Schweitzer Fachinformationen
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Hab keine Angst. Was ich erzähle, kann dir nicht wehtun, trotz meiner Tat, und ich verspreche, ganz ruhig im Dunkeln zu liegen - vielleicht zu weinen oder dann und wann das Blut wieder vor Augen zu haben -, aber niemals wieder werde ich meine Glieder recken und mich erheben und die Zähne zeigen. Ich will erklären. Du kannst für eine Beichte halten, was ich dir erzähle, aber es ist eine Beichte voller Seltsamkeiten, wie man sie nur aus Träumen kennt oder von den Augenblicken, da der Dampf des Wasserkessels sich zum Umriss eines Hundeschädels formt. Oder wenn die Puppe aus Maisstroh, die eben noch auf dem Regalbrett sitzt, im nächsten Nu verrenkt in einer Zimmerecke liegt und jeder weiß, welcher böse Wille sie dorthin gestoßen hat. Merkwürdigeres geschieht, überall und immer wieder. Du weißt das. Ich weiß, dass du das weißt. Eine Frage lautet: Wer steckt dahinter?
Eine andere: Kannst du es lesen? Wenn ein Huhn nicht legen will, lese ich die Bedeutung rasch heraus, und natürlich sehe ich in dieser Nacht eine minha mãe, Hand in Hand mit ihrem kleinen Jungen, und meine Schuhe beulen die Taschen ihrer Schürze. Andere Zeichen erschließen sich nicht so schnell. Oft sind ihrer zu viele, oder ein leuchtendes Omen verdunkelt sich zu bald. Ich ordne sie und versuche, sie im Gedächtnis zu behalten, aber ich weiß, dass mir vieles entgeht, die Gartenschlange zum Beispiel, die bis an die Türschwelle kriecht, um dort zu sterben. Lass mich mit dem beginnen, was ich sicher weiß.
Am Anfang fängt es an mit den Schuhen. Als Kind kann ich es nicht ertragen, barfuß zu gehen, und immer bettle ich um Schuhe, egal von wem, selbst an den heißesten Tagen. Meine Mutter, minha mãe, runzelt die Stirn, ist wütend über das, was sie meine Putzsucht nennt. Nur die schlimmen Frauen gehen auf hohen Absätzen. Ich bin gefährlich, sagt sie, und wild, aber sie gibt nach und lässt mich die abgelegten Schuhe aus dem Haus der Senhora tragen, vorne zugespitzt, einer der erhöhten Absätze gebrochen, der andere abgetreten und über dem Spann eine Schnalle. Daher kommt es, sagt Lina, dass meine Füße nichts taugen, dass sie immer zu zart sein werden fürs Leben und nie die starken Sohlen haben werden, zäher als Leder, die das Leben verlangt. Und Lina hat recht. Florens, sagt sie, wir schreiben 1690. Wer sonst hat heutzutage die Hände einer Sklavin und die Füße einer portugiesischen Lady? Deshalb geben sie und die Herrin mir die Stiefel des Sirs, als ich aufbreche, um dich zu suchen, Stiefel, die für einen Mann gemacht sind und nicht für ein Mädchen. Sie stopfen sie mit Heu und klebrigen Maisblättern aus und sagen, ich soll den Brief in meinem Strumpf verstecken, auch wenn der Siegellack kratzt. Ich kann lesen, was Lina und Sorrow nicht können, aber ich schaue mir nicht an, was die Herrin schreibt. Ich weiß aber, was es denen sagen soll, die mich aufhalten wollen.
Mein Kopf ist wirr von zwei Dingen, die durcheinandergehen, dem Hunger nach dir und der Angst, mich zu verirren. Nichts jagt mir mehr Furcht ein als dieser Auftrag, und nichts ist größere Versuchung. Vom Tag deines Verschwindens an träume ich und schmiede Pläne. Wie ich erfahren kann, wo du bist, und wie ich dorthin gelange. Ich will der Wegspur folgen zwischen Ahornbäumen und Weißkiefern, aber ich frage mich, in welche Richtung. Wer wird es mir sagen? Wer lebt in der Wildnis zwischen dieser Farm und dir, und wird man mir helfen oder mir etwas zuleide tun? Was ist mit den knochenlosen Bären im Tal? Du erinnerst dich? Wie ihr ganzes Fell wabbelt, wenn sie sich bewegen, so als wäre nichts Festes darunter. Ihr Geruch straft ihre Schönheit Lügen, und ihre Augen kennen uns aus der Zeit, da wir selbst wilde Tiere waren. Deshalb, so hast du mir erklärt, ist es gefährlich, ihnen ins Auge zu blicken. Dann kommen sie näher, laufen her zu uns, um zu spielen und gut Freund zu sein, was wir falsch verstehen und ihnen mit Angst und Abwehr vergelten. Auch riesige Vögel nisten da draußen, größer als Kühe, erzählt Lina, und nicht alle Indianer seien wie sie, also pass auf. Eine betende Wilde, so nennen sie die Nachbarn, denn sie geht zur Kirche, aber sie badet auch jeden Tag, was Christen nicht tun. Untendrunter trägt sie leuchtend blaue Perlen, und wenn der Mond schmal ist, tanzt sie heimlich im Morgengrauen. Mehr als die Bären, die gut Freund sein wollen, oder die Vögel, die größer sind als Kühe, fürchte ich die weglose Nacht. Wie, frage ich mich, soll ich dich finden in der Finsternis? Jetzt endlich zeigt sich ein Weg. Ich habe Weisungen. Vorbereitungen sind getroffen. Ich werde deinen Mund sehen und meine Finger hinunterwandern lassen. Du wirst dein Kinn in meinem Haar bergen, während ich in die Höhlung deiner Schulter atme, ein und aus, ein und aus. Ich bin glücklich, dass die Welt sich für uns öffnet, aber all das Neue macht mich zittern. Um zu dir zu gelangen, muss ich das einzige Zuhause verlassen, das ich kenne, die einzigen Menschen. Lina sagt, nach dem Zustand meiner Zähne zu schließen bin ich etwa sieben oder acht, als man mich hierher bringt. Achtmal kochen wir seitdem wilde Pflaumen ein für Aufstrich und für Kuchen, also muss ich jetzt sechzehn sein. Vor dieser Farm hier verbringe ich meine Tage mit dem Pflücken von Okraschoten und dem Ausfegen von Tabakscheunen und meine Nächte zusammen mit minha mãe auf dem Fußboden des Küchenhauses. Wir sind getauft und können glücklich sein, sobald wir dieses Leben hinter uns haben. Der ehrwürdige Vater erzählt uns das. Alle sieben Tage lernen wir lesen und schreiben bei ihm. Wir dürfen die Plantage nicht verlassen, deshalb verstecken wir uns, alle vier, wo das Sumpfland beginnt. Meine Mutter, ich, ihr kleiner Junge und der ehrwürdige Vater. Er darf nicht tun, was er tut, aber trotzdem unterrichtet er uns und sieht sich dabei immer nach bösen Männern aus Virginia und nach Protestanten um, die ihn fangen wollen. Wenn sie das tun, kommt er ins Gefängnis oder muss Geld bezahlen oder beides. Er hat zwei Bücher und eine Schiefertafel. Wir haben Stöcke, um Zeichen in den Sand zu ritzen, und kleine Kiesel, um auf flachen Steinen Wörter zu legen. Sobald die Buchstaben im Gedächtnis sitzen, bilden wir ganze Wörter daraus. Ich bin schneller als meine Mutter, und ihr kleiner Junge ist überhaupt nicht gut. Schon bald kann ich das Nizäische Glaubensbekenntnis hinschreiben, auswendig und mit allen Kommas. Die Beichte wird gesprochen, nicht geschrieben wie jetzt. Ich habe das meiste davon vergessen. Aber ich liebe das Reden. Lina redet, Steine können reden und sogar Sorrow. Am besten von allem ist es, wenn du redest. Als man mich hierher bringt, rede ich anfangs kein Wort. Alles, was ich höre, klingt anders als das, was Worte für minha mãe und mich bedeuten. Linas Worte sagen mir nichts, das ich kenne. Auch nicht die der Herrin. Es dauert, bis ein wenig Rede in meinem Mund ist und nicht auf dem Stein. Lina sagt, der Ort, wo ich auf Stein geredet habe, ist Marys Land, wo der Sir Geschäfte macht. Dort also sind meine Mutter und ihr kleiner Junge begraben. Oder sie werden dort begraben sein, wenn sie endlich bereit sind, zu ruhen. Mit ihnen auf dem Boden des Küchenhauses zu schlafen ist nicht so angenehm wie mit Lina in dem kaputten Schlitten. Wenn es kalt ist, schichten wir Bretter rund um unsere Ecke des Kuhstalls auf und schlingen unter den Fellen unsere Arme umeinander. Vom Kuhmist riechen wir nichts, denn der ist gefroren, und wir stecken tief unter dem Pelz. Wenn im Sommer die Stechmücken um unsere Hängematten schwirren, baut Lina aus Zweigen einen kühlen Schlafplatz. Du magst die Hängematte von jeher nicht und liegst lieber auf dem Boden, sogar bei Regen, wenn der Sir dich in den Lagerschuppen lässt. Sorrow schläft nicht mehr beim Kamin. Die Männer, die dir helfen, Will und Scully, sind nie über Nacht hier, weil ihr Herr das nicht erlaubt. Weißt du noch, wie sie keine Befehle von dir entgegennehmen, bis der Sir sie dazu bringt? Er konnte das, weil die beiden Tauschgut sind für Land, das der Sir verpachtet. Lina meint, der Sir weiß ganz genau, wie er was kriegt, ohne was zu geben. Ich weiß, dass das stimmt, weil ich es wieder und wieder vor mir sehe: Ich beobachte, meine Mutter hört zu, ihren kleinen Jungen an der Hüfte. Der Senhor zahlt nicht die ganze Summe, die er dem Sir schuldet. Der Sir sagt, er nimmt stattdessen die Frau und das Mädchen, nicht den kleinen Jungen, und damit ist die Schuld beglichen. Minha mãe fleht nein, nicht. Ihr kleiner Junge liegt noch an ihrer Brust. Sie sagt, nehmt das Mädchen, sie sagt, nehmt meine Tochter. Mich. Mich. Der Sir ist einverstanden und schreibt den Schuldschein um. Sobald die Tabakblätter zum Trocknen aufgehängt sind, nimmt mich der Ehrwürdige Vater mit, erst auf einer Fähre, dann auf einem Segelboot, dann auf einem Schiff, immer eingezwängt zwischen seine Kisten mit Büchern und mit Essen. Am zweiten Tag wird es schneidend kalt, und ich bin froh, dass ich einen Umhang habe, wie dünn auch immer. Der Ehrwürdige Vater entschuldigt sich, er geht irgendwohin auf dem Schiff und sagt, ich soll mich nicht von der Stelle rühren. Eine Frau kommt zu mir und sagt, steh auf. Ich tue es, und sie zieht mir den Umhang von den Schultern. Und die Holzschuhe von den Füßen. Und geht weg. Der Ehrwürdige Vater läuft hellrot an, als er zurückkommt und hört, was passiert ist. Er geht überall herum und fragt wer und wo, aber er findet keine Antwort. Schließlich nimmt er Fetzen, Streifen von Segeltuch, die herumliegen, und wickelt meine Füße darin ein. Heute weiß ich, dass Priester, anders als beim Senhor, hier nicht geliebt sind. Ein Matrose spuckt ins Wasser, als der Ehrwürdige Vater ihn um Hilfe bittet. Der Ehrwürdige Vater ist der einzige freundliche Mensch, den...
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