Schweitzer Fachinformationen
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Ich bin neugierig auf andere Menschen. Das ist die Essenz meiner Arbeit. Ich möchte wissen, wie es wäre, wenn ich sie wäre.
Stanley Kubrick
Im Mittelpunkt jedes gelungenen Drehbuchs, einschließlich plotlastiger Geschichten wie zum Beispiel bei Actionfilmen, stehen Menschen. Denn jede Geschichte fesselt uns nur dann, wenn die Protagonisten und deren Schicksal unser Interesse wecken.
Um sich auf eine Geschichte, einen Film einzulassen, investiert ein Zuschauer zwei Stunden Lebenszeit und dazu noch seine Gefühle (Angst, Hoffnung, Wut, Sehnsucht). Er riskiert, dass er am Ende des Films verstimmt ist, verärgert oder verängstigt, oder sich, viel schlimmer noch, von den Filmemachern nicht ernst genommen und an der Nase herumgeführt fühlt. Wenn er in einem Film zweidimensionalen, schlecht entwickelten Charakteren begegnet, die sich wie Schachbrettfiguren durch die Geschichte bewegen und denen er ihre Herkunft (nämlich die schlampige Fantasie des Autors) anmerkt, gibt es keinen Grund für einen Zuschauer, dieses Risiko einzugehen und sich emotional zu öffnen.
Wir alle möchten Geschichten von Menschen erzählt bekommen, von denen wir glauben, dass sie schon gelebt haben, bevor die Geschichte im Film losgeht und von denen wir uns vorstellen können, dass sie, auch wenn der Film zu Ende ist, weiter existieren (es sei denn, sie sterben in der Geschichte).
Damit Filmfiguren authentisch und reell wirken, müssen sie uns ähneln. Erste Voraussetzung dafür ist, dass es sich bei den Figuren im Film um Menschen, oder mindestens um Wesen mit menschlichen Zügen handelt. Ist dies der Fall, spricht man von einer gut entwickelten, dreidimensionalen Figur. Was aber ist in diesem Zusammenhang konkret mit den »drei Dimensionen« gemeint?
Die physische Dimension hat mit allem zu tun, was das äußere Erscheinungsbild einer Figur ausmacht. Und auch wenn wahrscheinlich vieles davon für die Geschichte irrelevant ist und ein großer Teil im Drehbuch deshalb keine Erwähnung finden wird, sollten Sie als Autor alles über die Figur wissen. Denn nur dann können Sie kompetent entscheiden, was davon wichtig ist und was Sie weglassen, weil es für die Geschichte nicht wesentlich ist.
Wie alt ist die Figur?
Mann oder Frau?
Kind oder Erwachsener?
Dick? Dünn?
Blond? Brünett?
Schön? Hässlich?
Wie bewegt sie sich?
Wie spricht sie?
Hat sie ein Gebrechen?
Hat sie einen äußerlichen Makel?
Zur soziologischen Dimension zählen immer auch das Milieu und das Umfeld, in dem wir uns in der Vergangenheit bewegt haben; all das, was uns geprägt hat, was wir nicht abstreifen können, auch wenn sich unsere Lebensumstände mittlerweile komplett geändert haben. Wenn Sie eine Filmfigur erschaffen, müssen Sie sich also nicht nur überlegen, in welcher sozialen Schicht sich die Figur zum Zeitpunkt der erzählten Geschichte bewegt, sondern auch, woher sie kommt und welchen Weg sie bis in die erzählte Gegenwart eingeschlagen hat.
Aus welcher sozialen Schicht kommt die Figur?
Ist sie im akademisch geprägten, bürgerlichen Milieu groß geworden?
Oder arbeiten ihre Eltern in der Fabrik oder an der Kasse des Supermarktes?
Kommt sie aus einem religiösen Haushalt?
Oder ist sie ein Kind von politisch aktiven, urbanen Nomaden, deren wechselnde Behausungen Treffpunkt und Matratzenlager für Gleichgesinnte war?
In welche Schule ist sie gegangen?
In welchem Stadtteil hat sie gelebt?
War ihre Familie im Viertel angesehen? Oder waren sie immer die Underdogs?
[37]Genauso wesentlich sind die »sozialen Ambitionen« einer Figur:
In welchen Kreisen bewegt sie sich jetzt?
Auf welche Weise machen sich Spuren der Vergangenheit im Leben der Figur heute bemerkbar?
Wohin möchte sie? Will sie sozial aufsteigen? Sich verändern? Warum?
Auf welche Art und Weise verfolgt sie ihre Ambitionen?
Die psychologische Dimension ist meist eng verwoben mit der physischen und der soziologischen Dimension. Häufig ist sie ein Produkt von beiden. Sie schließt Fragen zu den moralischen Werten der Figur ein, zu ihren Überzeugungen, ihrem Ehrgeiz, ihren persönlichen Zielen. Sie ist oft eine Folge der größten Enttäuschungen oder auch Erfolgen einer Figur und eng verknüpft mit ihrem Temperament.
Welche Haltung hat die Figur dem Leben gegenüber?
Welche Qualitäten und Fähigkeiten?
Aber auch: welche Ängste, Obsessionen, Hemmungen?
An welchen Aberglauben und Vorurteilen hängt sie?
Die sexuelle Orientierung zählt genauso dazu wie das Verhältnis zu Geschwistern, Eltern, Freunden, Kollegen, Vorgesetzten, Partnern oder Ex-Partnern.
Die psychologische Dimension beinhaltet vor allem auch die Frage nach den Widersprüchen und Ambivalenzen einer Figur: Wir alle haben moralische Werte, denen wir manchmal selbst nicht folgen, und Überzeugungen, die wir unter bestimmten Bedingungen verraten würden. Wie sieht es bei unserer Figur aus? Die Widersprüche im Wesen einer Figur werden auch »Brechungen« genannt.
Wo bricht sie mit ihren Prinzipien?
Tut sie es offen? Oder eher heimlich?
Nur in einer Extremsituation? Oder regelmäßig?
Werden die Brüche mit pseudo-logischen Erklärungen legitimiert?
(»Rauchen ist sehr schädlich. Das trifft aber nicht auf Rauch von Zigarren zu, die sind unschädlich, da Zigarrenraucher den Rauch nicht inhalieren«, oder: »Ich bin aus ethischen Gründen Veganer. Ich kann nicht sehen, warum meine Lederschuhe dabei ein Problem sein sollen - soll man etwa das Leder der Tiere, die für den Fleischkonsum ermordet werden, wegschmeißen?«).
Werden die Übertretungen der eigenen moralischen Werte verheimlicht oder gar verdrängt?
Welche Geheimnisse hat die Figur? Vor wem?
[38]Brechungen finden sich häufig dort, wo starke Gefühle, Begierden oder Triebe im Spiel sind, die wir nur schwer kontrollieren können. Eine Person kann zum Beispiel die »moralischen Verfehlungen« anderer rigoros verurteilen und sich in einer Situation wiederfinden, in der ihr eigenes Handeln in sehr starkem Widerspruch zu ihren Prinzipien steht und sie in Gewissenskonflikte bringt.
Wenn man von Brechungen spricht, muss es sich nicht stets um große, innere Konflikte handeln. Im Alltag finden sich überall zahlreiche Beispiele kleinerer Brüche: ein überzeugter Vegetarier, der gerne andere darüber belehrt, dass der Konsum von Fleisch ethisch nicht vertretbar ist. Und den man irgendwann auf einem Straßenfest sieht, wie er gierig eine Bratwurst verschlingt. Eine Frau mit ausgeprägtem sozialem Gewissen, die bei einem Discounter, dessen Management bekannterweise seine Mitarbeiter schlecht behandelt, einkauft, weil es dort etwas billiger ist als anderswo. Widersprüche, Brechungen und innere Konflikte sind menschlich. Wir sollten sie deshalb auch unseren Filmfiguren nicht ersparen.
Eine Biografie oder auch eine Backstory zu schreiben ist eine gute Möglichkeit, sich den drei Dimensionen einer Figur zu nähern.
Wie und wo ist diese Figur aufgewachsen?
Was war ihr Umfeld?
Was waren wichtige Ereignisse im Leben dieser Figur?
Was waren ihre Träume, Wünsche, Ziele? Und wie haben diese sich im Laufe der Zeit verändert?
Gibt es ein traumatisches Erlebnis im Leben dieser Figur?
Wie ist sie mit Enttäuschungen in ihrem Leben umgegangen?
Hat sie ein Geheimnis? Etwas, wofür sie sich schämt? Oder auf das sie heimlich stolz ist?
Wie sieht das Leben dieser Person heute aus? Ist sie glücklich damit oder frustriert?
Was sind ihre Erwartungen ans Leben?
Wenn wir uns zum Beispiel ausdenken, dass unser Held aus ärmlichen Verhältnissen kommt, so sagt das zunächst nicht so viel über ihn aus. Erst wenn wir uns [39]überlegen, wie er dazu steht, können wir mehr über ihn erfahren: Ein Protagonist, der sich ein Leben lang für seine Herkunft schämt, hat wenig gemein mit jemandem, der seinen Stallgeruch nicht verstecken will und kein Problem damit hat, dass es in seiner Familie bodenständig zugeht. Während der Erste auf jeden Fall vermeiden möchte, dass die...
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