Schweitzer Fachinformationen
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Zezhou lief um den Kamm eines Vulkans. In der Caldera unter ihm glühte Lava. Die Masse brodelte, während aus dem Schlund frisches Material nach oben stieg. Dort unten waren seine Leute. Es waren Geologen wie er, die den Ausbruch vermessen wollten. Plötzlich wurde ihm klar, dass sie sterben würden. Der Schweiß brach ihm aus. Er griff nach dem Funkgerät, um sie zu warnen, entschied sich dann aber anders. Es war interessanter, ihnen beim Sterben zuzusehen.
Zezhou erwachte. Sein Rücken war nass. Er war allein in seiner Kabine, und ihn ekelte vor sich selbst. Es war zwar nur ein Traum gewesen, aber er hatte gewusst, dass er träumte.
»Triebwerk feuert!«, rief Yong ein bisschen zu laut.
Zezhou lächelte. Wei Yong, der Kapitän, gab sich gern besonders hart, aber dieser Moment verlangte ihm alles ab. Kurz darauf verging auch Zezhou das Lächeln. Er biss die Zähne zusammen, denn das Raumschiff schüttelte sich, als wollte es seine Mannschaft abwerfen. Er klammerte sich instinktiv an der Lehne fest, obwohl ihn die Gurte sicher halten würden und ihn in seine Sitzschale pressten wie ein Baby in seine Trage.
Ein Countdown startete. Laut zählte eine Automatenstimme von dreißig herunter. Bei zwanzig spürte Zezhou das Schaukeln im Magen. Die Tianwen-8 verließ sich nicht allein auf ihr Triebwerk, um den Flug abzubremsen, sondern nutzte auch mehrere Fallschirme. Die Luftströmungen hier unten waren offenbar stärker als vorberechnet. Das ärgerte ihn, denn er hatte als Planetologe selbst an den Prognosen mitgearbeitet. Alle waren sich einig gewesen, dass selbst ein Staubsturm dem landenden Schiff wenig anhaben konnte.
Zezhou holte das Display näher heran. Die Außenkamera auf dem Bug zeigte zwar jede Menge Staub, aber den wirbelte gerade das Triebwerk auf. Ein Sturm war nicht zu bemerken.
»Sechs, fünf, vier .«
In diesem Moment schwang das Schiff deutlich zur Seite. Alarmtöne erschallten. Eine solche Neigung würden die Landebeine auf keinen Fall verkraften.
»Countdown abbrechen«, befahl Yong.
Eine Faust bohrte sich in Zezhous Magen. So schnell reagierte kein Triebwerk. Tu Youyou, die Pilotin, musste bereits reagiert haben, bevor Yong den Befehl dazu gegeben hatte. Das war mutig, auch wenn es zu Youyou passte. Zezhou schloss die Augen und spürte einen bitteren Geschmack im Mund. Er musste sich auf die Zunge gebissen haben. Wenn der Kapitän klug war, überging er Youyous Überspringen der Kommandokette einfach.
Der Countdown setzte erneut ein. Zezhou spürte seinen Magen, aber diesmal schwankte die Tianwen-8 nicht. Es würde wahr werden: Die ersten Menschen auf dem Boden eines anderen Planeten würden Chinesen sein. Wei Yong würde in die Geschichtsbücher eingehen wie der Amerikaner Armstrong, dessen Vorname ihm gerade nicht einfiel. Er selbst würde nicht so berühmt werden, aber das war Zezhou gleichgültig. Immerhin würde sein Name unter jedem wissenschaftlichen Artikel stehen, der als Ergebnis dieses Fluges entstand, denn er war der einzige Wissenschaftler an Bord.
»Vier, drei, zwei .«
»Triebwerk abgeschaltet«, verkündete die Pilotin.
Das Schiff sackte für einen winzigen Moment ab, bevor sich seine Landebeine in den Marsboden drückten. Es fühlte sich an, als würde es sich in einen bequemen, federnden Sessel setzen. Das Metall quietschte wie vor Freude.
Dann zog Stille ein. Es war eine mystische Ruhe, die sich nur in ihren Köpfen abspielte, denn die Lebenserhaltung konnte gar nicht aufhören, Lärm zu verbreiten. Die anderen mussten diese Stille auch spüren, denn niemand sagte etwas, nicht einmal Fang Wei, der sonst alles kommentierte.
Sie hatten es wirklich und wahrhaftig geschafft!
»Wir gehen heute nicht mehr raus«, sagte der Kapitän über die Sprechanlage.
Zezhou nickte. Das hatte er sich schon gedacht. Erstens würde es bald dunkel, zweitens gerieten sie für etwa zwei Stunden aus der Reichweite der Relais-Sonde, die ihre Signale zur Erde schickte. Eigentlich hatte man noch vor der Landung drei solcher Satelliten in den Orbit bringen wollen, doch dann wären ihnen die Amerikaner zuvorgekommen.
»Nicht mal eine kleine Erkundung?«, fragte Youyou.
»Gar nichts. Sie wollen uns im Blick behalten.«
»Ich bin noch total frisch«, jammerte Youyou. »Wie soll ich schlafen können, wenn draußen eine ganze Welt darauf wartet, entdeckt zu werden?«
Nicht nur eine Welt. Sie hatten auch den geheimen Auftrag, alles über die amerikanischen Installationen herauszufinden, die mehrere robotische Missionen über die Jahre hier in den Marsboden gegraben hatten. Deshalb waren sie extra in ihrer Nähe gelandet, obwohl der Standort aus Forschungssicht weniger hergab, als Zezhou gehofft hatte.
»Ich kann dir eine Schlaftablette geben«, sagte Wei, der auch ihr Bordarzt war.
»Wie wäre es denn, wenn ihr eure tägliche Sporteinheit absolviert und danach den Umgang mit dem EVA-Anzug übt?«
»Ach, und der Kommandant geht dabei nicht als Vorbild voran?«, fragte Youyou.
»Wenn einer von euch den Papierkram erledigen möchte, dann sehr gern.«
Auch wenn ihn niemand sehen konnte, schüttelte Zezhou den Kopf. Angesichts der zahllosen Checklisten, die er abarbeiten musste, tat ihm der Kapitän fast ein bisschen leid. Er kniete sich vor den Rover und montierte den Gammascanner. Aus Platzgründen war das Gefährt zusammengefaltet im Bauch des Schiffes transportiert worden. Vor ihm lagen noch etwa vier bis sechs Stunden Arbeit, bis es einsatzbereit sein würde. Schon deshalb hatte er an einem sofortigen Ausflug auf die Oberfläche gar kein Interesse.
Mist! Zezhou wischte an dem Ölfleck herum, der sich auf der blauen Hose ausbreitete, aber er wurde nur größer. Er hatte den Druck falsch berechnet; wegen der geringeren Schwerkraft hier hatte er nicht das Getriebe getroffen, sondern daneben. Ein Teil des Öls tropfte auf den Boden. Er wischte es mit einem Papierhandtuch weg.
Zezhou richtete sich auf. Im Raumschiff war es überraschend still geworden. Hatten die Trainingsmaschinen nicht bis eben noch gequietscht? Vermutlich schliefen seine drei Kollegen längst in ihren Liegen. Einen Moment lang ärgerte er sich, dass ihm niemand Hilfe angeboten hatte. Aber eigentlich konnte er doch froh darüber sein. Er mochte es gar nicht, wenn ihm andere in seine Arbeit hineinredeten. Mit dem Forschungsrover hatte er auf der Erde monatelang geübt, in der Wüste, auf Gletschern, sie waren richtig gute Freunde geworden.
Besonders mochte er an Zhurong, dem Rover, dass er dumm wie Brot war. Die Maschine führte einfach die Befehle aus, die er ihr erteilte, selbst wenn es sie das Leben kosten sollte. Die Flugsteuerung des Raumschiffs hingegen besaß eine Art Intelligenz, die sich so ungünstig entwickelt hatte, dass sie sie auf halbem Weg mit Einverständnis der Missionskontrolle hatten abschalten müssen. Die Software hatte ihnen tatsächlich empfohlen umzukehren, was schlichtweg unmöglich war.
Zezhou schraubte die Schale um das frisch geölte Gewinde fest. Dann stand er auf und schlich zur Leiter, die in die obere Etage führte. Um die anderen nicht zu wecken, bewegte er sich möglichst leise. Und tatsächlich, im roten Glühen der Statusanzeigen schlummerten alle drei selig.
In diesem Moment erfasste ihn eine bleierne Müdigkeit. Er ahnte, woher sie kam: Den anderen war anzusehen, wie sehr die Schwerkraft ihnen beim Schlafen half. Der Mensch war nicht dafür gemacht, an der Wand zu hängen, er brauchte Kontakt zum Boden, der ihnen jetzt monatelang gefehlt hatte.
Aber Zezhou überwand diese Versuchung. Der Rover musste die Gegend erkunden, noch bevor der Kapitän den ihm zustehenden ersten Schritt auf die Oberfläche setzen würde. Er hatte dabei sogar eine wichtige Funktion: Seine Hauptkamera würde Wei Yong bei diesem historischen Akt filmen, der - mit der entfernungsbedingten Verzögerung - in alle Welt ausgestrahlt werden würde, um die Überlegenheit der chinesischen Raumfahrt zu beweisen. Wenn der Rover dabei versagte, würde das auf ihn, Zezhou, zurückfallen, und er würde als Versager des Jahrhunderts im Volksgedächtnis bleiben.
Also kletterte Zezhou wieder nach unten, um die Kamera ein weiteres Mal zu überprüfen. Er richtete sie auf die Schleuse, die sich an der Rückseite des runden Raumes befand. Dann hatte er eine bessere Idee: Er öffnete die Innentür der Schleuse und platzierte einen der EVA-Anzüge aufrecht darin, so dass es so aussah, als wäre der Kapitän kurz davor auszusteigen. Mit der Fernsteuerung aktivierte Zezhou die Kamera. Ja, so war es gut. Das Bild war richtig scharf. Vermutlich würde man sogar die Schweißtropfen auf Yongs Gesicht erkennen können.
Und Schweißtropfen mussten sein. Eine Kommission hatte bereits Regieanweisungen erarbeitet und die wirksamsten Bilder ermittelt. Schweiß sollte den Menschen in dem Anzug nahbar machen. Wei Yong war ein Held, klar, aber auch ein Mann aus dem Volk, dessen Eltern Bauern gewesen waren. Er stand für China hier und für jeden Chinesen. Folgen würde ihm Youyou, die Pilotin, aber zuerst gehörte die Bühne ihm.
Ein Rumpeln war zu hören, gefolgt von einem metallischen Kreischen, das nicht aufhören wollte. Alarmsignale stimmten in den infernalischen Chor...
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