Schweitzer Fachinformationen
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Wollen wir?", fragte Zannmann müde. Seine Zigarette sprang dabei zwischen den Lippen auf und ab. Hans-Georg Allmers nickte und öffnete die Heckklappe des großen Viehanhängers. Er quetschte sich neben dem angebundenen Tier und der Wand nach vorne und löste den Strick. Es war eine Färse, ein junges weibliches Rind, das nicht tragend geworden war und deshalb geschlachtet werden sollte. Gemeinsam mit seiner Mutter hatte er das Tier am frühen Morgen von der Weide geholt und mit dem Trecker und Viehanhänger zu Schlachter Zannmann gefahren.
"Ich treibe es rückwärts", rief er dem wartenden Zannmann zu, der das Tier mit handwerklichem Blick abschätzte.
Das aufgeregte Rind, das seit ein paar Stunden auf dem Hänger stand, schüttelte unruhig den Kopf, machte eine heftige Bewegung und riss mit einem Ruck den Strick, mit dem es festgebunden war, los. Vor dem verdutzten Allmers sprang es aus dem Viehanhänger auf den Hof.
"Ruhig, ganz ruhig", versuchte der Schlachter das Tier mit sanfter, leiser Stimme zu beruhigen. Er bückte sich vorsichtig und bekam den Strick zu fassen, der vom Halfter des Tieres auf den Boden hing. Er machte einen behutsamen Schritt nach vorne, um den Strick durch den Eisenring, der an der Wand eingelassen war, zu ziehen. Hans-Georg Allmers kletterte vorsichtig aus dem Anhänger, um Zannmann zu Hilfe zu kommen.
Plötzlich drehte sich das Rind um und ging auf ihn los. Er konnte dem Tier gerade noch ausweichen. Zwischen seinem Kopf und den Hornspitzen war so wenig Platz, dass er den Luftzug im Gesicht spüren konnte, den der vorbeizischende Rinderschädel verursachte.
Verzweifelt versuchte der Schlachter, den Kopf des wütenden Tieres mit dem Strick nach unten zu ziehen, aber gegen die Kraft des wütend gewordenen Rindes hatte er keine Chance. Der Halfterstrick wurde ihm aus den Händen gerissen, als das Rind losgaloppierte. Zannmann sprang zur Seite, ließ das Tier an sich vorbei und sah mit Entsetzen, wie es zum Sprung über den Zaun ansetzte. Es rutschte aus, und als der Zaun unter ihm zerbarst, richtete es sich panisch auf und rannte ins Dorf. Zannmann und Allmers versuchten ihm den Weg abzuschneiden, aber der herabbaumelnde Strick an der Seite, auf den das Tier immer wieder trat, ließ es so konfus werden, dass sich die beiden mehr als einmal mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit bringen mussten. Schließlich wurde der Abstand zu dem Rind immer größer, und plötzlich war es wie vom Erdboden verschluckt. Allmers und Zannmann trennten sich und machten sich auf die Suche nach der Ausbrecherin.
Am Deich traf Allmers den nach Luft schnappenden Zannmann.
"Wo ist sie?", fragte Allmers.
"Keine Ahnung", erwiderte der Schlachter und drehte sich erschöpft eine Zigarette. "Im Dorf ist sie jedenfalls nicht."
"Die ist wieder ins Dorf zurück, Charly", sagte ein Radfahrer, der die beiden gesehen hatte.
"Unmöglich", schüttelte Zannmann den Kopf. "Da komme ich gerade her."
Am Anleger der Fähre fanden sie schließlich das Tier wieder. Es schwamm durch den Fluss und war gerade in der Mitte angekommen. Der Fluss war an dieser Stelle breit und flach, aber die Strömung war stark. Als das Tier am anderen Ufer aus dem Wasser stieg, machte es einen sehr erschöpften Eindruck. Es stand mit zitternden Beinen an der Böschung und drehte sich misstrauisch um. Zannmann und Allmers sahen sprachlos über das Wasser. Erst als das Tier zu brüllen begann, fanden die beiden Zuschauer ihre Fassung wieder.
"Da müssen wir hin", sagte Zannmann bestimmt und warf seinen Zigarettenstummel ins Wasser. "Ich nehme das Auto und du den Schlepper mit dem Viehanhänger."
Es dauerte eine ganze Weile, bis Allmers und der Schlachter zum Schlachthaus zurückgelaufen waren. Die Schlachterei lag am anderen Ende des verwinkelt gebauten Dorfes. Die Hauptstraße verlief in mehreren engen Windungen zwischen den niedrigen Fachwerkhäusern, aber Allmers hatte keinen Blick für die schönen Gebäude, als er, so schnell er konnte, durch den Ort rannte, dabei erstaunten Fußgängern ausweichen musste und einmal fast gegen ein parkendes Auto geprallt wäre. Er war viel schneller als Zannmann, der mit keuchendem Atem nach ihm an der Schlachterei ankam. Allmers startete den Trecker und fuhr über die nahe gelegene Brücke zum anderen Flussufer. Der Schlachter fuhr nur wenig später mit seinem Auto los und überholte ihn schon kurz nach dem Ortsausgang. Als Allmers die lange Chaussee herabfuhr, die zum Fähranleger führte, war Zannmann schon dort angekommen.
Die Färse erwartete sie. Sie hatte ihren Schwanz steil in die Luft gestellt und brüllte unablässig. Allmers wusste, was das bedeutete: Beim kleinsten Schreck würde das Tier von Neuem die Flucht ergreifen. Sie stand auf dem Flussdeich und spielte mit ihren Ohren, als Allmers und Zannmann sich leise unterhielten und beratschlagten, wie man am besten vorgehen könnte. Aber alle Vorsicht schien umsonst gewesen zu sein: Unvermittelt galoppierte das Rind los. Es durchbrach den Stacheldraht des Zauns, als ob er aus Blumendraht wäre, und lief auf dem Feldweg, der parallel zum Deich führte, den Fluss entlang. Zannmann rannte hinterher, aber damit trieb er das aufgeregte Tier nur vor sich her. Die Färse kletterte schließlich die Böschung hinauf. Als sie oben die Bundesstraße erreicht hatte, wurde es Allmers mulmig.
Zannmanns Frau war ihnen mit ihrem Auto gefolgt, sie hatte von der Brücke alles beobachtet und trieb das Tier zurück. Die Färse stolperte mehr, als sie lief, die Böschung wieder hinunter und lief in einen Maisacker. Sie durchbrach zwei weitere Zäune, sprang über einen Graben und blieb neben einer Pferdekoppel, auf der Stuten mit ihren Fohlen aufgeregt hin- und hertrabten, mit dampfendem Fell stehen.
Jetzt gaben die Verfolger auf. Durch jeden Schritt würden sie das Rind nur noch weiter weg treiben. Es ließ niemanden mehr als hundert Meter an sich herankommen.
"Die schießen wir ab", bestimmte Allmers.
Zannmann nickte: "Wenn sie die Stuten mit den Fohlen verrückt macht, gibt's kein Halten mehr. Die Pferde sind noch hundert Mal schlimmer, wenn sie in Panik geraten."
Allmers sah auf die Uhr. "Halb eins. Hoffentlich ist der Tierarzt zu Hause."
Zannmann runzelte fragend die Stirn: "Tierarzt?"
"Der soll sie mit dem Narkosegewehr abschießen."
"Ach so!", sagte Zannmann gedehnt.
Allmers lieh sich das Auto des Schlachters und fuhr ins Dorf zurück. Zannmann hielt unterdessen Wache. Aber der Tierarzt war unerreichbar.
Statt des Tierarztes kamen der Jagdpächter - ihm gehörten die Pferde - und die Polizei. Er hatte die Aufregung von seinem Hof aus beobachtet und den Beamten alarmiert, der mit seinem Streifenwagen hinter ihm her fuhr.
"Du musst sie erschießen lassen", meinte Zannmann, nachdem Allmers zurückgekehrt war. "Wir können hier nicht stundenlang auf den Tierarzt warten."
Der Jagdpächter stimmte zu: "Wenn die Stuten ausbrechen, wird's richtig teuer."
Allmers musste nur einen kurzen Moment überlegen. Er betrachtete verärgert das aufgeregte Tier, das erschöpft auf der anderen Weide stand und misstrauisch zu ihnen herüber sah. Dann willigte er ein. Der Jagdpächter sah fragend zu dem Polizisten. Als der zustimmend mit dem Kopf nickte, holte er sein Gewehr aus dem Kofferraum, lud es und sagte:
"Los geht's."
Der Schlachter, der Jäger, der Polizist und Allmers quetschten sich in den kleinen Geländewagen des Jagdpächters und fuhren langsam auf der gegenüberliegenden Weide bis auf die Höhe des erschöpften Tieres.
Der Jäger schüttelte den Kopf. "Ich darf von hier nicht schießen."
Der Polizist verstand sofort: "Meinst du, du schießt Angina aus dem Bett?" fragte er und lachte. "Beim Vögeln sterben ist vielleicht nicht der schlechteste Tod."
"Schließlich ist es verboten, in die Richtung eines Hauses zu zielen", erwiderte der Jäger unbeeindruckt von der Bemerkung. "Außer du erlaubst es."
"Das geht klar", sagte der Polizist nach kurzem Überlegen.
Der Jäger legte an, schoss und traf das Tier genau ins Herz. Das Rind wankte, knickte mit den Vorderbeinen ein, fiel zur Seite und versank in einem Graben. Allmers vergrub entgeistert das Gesicht in den Händen. Was heute schiefgehen kann, dachte er verzweifelt, geht schief.
Zannmann hatte als Erster die Fassung wiedergefunden, stürzte aus dem Auto und rannte mit erhobenem Messer über die Wiese.
Allmers sah, wie er in den Graben sprang, das Tier bei den Hörnern packte und den Kopf hochriss, um ihm die Kehle durchzuschneiden, damit es ausbluten konnte. Man sah nur seinen Oberkörper über den Grabenrand herausragen, er schien bis zu den Knien im Wasser zu stehen.
Da begann er unvermittelt zu schreien. Allmers sah den Schrei förmlich, bevor er ihn hören konnte, und er erinnerte sich noch Jahre später daran. Der Wind trieb den Schall in die entgegengesetzte Richtung. Er sah Zannmanns weit aufgerissene Augen, in denen das blanke Entsetzen zu erkennen war.
Allmers sprang aus dem Auto und rannte hinter dem Polizisten und dem Jäger zu dem immer noch schreienden Schlachter, der aus dem Graben kletterte und am ganzen Körper zitterte.
Als sie am Graben ankamen, sahen sie, was Zannmann so entsetzt hatte: Sie starrten auf eine klaffende, blutrote Wunde. Unter dem Rind, das im Graben lag, ragte die nackte Leiche einer Frau hervor. Ihr Hals bestand nur noch aus blutigem Fleisch.
Regungslos verharrten die vier Männer vor dem grausigen Anblick. Zannmann kämpfte mit einem Würgereiz und hielt sich die Hand vor den Mund. Aber er verlor diesen Kampf und...
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