Schweitzer Fachinformationen
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Dieser Band I der Werkausgabe enthält neben allen Gedichten, die der Autor zu Lebzeiten in Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und an entlegeneren Orten veröffentlichte, auch sämtliche 120 im persönlichen Archiv Heiner Müllers hinterlegten unveröffentlichten Gedichte. Erstmals wird hiermit das gesamte lyrische Schaffen des Autors im Zusammenhang vorgestellt. Heiner Müller hat an der Vorbereitung dieses Bandes noch selbst teilgenommen, Material gesichtet und geordnet. Es entspricht seinem Wunsch, daß diese Ausgabe dem Prinzip »brutaler Chronologie« folgt.
Bitte beachten Sie: Der Band enthält zwei Gedichte, die nicht von Heiner Müller, sondern von Günter Kunert stammen. Es handelt sich um die Texte »Impressionen am Meer« und »Die Uhr läuft ab«. Der Fehler wird in der nächsten Auflage des Bandes korrigiert.
1949 . . .
Auf Wiesen grün
Viel Blumen blühn
Die blauen den Kleinen
Die gelben den Schweinen
Der Liebsten die roten
Die weißen den Toten
LACH NIT ES SEI DANN EIN STADT UNTERGANGEN
(Grobianus)
ICH WILL EIN DEUTSCHER SEIN
(Eintragung im Schulheft eines elfjährigen jüdischen Jungen im Warschauer Ghetto)
DER TERROR VON DEM ICH SCHREIBE KOMMT NICHT AUS DEUTSCHLAND ES IST EIN TERROR DER SEELE
(Edgar Allan Poe)
DER TERROR VON DEM ICH SCHREIBE KOMMT AUS DEUTSCHLAND
UND ZWISCHEN ABC UND EINMALEINS
Wir pißten pfeifend an die Schulhauswand
Die Lehrer hinter vorgehaltner Hand
HABT IHR KEIN SCHAMGEFÜHL Wir hatten keins.
Als Abend wurd wir stiegen auf den Baum
Von dem sie früh den Toten schnitten. Leer
Stand nun sein Baum. Wir sagten: DAS WAR DER.
WO SIND DIE ANDERN? ZWISCHEN AST UND ERD IST RAUM.
WOHIN?
Dein Vater sollt marschieren.
Dein Vater ist marschiert.
Dein Vater - er ließ sich führen.
Sie haben ihn geführt.
Und heut sollst du marschieren.
Dein Vater - der ist marschiert.
Weißt du, wohin sie dich führen?!
Ihn haben sie sterben geführt.
BERICHT VOM ANFANG
1
Vom Pfennig lebend haben sie gekämpft
wie um ihr Leben um den Pfennig. So
hat sies gelehrt die Welt, in der für sie nur
Platz war ganz unten.
Als die Spitze abbrach
viel noch erschlagend ringsum, Trümmer streuend auf die
nicht Mitgefallnen, kam was unten war
nach oben stolpernd übern Trümmerberg langsam.
2
Zwar war der Pfennig nun gemeinsam, aber
was für ein karger Pfennig! Zwar das Brot
gehörte allen, aber sättigte keinen.
3
Das hieß: Kampf für den Pfennig anstatt um ihn.
Ein Heutewenig für ein Morgenviel.
4
Zwar war das Ziel erreicht. Doch zugeschüttet
vom Trümmerberg. Und Stein bleibt Stein, schwer zu bewegen.
5
Da waren die Geduldigen ungeduldig.
Da waren nach durchwachter Nacht früh müde
die Unermüdlichen . . .
Die lange kämpften sahn den Sieg nicht
vor Schweiß der brannte wie die Träne vorher.
Die Überlebenden aus großen Kriegen
um den Platz am Tisch, Frieden und Schuhwerk
den Sieg in Händen, aber noch nicht in der Tasche
fanden, was da zu tun war, schwierig.
6
Zwar sprach da eine Stimme von vorn her
zu ihnen: ihr Geduldigen, habt Geduld!
Ihr Unermüdlichen, seid unermüdlich!
Kämpft weiter, ihr Siegreichen . . .
Zwar sie gingen
den Weg, bezeichnet von der Stimme, denn
da war kein besserer, aber sie wußten
Nicht, daß da ihre eigne Stimme sprach . . .
7
Doch waren ihre Hände klüger als
ihr Kopf war, und sie taten was zu tun blieb.
Den Baustein schmähend bauten sie die Häuser
den Schritt verfluchend gingen sie den Weg
sehend die Wolke, nicht den Himmel drüber
und nicht die Straße, nur der Straße Staub.
8
Noch als das Haus schon stand, gebaut für sie
von ihnen, wußten sie nicht, was da
gebaut war. In die Türe tretend noch
blickten sie hinter sich, fragend: warum
verjagt uns keiner? Es gehört wohl keinem?
9
Die in der Kunst des Nehmens nicht
Geübten nahmen da das ihre in
Besitz nur zögernd. Die solang Bestohlnen
verdächtigten sich da des Diebstahls selber.
10
Immer vor ihnen aber war die Stimme
die sprach zu ihnen: Es genügt nicht! Bleibt
nicht stehn! Wer stehn bleibt fällt! Geht weiter! So
im Immerweitergehn folgend der Stimme
wurde das Schwierige einfach
wurde das Unerreichbare erreicht.
Und überm Immerweitergehn erkannten
sie: die da sprach war ihre eigene Stimme.
BILDER
Bilder bedeuten alles im Anfang. Sind haltbar. Geräumig.
Aber die Träume gerinnen, werden Gestalt und Enttäuschung.
Schon den Himmel hält kein Bild mehr. Die Wolke, vom Flugzeug
Aus: ein Dampf der die Sicht nimmt. Der Kranich nur noch ein Vogel.
Der Kommunismus sogar, das Endbild, das immer erfrischte
Weil mit Blut gewaschen wieder und wieder, der Alltag
Zahlt ihn aus mit kleiner Münze, unglänzend, von Schweiß blind
Trümmer die großen Gedichte, wie Leiber, lange geliebt und
Nicht mehr gebraucht jetzt, am Weg der vielbrauchenden endlichen Gattung
Zwischen den Zeilen Gejammer
auf Knochen der Steinträger glücklich
Denn das Schöne bedeutet das mögliche Ende der Schrecken.
PHILOKTET 1950
Philoktet, in Händen das Schießzeug des Herakles, krank mit
Aussatz ausgesetzt auf Lemnos, das ohne ihn leer war
Von den Fürsten mit wenig Mundvorrat, zeigte da keinen
Stolz, sondern schrie, bis das Schiff schwand, von seinem Schrei nicht gehalten.
Und gewöhnte sich ein, Beherrscher des Eilands, sein Knecht auch
An es gekettet mit Ketten umgebender Meerflut, von Grünzeug
Lebend und Getier, jagbarem, auskömmlich zehn Jahr lang.
Aber im zehnten vergeblichen Kriegsjahr entsannen die Fürsten
Des Verlassenen sich. Wie den Bogen er führte, den weithin
Tödlichen. Schiffe schickten sie, heimzuholen den Helden
Daß er mit Ruhm sie bedecke. Doch zeigte sich der da von seiner
Stolzesten Seite. Gewaltsam mußten sie schleppen an Bord ihn
Seinem Stolz zu genügen. So holte er nach das Versäumte.
GESCHICHTEN VON HOMER
Häufig redeten und ausgiebig mit dem Homer die
Schüler, deutend sein Werk, ihn fragend um richtige Deutung.
Denn es liebte der Alte immer sich neu zu entdecken
Und gepriesen geizte nicht mit Wein und Gebratnem.
Kam die Rede, beim Gastmahl, Fleisch und Wein, auf Thersites
Den Geschmähten, den Schwätzer, der aufstand in der Versammlung
Nutzte klug der Großen Streit um das größere Beutstück
Sprach: Sehet an den Völkerhirten, der seine Schafe
Schert und hinmacht wie immer ein Hirt, und zeigte die blutigen
Leeren Händ der Söldner als leer und blutig den Söldnern.
Da nun fragten die Schüler: Wie ist das mit diesem Thersites
Meister? Du gibst ihm die richtigen Worte, dann gibst du mit eignen
Worten ihm unrecht. Schwierig scheint das uns zu begreifen.
Warum tatst dus? Sagte Homer: Zu Gefallen den Fürsten.
Fragten die Schüler: Wozu das? Der Alte: Aus Hunger. Nach Lorbeer?
Auch. Doch schätz er den gleich hoch wie auf dem Scheitel im Fleischtopf.
Unter den Schülern, heißt es, sei aber einer gewesen
Klug, ein großer Frager. Jede Antwort befragt er
Noch, zu finden die nicht mehr fragliche. Dieser nun fragte
Sitzend am Fluß mit dem Alten, noch einmal die Frage der andern.
Prüfend ansah den Jungen der Alte und sagte, ihn ansehnd
Heiter: Ein Pfeil ist die Wahrheit, giftig dem eiligen Schützen!
Schon den Bogen spannen ist viel. Der Pfeil bleibt ein Pfeil ja
Birgt wer im Schilf ihn. Die Wahrheit, gekleidet in Lüge, bleibt Wahrheit.
Und der Bogen stirbt nicht mit dem Schützen. Sprachs und erhob sich.
GESPRÄCH MIT HORAZ
Silbenzähler beiläufig dein Vers unterm Schritt der Kohorten
Die Kohorten wo sind sie Mein Vers geht ins zweite Jahrtausend
HORAZ
Der Arrivierte mit dem Haß auf sein Startloch.
Unter Brutus ist er Demokrat
Tod dem Tyrannen und mir auch ein Landgut
Pazifist bei Philippi, er skandiert den Boden.
Dann lernt er seine Lektion (er auch), wechselt
Die Laufbahn. Schwamm drüber Augustus. Das Landgut
Schenkt Mäcen ihm für einen Platz in den Oden
Acht Spiegel im Schlafzimmer und kein Wort mehr von Brutus.
Er macht seinen Weg in die Chrestomathien
Aere perennius Liebling der Philologen.
Rom die Hure mit den sieben Brüsten.
Lob der Mäßigkeit, Mutter der Weltreiche
Aufgefressen von den wachsenden Kindern
Mit vollkommenen Versen, sonst wozu, braucht
Luxus. Satt singt Horaz. Den Lorbeer
Würzt das Fleisch. Kappadozisches Wildbret!
(Und die Baumblüte in den Albanerbergen!)
Dreiundzwanzig Dolchstöße, der zweite tödlich
In ein fallsüchtiges Fleisch, was sind sie
Gegen den Furz des Priap in der achten Satire.
ÜBER CHAMISSOS GEDICHT
»DIE ALTE WASCHFRAU«
Der Dichter staunt, wie die noch rüstig ist
Mit sechsundsiebzig. - Mensch, der Frau pressiert es!
Wenn die nicht Hemden wäscht, wer weiß, passiert es
Daß man sie zu bezahlen glatt vergißt.
Er sieht, sie schwitzt. Er lobt sie drum. Es treibt
Ihr Schweiß ja seine Mühle, und indessen
Sie Schwarzbrot kaut, kann er Pasteten fressen.
Sie lobend...
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