MENSCHEN UND TEAMS ENTWICKELN
Viele Organisationen setzen Scrum wie ein Theater ein. Nicht zufällig spricht man zuweilen auch vom "Scrum-Theater". Sie besetzen die Scrum-Rollen, führen die Events durch, füllen Product- und Sprint Backlog, sprechen von "Done" und "Inkrement" und "Burndown Charts". Trotzdem bleibt der große Erfolg ihrer Bemühungen aus oder er bleibt weit hinter dem zurück, was eigentlich möglich ist, weil sie die essentielle Wahrheit von Scrum nicht verstanden haben und deshalb den Fokus ihrer Bemühungen auf Nebensächlichkeiten lenken.
Die Kraft und Wirksamkeit von Scrum liegt zum überwiegenden Teil im Scrum-Team, deren Zusammenarbeit und deren Wachstum als Team wie auch als Individuen. Alles andere wie die Rollen, die Events, die Artefakte sind nur Werkzeuge, welche das Team dabei unterstützen sollen, seine Aufgabe möglichst gut und zielführend wahrzunehmen. Es ist die Aufgabe der Führungsperson, die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten zu schaffen, dass das Team seine Verantwortung wahrnehmen und erfolgreich arbeiten kann. Dabei geht es nicht um Auftrag und Kontrolle, sondern um die Schaffung von Rahmenbedingungen, das Leben von Werten (nicht plakativ, sondern tatsächlich im Alltag) als Führungsperson, aber auch als Teil der Unternehmensstrategie.
Selbst organisierte Teams
Ken Schwaber schreibt in seinem Buch "Agile Project Management with Scrum":
"Being managed by someone else is totally ingrained in our life and work experience. Parents, teachers, and bosses who teach us to selfmanage instead of striving to fulfill their expectations are rare. Why should we expect that when we tell a Team that it is responsible for managing itself, it will know what we are talking about? "Selfmanagement" is just a phrase to them; it isn't yet something real. A Team requires concrete experience with Scrum before it can truly understand how to manage itself and how to take the responsibility and authority for planning and conducting its own activities. Not only must the ScrumMaster help the Team to acquire this experience, but the Scrum Master must also do so while overcoming his or her own tendencies to manage the Team. Both the ScrumMaster and the Team have to learn anew how to approach the issue of management."
Die Aufgabe eines Scrum-Masters, ein Team beim Entwickeln einer Selbstorganisation zu unterstützen, ist eine doppelte Herausforderung. Zum einen muss er dabei Menschen einen Ansatz nahebringen, der zwar wohl intellektuell verstanden wird, dem Erleben vieler Beteiligter aber diametral entgegensteht. Dabei muss er selbst dies auf eine Art tun, welche diese Selbstorganisation nicht ihrerseits beschneidet. Es wäre also kontraproduktiv, dem Team Selbstorganisation vorzuschreiben, vielmehr müssen Scrum-Master und Entwicklung gemeinsam einen parallelen Prozess gehen, der sich auch nicht abkürzen lässt. Auch dieser Prozess basiert auf dem Inspect & Adapt-Ansatz von Scrum. Das Team und seine Teammitglieder müssen die Entwicklung basierend auf eigenen Erfahrungen steuern und vorantreiben.
Warum aber sollten sie dies überhaupt tun?
In den Prinzipien zum agilen Manifest steht zu lesen:
"Die besten Architekturen, Anforderungen und Designs entstehen aus selbst organisierenden Teams."
und es lässt sich dort auch ein 2. Prinzip finden, welches bedacht werden sollte:
"Errichte Projekte rund um motivierte Individuen.
Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen,
und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen."
Die beiden Aussagen scheinen darauf hinzudeuten, dass Selbstorganisation etwas besonders Wichtiges im Kontext von Agilität ist. Was ist nun aber der Nutzen davon? Geht es nur um eine gewisse Art von "geistiger Befreiung" der Mitglieder eines Entwicklungsteams? Selbstorganisation bedeutet erheblich mehr. Sie fußt auf der Überzeugung, dass Menschen, welche als Team zusammen auf ein Ziel hinarbeiten, mehr erreichen als die Summe ihrer Einzelteile, und darauf, dass Entwicklung zu mehr nicht durch äußeren Zwang oder äußere Anreize entsteht, sondern durch die eigene Weiterentwicklung als Individuum und als Team. Diese aber ist nur im Sinne eines selbst durchlebten Entwicklungsprozesses erreichbar. Ein solcher ist selbstredend keine lineare Entwicklung, sondern eher zirkulär. Er wird getragen von Transparenz, Überprüfung und Anpassung des selbst organisierten, selbstverantwortlichen Teams.
Nur so kann ein Scrum-Team sicherstellen, dass es immer mehr Nutzen für den Kunden realisieren kann. Die eigenen Fähigkeiten als Individuum, aber auch die Zusammenarbeit als Team bildet hierfür die Grundlage.
Facilitation (Moderation)
Eine der Aufgaben eines Scrum-Masters ist es, Scrum-Ereignisse (Events) zu moderieren. Der englische Begriff dafür heißt "Facilitation". Neben dieser Moderation im engeren Sinne macht es aber durchaus auch Sinn, die Moderation in weiterem Kontext zu sehen, in dem der Scrum-Master grundsätzlich dazu beitragen soll, Kommunikation zwischen den Mitgliedern des Scrum-Teams sowie auch von diesen mit Außenstehenden zu unterstützen.
Oft wird Moderation so gesehen, dass es hier hauptsächlich darum ginge, hierbei das Wohlbefinden der Beteiligten zu stärken, und da "Softfacts" ohnehin in vielen Organisationen eher als sekundär gelten, wird das Ganze von manchen Organisationen eher als eine vernachlässigbare Thematik angesehen. So ist es auch nicht erstaunlich, dass viele Organisationen Scrum entweder ganz ohne Scrum-Master durchführen möchten oder aber einen einzigen Scrum-Master für eine Vielzahl von Teams abstellen und ihm damit jede Möglichkeit nehmen, wirklich effektiv zu werden. Wer Erfahrung mit der Führung von Projekten gemacht hat, müsste schon recht bald erkannt haben, dass die Kernkompetenz und der zentrale Erfolgsfaktor in jeder Art von Projekten in der Kommunikation liegen. Genau in diesem Kontext ist "Facilitation" zu sehen. Gespräche zu unterstützen, die das Verständnis für die Anforderungen, Bedürfnisse, Wichtigkeiten und Beschränkungen des Gegenübers erstellen und damit erst die Möglichkeit geben, maximalen (Kunden-) Nutzen zu erzeugen. Dies geschieht in Gesprächen mit Kunden und Stakeholdern allgemein, dies geschieht aber genauso, indem teaminterne Gespräche gefördert werden, um ein gemeinsames Verständnis für die zu erstellende Lösung zu fördern, ein Mitdenken und eine Identifikation mit dem Projekt. Statistiken besagen, dass in manchen Ländern 15 % der Mitarbeiter innerlich gekündigt haben und 70 % lustlos und unmotiviert Dienst nach Vorschrift machen. Nur gerade 15 % der Mitarbeiter eines durchschnittlichen Betriebs sind motiviert und identifizieren sich mit ihrer Arbeit. Stellen Sie sich vor, was einem Unternehmen möglich wäre, wenn es zu schaffen wäre, diesen Prozentsatz der Motivierten von 15 auf nur 30 % zu heben. Wäre es das nicht wert, gute Scrum-Master einzusetzen und ihnen die Rahmenbedingungen und Mittel zu geben, um effektiv zu wirken? Genau hier kann Moderation wirken.
Nach meiner persönlichen Erfahrung ist die Moderation sehr anstrengend und anspruchsvoll, weil:
- Menschen dabei unterstützt werden müssen, ihre Motivation aufrechtzuerhalten
- Menschen dabei unterstützt werden müssen, getroffene Vereinbarungen einzuhalten
- man zugleich neutral und unparteiisch bleiben muss.
Was bedeutet Facilitation eigentlich? Facilitation kommt von dem lateinischen Wort Facilis, was bedeutet, etwas einfach oder möglich zu machen. Moderation kommt vom lateinischen Wort Moderare und steht für ausgleichen.
Im Allgemeinen besteht das Ziel der Moderation darin, der Gruppe zu helfen, eine gemeinsame Entscheidung zu treffen, die von allen Beteiligten mitgetragen werden kann. Im Gegensatz zum Coaching umfasst die Moderation immer eine Gruppe von Personen, obwohl die moderierte Veranstaltung als Gelegenheit für den Scrum-Master genutzt werden kann, die Gruppe zu coachen, um ihre Effektivität bei der Zusammenarbeit bei der Generierung kollektiver Intelligenz zu steigern.
Warum brauchen wir Moderation? Ansätze von Befehl und Gehorrsam, wie sie noch im 19. Jahrhundert üblich waren, setzen nicht nur ein Gefälle an Macht, sondern auch ein Gefälle an Information und Wissen voraus. Menschen zogen Autorität zu absoluter Entscheidung herbei, basierend auf Rang, Titeln oder auch ihrer Position innerhalb eines Systems und der damit verbundenen Möglichkeit, Entscheidungen durchzusetzen. Aber im 21. Jahrhundert gibt es keine absoluten Wahrheiten mehr, wir leben in einer immer komplexer werdenden Welt, Wissen wird für ein breiteres Spektrum von Menschen zugänglicher und diejenigen, die Macht haben, sind nicht länger die klügsten Personen im Raum. Organisationen, welche Entscheidungen basierend auf der Meinung oder Erkenntnis weniger Personen abstellen, werden in Anbetracht der zunehmenden Komplexität von Umgebung und Systemen nicht mehr in der Lage sein, innerhalb sinnvoller Zeit optimal zu agieren.
Kurz gesagt, kollektive Intelligenz und Einfallsreichtum sind der Erfolgsfaktor...