Schweitzer Fachinformationen
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Die Sonne hat sich in den letzten Tagen immer erfolgreicher durch das trübe Grau gekämpft.
Es liegt der Frühling in der Luft. Der Wind jedoch umweht uns weiter recht eisig. Die Bäume sind bereits mit Knospen übersät und Vögel singen ihre Freude darüber lauthals von den Ästen. Es wäre ein fast schon vollkommener Moment, würde mir nicht die Nässe so zusetzen. Ich liege zusammengekauert in einer Senke, in der sich das Regenwasser sammelt. Neben mir liegt Heinz, ein Schulkamerad und richtiger Freund. Er kaut nervös auf einem Zweig herum, während er durch den Feldstecher starrt.
"Und, siehst du was?", frage ich ihn.
"Nichts! Nur Gestrüpp und kahle Bäume. Der Arsch der Welt und wir hocken uns hier blöde den Hintern breit!"
Ich bemerke, wie es in Heinz brodelt, da er sich, seit wir eingezogen worden sind, nichts sehnlicher wünscht, als dem Feind Auge in Auge zu begegnen. Was meine Meinung darüber ist, erzähle ich ihm lieber nicht. Seine Reaktion wäre sicher unschön. Mir kommt es gelegen, dass wir seit Wochen nur durch die Botanik ziehen, ohne dass wir in ein Gefecht geraten sind. So blauäugig bin ich schon lange nicht mehr wie einst, als wir nach der Schule ins Kino gingen, um die Wochenschau zu sehen. Da wurde nur heroisiert, denn die Realität sieht bei weitem anders aus.
Heinz hingegen ist linientreu, wie man zu sagen pflegt, und brennt darauf, seine Treue unter Beweis zu stellen. Als wir eingezogen wurden, hat man uns mehr schlecht als recht durch die soldatischen Einweisungen getrieben, damit wir so schnell wie möglich in den Krieg eingreifen können. Werner, ebenfalls ein Schulkamerad von mir, und ich haben danach einen Eignungstest für die Offiziersausbildung absolviert, den wir bestanden. Heinz hätte sich auch daran beteiligen können, doch er hat es für Zeitverschwendung gehalten, da er den praktischen Umgang mit einem Karabiner einer theoretischen Ausbildung vorzieht.
So hat es nicht lange gedauert und wir saßen auf der Ladefläche eines LKW's und fuhren von unserer Kaserne aus in Richtung Front. Lange waren wir nicht unterwegs. Die Kampflinie befindet sich bereits inmitten Deutschlands. Unser Haufen ist ein zusammengewürfeltes Absurdum aus Grüngesichtern zwischen fünfzehn und achtzehn Jahren. Ich bin gerade erst sechzehn, soll im Juli siebzehn werden und hoffe, diesen Geburtstag auch erleben zu dürfen.
Unsere Truppe untersteht Feldwebel Willy Gruber, Träger des Gefrierbrandordens, den er erhalten hatte, weil er den Russlandfeldzug mitgemacht hatte. Ebenso prangt das Eiserne Kreuz 2. Klasse und das Verwundetenabzeichen in Silber an seiner Uniform. Gruber lahmt etwas mit seinem linken Fuß, woraus ich schloss, dass er einen Oberschenkelschuss erlitten oder einen Splitter im selbigen Bereich seines Beines haben musste. Er ist sehr reserviert im Umgang mit uns. Nicht, was die Befehle betrifft, da ist sein Ton der eines Schleifers, rau und gnadenlos. Wir seien doch alle noch Küken, grün hinter unseren Ohren, und sollen von einem Tag auf den anderen die Verteidiger des Reiches sein, die sich mit glühendem Herzen den anrollenden Alliierten entgegenstellen, damit der Endsieg errungen würde. Was für ein Witz! Ich denke es mir nur, es auszusprechen bedeutet die Wand.
Immerzu muss ich an das traurige Gesicht meiner Mutter denken, als sie mich verabschiedete. Mein Vater, typisch der kalte Block, war das ganze Gegenteil, er hat keine Miene verzogen. Meine Mutter ist von Hause aus schon eine zerbrechliche Natur, fast wie aus Glas. Es kostete sie viel Kraft, mich gehen zu lassen.
Meine ältere Schwester Erika leidet darunter, dass ich in den Krieg ziehen musste, obwohl dies sicherlich nicht der einzige Grund ist, weshalb sie schluchzend im Hauseingang stand.
Unsere Familie ist bereits zerrüttet. Vater hat sich immer mehr von uns abgewandt, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er uns verlässt. Wir wissen das, sprechen aber nie darüber, dieses Thema ist tabu. So zog ich fort, ohne die Gewissheit zu haben, ob ich wieder gesund nach Hause kommen und ob ich alles wieder so vorfinden würde, wie ich es gewohnt bin. Das Einzige, was mir bleibt, sind Erinnerungen an glückliche Tage, als ich mit Vater und Erika in den Sommerferien durch die Lande zog und wir gemeinsam musizierten. Diese Rückblicke stärken in dieser Zeit. So oft es geht, hole ich mir diese Tage wieder vor mein geistiges Auge.
Wie erwähnt, bin ich mit Heinz Friedrich und Werner Jankow in einer Gruppe zusammen. Das ist ebenfalls ein Trost, denn wir sind auf dieselbe Schule in Saalfeld/Neustadt gegangen und wohnten nur ein paar Meter voneinander entfernt. Heinz ist immer schon der Anführer gewesen. Er ist einen Kopf größer und hat breitere Schultern als Werner und ich. So ist auch sein Gemüt etwas wilder als das unsere. Werner hingegen ist eher von schmächtiger Natur, was auch auf die meine zutrifft, nur bin ich doch etwas drahtiger. Werner ist ein Naturtalent im Zeichnen von Portraits, malt so oft es geht, was ihm in den Unterrichtsstunden oft zum Verhängnis wurde. Meine Stärke liegt im Organisieren und Ausführen von kleineren explosiven Experimenten. Ich muss an den Start meines selbstgebauten Fliegers denken, der mit einem Mords Karacho ins offenstehende Wohnzimmerfenster unseres Nachbarn gedonnert war und dort den Teppich angesengte. Das hatte Ärger gegeben! Vater hatte mich mit seinem Dachdeckergürtel derart verhauen, dass ich mich wochenlang kaum hatte rühren können.
Die Zeiten haben sich seitdem sehr verändert, obwohl der Abstand zu diesen Tagen nicht wirklich groß ist, doch es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, wie ich in meiner nassen Kuhle liege und darüber sinniere. Heinz starrt fortwährend durch seinen Feldstecher, der nicht Wehrmachtseigentum, sondern ein Geschenk seines Vaters ist. Das Glas ist weitaus besser als die üblichen Gucker, eine Maßarbeit von Carl Zeiss Jena. Heinz gibt es nie aus der Hand.
"Mensch, mir ist langweilig! Wenn nicht bald etwas passiert, gehe ich wieder heim!"
"Tschüss und Waldmanns Heil", knurrt Heinz ungeduldig.
"Du kannst es ja mal versuchen, Heinz, weit wirst du nicht kommen", kontere ich belehrend.
Den Zweig ausspuckend setzt er sein Glas ab.
"Ich will ja damit nur sagen, dass wir hier für die Katz sitzen! Quasi in der Etappe, wie bestellt und nicht abgeholt! Da kämpfen da vorne unsere Soldaten aufopfernd gegen den Feind, und wir schaukeln uns hier die Eier", motzt Heinz weiter und verfängt sich beinah in eine lautstarke Hasstirade.
"Das hat aber der Alte zu entscheiden, Heinz, ob wir jetzt hier nur rumliegen und die Bäume blankglotzen oder eben an ihnen schreiend raufklettern! Da kannst du dich auskotzen, wie du willst! Befehl ist Befehl!", belferte ich zurück, "Sei froh, dass wir nur herumsitzen, oder hast du vergessen, was mit Karl passiert ist?"
Karl Lüpke war mit uns in der Ausbildung. Der hellste war er nicht, aber nett, und immer ein Grinsen im Gesicht, als gäbe es nichts Schlechtes auf der Welt. Aber Krieg ist nun mal schlecht, dass musste Lüpke am eigenen Leibe spüren und zum Schluss teuer bezahlen.
Mit Brückensprengungen geht stets die Gefahr einher, dass man beim Platzieren der Sprengsätze abrutscht. Das ist zum einem witterungsabhängig und zum anderen der Beschaffenheit des Materials geschuldet. Jedoch ist der wichtigste Aspekt hierbei die Geschicklichkeit beim Klettern sowie die ständige Kontrolle der eigenen Sicherheit. Lüpke war zwar gesichert, doch er hatte den Karabinerhaken nicht fest genug verschraubt, so dass dieser sich wieder beim Hangeln und Drehen vom Seil ablöste.
Mit einem gewaltigen Schrei war Lüpke in die Tiefe gerauscht. Mit Entsetzen sah ich, wie er mit seinen Armen fuchtelte, bevor er dumpf am Boden aufschlug. Es waren nur knappe zehn Meter nach unten, aber er war sofort tot.
Der Alte hatte uns mit einem Donnerwetter überzogen, wie ein wilder Stier gebrüllt, war regelrecht aus seiner dünnen Haut gefahren. Doch es half dem armen Kerl ja nicht mehr, brachte ihn nicht mehr ins Leben zurück. Unser Feldwebel muss genau wie wir alle damit klarkommen. Kollateralschaden! So war das Einzige, das wir für unseren verstorbenen Kameraden noch tun konnten, die Beisetzung seiner sterblichen Überreste. Wir hatten ein schmales Feldgrab ausgehoben, in das wir ihn betteten. Wir mussten ihn zurücklassen, da wir mit uns selbst schon genug belastet waren. Die Gruppe hatte sich um sein Grab gesammelt, das wir mit einem Birkenholzkreuz versahen, auf das, wie es üblich war, sein Helm aufgestülpt wurde. Ich markierte die Stelle in meiner Feldkarte. Vielleicht könnte ich später, wenn der Krieg vorüber sein würde, Karls Eltern diese Stelle zeigen.
Zuvor aber zerbarst die Brücke in tausend Trümmerteile. Ein Mordsrumms schallte uns durch die Gehörgänge. Die Sprengung war erfolgreich. Der Ivan würde nun seine lieben Probleme damit haben, das schwere Gerät durch das Tal mit seinen steilen Dämmen zu manövrieren. Auftrag wieder einmal erledigt!
Es ziehen langsam schwarze Wolken zu uns rüber. Fette Wampen voll Wasser! Unwetter!
"War ja klar! Jetzt wird uns das Loch volllaufen", fluche ich wie ein Weberknecht und lege den Becher resignierend beiseite, mit dem ich die ganze Zeit das Wasser aus der Mulde schöpfe. Das ist ja sowieso umsonst. Wir haben nichts, um uns vor dem bevorstehenden Guss zu schützen. Heinz und ich versuchen nun trotzdem, eine Überdachung zu zimmern. Wir stecken vier halbwegs stabile Stecken ins feuchte Erdreich und spannen meinen Wollmantel darüber. Mit voller Wucht erbricht sich kurz darauf das Unwetter. Der Wind...
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