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Der Winter in Wien hat was von der Redewendung ›wenn die Hölle zufriert‹. Kalte Nässe, die einem ins Mark dringt, kalte Windböen, die wie die Erinnyen kreischend sich durch Hemd und Mantel bohren, kalte Gesichter überall. Aber die Kälte ist nur der eine Teil des Verdrusses, den der Winter bringt. Der andere Teil ist die völlige Abwesenheit von Farben. Die Stadt ist so grau, dass sogar die Lichter der Verkehrsampeln farblos wirken. Kalt, freudlos, abweisend, so präsentiert sich die Stadt, wie die zugefrorene Hölle eben. Das Einzige, das in Wien noch beschissener ist als die Wiener, ist das Wetter.
Schlimm ist die Nässe, die durch die Sohlen der Schuhe dringt, die sich am Schal vorbei ins Unterhemd schleicht und die Finger in den Manteltaschen steif werden lässt. Schlimmer noch ist aber der Winterstaub, wenn es länger nicht geregnet hat. Dann ist die Stadt trocken wie die Takla Makan. Das Atmen wird mühsam, der Staub des von den Autoreifen zerriebenen Streuguts liegt auf allen Oberflächen, und der unbarmherzige Wind treibt die Partikel vor sich her. An den Duft von Blumen kann sich dann niemand mehr erinnern, alles schmeckt nur noch nach zermahlenem Granit.
Nach endlosen Monaten voller Hoffnungslosigkeit und rinnender Nasen wirft man dann einmal einen Blick in den Kalender und stellt fest, dass es erst Anfang Jänner ist. Gefühlte zwölf Monate vor Frühlingsbeginn. An manchen dieser Tage scheint es, als wäre der Frühling gestorben und käme nie wieder. Frühling und Sommer nehmen in diesen Zeiten für den gelernten Österreicher einen Klang an wie Verwaltungsreform oder WM Qualifikation. Es wird ständig davon geredet, aber jeder weiß, dass es nie eintreten wird. Der letzte Konvent zur Verwaltungsreform wurde aufgelöst, als nach zwei Jahren intensiver Tagungstätigkeit als einziges Ergebnis eine Erhöhung der Politikergehälter zu Buche stand. Und in der letzten Qualifikation hat uns sogar Kasachstan verprügelt. Wie es mit dem Frühling steht, wagt man dann nicht einmal mehr zu fragen.
In solchen Zeiten treten dafür aber andere Dinge ein. Man steigt in die einzige Lacke zwischen Landesgericht und Stephansdom, wenn man das Institut verlässt. Man verpasst die Ring-Bim auf dem Weg zur Staatsoper und kommt zu spät zu seinem Rendezvous. Man wird angezischt.
»Arno, kannst du nicht einmal pünktlich sein?« Man entschuldigt sich, hilft Laura aus dem Mantel und hält dem Kontrolleur die Karten hin. Man versucht, sich auf die Oper zu freuen, aber es gelingt nicht. Weil man 40 Minuten zuvor in der Institutskonferenz erfahren hat, dass der Vertrag nicht verlängert wird. Man ist arbeitslos.
Dieses neutrale man, das mit nassen Füßen friert, bin ich, Arno Linder. 33 Jahre alt, promovierter Philologe und diplomierter Negerant sub auspiciis. Nachdem ich mich jahrelang von einem Vertrag zum nächsten gehangelt hatte, mit mehr Glück als Verstand, war jetzt die Katastrophe über mich hereingebrochen. Dem Institut für Klassische Philologie an der Uni Wien waren die Mittel gekürzt worden, zwei Forschungsstipendien waren nicht bewilligt worden, und so musste unnötiger Ballast abgeworfen werden. Manpower freisetzen, sagt man dazu. Tut verdammt weh. Wie sang Sixt Rodriguez so schön:
»Cause I lost my job two weeks before Christmas
And I talked to Jesus at the sewer
And the Pope said it was none of his God-damned business
While the rain drank champagne.«
Im Orchestergraben wurden derweil die Instrumente gestimmt. Ansonsten ein Moment höchsten Genusses, voller Vorfreude auf das Kommende, wenn die Erregung der Musiker und des Publikums spürbar wird, sodass es scheint, als würde sich der Vorhang von selbst bewegen. Heute nahm ich es nicht einmal wahr. Genauso wenig wie Lauras warmen Schenkel an meinem oder meinen nassen Fuß. Ich hörte nicht, wie die Streicher das a suchten, noch einen schnellen Lauf probierten und das ältere Ehepaar hinter mit tuschelte.
Ich hörte nur meine Chefin, Frau Glanicic-Werffel sagen: »Mit Anfang Februar sind Sie arbeitslos, Linder. Es tut mir wirklich leid, aber anders geht’s nicht.«
»Beide Forschungsanträge sind durchgefallen?«
»Beide.«
»Gibt’s gar keine Chance mehr?«
»Sicher doch. Sie müssen einfach Drittmittel in der Höhe von mindestens 50.000 Euro bringen. Wenn wir die Kommission von der wirtschaftlichen Relevanz unseres Instituts überzeugen können, bewilligen die sicher auch wieder Anträge.« An dieser Stelle hatte ich bitter gelacht. Welches Unternehmen sponsort Philologen, die sich mit einer seit gut 2000 Jahren untergegangenen Sprache beschäftigen. Den Eskimos Kühlschränke verkaufen ist dagegen ein Kinderspiel bei dem Klimawandel.
»Seien Sie nicht so negativ, Linder. Die Tibetologen haben’s auch geschafft.«
»Was haben die geschafft?«
»Drittmittel heranzukarren. Die schwimmen im Geld.«
»Wer sponsort die Forschungen der Tibetologie? Sanskrit ist noch länger ausgestorben als Griechisch.«
»Schon, aber die haben Geld. Leider halten sie sich ziemlich bedeckt und wollen ihre Quellen nicht verraten.«
»Wer kann’s ihnen verdenken.« Ich ließ den Kopf hängen, meine Chefin drehte den Dolch auch noch um:
»Nach der letzten Prüfung räumen Sie das Büro. Kopf hoch Linder, Sie werden schon was finden.«
Da war ich mir nicht so sicher. Vor sieben Jahren, als ich mit dem Studium fertig geworden war, hätte ich vielleicht noch irgendwo unterkriechen können. Aber Mitte 30, mit sieben Jahren Lücke im Lebenslauf, denn Lektor klingt zwar gut, überzeugt aber überhaupt keinen Personalchef, würde das sehr schwer werden. Ich sah mich schon wieder zu irgendwelchen Studentenjobs zurückkehren. Croupier war ich gewesen, in einem illegalen Casino. Doch die illegalen Casinos waren genauso auf der Strecke geblieben wie die klassische Bildung. Einen positiven Aspekt hatte die Situation jedoch. Ich wusste nun genau, wie sich die Dinosaurier gefühlt hatten, als sie merkten, dass sie unweigerlich aussterben würden.
»Arno! Hallo, irgendwer zu Hause?« Laura hatte sich zu mir herüber gebeugt und flüsterte mir ins Ohr.
»Es ist Pause. Ich will ein Glas Sekt und Unterhaltung.« Lauras mitternachtsblaue Augen funkelten, und in ihrer Stimme hörte ich ein kleines Mädchen über eine sommerliche Blumenwiese tollen.
»Gefällt’s dir?«
»Wunderbar.« Ich stand auf, bot Laura meinen Arm und wir gingen hinaus in den Gang. Dort wo ein Piccolo Sekt zum Preis einer Eigentumswohnung mit Dachterrasse und Blick auf den Stephansdom verkauft wird. Von der Eigentumswohnung hat man zwar länger was, aber dafür moussiert der Sekt.
»Ich hätte mir nie gedacht, dass es mir so gut gefällt«, meinte Laura. Im Allgemeinen steht sie nicht so auf Musik, und klassische Orchester sind schon gar nicht ihr Ding.
»Oper ist eben mehr als nur Musik, das ist Kunst für den ganzen Menschen. Kostüme, Inszenierung, Drama, Emotionen. Das Einzige, was dem nahekommt, ist ein richtiges Fußballmatch. Der Oper fehlen nur die Schlachtgesänge der Fans, die Stimmung auf der Tribüne ist immer ein wenig reserviert.«
Laura lachte.
»Arno, ich trau’s dir sogar zu, dass du mich mal in ein Stadion schmuggelst. So ein richtiger VIP Bereich hätte mal was.«
»Blödsinn. Wenn wir ins Stadion gehen, dann nur in die Kurve.«
»Kurve?«
»Dort wo die echten Fans stehen, hinter dem Tor. Solange du das nicht erlebt hast, fehlt dir was!«
»Arno, die Leute schauen schon«, flüsterte Laura zwischen den Zähnen. Ich blickte mich um. Von überallher wurden wir beäugt, Fußball in der Staatsoper, das war zu viel für die Spießer.
Kurz darauf klingelte es zum zweiten Mal, und wir machten uns auf den Weg zurück zu unseren Plätzen.
Was an jenem Abend in der Staatsoper gegeben wurde, bleibt mir bis heute schleierhaft. Wenn sich die Leute über Meischberger, Hochegger und Mensdorff-Pouilly mokieren, die keine Wahrnehmung dazu haben, wie sie im Zuge verschiedenster Tätigkeiten zu Millionenbeträgen gekommen sind, so kann ich die armen Unschuldslämmer verstehen. Ich habe nicht die geringste Erinnerung daran, was an jenem Abend in der Oper auf dem Programm stand. Natürlich könnte ich im Spielplan nachlesen und mir in journalistischer Manier irgendwas aus den Fingern saugen, aber das wäre unehrlich. Nicht, dass ich Hemmungen hätte, zu lügen, ich flunkere gerne, aber nicht im Zusammenhang mit Musik oder Tee.
Ich saß also in meinem Sitz und grübelte darüber nach, wie die Tibetologen an Drittmittel gekommen sein mochten. Tibet war mir eigentlich immer sympathisch gewesen, aber damit war es jetzt vorbei. Wenn es mir nicht gelang, Geld aufzutreiben, würde ich nicht nur meinen Job an der Uni los sein, sondern vermutlich auch meine Freundin. Laura hat jede Menge Stärken, aber die Geduld, einen Privatgelehrten durchzufüttern, gehörte sicher nicht dazu. Eine Zukunft, in der ich die stillen Stunden in staubigen Lesesälen mit schweißtreibenden Hilfsarbeitertätigkeiten vertauschen musste, die Freude an homerischer Sprache gegen schwielige Hände und zermatschte Bandscheiben, das Drama der Antigone mit der Langeweile monotoner Arbeit an irgendeiner Maschine, eine solche Zukunft wollte ich nicht erleben.
In Gedanken ging ich alle Möglichkeiten durch, schnell reich zu werden, die mir je untergekommen waren. Da die Banken momentan selbst kein Geld haben, fiel diese Alternative aus. Um in der Münze Österreich ein paar Hundert Kilo Gold zu klauen, brauchte es Vorarbeit. So an die zehn bis...
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