Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Zwei Gesichter: verdeckten Narzissmus verstehen
Ich liege im Schlafsack und bin wach. Hellwach.
Was ein schöner Ferientag hätte sein sollen, war etwas, wovon ich mich erholen muss.
Ich kann mir so langsam keinen Reim mehr auf sein Verhalten machen. Wir sind im Urlaub, verdammt! Sollten wir nicht glücklich sein?
Als er vorhin kurz laufen war, griff ich zum Handy und startete eine Google-Suche. Das hätte ich mal lieber gelassen. Denn als ich das Ergebnis sah, kam der Schmerz. Er war immer da. Aber jetzt spüre ich ihn wie eine offene Wunde. Die Einsicht überflutet mich mit einer Wucht, der ich keinen Widerstand entgegensetzen kann: der Mann auf der Isomatte neben mir - ein Soziopath oder Narzisst?
In Sekunden liegt nicht nur mein Camping-Trip in Trümmern - nein, mein ganzes Leben! Und mit ihm das Bild, das ich von mir habe: Plötzlich bin ich ein bedauernswertes Hascherl, das sich runtermachen und manipulieren lässt. Ein Opfer!
Ich war blind. Und nun, da ich sehen kann, tut es umso mehr weh.
Ich fühle mich allein. Nein, richtiger wäre: Endlich fühle ich, wie allein ich bin. Neben diesem Mann. Schon. Die. Ganze. Zeit.
Als ich dies in mein Tagebuch schrieb, ahnte ich noch nicht, dass ich der Wahrheit schon sehr nahe war. Doch die schlechte Beraterin Hoffnung schlug noch mal zu: Einige relativierte Heul-Attacken später saßen wir glücklich vereint in seinem Bulli. Und ich plante unsere Hochzeit. Schließlich konnte es doch nicht sein, dass der Mann an meiner Seite derart gestört war! Oder? Und die typischen Symptome eines Narzissten oder Soziopathen passten auch nicht auf ihn. Er war ja viel zu nett! Zu normal! Es musste eine andere Erklärung für sein Verhalten geben!
Kurz: Ich drehte noch ein paar Runden auf dem Karussell, bis es mich schließlich unsanft ausspuckte .
Fazit: Im Pärchen-Urlaub »Persönlichkeitsstörungen« googeln kann ich nicht empfehlen. Jedenfalls nicht, wenn man sich erholen will.
Da du dieses Buch liest, bist du vielleicht da, wo ich damals war: in der Phase des Googlens:
Irgendwas ist merkwürdig. Die Schwierigkeiten miteinander sind unerklärlich. Man beginnt, nach Antworten zu suchen, und gibt einschlägige Begriffe in Suchmasken ein. Häufig sind es Schlagworte wie »Heruntermachen«, »keine Fehler zugeben« oder »nicht entschuldigen«.
Zunächst stößt man dann auf erschreckende Begriffe aus dem Gruselkabinett der klinischen Psychologie: Narzissmus, Sozio- und Psychopathie. Viele brechen an diesem Punkt die Recherche ab. Denn das scheint einfach undenkbar: Geisteskranke Gewalttäter im Krimi haben so etwas - aber doch nicht mein Partner!, denken wir uns.
Mangelnde Information ist einer der wesentlichen Gründe dafür, warum so viele Menschen in krank machenden Bindungen ausharren.5 Das Erlebte verstehen und benennen zu können ist ein wesentlicher Schritt der Heilung. Er gibt uns die Klarheit und Entschlusskraft zurück, die wir durch den geistigen Nebel des toxischen Miteinanders eingebüßt haben.
Werfen wir also einen Blick auf Narzissmus und seine unterschiedlichen Spielarten.
Das Wort Narzissmus ist mit zahlreichen Missverständnissen verbunden.6 Ein Teil der Unklarheiten beruht darauf, dass es nicht nur pathologischen Narzissmus gibt, sondern auch gesunden, den wir alle haben. Und das ist auch gut so: Wer (sogar bei Rückschlägen) um seinen Wert weiß, der kommt ohne Vergleich aus.7 Eigenliebe und ein stabiles Selbstwertgefühl machen es unnötig, sich anderen gegenüber aufzublasen.8
Zudem gibt es Lebensphasen, in denen wir besonders narzisstisch sind: als kleine Kinder, bevor wir gelernt haben, dass die Welt sich nicht nur um uns dreht9; als Teenager, wenn die Hormone verrücktspielen, und sogar als junge Erwachsene, wenn wir um unsere Identität ringen. Das sind richtige und wichtige Entwicklungsschritte.
Auch die ein oder andere narzisstische Verletzung aus der Kindheit tragen sicher viele Menschen mit sich rum. Unser Selbstwert schwankt von Zeit zu Zeit. So weit ist das normal.
Zur Unterscheidung von gesundem und pathologischem Narzissmus gibt es drei Ansätze:
Klar, auch eine narzisstische Abwehr von Minderwertigkeitsgefühlen haben alle Menschen: Wer hat nicht schon mal zur eigenen Ehrenrettung kein gutes Haar an der Konkurrenz gelassen? Aber beim pathologischen Narzissmus ist diese Entwertungs- oder Spaltungsabwehr zum Schutz einer positiven Meinung von sich unabdingbar und besonders gnadenlos.13
Es ist also komplex. Und es fällt nicht leicht zu sagen, wo denn nun genau die Grenze zur Störung überschritten ist. Fest steht: Die narzisstische Persönlichkeitsstörung (und ihre mildere Form, die narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung) gehen weit über das hinaus, was man unter gesundem Narzissmus oder alltäglichen Selbstwert-Schwankungen versteht.
Wenn wir das Wort »Narzissmus« hören, denken wir an eine schillernde Persönlichkeit - charismatisch, vielleicht ein bisschen zu sehr von sich überzeugt. Aber durchaus unterhaltsam! Nur: auf die Dauer durch den Mangel an Empathie und die starke Ich-Bezogenheit eben doch verletzend. Wobei wir Eitelkeit und Arroganz vielleicht auch lange entschuldigen, zumal es sich doch um so außergewöhnliche Individuen handelt: witzig, clever, eloquent!
Gerade auf den ersten Blick ist schwer zu merken, dass jenseits der schicken Oberfläche nicht viel Tiefgang zu erwarten ist. Und dass die ach so spannenden Geschichten gern mit »Ich .« beginnen. Zuhören gehört übrigens nicht zu den Kernkompetenzen dieser Menschen - es sei denn, es dient der Selbstinszenierung.
Dafür machen sie sich gut als Star der Party, als Diva, leidenschaftlicher Liebhaber oder mächtige Führungspersönlichkeit. Solche Charaktere können attraktiv und anziehend auf uns wirken. Ihre Eigenschaften scheinen (zunächst) faszinierend, und die extravaganten Erlebnisse können wirklich aufregend sein! Denn Hand aufs Herz: Wer wird nicht gern mit einer Luxusyacht zu einem Picknick auf eine einsame Insel entführt .?
Tatsächlich verbirgt sich aber hinter dem gestylten Äußeren, den großen Gesten und dem beeindruckenden Lebenslauf zuweilen eine Persönlichkeitsstörung. Das hat einschneidende Folgen für das Umfeld. Gerade nahe Angehörige leiden meist stark unter den damit einhergehenden Verhaltensweisen. Das fängt bei dem übergroßen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit an, geht weiter mit Kritikunfähigkeit, Herabwürdigungen und Wutanfällen und führt bis hin zu Affären, Doppelleben, Kontrolle und sogar körperlicher Gewalt.
Hier unterscheidet sich Narzissmus von vielen anderen psychischen Erkrankungen: Gewöhnlich haben die Betroffenen den Leidensdruck. Bei Narzissmus ist das anders. Da leidet das Umfeld.14 Aber das wirst du vermutlich bereits am eigenen Leib erlebt haben, sonst würdest du das hier nicht lesen.
Der hier beschriebene grandiose Narzissmus ist also die typische Variante dieser Persönlichkeitsstörung. Doch wenn du das, was du erlebst, hier nicht oder nur teilweise wiedererkennst, ist gut zu wissen: Es gibt noch andere.
Die fünf großen E des Narzissmus (nach Reinhard Haller)15
1.Egozentrik
2.Eigensucht
3.Empfindlichkeit
4.Empathiemangel
5.Entwertung
Wer in der Schule mit griechischen Sagen beglückt wurde, kennt die Fabel vom allseits umschwärmten Narziss, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte. Daher rührt das Wort Narzissmus.16
Was landläufig unter Narzissmus verstanden wird, der sogenannte grandiose Narzissmus, ist dem Verhalten ähnlich, das sein griechischer Namensgeber an den Tag legte: Betroffene halten sich für überlegen und wichtig. Sie wollen bewundert werden und erwarten eine Sonderbehandlung. Was aussieht wie ein übergroßes Selbstwertgefühl17, ist...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.