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Die Nachricht, dass man Multiple Sklerose hat, schlägt wie eine Bombe ein und ist nicht leicht zu verkraften. Auch für mich war die Diagnose ein Schock. Welche Odyssee der Diagnose meiner MS vorausging und wie es mir in den ersten Wochen damit ging, liest du in diesem Kapitel, das dir außerdem einen Überblick über die verschiedenen Formen der MS und ihre Symptome gibt.
"Frau Mousa, noch können wir dem Kind keinen Namen geben, aber es handelt sich wohl um eine Autoimmunerkrankung. Alles deutet darauf hin, dass Sie Multiple Sklerose haben."
MS also, zwei neue Buchstaben, die ab jetzt - so fürchtete ich - mein Leben bestimmen würden.
Stille. Wie ein dumpfer Schlag trafen mich die Worte meines Arztes, den ich ursprünglich wegen Schmerzen in den Augen und Kopfschmerzen aufgesucht hatte. Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf: Eine unheilbare Krankheit? Ich? Kann gar nicht sein! Ich hatte weder eine Ahnung davon, was Multiple Sklerose überhaupt ist, noch wusste ich auch nur im Ansatz, was das für mich bedeuten würde. Man sah mich traurig an, ich sah traurig und verwirrt zurück. MS also, zwei neue Buchstaben, die ab jetzt - so fürchtete ich - mein Leben bestimmen würden.
Seit diesem Tag sind über sechs Jahre vergangen. Diese Buchstaben - und mit ihnen die Krankheit - haben mein Leben zwar nicht bestimmt, aber sehr verändert. Ich möchte dir gleich verraten, dass die meisten Änderungen zum Positiven hin stattgefunden haben und dass meine Geschichte keine Leidensgeschichte ist. Ich werde dir nicht nur erzählen, warum, sondern werde dir auch viele Ideen, Anregungen und Tipps mit auf den Weg geben: auf deinen ganz eigenen, einzigartigen Weg mit deiner ganz eigenen, einzigartigen MS. Multiple Sklerose ist bei keinen zwei Menschen auf diesem Planeten gleich. Man nennt sie deswegen auch "die Krankheit der tausend Gesichter".
Alle Erfahrungen, die ich in Bezug auf meine Symptome und meinen Verlauf gemacht habe, sind einzigartig. Genauso werden deine Symptome, dein Verlauf, dein Umgang damit einzigartig sein. Diese Unberechenbarkeit ist wohl eine der beängstigendsten Eigenschaften der Multiplen Sklerose. Als kämpfe man gegen einen Feind, der ständig die Meinung ändert - so kam es mir zu Anfang vor. Doch ich habe einen Umgang mit dieser Unberechenbarkeit gefunden. Ich möchte mein Leben nicht als täglichen Kampf gestalten, und es ist wunderbar zu wissen, dass diese Entscheidung allein in meiner Hand liegt. Ich habe gelernt, meine Ängste, meine Hoffnungen und Unsicherheiten gleichermaßen anzunehmen, und bin an ihnen gewachsen.
Die Diagnose MS trifft einen fast immer unvorbereitet. Meist wird MS im Alter zwischen 20 und 40 diagnostiziert, Frauen sind dabei deutlich häufiger als Männer betroffen. Man steht in diesem Alter meist am Anfang oder schon mitten in der Karriere, man hat Wünsche, Träume, hat so viel vor. Auch bei mir sah es nicht anders aus: Ich war damals 23, meine Abschlussprüfungen zur Veranstaltungskauffrau standen an. Eine Übernahme danach im Betrieb - einem angesehenen Club für elektronische Musik - war bereits bestätigt. Ich hegte Pläne. Ich träumte von mir als Businesslady, als starke Person, als Künstleragentin. Geschäftsreisen, schicke Hotels, teure Nachtclubs - das alles sah ich schon vor meinem inneren Auge. Da wollte ich hin, und ich würde alles dafür tun.
Ich schob zu dieser Zeit teilweise halsbrecherische Nachtschichten, gefolgt von drei oder vier Stunden unruhigem Schlaf, bevor ich wieder im Büro saß. Die Geschäftsreisen, die Hotels, die Nachtclubs flogen an mir vorbei. Ich arbeitete viel, schlief kaum, und tauchten einmal Symptome von Unwohlsein oder Erschöpfung auf, trieb ich sie mir mit einer fast militärischen Strenge aus. Weitermachen. Bloß nicht zum Stillstand kommen. Bloß nicht nachgeben, und schon gar nicht dem immer lauter flehenden Körper. Ich trieb keinen Sport, rauchte, lebte für die Nacht und genoss all dies in vollen Zügen. Nur manchmal wunderte ich mich über hartnäckige Schwindelepisoden, wenn ich besonders viel um die Ohren hatte. Doch die Ärzte beruhigten mich: Ich müsse nur mal etwas entspannen, mich auf eine Wiese legen, in den Himmel gucken. Das machte ich einen oder zwei Tage lang, als der Schwindel und die Erschöpfung zu stark wurden. Und danach ging es wieder an den Schreibtisch.
Ich schob zu dieser Zeit teilweise halsbrecherische Nachtschichten, gefolgt von drei oder vier Stunden unruhigem Schlaf, bevor ich wieder im Büro saß.
Nebenbei paukte ich für die Abschlussprüfungen als Eventmanagerin. Es war in der Berufsschule, wo ich eines Morgens das erste Mal einen starken Schmerz in den Augen spürte. Ich dachte, es läge an meiner Übermüdung, und gab nicht viel drauf. Das würde sich schon einrenken, das tat es ja irgendwie immer. Doch die Tage vergingen, und auch eine Woche später - mittlerweile hatte sich noch ein stechender Kopfschmerz im vorderen Bereich des Schädels dazugesellt - wurde ich meine Schmerzen nicht los. Jede Bewegung des Augapfels schmerzte in etwa so, als stäche man mir mit einer Nadel von hinten in die Augenhöhle. Es durchfuhr meinen Kopf wie Blitze. An diesem Tag, als ich mir doch ein paar Sorgen zu machen begann, fiel mir auch auf, dass ich plötzlich nicht mehr erkennen konnte, was der Lehrer an die Tafel schrieb. Alles schien verschwommen und doppelt. Ängstlich wandte ich mich an eine Kommilitonin, die eine Netzhautablösung vermutete. Ich bekam einen riesigen Schreck, meldete mich krank und ging zur Augenärztin. Die würde das schon richten, dachte ich mir. Ich rief auf der Arbeit an: Ich bin kurz beim Arzt wegen Kopfschmerzen, danach komme ich direkt ins Büro.
Man ließ mich einige Tests durchführen, und die Ärztin schaute beunruhigter drein, als es mir für einfache Kopfschmerzen angebracht schien. "Ich würde Sie gerne weiter zu einem Neurologen schicken", sagte sie, als wir feststellten, dass ich die Farbe Rot auf beiden Augen anders wahrnahm. Auf dem einen Auge war Rot nämlich Orange. Das mutete mich seltsam an, irgendwie fand ich es sogar spannend: Was so etwas wohl auslösen könnte?
Beim Neurologen kam ich sofort dran - die Augenärztin meinte, ich solle sagen, es sei sehr dringend. Und so blickte ich abwechselnd mit dem rechten und dem linken Auge auf ein Schachbrettmuster, das sich bewegte. Ich wurde vom Neurologen untersucht, gepiekst, gekratzt, mit einem Reflexhämmerchen bearbeitet. Alles soweit in Ordnung, aber die Augen . "Frau Mousa, Sie müssen ins Krankenhaus. Die Leitfähigkeit Ihrer Sehnerven ist auf beiden Augen sehr unterschiedlich, Sie haben eine Sehnerventzündung."
Der Sehnerv führt vom Gehirn zur Pupille, durch ihn werden die Bilder, die das Auge sieht, ins Gehirn geleitet. Und dort saß also eine Entzündung. Ich dachte im ersten Moment an eine Art Bindehautentzündung. Dass es sich hierbei um eine Entzündung im Nervensystem handelt oder was das bedeuten kann - das war mir trotz des Namens nicht klar. Ich wollte nur so schnell wie möglich raus, denn ich wollte ja später noch zur Arbeit fahren. "Das sollten Sie absagen", meinte der Neurologe. "Gehen Sie nach Hause, packen Sie ein paar Sachen und dann fahren Sie bitte in die Notaufnahme. Stellen Sie sich auf einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt ein."
Langsam wurde mir bewusst, dass es hier um etwas Ernsteres ging. Ins Krankenhaus? Dann muss es wirklich schlimm sein, dachte ich. Ich fuhr nach Hause, packte, sagte die Arbeit mit den Worten ab, dass ich nicht wüsste, wann ich wiederkommen würde, und fuhr zum Krankenhaus. Auf der Station für Neurologie machte man weitere Tests mit mir - wieder das Schachbrett, aber auch viele andere Untersuchungen fanden statt. Irgendwann teilte man mir ein Bett in einem Vierbettzimmer zu. Alle waren ungefähr drei- bis viermal so alt wie ich, und mir wurde mulmig: Was habe ich hier verloren?
Langsam wurde mir bewusst, dass es hier um etwas Ernsteres ging. Ins Krankenhaus? Dann muss es wirklich schlimm sein, dachte ich.
Ich bekam eine intravenöse Kortisonstoßtherapie. In den nächsten Tagen schlossen sich weitere Tests an, eine Nervenwasserentnahme aus der Wirbelsäule, ein MRT, ein CT. Ich wurde durchleuchtet wie ein Gepäckstück am Flughafen. Und dann, nach fünf Tagen, endlich ein paar Infos: Ich habe wohl eine Autoimmunerkrankung, die Multiple Sklerose heißt. Man könne es noch nicht eindeutig sagen, aber es deute alles darauf hin.
Ich war verständlicherweise äußerst verunsichert. MS, das hatte ich schon mal gehört. Was war das noch mal? Natürlich zückte ich sofort mein Handy und begann zu googeln. Eine Horrormeldung jagte die nächste: MS macht inkontinent. Bei MS wird man zum Pflegefall. MS schickt einen direkt in den Rollstuhl. MS ist schlimm, ist schrecklich, ist das Ende des Lebens so wie du es kennst. Das stand da schwarz auf weiß, und in mir breitete sich eine dumpfe,...
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