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Alf oder Boris Becker? Das ist die Frage an diesem sonnigen Juni-Tag, der 22. im Jahr 1992. Im ZDF läuft in wenigen Minuten die neue "Alf"-Folge. Auf diese US-Sitcom können meine Uroma Lissi, zu diesem Zeitpunkt stolze 86 Jahre alt, und ich uns eigentlich immer einigen. Als 11-Jähriger finde ich es traumhaft, wenn der knuffige Außerirdische vom Planeten Melmac mit seinen kurzen Beinen über den Bildschirm flitzt und das Leben der Familie Tanner in einem Vorort von Los Angeles auf den Kopf stellt. Meine Uroma findet es traumhaft, Zeit mit ihrem Urenkel zu verbringen - das hoffe ich jedenfalls - und dieses orange Etwas aus dem All hat es ihr allerdings auch angetan. Ich liege dann in der Regel auf dem Boden direkt vor dem Fernseher. Natürlich viel zu nah am Bildschirm, finden meine Eltern. Wenn meine Mutter durch das Zimmer läuft, höre ich nur: "Nicht zu nah am Fernsehen. Das ist schlecht für deine Augen!" Uroma Lissi ist das egal. Sie sitzt schräg hinter mir in ihren beigegrauen Stoffsessel vertieft. Manchmal ist sie so vertieft in ihren Sessel, dass ich nur ein leises Schnarchen von hinten höre. Doch an diesem Tag, an diesem sonnigen Montag, ist sie hellwach. Und nervös. Bis heute habe ich keinen blassen Schimmer, woher sie es weiß, aber kurz nach dem "Alf"-Vorspann fragt sie: "Spielt heute nicht der Boris?"
Ja, der Boris spielt heute. Erste Runde in Wimbledon. Gegen den Italiener Omar Camporese.
Zunächst denke ich, sie will sich bei mir einschleimen. Sie weiß schließlich nur allzu gut, wie wichtig ihrem Urenkel Tennis ist. Jedes Mal, wenn ich mit meiner Mutter aus unserem winzigen Dorf Eitra zu ihr in das nicht ganz so winzige Dorf Lispenhausen in Osthessen fahre, ist mein Tennisschläger dabei. Stundenlang schlage ich Bälle gegen das Tor der Werkstatthalle meines Opas auf dem Hof. Wenn nicht gerade "Alf" im Fernsehen läuft.
Gegen Boris Becker hat Alf-Protagonist Gordon Shumway heute allerdings keine Chance. Lissi und ich schalten ein bisschen umher, suchen den übertragenden Sender. 1992 dauert das nicht so lange. Die Auswahl an Fernsehsendern ist begrenzt. Wir werden fündig. RTL, Sendeplatz acht. Hier schlägt Boris Becker gegen Omar Camporese auf. Und jetzt sind meine Uroma und ich live dabei. Wir sagen nicht viel - und wenn, dann brummelt meine Oma ein bisschen vor sich hin. An einen Satz kann mich aber noch erinnern: "Das sieht so einfach aus ."
Boris erledigt seine Pflichtaufgabe gegen Camporese an diesem Tag ohne Probleme. Mit 7:5, 6:3, 7:5 zieht er in die nächste Runde ein. Zugegeben: Das Ergebnis hatte ich nicht mehr im Kopf. Ich musste es nachschauen. Etwas anderes ist mir aber noch sehr präsent. Als Boris mit 2:0-Sätzen führt und alles auf einen Sieg des Deutschen hinausläuft, fragt mich meine Uroma Lissi: "Junge, hast du wieder deinen Tennisschläger dabei?" "Klar, der liegt vorne. Direkt neben der Halle."
Nach dem Boris-Spiel schaffen wir es sogar noch für eine paar Minuten, uns der neuen "Alf"-Folge zu widmen. "Parasit mit Puderquaste" - eine traumhafte Folge. Auch das musste ich nachschauen. Als ich allerdings wieder mal kurz in die Folge hineingesehen habe, wie Alf als Kosmetik-Vertreter die klamme Haushaltskasse der Tanners aufbessern möchte, war es binnen Sekunden um mich geschehen. Er kriegt mich halt immer wieder, dieser kleine Außerirdische. Doch das ist eine andere Geschichte.
In Lispenhausen suchen meine Mutter, meine Schwester und ich im Juni 1992 unseren Kram zusammen. Ab nach Hause. Zurück nach Eitra, gut 20 Kilometer von Lispenhausen entfernt. Aber was ist dieser dumpfe, immer wiederkehrende Knall? Bum. Bum. Pause. Dann wieder. Bum. Bum. Pause. Bum. Bum.
Das kommt doch von draußen. Von der Halle. Meine Schwester und ich laufen raus und sehen unsere Uroma Lissi. Sie steht mit dem Schläger vor dem Tor der Werkstatthalle auf dem Hof und versucht, den Ball gegen das Tor zu schlagen. Mehr als zweimal nacheinander trifft sie den Ball jedoch nicht. Als sie meine Schwester und mich sieht, sagt sie direkt zu uns: "Das gibt es doch nicht! Beim Boris sieht das so einfach aus!" Meine Mutter kommt mit dem Autoschlüssel in der Hand dazu und ist sicher: Jetzt ist Lissi endgültig verrückt geworden! Ich dagegen bin begeistert. Eine Uroma, die "Alf" schaut und danach mit 86 Jahren zum ersten Mal den Tennisschläger schwingt.
Dieser Tag sagt viel über meine Uroma Lissi aus. Aber dieser Tag sagt auch viel über den Tennisspieler Boris Becker aus. Über seine Größe. Seine Bedeutung. Seine Wirkung. Auf die Tenniswelt. Ein ganzes Land. Und eine 86-jährige Frau in Lispenhausen - und ihren Urenkel.
In den nächsten Jahren begegnet mir Boris Becker immer wieder. Nicht nur im Fernsehen. Meine Uroma hat ja recht. Tennis ist mir in der Tat sehr wichtig. Ich spiele nicht nur gegen das Tor der Werkstatthalle in Lispenhausen. Anfang der 90er-Jahre trainiere ich bereits mehrfach die Woche und spiele einige Turniere. Zunächst hauptsächlich auf regionaler Ebene. Und mit den Jahren werden die Turniere größer. Aus Kreismeisterschaften werden Bezirksmeisterschaften sowie daraufhin Hessische Meisterschaften. Dort laufen mir dann auf den Turnieren andere Talente wie Rainer Schüttler oder Andrea Petkovic über den Weg. Es sind die Jahre, in denen der DaimlerChrysler-Konzern sehr aktiv ist im deutschen Jugendtennis. 1997 ruft der Autohersteller gemeinsam mit Boris Becker das Mercedes Junior Team ins Leben. Mit dem wenig zurückhaltenden Ziel, den neuen Boris Becker zu finden. Die Karriere Beckers neigt sich da mit 30 Jahren so langsam dem Ende entgegen. Zu aufwendig für seinen Körper war seine Spielweise. Daher braucht Tennis-Deutschland Nachschub. Einen neuen Boris. Jährlich 1,5 Mio. Mark investiert der Automobilkonzern. Hauptamtliche Betreuer sind der ehemalige Frauen-Bundestrainer Klaus Hofsäss und der bayrische Verbandstrainer Klaus Langenbach.
Anfangs ist man sich nicht ganz im Klaren, wie groß man das Mercedes Junior Team anlegen will. Wie viele Talente man darin aufnehmen soll. Einig ist man sich dagegen, dass es nur eine männliche Variante des Teams geben wird. Daher erhalten auserwählte (männliche) Nachwuchsspieler die Möglichkeit, an Turnieren teilzunehmen, bei denen man sich für das Junior Team qualifizieren kann. Und bei einigen Veranstaltungen ist auch Boris Becker vor Ort. Auch bei einem Sichtungsturnier, an dem ich teilnehmen darf. Man kommt ihm dabei zwar nicht besonders nahe, aber mir reicht es schon, dass es vielleicht sogar mit ein bisschen Glück so war, dass Boris ein paar Schläge von mir beobachtet hat.
Schnell wird jedoch klar, dass es für mich nicht reichen wird, da das Mercedes Junior Team doch klein gehalten werden soll und lediglich einem sehr elitären Kreis vorbehalten bleibt. Mit dem 20-jährigen Nicolas Kiefer und dem 22 Jahre alten Alex Radulescu sind gar zwei Spieler dabei, die den Talentstatus streng genommen schon überwunden haben und bereits Erfahrungen auf der ATP-Tour sammeln konnten. Dazu kommen mit Björn Phau, Boris Bachert und Daniel Leßke noch drei jüngere Spieler. Wirklich eine kleine illustre Runde. Jedenfalls ist kein Platz mehr für mich.
Aber immerhin konnte ich Boris Becker mal etwas näher sehen - ist ja auch schon mal was. Aber bald komme ich ihm richtig nahe. Der Sparkasse Bad Hersfeld-Rotenburg sei Dank.
Es ist das Jahr 1998. Für das ATP-Turnier in Halle (Westfalen) hat mein Vater als Leiter der Innenrevision der Sparkasse unserer Kleinstadt Karten von seinem Chef bekommen. Der wusste, dass der Sohn seines Kollegen tennisverrückt ist. Also setzen Vater und Sohn sich ins Auto Richtung Halle.
Die Karten haben es in sich: Es ist die Rundum-sorglos-Behandlung. Mit Parkplatz direkt vor der Anlage, Bändchen für das Zelt der VIP-Gäste und einem Gourmet-Buffet, das keine Wünsche offenlässt. Es ist auch das erste Mal, das ich merke: So richtig viel mit Sport hat so manche Sportveranstaltung nicht zu tun.
Ebenfalls im Paket enthalten: Logen-Plätze auf dem Center-Court des Gerry-Weber-Stadions. Auf dem Rasen kämpft an jenem Tag der Deutsche Marc-Kevin Goellner gegen den Tschechen Petr Korda um Weltranglisten-Punkte. Doch das wird schnell zur Nebensache. Plötzlich merke ich, wie das Publikum unruhig wird. Um uns herum bauen sich drei Bodyguards auf. Beim nächsten Seitenwechsel ist es so weit.
Boris Becker marschiert in die Arena. Er setzt sich direkt in die Box neben uns. Der Schiedsrichter versucht, das Publikum zu beruhigen. Bittet mehrmals um Ruhe, damit Goellner und Korda weiterspielen können - vergeblich. Von der Tribüne schreit plötzlich eine Frau, dass ihre kleine Tochter an Leukämie erkrankt sei und nur einmal noch Boris Becker treffen wolle. Boris verzieht keine Miene. Ich bekomme aber mit, wie er einen der Bodyguards zu sich zieht und ihm sagt, er solle die Frau zum VIP-Zelt bringen.
Nach ein paar Spielen will Boris schon wieder gehen und den Center Court verlassen. Aber auch das ist nicht so einfach. Er muss seinen Begleitern zeitig...
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