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Die Philippinen sind ein ganz besonderes Land. Es lässt sich nicht vergleichen mit den Regionen in Europa, Zentralasien oder den USA. Was nicht nur daran liegt, dass die Philippinen im Gegensatz zu jenen Staaten ein tropisches Entwicklungsland mit kolonialer Vergangenheit sind. Vielmehr ist der zweitgrößte Archipel unseres Planeten, der sich auf einer Länge von 1850 Kilometer zwischen dem Pazifik im Osten und dem Südchinesischen Meer und der Sulu-See im Westen erstreckt, von einer faszinierenden Vielfalt. Im Laufe der Jahre war ich in den wundersamen Kordilleren Nord-Luzons unterwegs, habe Vulkane bestiegen, bin durch die fruchtbaren Ebenen Luzons gereist oder in Regenwäldern von Moskitos zerstochen worden. Von den europäisch anmutenden Dünenlandschaften bei Laoag war ich überrascht, die pulverfeinen Strände Palawans oder Boracays haben die von Reiseführern hochgesteckten Erwartungen durchaus erfüllt. Die atemberaubende Unterwasserwelt hat mich in den Visayas ebenso in den Bann gezogen wie vor Mindoro oder Mindanao.
Doch sind es nicht nur die mannigfachen Landschaften, die außerordentlichen Vegetationszonen und die exotische Flora und Fauna, die die Philippinen so außergewöhnlich machen. Es sind in erster Linie die Menschen, die sich auf etwa 2000 der 7641 Inseln angesiedelt haben. Denn der Archipel wird keinesfalls von einer homogenen Nation bewohnt, sondern von äußerst unterschiedlichen Volksgruppen. Es sind die Nachfahren alt- und jungmalaiischer Einwanderer, in deren Ahnentafeln indische, arabische oder chinesische Händler, spanische Kolonialherren sowie amerikanische und japanische Besetzer auftauchen können. Um die 100 ethnische Gruppen, so schätzen Fachleute, sollen heute in dem südostasiatischen Inselstaat leben. Es mag daher nicht verwundern, dass die Bewohner der majestätischen Reisterrassen und abgelegenen Täler in Nord-Luzon in etwa so viel mit ihren Landsleuten auf den weit im Süden des Archipels gelegenen Sulu-Inseln gemein haben wie Skandinavier mit Südeuropäern. Sprache, Religion, Kultur, Tradition - die Unterschiede manifestieren sich auf vielerlei Art.
Dennoch gibt es einen Sammelbegriff für die etwa 106 Millionen Bewohner der philippinischen Inselgruppen. Oder um genau zu sein, gibt es mehrere, wie ich nach anfänglicher Verwirrung verstand: Im offiziellen, englischen Sprachgebrauch heißen sie Filipinos. Sie selbst bezeichnen sich aber als Pilipinos oder abgekürzt als Pinoys - in der zweiten Landessprache Tagalog kommt der Buchstabe F nicht vor und wird durch ein P ersetzt. Geht es um Frauen, so heißen sie Pilipinas oder Pinays. Kommt das Gespräch auf die Nachfahren der chinesischen Einwanderer, ist von Chinoys beziehungsweise Chinays die Rede, chinesische Pinoys oder Pinays eben.
Diese unterschiedlichen Bezeichnungen für ein- und dasselbe Volk sind indes nur die Spitze des Eisbergs. Das Abstammungsund Zugehörigkeitsdurcheinander spiegelt sich in der Vielfalt der in der Inselwelt benutzten Sprachen wider: Das statistische Amt der Philippinen listet 180 auf, darunter sind allerlei Dialekte, die nur noch von wenigen Tausend Menschen gesprochen werden. Die größte Sprachgruppe mit einem Anteil von knapp 30 Prozent der Gesamtbevölkerung sind demnach die Tagalog, die vor allem auf Zentral- und Südluzon, auf Mindoro und Marinduque leben. Etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung spricht Cebuano oder Bisayan, sie sind auf den Visayas-Inseln Cebu, Bohol, Leyte und der westlichen Inselgruppe Palawan ansässig. Die Fünf-ProzentMarke überspringen die Ilokano auf Zentral- und Nordluzon, die Ilonggo auf Panay, Guimaras, Teilen von Negros und Palawan und die Bikol, die den Süden Luzons, Masbate, Romblon und Cataduanes bevölkern.
All das wusste ich aus Büchern, die ich vor unserer Ankunft in Manila gelesen hatte. Es war ein wenig einschüchternd, denn außer Deutsch, verschüttetem Schul-Französisch und Grundstudium-Spanisch hatte ich nur leicht poliertes Englisch in meinem Sprachköcher. Doch die Reiseführer hatten auch in einem anderen Punkt Recht, wie ich schnell erleichtert feststellte: Das Sprach-Potpourri des Archipels offenbart sich in der Hauptstadt nicht, was es zwar weniger spannend, das Einleben aber deutlich leichter macht.
Die Metropole wird von der landesweit größten Volksgruppe der Tagalog dominiert, deren Idiom seit 1937 auch offiziell Nationalsprache ist. Und - welch Glück für einen westlichen Neuankömmling! - Englisch ist seit der amerikanischen Kolonialzeit die Lingua Franca. »Mach dir gar nicht erst die Mühe, Tagalog zu lernen«, riet mir kurz nach meiner Ankunft eine wohlmeinende Ausländerin mit mehrjähriger Philippinenerfahrung, »sobald du auf eine der Inseln fährst, sprechen die Leute dort lieber ihren eigenen Dialekt. Mit Englisch kommst du irgendwie immer durch.«
Eine Erfahrung, die bereits darauf hindeutet, dass nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist im sonnigen Inselparadies. Denn anstatt ihre kulturelle Vielfalt zu schätzen und zu schützen, äußern sich viele Filipinos desinteressiert oder abfällig über die ethnischen Minderheiten im Lande. Die per Gesetz verordnete Spracheinheit reicht nicht aus, um aus diesem Vielvölkerstaat eine homogene Gemeinschaft zu machen. Im Gegenteil, bereits seit den spanischen Eroberern, die die Philippinen mehr als 300 Jahre lang dominierten, werden die Ureinwohner des Archipels verachtet und diskriminiert, in der Regel zumindest ignoriert.
Mehrere Dutzend Stämme leben verteilt auf den Inseln, sie halten an den Traditionen, Gebräuchen und Dialekten ihrer Vorfahren fest, ihr Glaube basiert oft auf animistischen Ritualen oder einer tief verwurzelten Ahnenverehrung. Mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung sollen ethnischen Minderheiten angehören, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die kriegerischen Igorot leben in den Kordilleren Luzons, die sanften Mangyan verstecken sich in den dichten Bergwäldern Mindoros, stolze T'boli finden sich auf Mindanao, während die Badjao als kundige Seenomaden unter sich bleiben. Die kleinwüchsigen, scheuen Negritos, Nachfahren der ersten Einwanderer, leben im ganzen Archipel verteilt. Trotz aller Unterschiede eint die ethnischen Minderheiten, deren Zahl immerhin bei 14 Millionen liegen soll, von ihren »modernen« Landsleuten ausgegrenzt zu werden. Bis auf wenige, individuelle Ausnahmen fristen sie ein Dasein am äußersten Rand der philippinischen Gesellschaft.
Während meiner regelmäßigen Besuche auf der Insel Mindoro beobachte ich es immer wieder: In der Abenddämmerung, wenn die Boote der zahlreichen Tauchressorts wieder vertäut sind und die lokalen Fischer ihr Tagewerk lange beendet haben, tauchen scheue Gestalten scheinbar aus dem Nichts auf. Im Schlick einer Mangrovenbucht suchen sie nach Muscheln oder fangen kleine Fische im seichten Wasser. Was sie an Essbarem finden, kommt in mitgebrachte Plastiktüten. Sie gehen jedem Kontakt aus dem Weg. Am liebsten, so scheint es, wären sie unsichtbar. Mein vom Steg gerufenes »Hello, how are you?« wird nur mit einem kurzen, vorsichtigen Seitenblick beantwortet.
»Das ist kein Wunder«, meint Ewald Dinter, »diese Menschen haben allen Grund, misstrauisch zu sein.« Seit mehr als 30 Jahren lebt der Pater der Steyler Missionare bei den Ureinwohnern Mindoros, den Mangyanen. Genauer gesagt, bei den Hanunóo, einem der acht Stämme dieser Volksgruppe. Mangyan, das bedeutet Mensch. Doch von ihren Landsleuten werden die Mangyanen behandelt wie Untermenschen, Ewald Dinter kennt deren Nöte sehr genau. Früher hätten die Ureinwohner an den Küsten Mindoros gelebt, erzählt er, doch sich dort ansiedelnde Filipinos hätten die Mangyan mittels Gewalt oder Betrug von ihrem Land vertrieben. »Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich in die unwegsamen Bergwälder zurückzuziehen, wo das Überleben schwer ist«, wie der Deutsche aus eigener Erfahrung weiß.
Er hat eingewilligt, mich mitzunehmen zu einer kleinen Ansiedlung im Hinterland. Der Weg führt steil bergauf, weg von der schmalen Küstenstraße. Zunächst ist er noch mit Zementplatten belegt, danach gibt es nur noch einen ausgetretenen Pfad. Es ist schwül und heiß, Moskitos sirren um uns herum. Nach einer Dreiviertelstunde tauchen die ersten kleinen Hütten auf, sie sind aus Holz, Bambus und Palmwedeln gebaut. Hühner picken im Staub, dünne Hunde stromern herum, eine Kinderschar lugt scheu aus einer Hütte. Ich fühle mich fehl am Platz: zu groß, zu gut angezogen, zu fremd. Ewald Dinter beruhigt die Mangyanen, die vorsichtige bis abweisende Blicke in meine Richtung werfen. Ich sei nur zu Besuch und hätte keine bösen Pläne, sagt er in der Stammessprache. Einige Frauen sitzen vor den Hütten und flechten Korbwaren, es ist ihre einzige regelmäßige Einkommensquelle. Aber beim Verkauf der delikat gemusterten Schalen, Untersetzer und Behälter werden sie häufig betrogen. Geschäftstüchtige Filipinos erstehen das...
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