Schweitzer Fachinformationen
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Ein Roman über die schlimmsten Seiten einer Gesellschaft und den Kampf einer jungen Frau für alle, die sie liebt
Die siebzehnjährige Kiara lebt mit ihrem älteren Bruder Marcus in einem heruntergekommenen Apartment in East Oakland, Kalifornien. Die beiden Geschwister haben die Highschool ohne Abschluss verlassen und sind ohne ihre Eltern auf sich allein gestellt. Kiara versucht verzweifelt, Arbeit zu finden, um die Miete zu bezahlen. Doch niemand gibt einer Minderjährigen einen Job. So landet sie schließlich in der Prostitution. Ihr einziger Lichtblick ist der zehnjährige Nachbarssohn Trevor, um den sie sich hingebungsvoll kümmert. Bis ihr Name im Rahmen eines Skandalprozesses gegen die Polizei genannt wird. Sagt Kiara dort aus, wird sie alle in Gefahr bringen, die sie liebt ...
Der Swimmingpool ist voller Hundescheiße, und bei Sonnenaufgang verhöhnt uns Dees Gelächter. Ich habe ihr schon die ganze Woche gesagt, dass sie wie der Crackhead aussieht, der sie ist, wenn sie immerzu über denselben Witz lacht, als würde er sich verändern. Dee schien es nichts auszumachen, als ihr Freund sie verließ, schien es nicht einmal zu kümmern, als er letzten Dienstag am Pool auftauchte, nachdem er alle Mülltonnen in der Nachbarschaft nach in Plastiktüten steckendem Kot abgesucht hatte. Um drei Uhr morgens hörten wir die Platscher, gefolgt von seinem Gebrüll über Dees untreuen Arsch. Aber vor allem hörten wir Dees Gackern, das uns daran erinnerte, wie schwer das Schlafen fällt, wenn man die eigenen Schritte nicht von denen der Menschen in den Nachbarwohnungen unterscheiden kann.
Seit ich hier bin, hat nie jemand von uns einen Fuß in den Pool gesetzt, vielleicht weil Vernon, der Vermieter, ihn noch kein einziges Mal saubergemacht hat, vor allem aber, weil niemand uns je beibrachte, wie man das Wasser genießt, wie man schwimmt, ohne nach Luft zu schnappen, wie man das eigene Haar liebt, wenn es verfilzt und chlorgetränkt ist. Die Vorstellung zu ertrinken macht mir allerdings keine Angst, da wir sowieso aus Wasser bestehen. Das ist im Grunde so, als würde der eigene Körper von sich selbst überlaufen. Ich glaube, ich würde lieber auf diese Art sterben, als benebelt auf dem Fußboden einer dreckigen Wohnung, während mein Herz sich beim Pumpen verausgabt und dann stehen bleibt.
An diesem Morgen ist irgendwas anders. Wie Dees Lachen sich zu einem hohen Kreischen steigert, ehe es in Gebrüll umschlägt. Als ich die Tür aufmache, steht sie am Geländer, wie immer. Nur blickt sie heute auf die Wohnungstür statt auf das Wasser, und der Pool beleuchtet sie von hinten, sodass ich ihr Gesicht nicht sehen kann, sondern nur ihre Wangenknochen, die unter ihren hohlen Wangen wie Äpfel auf und ab hüpfen. Ich mache die Tür wieder zu, ehe sie mich sieht.
Manchmal strecke ich morgens den Kopf durch Dees unverschlossene Tür, nur um sicherzugehen, dass sie dahinter immer noch atmet und sich im Schlaf windet. In gewisser Hinsicht machen mir ihre neurotischen Lachanfälle nichts aus, weil sie bedeuten, dass sie noch am Leben ist. Nicht dass es ihr gut geht, nur dass ihre Lungen noch nicht versagt haben. Solange Dee lacht, ist noch nicht alles total im Arsch.
Das Klopfen an unserer Tür ist ein vierfaches Hämmern von zwei Fäusten, und auch wenn ich darauf hätte gefasst sein müssen, mache ich einen Satz zurück. Es ist nicht so, als hätte ich nicht gesehen, wie Vernon seine Runde dreht, oder als hätte ich den Flyer nicht bemerkt, der an Dees Tür nach oben flatterte und wieder zurücksank, während sie ihn, noch immer gackernd, anstarrte. Ich drehe mich zu meinem Bruder Marcus um, der auf dem Sofa schnarcht, wobei er die Nase bis zu den Augenbrauen kräuselt.
Er schläft wie ein Säugling, zieht ständig Gesichter und hält den Kopf so geneigt, dass ich sein Profil erkennen kann, auf dem das Tattoo straff und glatt bleibt. Marcus hat sich direkt unter seinem linken Ohr meinen Fingerabdruck tätowieren lassen, und wenn er lächelt, kann ich nicht anders als hinzusehen, als wäre es ein weiteres Auge. Nicht dass er oder ich in letzter Zeit viel gelächelt hätten, aber das Bild davon - die Erinnerung an die sich frisch kräuselnde Tinte neben seinem Grinsen - führt mich immer wieder zu ihm zurück. Lässt mich immer wieder hoffen. Marcus' Arme sind mit Tätowierungen überzogen, aber mein Fingerabdruck ist die einzige auf seinem Hals. Er erzählte mir, sie sei die schmerzhafteste gewesen, die er je bekommen habe.
Er ließ sich das Tattoo an meinem siebzehnten Geburtstag stechen, und ich glaubte zum ersten Mal, dass er mich womöglich mehr liebt als alles andere, sogar mehr noch als seine eigene Haut. Aber heute, drei Monate vor meinem achtzehnten Geburtstag, fühle ich mich nackt und entblößt, wenn ich den zitternden Fingerabdruck am Rand seines Kieferknochens betrachte. Sollte Marcus blutend auf der Straße enden, wäre es mithilfe meiner Spur auf seinem Körper leicht, ihn zu identifizieren.
Ich greife nach dem Türknauf und murmele: »Ich mach schon«, als würde Marcus jemals so früh am Morgen seine Füße auf den Boden stellen. Von der anderen Seite der Wand dringt Dees Gelächter in meinen Gaumen wie Salzwasser, wird direkt von meinen Schleimhäuten absorbiert. Ich schüttele den Kopf und wende mich erneut der Tür zu, meinem eigenen Zettel, der dort nachlässig auf die orange Farbe geklebt wurde. Man braucht keinen dieser Zettel zu lesen, um zu wissen, was darauf steht. Alle haben einen bekommen und ihn auf die Straße geworfen, als könnten sie dessen Härte mit einem Schulterzucken abtun. Die Schrift ist fett und unerbittlich, Zahlen, die auf dem Blatt erstarrt sind und im Geruch der Industriedruckertinte verharren, zweifellos von einem Stapel Papiere genommen, die genauso toxisch und schief aufgehängt sind wie dieses, das an der Tür der Einzimmerwohnung klebt, die seit Jahrzehnten von meiner Familie bewohnt wird. Wir wussten alle, dass Vernon ein Verräter ist und dieses Haus nicht länger behalten würde, als er müsste, während die Taschen voller Geld durch Oakland ziehen, auf der Suche nach weiteren von uns, die sie aus dem Inneren der Stadt kratzen können.
Die Zahl an sich wäre gar nicht so beängstigend, wenn Dee sich darüber nicht kaputtlachen würde, bis sie sich in einem Anfall krümmt und damit jede einzelne Null in meiner Magengrube zementiert. Ich drehe den Kopf in ihre Richtung und brülle über den Wind und die morgendlichen Laster hinweg: »Hör auf zu lachen oder geh wieder rein, Dee. Scheiße.« Sie bewegt den Kopf ein paar Zentimeter, um mich anzustarren, lächelt dann breit, wobei sie den Mund so weit aufreißt, dass er ein vollständiges Oval bildet, und gackert weiter. Ich reiße die Mitteilung über die Mieterhöhung von der Tür und kehre in unsere Wohnung zurück, wo Marcus seelenruhig auf dem Sofa schnarcht.
Er liegt da und schläft, während diese ganze Wohnung über mir zusammenbricht. Wir halten uns ohnehin nur gerade so über Wasser, sind schon ein paar Monate im Rückstand mit der Miete, und Marcus hat keinerlei Einkünfte. Ich bettele um Schichten im Spirituosenladen und zähle die Cracker, die noch im Schrank stehen. Wir besitzen nicht einmal Geldbeutel, und während ich Marcus anblicke, sein wie unter einem Schleier liegendes Gesicht, wird mir klar, dass wir aus dieser Sache nicht herauskommen werden wie beim letzten Mal, als unsere Welt zerbrach, mit einem leeren Fotorahmen, wo einst Mama war.
Ich schüttele den Kopf beim Anblick seines Körpers, der so groß ist, dass er den ganzen Raum einnimmt, dann lege ich ihm das Mieterhöhungsschreiben mitten auf die Brust, damit es mit ihm zusammen atmet. Auf und ab.
Da ich Dee nun nicht mehr höre, ziehe ich meine Jacke an, schlüpfe nach draußen und lasse Marcus zurück, um irgendwann beim Aufwachen einen zerknitterten Zettel und mehr Sorgen vorzufinden, als er auch nur versuchen wird zu bewältigen. Ich laufe entlang des Geländers die Wohnungen ab, bis ich Dees Tür erreiche und sie öffne. Dee ist da, hat es irgendwie geschafft einzuschlafen, und liegt nun zuckend auf ihrer Matratze, nachdem sie noch wenige Minuten zuvor herumgebrüllt hat. Ihr Sohn Trevor sitzt auf einem Hocker in der kleinen Küche und isst eine Billigversion von Cheerios direkt aus der Schachtel. Er ist zehn, und ich kenne ihn seit seiner Geburt, habe dabei zugesehen, wie er zu dem schlaksigen Jungen von heute aufgeschossen ist. Er kaut geräuschvoll seine Frühstücksflocken und wartet darauf, dass seine Mutter aufwacht, auch wenn es vermutlich Stunden dauern wird, ehe ihre Augen sich wieder öffnen und ihn mehr als nur verschwommen wahrnehmen.
Ich trete ein, gehe leise auf ihn zu, hebe seinen Rucksack vom Fußboden und halte ihn ihm hin. Er grinst mich an, wobei in den Lücken zwischen seinen Zähnen zerkaute Cheerio-Stückchen aufblitzen.
»Junge, du musst in die Schule. Mach dir keinen Kopf wegen deiner Mama, komm schon, ich bring dich.«
Trevor und ich verlassen die Wohnung, seine Hand in meiner. Seine Handfläche fühlt sich an wie Butter, weich und bereit, in der Hitze meiner Hand zu schmelzen. Wir laufen über die in mittlerweile abblätterndem Lindgrün gestrichene Metalltreppe ganz nach unten ins Erdgeschoss, vorbei am Scheißepool und durch das Metalltor, das uns direkt auf die High Street ausspuckt.
Die High Street ist ein Trugbild aus Zigarettenstummeln und Spirituosenläden, ein geschwungener Pfad zwischen Drugstores und Erwachsenenspielplätzen, die sich als Straßenecken tarnen. Auf ihr herrscht eine kindliche Atmosphäre, sie erscheint wie die perfekte Umgebung für eine Schnitzeljagd. Niemand weiß genau, wann die Nachbarschaften wechseln, auf dem ganzen Weg bis hoch zur Brücke, aber da ich noch nie bis dahin gekommen bin, kann ich nicht sagen, ob man dort auch am liebsten hüpfen möchte, wie auf unserer Seite. Sie erfüllt und enttäuscht alle Erwartungen mit ihren Bestattungsunternehmen und Tankstellen, die Straße gesprenkelt mit Häusern, aus deren Fenstern es gelb leuchtet.
»Mama meint, Ricky kommt nicht mehr, also hab ich die Frühstücksflocken ganz für mich allein.«
Trevor lässt seine Hand aus meiner gleiten und schlendert beschwingten Schrittes voran. Während ich ihm zusehe, denke ich, dass wohl niemand außer Trevor und mir versteht, was es bedeutet, die eigene Bewegung zu spüren, also sie wirklich wahrzunehmen. Manchmal glaube ich daran, dieses kleine Kind könnte mich davor bewahren, von unserem grauen Himmel verschluckt zu werden, aber dann fällt mir...
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