Schweitzer Fachinformationen
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Als die Limousine am Eisentor vorbei über das Gelände mit gepflegtem Rasen, gestutzten Ziersträuchern und diskret aus dem Gras ragenden Wegweisern zu den diversen Kapellen, Gedenkplätzen und Meditationsräumen rollte, erkannte Kerrie sofort, dass ihr Mann so einen Abschied gehasst hätte.
Die Trauergäste standen in dunklen Grüppchen beisammen, während sich die Journalisten etwas abseits hielten und Namen notierten und die Fotografen - manche trugen sogar Krawatten - die Neuankömmlinge knipsten. Die Förmlichkeit, die Sterilität und dieser andächtige Flüsterton waren ganz und gar nicht das, was Kerrie und ihr verstorbener Ehemann Milton Faranisi gewollt hatten.
»Es ist eine Schande, dass keines seiner Werke gezeigt wird. Todlangweilig«, brummte einer der Reporter.
»Reden Sie keinen Unsinn. Haben Sie mal gesehen, wie groß die teilweise sind? Gehen Sie ins Museum für Zeitgenössische Kunst. Da stehen ein paar von seinen riesigen Skulpturen im Hof«, entgegnete ein anderer.
»Da finden Sie aber nur seine Frühwerke. Googeln Sie mal das Met in New York, das Getty in L.A. oder die Tate Modern in London - dort sind seine besten Arbeiten ausgestellt«, wusste ein Fotograf. »Übrigens, woher hat er eigentlich den Namen Milton? Es heißt doch, er sei Italiener gewesen.«
»Angeblich hatte seine Mutter eine Vorliebe für englische Dichter. Sein Bruder heißt Byron.«
»Im Ernst? Ist der auch Künstler?«
»Nein, anscheinend so ein Computerfreak. Hat in den frühen Achtzigern angefangen und ein Vermögen gemacht.«
In der großen Kapelle füllten sich die Sitzreihen, mit Ausnahme der vordersten. Kerrie Faranisi begab sich schweigend dorthin und versuchte den Blickkontakt zu den anderen Trauergästen zu vermeiden, weil sie womöglich nur wieder in Tränen ausbrechen würde. Sie setzte sich allein in die erste Reihe, eine schlanke Gestalt in schwarzem Leinenkostüm, den Blick auf die im Schoß gefalteten Hände gerichtet, als wollte sie den schmucklosen Sarg vor sich gar nicht zur Kenntnis nehmen. In der Reihe dahinter saßen zwei von Miltons Töchtern. Aus ihren Mienen sprach abgrundtiefe Missbilligung. Da und dort tuschelte man in gedämpftem Ton, und so mancher reckte den Hals nach der Witwe, die in die vorderste Reihe verbannt war.
Mit hastigen Schritten stürmte eine Nachzüglerin herein, das Haar zerzaust und mit einer großen dunklen Sonnenbrille, die ihr Gesicht verbarg. Sie sah sich um, und als sie ihre Schwestern bemerkte, eilte sie zu ihnen. Einen Moment hielt sie inne und betrachtete die einsame Frauengestalt in der ersten Reihe, dann setzte sie sich demonstrativ direkt hinter sie, neben ihre Schwestern, die sie mit einem gemessenen Nicken begrüßten. Falls sich die junge Witwe der Gegenwart ihrer jüngsten Stieftochter bewusst war, ließ sie es sich nicht anmerken, aber alle anderen nahmen den Affront sehr wohl zur Kenntnis, und etliche quittierten ihn mit einem Stirnrunzeln.
Die Witwe richtete sich auf, als der Gottesdienst begann.
Es folgten die kurzen, aber bewegenden Trauerreden des Direktors der Galerie für Moderne Kunst, des Leiters des Internationalen Zentrums für Bildhauerei in Australien und Asien, des Gouverneurs von New South Wales sowie eines angesehenen Künstlers. Dieser erklärte, der berühmte verstorbene Bildhauer Milton Faranisi sei ein großes Geschenk für die Nation und habe maßgeblich am Erscheinungsbild und am internationalen Renommee der australischen Bildhauerei mitgewirkt.
»Milton Faranisi hat sich einen überragenden Ruf erworben«, sagte er. »Sein Werk wird die Jahrhunderte überdauern, als eine Herausforderung für unsere Sinne und unsere Deutung von Harmonie, Raum und Material erweitert es unseren Horizont in intellektueller, rationaler und emotionaler Hinsicht - und dies gilt für Miltons Werk in ebensolcher Weise, wie es für seine Persönlichkeit gegolten hat. Sein künstlerisches Vermächtnis - in Marmor, Bronze, Stein, Holz und Papier - wird auch künftigen Generationen ein Quell der Inspiration sein. Mit seinem Talent ragte Milton heraus aus der Schar seiner Zeitgenossen. Seine Begabung und seine Liebe zum Leben - von gleichermaßen majestätischer Größe - drohten einen gewöhnlichen Sterblichen mitunter fortzureißen. In Miltons Gegenwart konnte man sich nie des Eindrucks erwehren, dass man ein Genie vor sich hatte, das nur mit Hammer und Meißel in der Hand so richtig glücklich war.
Er hinterlässt eine wundervolle Familie mit drei reizenden Töchtern und einer hingebungsvollen Frau, doch es sind seine gewaltigen, ehrfurchtgebietenden Skulpturen, die weiterhin unsere Herzen, unseren Verstand und unsere Sinne anzusprechen vermögen, den Betrachter in ihren Bann schlagen und ihn fragen lassen: >Was für ein Mensch konnte so etwas erschaffen?<
Wir, die wir hier und heute versammelt sind, hatten das Glück, ihn kennen und lieben zu dürfen, und uns allen ist bewusst, dass es einen Mann wie Milton Faranisi kein zweites Mal geben wird.«
Der nächste Redner kam nicht aus der Welt der Kunst, sondern aus einer, die Milton schon lange hinter sich gelassen hatte: einem noch von Nachkriegswunden gezeichneten Italien. Der Mann erzählte von Miltons Eltern, die mit ihren kleinen Söhnen nach Australien ausgewandert waren und ihnen das Streben nach Stabilität, Beständigkeit und Schönheit mit auf den Weg gegeben hatten. So war es nicht zuletzt den Entbehrungen und dem Einfluss der Eltern zu verdanken, dass Miltons gewaltige Kreationen überall auf der Welt ausgestellt wurden, wo man sie als leuchtendes Beispiel für den dauerhaften Fußabdruck eines Menschen auf der Oberfläche unseres zunehmend fragilen und verletzlichen Planeten verstand.
Der vornehme alte Herr, ein Freund von Miltons Eltern, sprach mit dem leichten Akzent eines gebildeten Norditalieners und trug einen altmodischen Anzug aus dunklem glänzenden Stoff, der schon bessere Tage und glücklichere Anlässe gesehen hatte. Kerrie schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln.
Die letzte Trauerrede hielt Miltons jüngste Tochter. Mit tränenüberströmtem Gesicht trat Alia ans Pult, griff nach dem Mikrophon und zog es näher heran.
»Mein Vater . war ein großartiger Mensch. Sie alle hier kennen ihn wegen seiner Arbeit, seines Charismas und . seiner Stellung draußen in der Welt.« Ihre Mundwinkel zuckten, doch es war schwer zu sagen, ob sie das Gesicht verzog oder lächelte. »Aber ich, wir wissen auch, dass er ein wunderbarer Vater war, fröhlich und liebevoll. Und so werden wir ihn in Erinnerung behalten, als den Vater, der seine kleinen Mädchen liebgehabt hat.« Sie drehte den Kopf, und ihre Augen hinter der dunklen Sonnenbrille schienen auf ihre Stiefmutter gerichtet, als sie hinzufügte: »Wir konnten dich nicht für uns allein haben, aber wir lieben dich, Daddy.«
Sie verließ das Podest, und als sie zu ihrem Platz zurückkehrte, drückten die beiden Schwestern kurz ihre Hand.
Daraufhin erhob sich in der vordersten Reihe die Witwe, in der Hand eine spektakuläre langstielige Helikonie, und schritt zum Sarg, küsste die blutrote Blume und legte sie auf den Sargdeckel. Während die anderen Trauergäste aufstanden und zum Abschluss ein Kirchenlied anstimmten, verließ Kerrie unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen die Kapelle und ging zur wartenden Limousine.
Der Chauffeur sprang heraus und hielt ihr die Tür auf. »Wohin, Mrs. Faranisi?«, fragte er.
Kerrie nahm ihre Sonnenbrille ab und rieb sich die Augen. »Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Ich habe es bloß in diesem vergifteten Klima nicht länger ausgehalten.«
»Soll ich einfach ein bisschen herumfahren, bis Sie sich wieder gesammelt haben?«, schlug er vor.
»Ja, gute Idee, danke.«
Kerrie lehnte sich zurück und schloss die Augen, während der Wagen die Kapelle hinter sich ließ, in der Miltons Töchter unbedingt die Trauerzeremonie für ihren Vater hatten abhalten wollen. »Milton, es tut mir leid, das war nicht die Art von Totenfeier, wie du sie gewollt hättest. Diese Förmlichkeit. Und all die Ansprachen. Ich bin mir sicher, dir wäre ein zwangloser Abschiedsumtrunk lieber gewesen, wo man bei ein paar Drinks die alten Zeiten hochleben lässt. Aber so haben es die Mädchen nun mal gewollt, diese Runde ging an sie«, entschuldigte sie sich im Geiste bei ihrem Gatten. Ihr ganzes Eheleben war ein einziger langer Kampf mit ihren Stieftöchtern gewesen. So sehr sie sich auch bemüht hatte, es ihnen recht zu machen, waren sie doch nie zufrieden gewesen. Jetzt fühlte sie sich zu erschöpft, um noch weiter zu kämpfen.
Für diese Feindseligkeit gab es nur einen Grund. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte Milton die Mädchen verhätschelt und verzogen. Zwar hatte ihr Vater später durchaus einige Affären mit anderen Frauen gehabt, aber seine Töchter hatten diese Beziehungen nie als Bedrohung empfunden. Es gab kurze Techtelmechtel mit jungen Mädchen und sinnlichen Schauspielerinnen, mit Angehörigen des niederen europäischen Adels und älteren Damen, darunter auch eine Künstlerin, die mehr für ihre knallrote Perücke als für ihre Kunst bekannt war. Trotz all dieser Eskapaden lebten die Mädchen stets in der Gewissheit, dass er sie am meisten liebte. Diesen flüchtigen Beziehungen maßen sie keinerlei Bedeutung bei, sie gingen mit einem Seufzer und einer neckischen Bemerkung darüber hinweg, wenn er wieder einmal mit einer neuen Frau Leben und Bett teilte. Damit kamen sie bestens zurecht - bis er Kerrie kennenlernte.
»Hier geht es nicht weiter, Mrs. Faranisi«, sagte der Chauffeur und hielt an.
»Oh, ich war ganz in Gedanken versunken....
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