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Charlotte Stockworth unterdrückte ein Gähnen und ging an der Seite ihres Ehemanns die Treppen im Haus ihrer Schwiegereltern, Lord Charles und Lady Henrietta Stockworth, hinunter. Es würde nicht mehr lange dauern, bis das frischgebackene Ehepaar sein eigenes Heim, ein elegantes Stadthaus in Mayfair, beziehen konnte, denn die Renovierungsarbeiten in dem jahrzehntealten Gemäuer neigten sich dem Ende zu. Das Haus war ein Geschenk ihrer Schwiegereltern zu ihrer Hochzeit gewesen und gehörte einst einem entfernten Cousin ihres Schwiegervaters.
Charlotte konnte es kaum erwarten, in ihren eigenen vier Wänden zu leben. Sie liebte ihre Schwiegereltern, doch sie sehnte sich nach der Zweisamkeit mit ihrem Ehemann. Außerdem lag das Haus in direkter Nachbarschaft von Roisin O'Mahoneys Einrichtung für gefallene Frauen, wo Charlotte seit dem Tod ihrer ehemaligen Gouvernante Florence, zu der sie in der vergangenen Silvesternacht geflüchtet war, als Hauslehrerin arbeitete. Roisin wollte so vielen jungen Frauen wie möglich helfen, denn sie kannte die Gefahren der Straße aus eigener Erfahrung.
Charlotte blinzelte ungläubig, als Stockworth die Tür zum Esszimmer öffnete. Lord und Lady Stockworth saßen nicht wie erwartet allein am Frühstückstisch. Enthusiastisch riss sie sich von ihrem Mann los und machte einen kleinen Luftsprung vor Freude.
»Tante Anna! Wann bist du angekommen?«, rief sie und wäre beinahe über ihre Röcke gestolpert, als sie auf den Tisch zulief. Sie verdankte ihrer Tante viel. Anna von Krenze, die Cousine ihrer Mutter, hatte Charlottes Flucht vor der von ihrem Vater arrangierten Ehe mit Heinrich von Burgfeld nach Kräften unterstützt. Nur mit ihr war sie nach ihrer Ankunft in London in Kontakt geblieben.
Erst spät am vergangenen Abend waren Charlotte und ihr Mann aus Cornwall zurückgekommen, wo sie das Wochenende auf dem Landsitz der Familie an der Küste verbracht hatten. Die Nacht war daher kurz gewesen, und sie war nicht so ausgeschlafen wie sonst, aber der Anblick ihrer Tante weckte ihre Lebensgeister.
»Charlotte!« Von Krenze erhob sich und breitete die Arme aus. Sie trug ein dunkelgrünes hochgeschlossenes Kleid, und ihr grau meliertes dunkelbraunes Haar war sorgfältig nach oben gesteckt. Ihre blauen Augen strahlten, und ihre Nase und Wangen waren sanft gepudert. »Ich freue mich so, dich zu sehen! Ich bin gestern Nachmittag angekommen, aber ich war so müde von der Reise, dass ich schon auf meinem Zimmer war, als ihr beide aus Cornwall zurückgekommen seid. Und Henrietta meinte, wir sollten dich überraschen.« Sie trat einen Schritt zurück und musterte ihre Nichte wohlwollend. »Du siehst wunderschön aus! Die Ehe scheint dir gut zu bekommen«, fügte sie mit einem schelmischen Grinsen hinzu.
»Das tut sie! Es kommt mir auch immer noch wie ein Traum vor«, lachte Charlotte, während Basil Stockworth ihre Tante begrüßte.
»Es freut mich sehr, die Tante meiner Frau endlich kennenzulernen.« Er beugte sich lächelnd über ihre Hand. »Die Reise war hoffentlich nicht allzu anstrengend?«
»Auf Schiffen werde ich immer seekrank, aber ich habe überlebt.« Ihre Tante wirkte so robust wie eh und je, fand Charlotte. »Erinnerst du dich an unsere Bootsfahrt auf der Spree, Charlotte? Du kannst damals nicht älter als zehn gewesen sein.«
»Oh, diesen Ausflug vergesse ich nicht!«, prustete sie. »Du hättest dich beinahe übergeben.«
»Nicht nur beinahe, Liebes. Weißt du das etwa nicht mehr?« Sie verdrehte die Augen. »Sobald ich auf dem Wasser bin, macht mein Magen, was er will. Ich werde also ganz sicher keine Bootsfahrt auf der Themse unternehmen. Sei das Wetter auch noch so schön.«
»Umso mehr weiß ich es zu schätzen, dass du die Reise auf dich genommen hast, um zu meiner Geburtstagsfeier zu kommen, Anna«, freute sich Lord Stockworth. »Deine Tante und deine Schwiegermutter schwelgen seit gestern Nachmittag auch schon in Erinnerungen, Charlotte.«
»Ach ja?« Sie blickte aufmerksam zwischen den beiden hin und her.
»Ich habe dir doch erzählt, dass ich als kleines Mädchen mit meinen Eltern meine Tante in Berlin besucht habe, und dort habe ich nicht nur deine Mutter, sondern auch ihre Cousine Anna kennengelernt«, sagte Lady Henrietta. »Mir kommt es fast so vor, als wäre es erst letzte Woche gewesen, dass wir mit den Kindermädchen im Garten deiner Großeltern gespielt haben. Deine Mutter Amalie war damals aber noch sehr klein. Sie kann kaum älter als zwei oder drei gewesen sein«, kalkulierte sie.
»Dann war ich ungefähr vier oder fünf Jahre alt«, schätzte von Krenze.
Ein Strahlen erhellte Lady Stockworths Züge. »Ich sehe noch die Katzen vor mir, mit denen wir gespielt haben. Es waren schöne Tage damals.«
»Ja, das waren sie«, stimmte von Krenze ihr zu, bevor sie sich wieder an Charlotte und Stockworth wandte. »Es tut mir sehr leid, dass ich nicht rechtzeitig zu eurer Hochzeit hier gewesen bin«, bedauerte sie. »Ich wollte mich viel früher auf den Weg machen, wie ihr wisst, aber dann hatte ich doch noch einiges Unverhofftes zu regeln.« Sie holte tief Luft, und Charlotte konnte sehen, dass ihre Tante mit sich haderte. Sie wollte sich gerade erkundigen, ob alles in Ordnung sei, als von Krenze weitersprach. »Unter den gegebenen Umständen konntet ihr aber auf gar keinen Fall auf mich warten.«
Sowohl Lady Henrietta als auch Roisin hatten Charlotte und Stockworth gedrängt, sich schnellstens das Jawort zu geben. Ihr ehemaliger Verlobter Heinrich von Burgfeld wollte sich rächen, aber als Schwiegertochter von Lord Stockworth, einem der angesehensten Richter des Landes, und Ehefrau eines Inspektors bei Scotland Yard war Charlotte geschützt. Selbst von Burgfeld und seine einflussreichen englischen Freunde würden es sich nun sehr genau überlegen, ihr zu nahe zu kommen. Ihre Hochzeit mit Basil Stockworth fand daher vor gut drei Wochen nur in kleinem Kreis statt, doch Charlotte war dennoch überglücklich gewesen.
»Es war nötig, Anna«, bekräftigte Stockworth, als er und Charlotte ihren Platz am Tisch einnahmen. »Von Burgfeld ist zwar immer noch unberechenbar, aber zumindest weiß er jetzt, gegen wen er ins Feld zieht.« Er legte den Arm um seine Frau und drückte sie rasch an sich.
»Henrietta und Charles haben mir berichtet, was mit Johann passiert ist.« Selbstvorwürfe und Trauer standen Anna von Krenze ins Gesicht geschrieben. »Ich hätte für ihn und Lina mehr tun müssen. Ich .« Charlottes Freundin Lina, das frühere Dienstmädchen ihrer Eltern, hatte Charlotte ebenfalls bei ihrer Flucht geholfen und nach einer Rettungsaktion in letzter Sekunde bei Roisin Unterschlupf gefunden. Linas Mann Johann aber war von Burgfelds Schergen zum Opfer gefallen.
»Es ist nicht deine Schuld«, fiel Charlotte ihr sanft ins Wort. »Mach dir bitte keine Vorwürfe. Es reicht, wenn ich das tue.« Sie blinzelte die plötzlichen Tränen weg.
»Das Wichtigste ist, dass Lina jetzt in Sicherheit ist«, bemerkte Lord Charles Stockworth und nahm einen Schluck Tee. »Sie ist eine bemerkenswerte und mutige junge Frau. Wenn ich daran denke, was sie und ihr Mann auf sich genommen haben, um dir zu helfen, Charlotte, ziehe ich meinen Hut! Und obwohl es seinen Vater verloren hat, hat Linas Kind großes Glück. Und wir werden ihr bei allem helfen.«
»Ich möchte sie sobald wie möglich sehen.« Von Krenze nahm einen Schluck von ihrem Tee. »Ich habe beschlossen, Vorkehrungen für sie und ihr Kind zu treffen. Wenn das Kleine nur halb so klug und aufgeweckt ist wie seine Eltern, dann möchte ich es fördern.«
»Es soll genauso aufwachsen können wie eines Tages unsere Kinder. Das ist das Mindeste, was wir für sie tun können«, sagte Charlotte. Jetzt war die Zeit gekommen, in der ihre Freundin sich auf sie verlassen konnte. »Lina wird sich sehr freuen, dich zu sehen.«
»Und ich möchte unbedingt diese Roisin kennenlernen.« Neugier schwang in von Krenzes Stimme. »Sie und ihre Einrichtung interessieren mich sehr. Es sollte viel mehr für diese armen Frauen getan werden, die sich an den Meistbietenden verkaufen müssen, um ein halbwegs erträgliches Dasein zu fristen«, nannte sie die traurige Tatsache beim Namen.
»Der Meinung bin ich auch«, gab Charlotte ihr recht, bevor sie das Thema wechselte. »Tante Anna, wie geht es Mutter? Hast du mit ihr in letzter Zeit gesprochen?«
»Ich habe es immer wieder versucht, Charlotte. Du kennst meine Hartnäckigkeit.« Von Krenze war eine starke Persönlichkeit, die zur Not auch mit dem Kopf voran durch die Wand ging. Sie und Charlottes Mutter hätten unterschiedlicher nicht sein können....
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