Schweitzer Fachinformationen
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Holly saß am liebsten ganz vorne im Bus. Der Blick durch die breite Windschutzscheibe gab ihr ein Gefühl von Weite und verhinderte, dass ihr übel wurde. Außerdem sah sie dem Fahrer gern zu, wenn er die schwere Bustür auf- und zuschwingen ließ. Auf der Strecke zwischen Boston und Cape Cod saßen offenbar immer die großen Kerle am Steuer; massige Männer mit dunkler Stimme, denen man abnahm, dass sie ihr Fahrzeug im Griff hatten. Manchmal machten sie Witze und unterhielten sich mit ihr. «Das hier ist mein Schiff», hatte einer einmal zu ihr gesagt. «Ich bin der Kapitän und segele über die Highways.» Er war um die fünfzig und wog sicher drei Zentner, aber in seiner Stimme lag eine so romantische Wehmut, dass sie ihm den Spitznamen «der Dichter» gab. Seitdem hoffte sie, wenn sie den Bus nahm, dass der Dichter am Steuer saß, doch sie sah ihn nie wieder. Er war fort, segelte über einen anderen Highway, auf einem anderen Schiff.
Sie war früh genug am Acht-Uhr-dreißig-Bus, um als Erste einzusteigen und vorne den Platz am Fenster zu ergattern. Wenn sie Glück hatte, setzte sich keiner neben sie, und sie konnte die Beine ausstrecken und die ganze Bank für sich haben. Nach und nach stiegen die anderen Fahrgäste zu; ein älteres Paar, das gleich nach hinten durchging, eine allein reisende Frau mittleren Alters, die sich ein paar Reihen hinter Holly auf die linke Seite setzte, zwei Teenager-Mädchen, die zur Mitte schlenderten. Geht weiter, dachte sie, immer schön weitergehen. Vielleicht habe ich Glück. Doch dann sah sie durchs Fenster, wie sich draußen eine Schlange bildete. Es würde ziemlich voll werden, schätzte sie. Zwei Plätze würde sie nicht für sich behalten können.
Um ein Haar hätte sie ihn nicht gesehen. Er bückte sich, um seine Tasche in den höhlenartigen Kofferraum zu schieben, und erst als er sich wieder aufrichtete, entdeckte sie ihn. Hochprozentig. Das war Annas neuestes Gütesiegel, nachdem «zum Niederknien» ausgemustert worden war. «Da drüben», hatte Anna gestern Abend in der Bar zu ihr gesagt, «steht einer, der ist hochprozentig. Oder fast hochprozentig. Komm, Holly, wir quatschen ihn an.» Holly lachte und sagte, sie solle die Klappe halten. Sie würde keinen Fremden in einer Bar ansprechen. Anna war zu so etwas imstande, und sie tat es normalerweise auch. Doch gestern Abend hatte Holly Anna bremsen können. Sie waren an ihrem Platz geblieben, hatten ausgetrunken und waren schließlich gegangen, um sich etwas zu essen zu holen.
Er war groß, dunkel, schlank und braungebrannt. Die Ärmel seines weißen Hemds bis zu den Ellbogen aufgekrempelt. Glattrasiert, mit gerader Nase und markantem Kinn. Khakihosen und Mokassins. Keine Sonnenbrille. Eine alte Uhr mit Lederarmband. Er wirkte ernst und gleichzeitig lässig. Und war so attraktiv, dass sein Anblick eine Welle des Wohlbehagens in ihr auslöste. Wie ein schönes Gemälde. Er blickte geradeaus, nicht in ihre Richtung. Er konnte nicht sehen, dass sie ihn anstarrte, also erlaubte sie es sich. Einmal, damals war sie sechzehn und wartete bei Friendly's in der Schlange auf ihr Eis, entdeckte sie plötzlich vor sich einen Mann, der aussah wie Noah Wylie aus Emergency Room. Sie musste ihn unaufhörlich anstarren, so berauscht war sie von seinem Anblick. In Wirklichkeit war er noch viel attraktiver als im Fernsehen, und als er sein Eis bekommen hatte und sich umdrehte, begegneten sich ihre Blicke, und sie wurde rot. Im Hinausgehen lächelte er sie an. Später hörte sie, dass Noah Wylie in der Nähe von Buzzards Bay einen Film drehte, er war es also wirklich gewesen. Als sie Anna davon erzählte, sagte die nur: «Warum hast du dir kein Autogramm geholt, Holly? Wie konntest du dir die Gelegenheit entgehen lassen?» Aber Holly war mit einem flüchtigen Lächeln zufriedener als mit einem schnöden Stück Papier.
Der Hochprozentige stieg die Stufen herauf und reichte dem Fahrer sein Ticket. Verlegen wandte Holly den Blick ab und sah auf den Boden. Sie wurde rot, wie im Friendly's damals. Rotwerden ist wie Übelkeit, dachte sie. Man kann nichts dagegen tun. Man hat es nicht unter Kontrolle. Es passiert einfach. Aber er geht gleich vorbei und bemerkt es nicht, und solange ich zu Boden sehe, ist alles gut.
«Macht es dir etwas aus, wenn ich mich neben dich setze?»
«Klar.» Sie musste ihn ansehen. «Ich meine, nein. Macht mir nichts aus. Setz dich ruhig. Es macht mir nichts aus.» Sie musste vollkommen verwirrt klingen. Inzwischen war sie am ganzen Körper rot.
«Danke.» Er setzte sich.
Sie starrte wieder zu Boden.
«Hinten sind noch Plätze frei, aber ich sitze lieber vorne», erklärte er. «Ich sehe gerne raus.»
«Ja.»
Er hatte einen britischen Akzent. Seine Stimme war so attraktiv wie sein Äußeres. Es war gemein. Jetzt musste sie eine Stunde und fünfzehn Minuten lang neben ihm verbringen, und höchstwahrscheinlich war sie die ganze Zeit knallrot, hatte schwitzige Hände und brachte kein Wort heraus. Sie hatte kein Buch dabei, nichts, um so zu tun, als gäbe es Wichtigeres. Er hatte auch nichts in den Händen und saß ganz ruhig da, die Arme verschränkt.
Holly kannte niemanden, der nicht von sich behauptete, als Kind schüchtern gewesen zu sein; selbst die offensten, lautesten Menschen, selbst Leute wie Anna sagten von sich: «Als Kind war ich so schüchtern, das glaubst du gar nicht.» Und jedes Mal wollte Holly antworten: «Du hast recht, das glaube ich nicht. Ich war nämlich ein schüchternes Kind, und ich bin immer noch schüchtern, und ich kann mir nicht vorstellen, dass man da je herauswachsen kann.»
Die letzten Fahrgäste stiegen ein. Eine Frau mit kleinem Kind auf dem Arm setzte sich hinter sie. Sie wirkte müde und gestresst - und so dankbar, sich endlich setzen zu können, dass sie den unglaublich attraktiven Mann vor ihr nicht einmal bemerkte. Das bewirken Kinder, dachte Holly. Sie verlangen volle Konzentration aufs Wichtige - zum Beispiel, sich in einen Sitz fallen lassen und mal eine Pause einlegen.
Sie spürte, wie die Röte aus ihrem Gesicht wich, als der Busfahrer sich ans Steuer setzte und die Tür zuschwingen ließ. Stell dir vor, du bist Anna, sagte sie sich. Sag irgendwas Geistreiches, Lustiges. Er soll denken, du bist ganz entspannt. Als passierte dir das jeden Tag. Ein blendend aussehender Mann setzt sich neben dich, und du beginnst eine sprühende Unterhaltung mit ihm.
Das hatte sie vor.
Aber sie blieb stumm.
«Ja, es ist verwirrend. Der Ausdruck . Das ist so eine Floskel, und man weiß nie, wie man antworten soll. Ist richtig und falsch? Oder umgekehrt? Na ja». Er sah sie an. «Meine Wortklauberei ist wahrscheinlich nicht besonders interessant. Entschuldigung, ich bin auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch und daher ein bisschen nervös.»
«Doch. Finde ich interessant. Ganz bestimmt.» Seine Unsicherheit hatte ihre schlagartig weggewischt. Sie wagte es, direkt in seine Augen zu sehen. Sie waren dunkelblau. So blau wie Billys Pullover, damals, als er mit ihr tanzte. Eine unerfreuliche Erinnerung. Wegschieben und weitermachen. Sie lächelte. Er lächelte zurück und gab ihr die Hand.
«Jack Dane.»
«Holly Barrett.»
Ein kurzer, fester Händedruck.
«Mein Großvater gibt den Leuten immer die linke Hand, weil er meint, dass sie dem Herzen näher ist.»
«Klingt vernünftig.» Jack Dane nickte. «Dürfte aber ziemlich schwierig sein, die gesamte westliche Welt umzuerziehen.»
«Ich glaube nicht, dass er das will. Es ist nur so eine Marotte. Aber genug davon. Für welchen Job bewirbst du dich denn? Oder bringt es Unglück, darüber zu sprechen?»
«Unglück? Ich hoffe, nicht. Es ist nichts Großartiges - Kellner in einem neuen Restaurant in einer kleinen Stadt. Es liegt direkt am Meer, und da wollte ich schon immer hin.»
«Wo am Meer?»
«Der Ort heißt Shoreham.»
«Du machst Witze. Das Figs? Da bewirbst du dich? Ich lebe dort, in Shoreham.»
«Genau da.»
«Das Figs ist das erste schicke Restaurant bei uns. Die ganze Stadt redet von der Eröffnung. Bisher hatten wir nur Schnellrestaurants, Imbissbuden, Dunkin' Donuts und Pizzerias. Ich habe mir vor ein paar Tagen die Speisekarte im Aushang angeschaut. Wirklich piekfein.»
«Piekfein?» Jack Dane lachte.
«Ja, piekfein. Es gibt exotische Saucen. Granatapfel-Cocktails. Und ich glaube, da stand sogar so was wie Lachs im Kräutermantel.»
«In dem Lokal in Boston, wo ich bisher gearbeitet habe, gab es Lachs-Cocktails und Eiswürfel im Kräutermantel.»
«Ist ja unglaublich! Was für Sachen .» Dann bemerkte Holly sein amüsiertes Lächeln und wurde wieder rot. «Mein Gott, wie dumm von mir.»
«Überhaupt nicht. Ja, es war ein Scherz. Aber es hätte mich nicht gewundert, wenn es in dem Laden Lachs-Cocktails gegeben hätte. Oder Eiswürfel im Kräutermantel.»
«Du willst nur nett sein.»
«Im Gegenteil. Ich habe dort gearbeitet, schon vergessen?»
«Du bist Engländer?»
«Ja, aber ich kenne weder die Queen noch Prinz William, Prinz Harry oder David Beckham persönlich. Amerikaner sind da immer schwer enttäuscht. Ich habe schon daran gedacht zu schwindeln. Oder meinen Akzent abzulegen, damit ich keine falschen Hoffnungen wecke.»
«O nein, den Akzent solltest du nicht ablegen, er ist .»
Hinter ihnen jammerte das Kind, und seine Mutter sagte erschöpft: «Sei still, Tom.» Aber Tom gehorchte nicht. Er nörgelte lauter, und Holly hörte, wie er mit seinen kurzen Beinen gegen den Vordersitz trat - Jack Danes Sitz. Jack drehte sich um und sagte über die...
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