Schweitzer Fachinformationen
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Die Coronapandemie hat uns - einem Brennglas gleich - Umstände und Missstände in unserer Gesellschaft überdeutlich vor Augen geführt. Karin Böllert, Professorin für Erziehungswissenschaft und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe, erklärte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Mai 2021: »Kinder haben in Deutschland eine schlechte Lobby. Das war auch schon vor Corona so. Corona hat die Situation verschärft und sichtbar gemacht.« Aber nicht nur wirtschaftliche Sorgen lasten auf den Seelen der Kinder und Jugendlichen. Bereits im Frühjahr 2021 konstatierte Jakob Maske, der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Berlin, die Kinder- und Jugendpsychiatrien seien voll. Die psychische Not der Kinder sei so groß, dass diejenigen, die nur eine Depression hätten und nicht suizidgefährdet seien, gar nicht mehr aufgenommen werden könnten. Ende 2021 kämpfte etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen mit coronabedingten psychischen Auffälligkeiten. Depressionen, Ängste und Essstörungen stehen dabei im Vordergrund: All das sind schwerwiegende seelische Veränderungen, die bei unserem Nachwuchs Spuren hinterlassen.
Die vielen Verbote und Gebote, die in der Lockdown-Zeit erlassen wurden, angefangen bei der Pflicht, Masken zu tragen, über weitgehende Kontaktverbote, die Schließung der Sportstätten und Musikschulen sowie das Verbot jeglicher kultureller Veranstaltungen, Feiern oder Stadtteilfeste bis hin zum Homeschooling, waren für Kinder und Jugendliche besonders gravierend. Einzelkinder hatten kaum noch die Möglichkeit, mit anderen Kindern zu spielen. Monatelang konnten sie ihre Klassenkameradinnen nicht mehr sehen. Besuche bei den Großeltern galten als gefährlich. Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen, die mit Eltern und Geschwistern auf engem Raum leben, konnten sich nicht mehr zurückziehen, sich nicht mehr entfalten. Allen Kindern und Jugendlichen fehlten unterschiedlich stark ausgeprägt Struktur und Freiraum gleichermaßen.
Die Coronapandemie hatte ihnen die Orte weggenommen, an denen sie selbstständig Kontakte aufnehmen und sich frei bewegen konnten. Mehr Handy, mehr Tablet, mehr Laptop und PC - diese Tendenz war auch schon vor Corona auffällig. Es gibt immer mehr »kalte« Kontakte. Aber die »warmen« Begegnungen fehlen und viele Kinder und Jugendliche fühlen sich einsam - ganz egal, wie viele Freunde und Freundinnen sie auf Facebook, Instagram oder TikTok haben.
INFO
Digitale Medien beeinträchtigen die Hirnentwicklung
Fernseher, digitale Medien, Computerbildschirm, Tablet und Smartphone überreizen und überfordern alle Module des kindlichen Gehirns. Schnelle Bildsequenzen und digitale Welten führen zu wiederholten, schnellen Dopaminausschüttungen und der Aktivierung einer Kurzschlussverbindung in der Reward-Schleife des Gehirns. In der Folge entstehen Übererregung und Suchtverhalten. Gleichzeitig trocknen die langsamen Dopaminwege im Stirnhirn aus und verursachen dort eine unkoordinierte Neubildung von nicht ausgereiften Nervenzellen. Darunter leiden die Aufmerksamkeitsspanne, der Antrieb, das Gedächtnis und der Schlaf. Gleichzeitig bleiben die Entwicklung von Weitsicht, Antizipation, Konfliktbewältigung, Arbeitsgedächtnis und Sozialkompetenz auf der Strecke. Der Hirnforscher Manfred Spitzer spricht in diesem Zusammenhang gar von »digitaler Demenz«.
Im von Kurt und Reiner Mosetter geleiteten Zentrum für interdisziplinäre Therapien in Konstanz (ZiT) haben Kinder seit der Coronapandemie häufiger geäußert, dass sie nicht mehr ein noch aus wissen, sich alleingelassen und eingesperrt fühlen. Einige wollten morgens nicht mehr aufstehen, sich nicht mehr waschen oder nichts mehr essen, weil die Situation ihnen den Magen »abschnürte«. Andere fühlten sich bleischwer, müde, hatten den Eindruck, keine Luft mehr zu bekommen oder konnten nicht mehr schlafen. Wieder andere waren ständig krank, weil ihr Immunsystem nicht mehr mitspielte. Sehr verbreitet waren auch chronische Schmerzen im ganzen Körper, Migräne, Muskelverspannungen und neuromuskuläre Probleme wie Tics. Verhaltensauffälligkeiten nahmen deutlich zu. Sehr viele Kinder hatten Angst, ihre Mama oder ihren Papa »krank zu machen«, womöglich schuld zu sein am Tod von Oma oder Opa oder selbst zu sterben. So drastisch, wie sich das anhören mag, ist es auch. All diese Probleme sind nicht selten, sondern stellen seit Monaten eher die neue »Normalität« dar! Die Kinder reagieren im Grunde »normal« auf eine »ver-rückte« Situation, wie die Pandemie sie darstellt.
Wenn die Umwelt verrückt spielt, kriecht diese Umwelt sozusagen langsam unter die Haut - und wird zur inneren Wirklichkeit. Kinder glauben der Welt der Erwachsenen und verinnerlichen diese. Kinder werden zu dem, was sie wahrnehmen, sich vorstellen, erleben, erfahren, sehen, hören und denken. Die Kinder schreien um Hilfe, offenbaren ihre Not, versuchen, so gut wie möglich zu überleben. Wenn nichts anderes mehr hilft, spannen sie alle Muskeln an, beamen sich innerlich weg, schlagen um sich, verstecken sich, wollen unsichtbar werden, wollen davonlaufen, schreien, erstarren oder wollen sogar sterben. Doch noch ist es nicht zu spät: Kinder verfügen über ein hohes Maß an Resilienz und meist lassen sich diese Stressreaktionen auf natürlichem Weg über Bewegung, genügend Schlaf, ausgewogene Ernährung und Achtsamkeit wieder regulieren.
Ist die Stressbelastung, unter der die Kinder stehen, konstant zu hoch und dauert zu lange an, erholen sie sich womöglich nicht mehr von allein und die Anfälligkeit wird größer - selbst gegenüber schwächeren Stressoren. Schon vor Beginn der Coronapandemie hatten immer mehr Kinder mit Übergewicht, chronischen Schmerzen, AD(H)S, Lernschwierigkeiten und Antriebsstörungen sowie neuromuskulären Stressreaktionen zu kämpfen. Die folgenden alarmierenden Zahlen stammen aus verschiedenen Studien aus den Jahren 2017 bis 2019:
13,3 Prozent der Kinder zwischen 11 und 13 Jahren sind übergewichtig, 8,5 Prozent der Kinder zwischen 14 und 17 Jahren leiden gar unter Adipositas. Bei jüngeren Kindern ist es nicht besser.
Metabolisches Syndrom und »Altersdiabetes« im Kindes- und Jugendalter greifen wie ein »Tsunami« um sich: Die Zahl der Typ-2-Diabetes-Neuerkrankungen bei Jugendlichen hat sich in den letzten zehn Jahren verfünffacht. Etwa 32.000 Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren sind von Diabetes mellitus Typ 2 betroffen.
Vier von zehn Kindern leiden an chronischen Schmerzen. Drei von vier davon bekommen regelmäßig Medikamente.
50 Prozent der Kinder in der Grundschule leiden unter einer erheblichen Lese-Rechtschreib- und Rechenstörung.
Sprachentwicklungsverzögerungen, Konzentrationsstörungen, Unruhe, aggressives Verhalten, Hyperaktivität, Einschlafstörungen und Essstörungen nehmen stark zu. 25 Prozent der Kinder sind betroffen.
Einen Fall von neuromuskulärer, pandemiebedingter Stressreaktion aus unserer Praxis möchten wir Ihnen schildern. Noras Geschichte ist zwar extrem, zeigt aber überdeutlich, was Stress und Überforderung auslösen und wie wir therapeutisch damit umgehen können.
Wie aus heiterem Himmel wachte Nora eines Morgens 2020 mit gelähmten Beinen auf. Sie wurde in die Notfallambulanz der Uniklinik eingeliefert, wo umfassende neurologische Untersuchungen und psychiatrische Begutachtungen gemacht wurden. Mit der Diagnose einer »psychogenen Lähmung« unklarer Genese wurde Nora nach fünf Tagen entlassen. Zu Hause angekommen, verschlechterte sich ihr Zustand weiter. Ihre Mutter nahm Kontakt zum ZiT auf, weil wir Nora bei Kopf- und Nackenschmerzen schon einmal helfen konnten. Noras Augen blickten mit großen Pupillen in die Ferne. Aus unserer Sicht war Nora vor lauter Angst, Stress und Verzweiflung wie eingefroren und versteckt oder offen erstarrt. Die Mutter erzählte weinend, Nora sei trotz »den allgemeinen Coronabedingungen« stolz in die Schule gegangen. Ihr Mann habe ihr deshalb Vorwürfe gemacht, weil er mit Adipositas, Bluthochdruck und Diabetes schließlich zu den Risikopatienten gehöre. Nora entgegnete ihm, dass er ja selbst schuld sei und sie unbedingt in die Schule gehen wolle, was sie auch tat. Ihr Vater zog sich wütend zurück und »schützte sich« vor ihr. Trotzdem hatte Nora ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht an einem möglichen Tod ihres Papas schuldig sein wollte. Nach einer Woche wachte sie dann mit den Lähmungen auf.
Durch die Behandlung mit Myoreflextherapie kam bei Nora langsam etwas Gefühl zurück. Unterstützt wurde die Therapie durch Fußmassagen, warme Fußbäder, Trampolin- und KiD-Übungen (siehe >). Nach wenigen Behandlungen konnte Nora wieder auf ihren Beinen stehen und einige Schritte gehen. Im Laufe der kommenden Wochen wurde sie wieder gesund. Entscheidend für den Therapieerfolg waren konsequente körperliche Behandlungen, die Nora ihren eigenen Körper wieder zugänglich machten. Sie konnte sich wieder besser spüren und ihr Körper auf diese Weise seine muskulären Spannungen regulieren - er konnte ent-stressen. Eng damit verwoben war eine...
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