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Ronny Müller
Der Abstieg aus der Bundesliga 2021 war für Sven Weingärtner schlimm. Erstmals nach 30 Jahren war der FC Schalke 04 wieder zweitklassig. Weingärtner ist Vorstand des Schalke-Fanclubs "Blau-Weißer Stachel" aus Dortmund. Während sich andere Schalke-Fans in ihrer Trauer verstecken konnten, stand Weingärtner jeden Tag im Rampenlicht. Der 47-Jährige wohnt in Dortmund. Das ist so, als würde ein Hase durch den Fuchsbau hoppeln.
Im deutschen Fußball steigt das Derby-Fieber nirgendwo höher. Schalke gegen Dortmund oder Dortmund gegen Schalke - das Spiel gilt als die Mutter aller Derbys zwischen Rügen und Zugspitze. Wer nackt über die Dortmunder Einkaufsmeile Westenhellweg flaniert, erntet Kopfschütteln. Wer Königsblau trägt, bekommt Ärger.
Weingärtners Vater war einst Stammgast in der Dortmunder Gaststätte "Reiterklause". Samstags trafen sich dort Fußballfans, bevor sie zum Spiel fuhren. Der Senior interessierte sich nicht für Fußball und fragte, ob sie seinen Sohn mal mitnehmen würden. Kein Problem, nur fuhren sie nicht wie erwartet zur Borussia, sondern nach Gelsenkirchen.
"So wurde ich Schalke-Fan. Ich bin schon im blauen Trikot in die Grundschule gegangen", erzählt Weingärtner, geboren 1975. Ablehnung kennt er also von klein auf. "In den 1980er-Jahren war es noch schwierig", erinnert sich der Schalke-Fan. "Blöde Sprüche, Beleidigungen, Gefrotzel unter der Gürtellinie, früher war es viel schlimmer." Sogar Spuckattacken gab es. Mittlerweile hat sich der Pulverdampf verzogen. "Die Leute sind vernünftiger geworden."
Seit 2001 gibt es den S04-Fanclub "Blau-Weißer Stachel" in der schwarzgelben Stadt, er ist der einzige in Dortmund und hat rund 70 Mitglieder. Die meisten Freunde Weingärtners sind BVB-Fans. Aber sie akzeptieren die blau-weißen Sonderlinge. In der Abstiegssaison mussten Weingärtner und seine Fanclubkollegen zunächst viel Häme einstecken. "Das hat sich aber geändert, als der Abstieg feststand. Viele BVB-Fans hatten sogar Mitleid. Kein Derby - das ist schließlich für beide Seiten eine schlimme Zeit."
Anfangs hatte das Duell noch ganz andere Vorzeichen. Im Frühjahr 1904 gründeten Bergleute den Fußballverein Westfalia Schalke. Ab 1924 nannte man sich Schalke 04 und machte sich mit schnellem Passspiel, dem Schalker Kreisel, einen Namen. Alles drehte sich um Ernst Kuzorra und Fritz Szepan, sie machten Schalke zu einer Spitzenmannschaft. Zwischen 1934 und 1942 erklomm Blau-Weiß sechsmal den deutschen Thron.
Borussia Dortmund, im Dezember 1909 gegründet, war in diesen Zeiten noch ein kleines Licht. Ab dem ersten Duell im Mai 1925 bis Februar 1944 sind 19 Derbys verzeichnet. Davon verlor die Borussia 17, darunter eine 0:10-Backpfeife im Oktober 1940. Das Verhältnis der Vereine war jedoch gut. Schalke bestritt sogar einige Spiele im Dortmunder Stadion "Rote Erde".
Nach der ersten deutschen Meisterschaft 1934 hielt der Schalker Siegerzug in Dortmund, es gab eine Gratulationscour bis zum Rathaus, wo sich die Schalker ins Goldene Buch der Stadt Dortmund eintrugen. S04-Legende Ernst Kuzorra übernahm 1935 sogar aushilfsweise für einige Wochen das Traineramt bei der Borussia.
Nach dem Krieg bekam der Kreisel immer mehr Unwuchten. Im Mai 1947 unterlag Schalke im Finale um die Westfalenmeisterschaft 2:3 gegen Dortmund. Es war so etwas wie eine Palastrevolution im Pott, und der Beginn sportlicher Rivalität.
Zwischen 1947 und 1963 maßen sich Dortmund und Schalke in der Oberliga West, damals die höchste Spielklasse. Von 32 Spielen gewann Dortmund 15, Schalke nur sieben. Dennoch verstand man sich weiter gut. Die Spielerfrauen trafen sich bei Derbys zu Kaffee und Kuchen. "Wir wurden bewirtet unter der Tribüne und hatten einen guten Draht zu den Frauen aus Schalke", erzählt Willi Burgsmüllers Frau Bruni im 2011 erschienenen Buch Revierderby - Die Geschichte einer Rivalität von Gregor Schnittker.
1956 holte der BVB seine erste deutsche Meisterschaft: Die Mannschaft um den Ex-Schalker Herbert Sandmann schlug im Finale den Karlsruher SC 4:2. Ein Jahr später wiederholte Trainer Helmut Schneiders Team den Coup mit einem 4:1 gegen den Hamburger SV. 1958 wurde Schalke 04 zum bisher letzten Mal deutscher Meister. 3:0 hieß es gegen den Hamburger SV. Letzter Meister vor Einführung der Bundesliga wurde erneut Dortmund - 3:1 gegen den 1. FC Köln.
Mit dem Start der Bundesliga 1963 machte sich Dortmund im Oberrang der Tabelle sesshaft. Schalke dagegen richtete sich im Souterrain ein. In der Spielzeit 1964/65 gewannen die Dortmunder nicht nur die beiden Derbys mit 6:2 und 4:0, sondern auch erstmals den DFB-Pokal. Schalke wurde Tabellenletzter und entging dem Abstieg nur durch die Aufstockung der Bundesliga sowie den Zwangsabstieg von Hertha BSC. In der folgenden Spielzeit ging Schalke im Derby in Dortmund sogar mit 0:7 unter.
Dieses Ergebnis habe selbst den Dortmundern wehgetan, schwadronierte nach dem Spiel der Kicker-Reporter: "In Dortmund schlecht über den FC Schalke 04 sprechen, kommt einem (westfälischen) Landesverrat gleich." Ein paar Wochen später gewannen die Borussen auch noch den Europapokal der Pokalsieger durch ein 2:1 nach Verlängerung gegen den FC Liverpool. Das entscheidende Tor schoss ausgerechnet Reinhard "Stan" Libuda, der trotz seines BVB-Abstechers von 1965 bis 1968 zur Schalker Jahrhundertelf gehört. Mit dem ersten europäischen Titel eines deutschen Clubs zementierte Dortmund scheinbar die Vorherrschaft im Pott.
Daran änderte auch das "Schäferhund-Spiel" nichts. Am 6. September 1969 trafen Dortmund und Schalke im Stadion Rote Erde aufeinander. Offiziell 39.200 Zuschauer, vermutlich einige mehr, drängelten sich bis an den Spielfeldrand. Als Schalke durch Hans Pirkner in Führung ging (Endstand 1:1), stürmten die Gästefans den Rasen. Einigen Ordnern gingen die Schäferhunde durch, so wurden die Schalker Friedel Rausch (Po) und Gerd Neuser (Oberschenkel) gebissen.
Er habe einige Nächte nur auf dem Bauch schlafen können, sagte Rausch. Beide bekamen vom BVB 500 D-Mark Entschädigung. Im Rückspiel ließ S04-Präsident Günter Siebert ein paar Löwen in die Manege führen - zum Glück angekettet. Das Hund-Großkatz-Spiel hat sicher einen Ehrenplatz im Kuriositätenkabinett der Bundesliga.
Ab 1967 entwickelte sich die Borussia vom Löwen zum Bettvorleger, wurde wegen finanzieller Probleme von einem Titelaspiranten zu einem Abstiegskandidaten und torkelte 1972 tatsächlich in die Zweitklassigkeit. Schalke dagegen erreichte 1969 das Pokalfinale gegen den Meister Bayern München (1:2), durfte im Europapokal der Pokalsieger starten und scheiterte 1970 erst im Halbfinale an Manchester City (1:0, 1:5).
Ein Jahr später schlitterte Schalke 04 in den Bundesliga-Skandal, weil zahlreiche Spieler das Heimspiel gegen Arminia Bielefeld (0:1) manipuliert hatten. Da sich die Aufarbeitung in die Länge zog und Sperren erst viel später griffen, schafften die Königsblauen 1972 die Vizemeisterschaft und gewannen sogar den Pokal durch ein 5:0 gegen den 1. FC Kaiserslautern. Aber den Schaden durch die Beteiligung am Bundesliga-Skandal konnten die Erfolge nicht aufwiegen. Schalke wurde als "FC Meineid" verspottet.
Die 1970er- und 1980er-Jahre waren für beide Clubs weitgehend vergnügungssteuerfrei. Als die Borussia 1974 das Westfalenstadion einweihte, kam Schalke zur Eröffnung, ein friedliches Fest. Nach Dortmunds Aufstieg 1976 waren Derbys jedoch oft von Gewalt geprägt. Dortmund war bis auf den Pokalsieg 1989 allenfalls Bundesliga-Durchschnitt, Schalke stieg 1981, 1983 und 1988 sogar dreimal ab.
Gerhard Kleppinger (1958 geboren) kam 1984 aus Karlsruhe zu Schalke 04 und machte sich schnell beliebt. Insbesondere in Derbys konnte er auftrumpfen. "Wir hatten immer viele Fans beim Training, in der Woche vor dem Derby waren die richtig geladen, wir sollen uns Samstag den Arsch aufreißen", erzählt Kleppinger, der damals in Dorsten (Kreis Recklinghausen) wohnte. "Ich konnte nicht vor die Tür gehen, ohne auf das Derby angesprochen zu werden."
Die Rivalität außerhalb des Platzes spiegelte sich auf dem Rasen. Für dieses Buch erinnert sich Kleppinger: "Unter den Spielern haben wir uns auf dem Platz bekämpft und beknüppelt, aber danach war die Rivalität vergessen. Wir haben sogar mal zufällig Dortmunder Spieler in Portugal im Urlaub getroffen und hatten viel Spaß zusammen." In 106 Spielen für Königsblau traf der Abwehrspieler 13-mal.
Gegen Dortmund hält er sogar bis heute einen Rekord. Kein S04-Spieler hat in der Bundesliga öfter gegen die Borussia getroffen. Klaus Fischer, Kevin Kuranyi, Olaf Thon und Klaas-Jan Huntelaar kommen ebenfalls auf fünf...
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