streiks zu organisieren, nicht zum Ausschluß der Obleute aus dem Metallarbeiterverband führte, läßt sich mit einer auf die Kriegszeit eingeschränkten Sichtweise nicht beantworten. Deshalb wird am Anfang der vorliegenden Studie die Geschichte des funktionalen Verhältnisses zwischen den gewerkschaftlichen Betriebsvertrauensmännern und den Instanzen des zentralisierten Metallarbeiterverbandes beschrieben - auch um zu zeigen, daß das Verhältnis von Arbeiterbewegung und Arbeiterorganisation auf gewerkschaftlicher Ebene sich grundlegend von dem auf politischer Ebene unterscheidet. Mit einer Gewerkschaftsspaltung wäre weder der Basis noch der Verbandsführung gedient gewesen, denn die Lösung von Konflikten setzte in der gewerkschaftlichen Arena die Aktionsbereitschaft der überwiegenden Mehrheit der Beteiligten voraus, auch innerhalb der Organisation. Parteien dagegen sind auch als Minderheit aktionsfähig.
Die Spaltung der SPD ist ebenfalls nicht in einer auf die Kriegszeit begrenzten Perspektive zu erklären, denn die Opposition konzentrierte sich vor allem darauf, der Parteiführung vorzuwerfen, sie leugne ihre glorreiche Vergangenheit während des Krieges von 1870/71 und habe mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten gegen die historischen Resolutionen der Zweiten Internationale sowie die eigenen Beschlüsse zu Krieg und Frieden verstoßen. Wäre die Zweite Internationale eine handelnde Organisation gewesen, wäre der Einwand berechtigt. Gegen die deutsche Sozialdemokratie zielt dieser Einwand klar vorbei. Daß die zeitgenössischen wie die späteren Kritiker der SPD in diesem Zusammenhang unbequeme Texte der Parteiführung ignorieren, ist kein Spezifikum der Geschichtsschreibung zur Kriegskreditbewilligung, hier aber besonders ausgeprägt und soll im dritten Kapitel differenziert werden. Die Parteiopposition und viele der Historiker ignorierten die neue, kompensatorische Taktik, die mit der Annäherung an den innenpolitischen Primat des Nationalismus verbunden war. Die kompensatorische Taktik wollte Zugeständnisse im militärischen Bereich an die Konkretisierung und Erweiterung von "Volksrechten" knüpfen. Und so war die Burgfriedenspolitik der SPD keine innenpolitische Einbahnstraße, sondern ermöglichte es der SPD, sich als soziale Staatspartei zu einer Säule des monarchischen Staates zu wandeln und ab 1917 an der Reichsregierung beteiligt zu werden.
Da der Reichstag bei der Bewilligung der Kriegskredite zu keinem Zeitpunkt auf die Stimmen der SPD angewiesen war, bedeutete die Zustimmung der Partei weit mehr als die kreditpolitische Bereitschaft zum Burgfrieden. Sie war zugleich Beleg für ihre machtpolitische Zukunftsorientierung, was der USPD erst auffiel, als sich die Ausgangspartei bereits als Reichskanzlerpartei hatte etablieren können. Vor allem nach der Abspaltung der USPD galt die Ausgangspartei als verläßlichster Partner des Kanzlers im Reichstag, weil die Burgfriedenspolitik innerhalb der SPD nunmehr nahezu unumstritten war. Auch verfügte die SPD als Partei neuen Typs über eine routinierte nationale Organisation, die zum Teil professionell administriert wurde, so daß abrupte Stimmungswechsel, wie sie in den bürgerlichen Honoratiorenparteien häufiger vorkamen, so gut wie ausgeschlossen waren.
Mit dem spektakulären Berliner Massenstreik vom Januar 1918 traten die revolutionären Obleute aus dem Schatten der USPD, der sie jedoch weiterhin angehörten. Am 10. November begann der Abschwung der revolutionären Obleute. Während Emil Barth, ihr aktueller Leiter, sich aus freien Stücken der - zunächst - provisorischen Regierung zur Verfügung stellte, wollten andere aus der Leitung der revolutionären Obleute nicht mit der SPD koalieren. In der Nacht zum 10. November formulierte Richard Müller im Namen eines fiktiven "provisorischen Arbeiter- und Soldatenrates" einen Aufruf, am folgenden Vormittag Räte in der Berliner Garnison und in den Großbetrieben zu wählen, die sich am Nachmittag des 10. November im Zirkus Busch versammeln sollten. Am selben Vormittag wurden die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung fortgesetzt. Als die SPDVertreter die Räte als "Träger der politischen Macht" anerkannten, beschlossen die Vertreter der USPD ihre Beteiligung an einer paritätisch zusammengesetzten provisorischen Regierung. Friedrich Ebert war noch Reichskanzler der institutionellen Revolution, die Prinz Max von Baden am Mittag des 9. November initiiert hatte, kurz bevor die von den revolutionären Obleuten angeführten Arbeiter das Regierungsviertel erreichten.
Am Nachmittag des 10. November präsentierte sich die provisorische Regierung im Zirkus Busch. Sie ließ sich von dieser Versammlung prekär legitimierter Soldaten- und der Arbeiterräte als Regierung einsetzen, nachdem sie die Räte nunmehr öffentlich als "Träger der politischen Macht" anerkannt hatte. Die von der Versammlung gewählten Mitglieder der paritätischen Leitung der Arbeiterräte gehörten - mit Ausnahme von Georg Ledebour - dem Deutschen Metallarbeiter-Verband an, der im Zentrum der gewerkschaftlichen Konflikte um den Burgfrieden gestanden hatte.
Der größte Teil der vorliegenden Studie gilt den Auseinandersetzungen zwischen dem paritätischen Rat der Volksbeauftragten und dem Vollzugsrat, der Domäne der revolutionären Obleute. Der Zeitabschnitt vor der Novemberrevolution stellte keine besonderen Ansprüche an die Gliederung des Textes. Das gesellschaftspolitische Chaos aber, das jede der paritätischen Revolutionsinstanzen für sich, oft aber auch gegeneinander zu regulieren suchte, war mit erlernter Darstellungsroutine nicht zu beschreiben. Durch eine chronologisch überlappende thematische Darstellung soll versucht werden, die eigensinnige Struktur der verwickelten Handlungsstränge zu beschreiben. Um die Rasanz der Ereignisse nicht durch die thematische Gliederung zu überblenden, beginnt die Zusammenfassung daher mit einer auf die revolutionären Obleute fokussierten chronologischen Skizze.
1 Walter Tormin, Zwischen Rätediktatur und sozialer Demokratie. Die Geschichte der Rätebewegung in der deutschen Revolution 1918/19 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 4), Düsseldorf 1954.
2 Eberhard Kolb, Die Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918-1919. Um ein Vorwort und einen bibliograph. Anhang erw. Ausg., Frankfurt a. M. / Berlin / Wien 1978 (künftig zitiert: Kolb,...
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