Schweitzer Fachinformationen
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Wieder im Krankenhaus. Das Echo meiner widerstrebenden Schritte in langen, leeren Fluren. Ich hasste Krankenhäuser und Krankenhausgerüche. Ich hasste die nackten Bohlen, die frisch poliert schimmerten, die staubfreien Fenstersimse und das Aufblitzen des glänzenden Chroms, das nach meiner verzerrten Gestalt schnappte, wenn wir vorübereilten. Ich war eine schmuddelige Fünfjährige in einer fremdartigen Umgebung.
Manchmal hasste ich Dad für sein Kranksein und Mum, weil sie mich zu diesen Besuchen mitnahm. Nur ab und zu nahm Mum Jill und Bill, meine jüngeren Geschwister, mit. Immer war ich diejenige, welche. Meine Anwesenheit gewährleistete, dass es keinen Streit gab. Mum hatte die Nase voll vom Streiten, gestrichen voll.
Ich seufzte schon im Voraus, als wir das Ende des letzten Flurs erreichten. Wieder warteten diese Türen auf mich. Große, klotzige Türen mit dicken Glasscheiben in der oberen Hälfte. Sie schwangen in schweren Messingscharnieren, und wenn ich sie nach innen drückte, kam es mir vor, als drückten sie nach außen. Wenn nicht zusätzlich Mums beachtliches Gewicht geholfen hätte, wäre ich jedes Mal der Länge nach hingefallen. Die Türen waren mit grünem Linoleum bezogen. Auf dem Linoleum waren weiße Kringel, und das Muster erinnerte mich an einen von Mums speziellen Kuchen, den Regenbogenkuchen. Sie gab ihm einen cremefarbenen Überzug mit rosa und schokoladenbraunen Kringeln. Ich fand sie wundervoll. Hinter den Türen gab es keine Wunder. Ich wusste, was dahinter war. Ab und zu hüpfte ich unbeholfen hoch und versuchte, durch das Glas in die Station zu gucken. Doch obwohl ich groß war für mein Alter, wollte es mir nie ganz gelingen. Alles, was mir gelang, waren blaue Flecken an meinen Knubbelknien und verschmierte Fingerabdrücke am unteren Rand des Glases.
Manchmal tat ich so, als wäre Dad gar nicht richtig krank. Ich stellte mir vor, dass ich durch die Türen ginge und er mich anlächelte. »Natürlich bin ich nicht krank«, würde er sagen. »Komm und setz dich auf meinen Schoß und unterhalte dich mit mir.« Und Mum wäre da, lachend, und wir wären alle glücklich. Deshalb sprang ich hoch und versuchte, durch das Glas zu schauen. Ich hoffte immer, dass die Szenerie sich wie durch ein Wunder veränderte.
Unsere Ankunft in der Station war immer ein größeres Ereignis. Die Männer dort bekamen wenig Besuch. Wir waren genauso wichtig wie die Frau vom Roten Kreuz, die Süßigkeiten und Zeitschriften verkaufte. »Na, seht mal, wer da kommt!«, riefen sie. »Ich glaube, sie ist größer geworden. Was meinst du, Tom?« »Na so was, dass wir dich wiedersehen, kleines Mädel.« Ich wusste, dass sie nicht wirklich überrascht waren, mich zu sehen; es war nur ein Spiel, das sie spielten.
Nach solch einem begeisterten Empfang versuchte Mum immer, mich zum Reden zu bewegen. »Sag guten Tag, Liebes«, ermutigte sie mich und gab mir rasch einen Stoß in den Rücken. Mein Schweigen war Mum peinlich. Meistens versuchte sie, mich zu entschuldigen, indem sie jedem erzählte, dass ich schüchtern sei. Dabei war ich eigentlich eher ängstlich als schüchtern. Ich hatte das Gefühl, als würde ich auseinanderbrechen, wenn ich überhaupt irgendetwas sagte. Da läge ich dann in Stücken auf dem Fußboden. Ich war voller geheimer Ängste.
Die Männer auf der Station gaben nicht so leicht auf. Sie setzten ihr Geplänkel fort in der Hoffnung, mich herumzukriegen. »Komm, Süße, komm her und sprich mit mir«, versuchte mich ein alter Mann zu überreden, indem er mir ein Sahnebonbon entgegenhielt. Meine Füße waren wie festgewachsen. Ich hätte mich nicht rühren können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Dieser Mann sah aus wie ein Geist. Sein gestutztes Haar stand hoch wie die kurzen weißen Borsten einer Zahnbürste. Sein rechtes Bein unterhalb des Knies fehlte, und seine schlaffe Haut erinnerte mich an ein gerupftes Hühnchen. Er versuchte mich heranzulocken, indem er sich vorbeugte und mir zwei Bonbons hinhielt. Ich rechnete damit, dass er aus dem Bett fiele; ich war sicher, das würde er, wenn er sich noch weiter herauslehnte.
Ich sagte mir immer wieder, dass er nicht wirklich ein Geist sei, sondern nur ein alter Soldat. Mum hatte mir anvertraut, dass alle diese Männer alte Soldaten waren. Als sie es mir erzählte, hatte sie ihre Stimme gesenkt, als sei es wichtig. Sie hegte eine Vorliebe für sie, die ich nicht verstand. Ich fragte mich oft, warum alte Soldaten etwas Besonderes waren. Allen diesen Männern fehlte ein Arm oder ein Bein. Dad war als Einziger hier noch ganz.
Ich versuchte, keinen von ihnen direkt anzuschauen; ich wusste, es gehörte sich nicht, Leute anzustarren. Einmal saß ich ewig lange rätselnd vor einem Paar Holzkrücken, und Mum wurde ärgerlich. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, so schief zu sein. Könnte ich mit nur einem meiner Affenarme oder -beine zurechtkommen? So nannte ich sie; sie waren nicht haarig, aber sie waren lang und dünn, und ich mochte sie nicht. Ich fand es schwierig, mir vorzustellen, dass einem so viele Teile fehlten und man dennoch leben konnte.
Der alte Soldat lehnte sich in sein Kissen zurück, und ich warf einen schnellen Blick auf Dad. Er stand auf seinem üblichen Platz neben seinem Bett. Er kam nie nach vorn, um uns zu begrüßen, oder rief uns zu wie die anderen Männer, und doch gehörten wir zu ihm. Sein Bademantel hing so locker um seinen schlaksigen Körper, dass er mich an die Drahtkleiderbügel erinnerte, die Mum im Garderobenschrank hängen hatte. Dad war nur ein Gerippe. Das Herz hatte ihn vor Jahren schon verlassen.
Sobald Mum ihr kleines Gespräch und ihre Scherze mit den Männern beendet hatte, gingen wir zu Dads Bett und dann hinaus auf die Veranda. Das war der schönste Platz, sich hinzusetzen. Es gab Tische und Stühle, und wir konnten in den Garten schauen. Leider wurden die Stühle schon nach wenigen Minuten unbequem. Sie bestanden aus einem Eisenrahmen, auf den als Sitz und Lehne einzelne Holzlatten in allen Regenbogenfarben genagelt waren. Wenn mir richtig langweilig wurde, beschäftigte ich mich damit, in Gedanken die Farben so zusammenzustellen, dass sie zueinander passten.
Während Mum und Dad sich unterhielten, schnupperte ich die Luft. Es war ein klarer Frühlingstag mit blauem Himmel. Ich konnte das feuchte Gras riechen und die Kühle einer Brise fühlen. Es war so ein schöner Tag voller Zuversicht, dass mir zum Weinen zumute war. Der Frühling war immer ein bewegendes Erlebnis für mich. Oma ging es genauso. Gestern erst hatte sie mich früh geweckt, damit ich ihre neueste Entdeckung anschaute. Ich hatte tief geschlafen, aber irgendwie war ihre Stimme in meine Träume eingedrungen.
»Sally, wach auf!«
Sogar in meinem Traum fragte ich mich, woher diese Stimme kam. Sie war schwach, aber hartnäckig, wie der Schein einer Taschenlampe an einem nebligen Abend. Ich wollte nicht aufwachen. Ich vergrub mich tiefer unter die Schichten aus Mänteln und Decken, die auf mir aufgetürmt waren. In meinen Träumen waren sie schwer, aber nicht warm. Ich umfasste meine Füße mit den Händen, um sie zu wärmen. Manchmal glaubte ich, dass Kaltsein und Dünnsein zusammengehörten, denn ich war beides.
Jeden Abend rief ich: »Mum, mir ist kalt!« Und dann, um sie anzutreiben: »Mum, ich erfriere!«
»Sally, dir kann unmöglich kalt sein!« Oft kam sie dreimal an mein Bett. Sie hob den Mantel hoch, den ich über den Kopf gezogen hatte, und sagte: »Wenn ich noch mehr auf dich packe, erstickst du. Und die anderen wollen nicht die ganzen Mäntel auf sich liegen haben.« Ich teilte das Bett mit Billy und meiner Schwester Jill. Ihnen war nie kalt.
Ich wand meinen Hals aus dem haarigen Fuchskragen heraus, mit dem ein Mantel besetzt war, und erwiderte scharf: »Ich ersticke lieber, als dass ich erfriere!« Oma brauchte nur hinzuzufügen: »Es ist furchtbar, wenn einem kalt ist, Glad«, und Mum fügte sich und holte die alten, schwereren Mäntel, die im Garderobenschrank hingen.
Während ich so auf der Krankenhausveranda saß, lächelte ich, als ich mich daran erinnerte, wie Oma meinen verschlafenen Körper hin und her geschaukelt hatte, um mich aufzuwecken. Es dauerte einige Minuten, aber schließlich kam ich hervor, um Luft zu schnappen, und murmelte schläfrig: »Was ist los? Es ist so früh, Oma, musst du mich denn so früh wecken?«
»Pst, sei still, du weckst die anderen auf. Weißt du denn nicht mehr, dass ich dich früh wecken wollte, damit du wieder den Ochsenfrosch und den Vogel hören kannst?«
Der Ochsenfrosch und der Vogel, wie konnte ich die vergessen! In der ganzen Woche, seit Dad im Krankenhaus war, sprach sie von nichts anderem. Oma ermunterte mich, indem sie die obersten Mantelschichten von mir schälte. Zeitweise lag ich da wie eine feste, eingerollte Kugel. Unter mir war es warm, aber oben wurde mir nun, da die Mäntel und Decken weggenommen waren, schnell kälter. In einem plötzlichen Entschluss sprang ich aus dem Bett und zog fröstelnd einen alten, roten Pullover an. Dann folgte ich Oma barfuß hinaus auf die hintere Veranda.
»Setz...
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