EIN MORGENBAD
Gut also; ich erwachte und fand, daß ich die Bettdecke abgeworfen hatte, was in Anbetracht der Hitze und des brennenden Sonnenscheins nicht verwunderlich war. Flugs sprang ich auf, wusch mich und fuhr in die Kleider, aber in einer nebligen halbwachen Stimmung, als ob ich wer weih wie lange geschlafen hätte und das Gewicht des Schlafes nun nicht abzuschütteln vermöchte. Ich nahm es als selbstverständliche Tatsache an, daß ich mich zu Hause in meinem Zimmer befände, und dachte nicht daran, mich dessen zu vergewissern.
Als ich angezogen war, fand ich es so heiß, daß ich nicht nur aus der Stube, sondern auch aus dem Hause flüchtete. Köstliche Erquickung durch die frische Luft und den angenehmen Wind war meine erste Empfindung, die zweite, als mein Bewußtsein zurückkehrte, maßloses Staunen, denn als ich mich abends zuvor zu Bette begab, war es Winter gewesen, und jetzt bekundeten die grünbelaubten Bäume am Ufer, daß es Sommer war, und zwar allem Anschein nach ein herrlicher, Heller Frühjunimorgen. Aber kein Zweifel, die Themse war da, glitzernd im Sonnenschein und mit nahezu höchstem Wasserstand wie abends zuvor, wo sie im Mondschein geglitzert Halle.
Noch immer war ich meiner Schlaftrunkenheit nicht völlig Herr, und ich hätte mich deshalb überall schwer zurechtgefunden; und so kann man sich vorstellen, daß ich nicht wenig verdutzt war, trotz des vertrauten Anblicks der Themse. Mir war schwindlig und sonderbar zumute, und da ich mich erinnerte, daß viele Leute hier ein Boot zu mieten und in der Mitte des Stromes ein Schwimmbad zu nehmen pflegten, so beschloß ich desgleichen zu tun. Es scheint zwar sehr früh zu sein, sagte ich mir, aber bei Biffins finde ich doch wohl jemand, der mich überseht. Allein ich kam gar nicht bis zu Biffins, weil ich in diesem Augenblick gerade vor mir, meinem Hause gegenüber, eine Bootlände bemerkte, genau an der Stelle, wo mein Nachbar nebenan eine hingebaut hatte,' freilich erkannte ich diese nicht recht wieder, so verändert schien sie mir. Indes ich ging stracks drauf zu, und richtig, zwischen den leeren Booten am Lande lag da ein Mann ausgestreckt, in einem breiten, bequemen Kahn, der entschieden für Badende bestimmt war. Er winkte mir zu und bot mir einen guten Morgen, als hätte er mich erwartet, und so sprang ich ohne weitere Redensart hinein und ging dran, mich für mein Schwimmbad hurtig aus den Kleidern zu schälen, während er ruhig fortruderte. Beim Dahinfahren blickte ich unwillkürlich in das Wasser und konnte nicht umhin zu bemerken:
»Wie klar das Wasser heute morgen aussieht!«
»So?« meinte er; »das ist mir nicht aufgefallen. Die Flut trübt es immer ein bißchen.«
»Na,« sagte ich, »ich hab's bei halber Ebbe schon recht schlammig gefunden.«
Er erwiderte nichts, sah aber überrascht aus, und da er gerade hielt und ich mich all meiner Kleider entledigt hatte, sprang ich ohne weiteres ins Wasser. Natürlich wandte ich den Kopf gegen die Flut, sobald ich ihn wieder über Wasser hatte. Meine Augen suchten unwillkürlich nach der Brücke, und was ich erblickte, brachte mich derart aus dem Gleichgewicht, daß ich mit den Armen auszuholen vergaß und pustend unter Wasser geriet. Als ich wieder in die Höhe kam, steuerte ich stracks auf das Boot zu, denn es drängte mich unwiderstehlich, ein paar Fragen an den Fährmann zu richten, so verblüfft hatte mich das, was ich vom Stromesspiegel aus erblickt hatte, als das Wasser mir aus den Augen war. Meine Schlaftrunkenheit hatte sich ganz gelegt, und ich war wieder im Vollbesitz meiner geistigen Spannkraft und Klarheit.
Nachdem ich die Treppe, die der Fährmann niedergelassen hatte, heraufgeklettert war, wobei er mir die Hand helfend entgegenhielt, ließen wir uns von der starken Flut etwas nach Chiswick hintreiben. Bald aber ergriff er die Ruder, drehte das Boot herum und sagte: »Ein kurzes Schwimmvergnügen': Sie finden das Wasser heute nach Ihrer Reise wohl zu kühl? Soll ich Sie sogleich ans Land bringen oder möchten Sie vor dem Frühstück lieber nach Putney hinunter?«
Ich starrte ihn an; diese Sprache im Munde eines Fährmanns aus Hammersmith! Das war unbegreiflich. »Bleiben wir noch,« antwortete ich, »ich möchte mich ein wenig umsehen.«
»Gut,« erwiderte er; »in seiner Weise ist's hier so schön wie weiter oben in Barn Elms, wie's denn zu dieser Frühstunde überall schön ist. Es freut mich, daß Sie so zeitig aufgestanden sind; es ist kaum fünf.«
Wenn mich der Anblick der Stromufer in Erstaunen gesetzt hatte, so tat es der meines Fährmanns nicht minder, nun' ich ihn mit klarem Verstand und offenen Augen zu mustern imstande war.
Es war ein hübscher, stattlicher junger Mann, dessen Augen so liebenswürdig und freundlich blickten, wie ich es bis zur Stunde noch bei keinem Menschen gesehen hatte, so vertraut mir auch später dieser Ausdruck wurde. Im übrigen war mein Ferge dunkelhaarig, mit bräunlicher Gesichtsfarbe, wohlgebaut, stark und offenbar an Muskeltätigkeit gewöhnt, jedoch ohne irgendwelche Spur von Plumpheit und rohem Wesen, und dabei von einer Sauberkeit, die dem feinsten Gentleman Ehre gemacht hätte. Sein Anzug glich keiner mir bekannten Werktagstracht und hätte sich recht wohl auf einem Gemälde aus dem Leben des vierzehnten Jahrhunderts als Kostüm finden können; er bestand aus dunkelblauem, allerdings schlichtem Tuch, jedoch von feinstem Gewebe und ohne das kleinste Fleckchen. Ein brauner Ledergurt umschlang die Taille, den eine aus Damaszenerstahl kunstvoll ziselierte Schnalle schloß. Kurzum, mein Ferge glich auffallend einem kräftigen und feinen jungen Herrn, der zum Sport den Fährmann spielte; und dieser Annahme neigte ich mich auch zu.
Ich fühlte, daß ich etwas sagen musste, und so deutete ich auf ein paar helle, mit Flaschenzügen und Haken versehene Plankengerüste, welche längs des Ufers aufgerichtet waren, und fragte: »Was geschieht denn damit? Wenn wir uns auf dem Ian befänden, so würde ich glauben, daß da Netze für den Lachsfang gelegt werden, so aber...«.
Er lächelte: »Nun, das geschieht ja eben. Wo Lachs ist, gibt's auch Lachsnetze, ob's nun Tay oder Themse ist; aber die Netze werden natürlich nicht immer gelegt. Man kann doch nicht alle Tage Lachs essen.«
Ich wollte fragen: »Ist denn dies wirklich die Themse?« war aber vor Staunen sprachlos und ließ meine Augen verdutzt nochmals oftwärts nach der Brücke und von da nach den Ufergestaden Londons schweifen, und da gab's wahrlich zum Verwundern mehr als genug. Denn obwohl sich eine Brücke über den Strom spannte und Häuser am Strande waren, hatte sich doch über Nacht alles merkwürdig verändert. Die Seifensiedereien mit ihren rauchspeienden Schornsteinen waren verschwunden, die Bleiwerke fort, und der Westwind trug von Torneycroft kein Schmiede? und Hämmergetöse mehr herüber. Und die Brücke! Geträumt mochte ich wohl von solch einer Brücke haben, aber ihresgleichen hatte ich nie, auch nicht in einem Bilderprachtwerk gesehen, selbst der Ponte Vecchio in Florenz konnte sich mit ihr nicht vergleichen. Sie bestand aus massiven, kühn geschwungenen Steinbogen, reizvoll, ebenso leicht und anmutig wie stark, unter denen der gewöhnliche Schiffsverkehr leicht durchging. Über der Brüstung ragten zierliche und phantastische Bauten hervor, die wie Läden oder Marktbuden aussahen und mit gemalten und vergoldeten Wetterfahnen und Türmchen besetzt waren. Der Stein war etwas wettergefärbt, zeigte jedoch keine Spur jener Nuhschicht, mit der ich gewohnt war jedes Londoner Gebäude, das über ein Jahr alt ist, überzogen zu sehen. Mit einem Worte, die denkbar wundervollste und wunderbarste Brücke!
Der Ruderer bemerkte, wie ich die Augen weit aufriß, und als wolle er meine Gedanken beantworten, sagte er:
»Eine hübsche Brücke, was? Die Brücken stromaufwärts, die doch viel kleiner find, sehen kaum zierlicher aus und die stromabwärts kaum großartiger und stattlicher.«
»Aber wie alt ist sie denn?« fragte ich fast widerwillig, meine innere Scheu überwindend.
»O, nicht sehr alt,« erwiderte er, »sie ist im Jahre 2003 gebaut oder wenigstens eröffnet worden. Vorher stand nur eine einfache Holzbrücke da.«
Dieses Datum verschloß mir die Lippen, als wäre mir ein Schloß vorgehängt, denn ich begriff, daß etwas Unerklärliches vorgegangen war und daß ein unvorsichtiges Wort mich in ein Chaos von Kreuzfragen und krummen, gewundenen Antworten verwickeln würde.
So versuchte ich denn möglichst unbefangen dreinzuschauen und meine Blicke gleichgültig über die Stromufer gleiten zu lassen, trotz der wunderbaren Veränderungen, die ich bis zur Brücke und darüber hinaus, sagen wir bis zu den Seifenfabriken wahrnahm. In einiger Entfernung vom Fluß erhob sich auf beiden Ufern eine Reihe reizender niedriger und nicht sehr großer Backsteinhäuser mit Ziegeldächern, die höchst wohnlich und behaglich aussahen und ganz den Eindruck machten, als ob sich ein recht frohgemutes Leben in ihnen tummle. Ein fortlaufender Garten erstreckte sich von ihnen bis an den Rand des Wassers, und ein üppiger Blumenflor sandte seine köstlichen Duftwellen über den sich kräuselnden Strom; hinter den Häusern ragten mächtige Bäume empor, meistens Platanen, und bis nach Putney zu sah der Strom aus wie ein von blumigen Waldufern umsäumter See, so dicht standen die Bäume. Unwillkürlich rief ich aus:
»Wie froh bin ich, daß Barn Elms nicht verbaut ist!«
Kaum waren jedoch die Worte dem Zaum meiner Jahne entflohen, so errötete ich über meine Albernheit, und mein Gefährte sah mich mit einem Halblächeln an, das ich zu verstehen glaubte. Um meine Verlegenheit zu bemänteln, sagte ich: »Fahren Sie mich jetzt gefälligst ans Ufer, ich möchte gerne...