Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Schmerzerfüllte Schreie drangen vom Platz der Qualen bis zu mir herüber. So schrill und so laut, dass sogar der Sand in der Luft im Takt mit zu vibrieren schien. Diese hohe Stimme hätte ich unter allen Verdammten erkannt. Es war also Elssa, die heute bestraft wurde.
»Macht mich los, verdammte Mörderbande, ich bin unschuldig!«, kreischte sie.
Elssa war ganz sicher nicht unschuldig, keiner von uns Ausgestoßenen war das. Um zu überleben, zwangen uns die Städter, gegen ihre Gesetze zu verstoßen. Aber deshalb musste man uns nicht gleich zu den Sonnen schicken. Doch wenn Elssa bis zum Abend auf dem Platz blieb, würden die Strahlen der zwei Sonnen, Hearre und Nemarre, ihren Rücken durchfressen und sie bei lebendigem Leib verbrennen.
Reglos verharrte ich in meinem Versteck hinter einem der vielen Schutthaufen und dachte nach. Solange ich hier hockte, war ich halbwegs gut verborgen. Doch an öffentlichen Plätzen wie diesen hatten die Wächter des Statthalters überall ihre Augen. Sollte ich versuchen, ihr zu helfen, könnte ich entdeckt werden. Dann würde ich mit Sicherheit selbst auf dem Bestrafungsstein landen und direkt neben Elssa um mein Leben betteln.
Danken würde mir Elssa ohnehin nicht. Die Frau würde mich an den nächsten Sklavenhändler verhökern, ohne mit der Wimper zu zucken, wenn sie die Gelegenheit dazu bekäme. Das einzig Gute an Elssa war ihre Zuneigung zu Lorrin. Wenn es sich mit ihren eigenen Zielen vereinen ließ, schützte sie meinen kleinen Bruder, darauf konnte ich mich immer verlassen. Und das war mehr, als man sonst im Cahchtar erwarten konnte. Statt Freundschaft herrschte hier Rivalität. Für mich selbst gab es nur zwei Ausnahmen, den alten Paddin und Lorrin.
Bis auf Elssas Schreie war es still. Jeder, der es vorzog, nicht lebendig gegrillt zu werden, floh tagsüber in die unteren Ebenen des Cahchtars. Tief in den unterirdischen Gängen war die Hitze erträglicher. Hier oben schützte uns - wenn überhaupt - nur ein grobes Dach vor den schlimmsten Verbrennungen; ein Flickwerk, das aus Blechen, Stoffen, Lederresten und alten Möbelstücken bestand. Alles, was sie in Decta-Verra nicht gebrauchen konnten, entsorgten die Städter vor ihren Toren. Aber ohne ihren Abfall ginge es uns zweifellos noch schlechter.
Vorsichtig spähte ich weiter die nähere Umgebung aus. Der Platz lag eigentlich geschützt unter dem Flickdach. Doch direkt über Elssas Rücken befand sich eine Lücke, durch die die Sonnen ungehindert ihre Strafe verrichten konnten. In ihrem Fall betrug die Öffnung nicht mehr als eine Handfläche. Je nach Vergehen konnten die Löcher größer sein und das Brennen bis zum Tode führen. Der Verurteilte erfuhr vorher nie, wie lange er den Sonnen ausgesetzt wurde. Das wusste ich aus eigener Erfahrung, und diese Ungewissheit hatte ich als besonders grausam empfunden.
Elssas Stimme ging in eine höhere Tonlage über. Sie verfluchte, wen sie nur kannte, auch mein Name fiel.
Ich musste etwas tun, so langsam schwitzte ich mir die Schutzschicht vom Leib. Und dieser Schmierfilm aus Schmutz und Fett war das Einzige, was uns Ausgestoßene für kurze Zeit vor den tödlichen Strahlen der Sonnen schützte.
Damit mich niemand erkennen könnte, müsste ich mich wandeln - und da gab es nur zwei Möglichkeiten. Das kleine Mädchen kam nicht infrage, dafür war Elssa zu schwer.
Bevor ich es mir anders überlegen würde, konzentrierte ich mich auf das Bild der alten Frau. Ich ließ das Alter in meine Knochen kriechen und stellte mir ihre körperlichen Gebrechen vor. Stück für Stück wie ein neues Gewand, das ich mir überzog, veränderte ich mich. Die Feuchtigkeit wich aus meiner Haut, nahm Muskelkraft und Elastizität mit. Dicke bläuliche Adern überzogen meine Hände. Meine Brüste fielen in ihrem Schlangenledergeflecht zusammen und welkten runzlig wie vertrocknete Kakteenfrüchte. Das Einzige, das sich nicht verändern würde, war die kleine sternenförmige Brandnarbe auf meiner rechten Schulter. Die blieb jedes Mal gleich. Sie erinnerte mich immer daran, wie erbarmungslos die Städter selbst einen kleinen Diebstahl bestraften. Dabei hatte ich damals noch Glück gehabt und war den Sonnen nur kurze Zeit ausgesetzt worden.
Jetzt spürte ich die Last des Alters in meinen Knien, die sofort anfingen zu schmerzen. Meine Gelenke knirschten, als ich vorwärtskroch. Selbst meine Augen ließen mich im Stich. Warum musste das Wandeln nur so verflucht real sein? Da ich keinen anderen Wandler kannte, konnte ich niemanden fragen. Nur Paddin und Lorrin wussten von meiner Fähigkeit.
Noch einmal blickte ich mich um, doch ich konnte nichts Auffälliges entdecken. Wer war auch sonst so lebensmüde und robbte hier zu dieser Tageszeit herum? Ich steckte den Krummdolch in das knappe Oberteil. Sobald ich die Deckung verließ, musste es schnell gehen.
Um Elssa vorzuwarnen, ahmte ich den Pfiff einer Jaccula nach. Von diesen zähen, flinken Wüstenratten gab es Unmengen im Cahchtar.
Leider deutete nichts darauf hin, ob Elssa das Signal gehört hatte. Trotzdem kroch ich aus meinem Versteck. Die Mischung aus Sand, Steinen und Dreck scheuerte schon nach wenigen Augenblicken meine trockene Haut auf.
Inzwischen war ich nah genug an den etwa hüfthohen Stein herangekrochen. Mein Atem rasselte. Die heiße, staubige Luft bekam alten Leuten nicht gut. Ich pfiff noch einmal leise, wenigstens dafür war die nun vorhandene Zahnlücke nützlich.
Elssa schrie immer schriller, obwohl das kaum noch möglich war. Sie lag mit dem Bauch auf der flachen Steinfläche, ihre Hände waren über ihrem Kopf mit Seilen befestigt. Die Beine waren gestreckt und ebenfalls gefesselt. Der Rücken hatte sich mittlerweile in eine Blasenlandschaft verwandelt und sah richtig übel aus. Vor dem Brennen entfernten die Vollstrecker immer die Schutzölschicht vom Körper, so konnten die beiden Sonnen das ungeschützte Fleisch grillen.
Als ich ihren Kopf erreichte, verstummte Elssa. Vielleicht hatte sie den Pfiff gehört oder endlich die Besinnung verloren? Der beißende Geruch verbrannten Fleisches drang in meine Nase. Hektisch zückte ich den Dolch und säbelte an den Seilen herum.
Plötzlich bewegte sich ihr knallroter Haarschopf leicht zur Seite, und sie starrte mich aus verquollenen Augen an. In ihrem fiebrigen Blick flackerte ein Funke der Hoffnung auf, bevor sie kurz darauf wieder das Bewusstsein verlor.
Ich arbeitete schneller und befreite Elssas Füße, als ich eine leichte Berührung an meinem Rücken spürte.
»Pst«, zischte es leise hinter mir. Ich wagte nicht, mich umzusehen, sondern hielt nur den Atem an.
»Dachte mir doch, dass du dich nicht raushalten kannst.« Paddins vertraute Stimme war kaum lauter als ein Windhauch.
»Was machst du hier?«, flüsterte ich erleichtert und säbelte weiter an der letzten Fessel.
»Die schaffst du hier nie allein weg.« Er deutete mit seinem knochigen Finger auf Elssa.
»Das lass mal meine Sorge sein. Verschwinde lieber wieder. Dich könnten sie erkennen.«
»Wenn ich schon mal da bin, lass dir helfen .«
»Paddin, du bist zu alt für so was.«
Mein alter Freund kicherte und musterte mich mit seinem einzigen gesunden Auge. »Du etwa nicht, Kairra? Siehst doch selbst gerade so aus, als hättest du schon bessere Tage gesehen. Stell dich nicht so an, ich habe ein großes Tuch aufgetrieben. Da können wir sie drauflegen und einen Teil der Strecke ziehen.«
»Warum musst du dich nur einmischen? Wenn sie uns kriegen, hat Lorrin niemanden mehr.«
»Dann sollten wir schnell verschwinden. Du nimmst die Arme, ich die Beine.«
Ich seufzte und packte zu. Kaum hatten wir Elssas Körper auf das Stück Stoff gehievt, hörte ich ein leises Rascheln. Vor Schreck lockerte ich den Griff, und Elssa rutschte unsanft auf den Boden. Aber dann entdeckte ich eine fette Ratte, die sich trotz der größten Hitze auf die Oberfläche verirrt hatte. Ein Blick auf Elssa verriet mir, dass sie von dem Sturz nichts mitbekommen hatte.
Paddin schnalzte mit der Zunge und warf sein Messer. Selbst auf diese Entfernung traf er den kleinen Körper sicher. Sauber fuhr die Klinge in den Rücken der Jaccula. Die Ratte erzitterte und verreckte auf der Stelle.
»Abendbrot.« Er grinste, holte sich das Tier und warf es in seinen Beutel, dann kniete er neben Elssa nieder.
Ich nickte ihm zu und prüfte rasch, ob Elssa noch atmete. »Lass uns verschwinden. Sie ist noch bewusstlos.«
Wir beeilten uns und packten wieder die Enden des Tuchs, um Elssa vom Platz der Qualen zu schleifen. Ich betete zu Nadorr, dass das Material stabil genug war, um den spitzen Steinen am Boden standzuhalten.
Schweißgebadet erreichten wir den Eingang zu den Gängen und zerrten Elssa in den Untergrund. Als wir etwas weiter in die Tiefe vorgedrungen waren, wandelte ich mich zurück in meine normale Gestalt und atmete auf. Langsam beruhigten sich meine angespannten Nerven.
Die meisten Bewohner des Cahchtars verschliefen die heißesten Stunden des Tages in den tieferen Regionen. Erst wenn die Nacht hereinbrach und der kleine Mond Nadorr aufging, würden sie alle aus ihren Verstecken kriechen. Bis dahin mussten wir Elssa in unsere Höhle gebracht haben. Fast jeder der Ausgestoßenen würde uns für ein paar Tropfen Wasser an die Schergen des Statthalters verraten.
Die Gänge hier unten zählten allerdings zu den seltenen Beispielen für Zusammenarbeit im Cahchtar. Jeder sorgte dafür, dass die Wege zu den Behausungen stabil blieben, denn davon hing das Überleben aller ab. Die Wände bildeten ein Flickwerk aus verschiedensten Baustoffen. Alles war so dicht miteinander verwoben, dass nicht die kleinste Lücke zu sehen war, nur so konnte der feine Sand...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.