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Kapitel 2
Der gesamte Verkehr der umliegenden Straßen von Palmas Altstadt war schon seit Stunden gesperrt, und bald würde auch zu Fuß ein Durchkommen fast unmöglich werden.
In der Überzeugung, besonders schlau zu sein, hatte Xisca Font schon frühzeitig das Polizeipräsidium verlassen. Leider schienen auch andere Menschen über ein Gehirn zu verfügen und hatten sich ebenfalls auf den Weg gemacht, sodass ihr geplanter Spaziergang die Jaime III hinab zum Paseo Borne in nervenden Ausweichmanövern endete. Die neuen Schuhe drückten, und an ihrer rechten Ferse kündigte sich eine Blase an. In Zukunft würde sie ganz auf die Absätze verzichten, die paar Zentimeter Pseudoerhöhung machten sie auch nicht wirklich größer.
Ausgerechnet wenn ganz Palma sich in den engen Gassen versammelte, um mittelalterlich anhauchende Traditionen Schulter an Schulter im Gedränge aufleben zu lassen, musste sie mittendrin sein. Xisca dachte an die Kartons, die sich in ihrer Wohnung stapelten und die sie trotz der Woche Urlaub nach ihrem Umzug nicht geschafft hatte auszupacken. Sie hätte die Zeit jetzt wirklich sinnvoller nutzen können!
Andererseits schaute sie abends sowieso nach ihrer Mutter, und es spielte keine Rolle, ob sie dabei neben einem Rollator durch Palma schlich oder auf María Antonias Balkon Interesse an einer Osterprozession heuchelte.
Seitdem sie zurück auf der Insel war, beschränkte sich Xiscas Freizeit auf Fitnessstudio, Schießstand und eine Rollatorrunde mit ihrer Mutter, die die Zielflagge jedes Spazierganges in Gourmetpaläste steckte, welche nach der Höhe des glykämischen Indexes ihrer angebotenen Ware ausgesucht wurden. Wie Karottensahnetorte und Churros mit Kakao - schließlich brauchte jede auch noch so kurze Reise eine Destination. Den Weg als Ziel hielt ihre Mutter für die Ausrede gelangweilter Hausfrauen angesichts ausgefallener Yogastunde. Xisca hatte die Diskussion schon lange aufgegeben. Ein Widerspruch war so sinnvoll, wie mit frischer Föhnfrisur bei böigem Mistral eine Bootstour zu unternehmen.
So machte zumindest Xiscas Mitgliedschaft im Fitnessstudio Sinn, denn jeden Tag mit dem Sündenpfuhl konfrontiert zu werden, hätte sogar den heiligen Petrus in Versuchung geführt. Oder wem auch immer aus dem erleuchteten Kreis besondere Heiligkeit zugesprochen wurde.
Ihre Mutter hatte dem heutigen Tag entgegengesehen - zu sagen, sie hätte sich gefreut, wäre eine zu optimistische Aussage gewesen. Dieser Tage schien sie wenig zu begeistern. Und wenn etwas den Anschein erweckte, eine Regung zu erzeugen, die im weiteren Verwandtschaftskreis der Freude einzuordnen war, würde Xisca es ihr nicht abschlagen. Auch wenn das bedeutete, sich stundenlanges Gedudel und Getrommel anzutun und die eigenen Erledigungen zu vernachlässigen.
Die Terrasse überblickte die Calle Conquistador, an der die heutige Osterprozession entlangziehen würde. Das bedeutete Logensitze, guten Ribera del Duero-Wein und einen Haufen Snacks - für Letzteres würde ihre Mutter schon sorgen.
Xiscas Handy vibrierte in ihrer Handtasche. Das Bild auf dem Display zeigte das selig lächelnde Gesicht ihrer Mutter. Eine Portion wirklich guten Tiramisus hatte es geschafft, diesen Ausdruck der Wonne für einen Moment zu erzeugen, den Xisca sofort eingefangen hatte. Hängende Mundwinkel und Motzmodus waren die Regel und das vorherrschende Bild dieser Tage.
Sie nahm das Gespräch an.
"Xisca? Bist du das?"
Wer sollte es sonst sein, wenn sie Xiscas Nummer wählte? Als wäre es jemals vorgekommen, dass fremde Leute an Xiscas Handy gingen.
"Cati und ich sind jetzt bei María Antonia. Wann kommst du?" Ihre Mutter sprach in einer Lautstärke, als wäre ihr unbekannt, dass Telefone über ein Mikrofon verfügten. "Die Prozession beginnt um einundzwanzig Uhr, also sieh zu, dass du vorher da bist, sonst kommst du niemals durch."
"Ich weiß, ich bin schon ."
"Bis acht läuft Esmeralda." Der Satz war so geladen vor Andeutung wie die Maschinengewehre der Grupo Especial de Operaciones der spanischen Polizei.
Für einen normalen Erwachsenen mit durchschnittlicher Intelligenz und unter siebzig Jahren gab es nur zwei Optionen, die Serie unbeschadet zu ertragen: Entweder man schaltete um oder in Ermangelung dieser Alternative ermöglichte nur eine reichhaltige Senfzugabe den Konsum der versalzenen Kost. Und so hatten Xiscas unerwünschte Kommentare zu einer permanenten Verbannung vom Mitschauen der Daily Soap geführt.
"Das ist Pech, denn ich stehe fast vor der Tür." Was nicht stimmte, aber wer brauchte schon einen unfreiwilligen Extrarundgang durch die Altstadt?
"Dann sei aber leise." Die Worte gingen in einem Grummeln unter, gefolgt von Stille und dem Zeichen einer beendeten Leitung.
Xisca seufzte. Es half ein bisschen, sich die Ähnlichkeit ihrer Lage mit dem Schäfer Santiago aus Paolo Coelhos Alchemisten einzureden, der nach langer Reise auf der Suche nach dem Schatz an den Ort seiner Wurzeln zurückkehrte. Nur dass in ihrem Fall die Reise zehn Jahre gedauert hatte und Xisca nicht dem Ruf der Weisheit, sondern dem ihrer nun pflegebedürftigen Mutter gefolgt war. Vielleicht hatten unüberbrückbare Differenzen mit den obersten Vorgesetzten in Madrid auch eine klitzekleine Rolle gespielt. Ließe sie solche Spitzfindigkeiten beiseite, müsste demnach der metaphorische Schatz unter dem Feigenbaum warten. Hoffentlich.
Sie erreichte María Antonias Wohnung mitten in der Fernsehserie, genau in dem Moment, als auf dem Bildschirm die Haushälterin dem Gutsbesitzersohn eröffnete, seine verschollene Mutter zu sein. Die Wohnungstür war nur angelehnt, und Xisca winkte auf ihrem Weg in die Küche den drei Frauen vor dem Fernseher im Salon zu. Es erfolgte keine Reaktion auf ihr Eintreffen, die drei starrten regungslos auf den Bildschirm, als hätten sie das Haupt der Medusa erblickt.
Esmeralda-Zeit.
Xisca öffnete eine ihrer zwei mitgebrachten Rotweinflaschen und schenkte sich ein Glas ein.
Obwohl die Küche seit ihrer Kindheit drastisch verändert worden war, hätte sie sie mit verbundenen Augen aus Tausenden von Räumen wiedererkannt. Das altmodische Eichenholzdesign der Siebzigerjahre war einer modernen, taubenblauen Einbauzeile gewichen, unzusammenhängende geblümte Töpfe ersetzt durch polierten Stahl und gelb lackierte Behälter.
Doch der Duft war derselbe, einmalig, und lockte wie auf Knopfdruck die Bilder vergangener Tage hervor. Es war der Duft von frisch gebackenem Gató, mallorquinischem Mandelkuchen, der Duft von Zuhause, vom Gefühl unendlicher Möglichkeiten, glücklich verheirateten Eltern, Weihnachten und dem Nikolaus. Der Duft einer Zeit ohne Verbrecher, Tod und Chefs, ohne fortschreitende Krankheiten. Einer Zeit, in der Xiscas größtes Problem gewesen war, ob Paula mit ihr in der Pause Gummitwist spielen würde.
Seit Menschengedenken backte die beste Freundin ihrer Mutter zweimal wöchentlich diesen Kuchen, und der Duft setzte sich in den Poren der Wände fest und trotzte selbst neuester Imprägnierfarbe. Gegen die Küchentheke gelehnt, schlürfte Xisca mit geschlossenen Augen den Wein und inhalierte in tiefen Atemzügen das Kuchen-Elixir. Es sollte Raumsprays in dieser Duftnote geben.
Die Anspannung des Tages lockerte tatsächlich ihre Fesseln. Xisca hatte sich absichtlich die ruhige Osterwoche als Arbeitsbeginn ausgesucht, wenn das ganze Land sich im Urlaubsstimmungstaumel der Karwoche befand. Genug Zeit, sich in der neuen Abteilung der Homicidios y desaparecidos, der Mord- und Vermisstenfälle, einzuleben. Und obwohl die ersten zwei Tage ereignislos verlaufen waren, hatte Xisca das Gefühl, auf rohen Eiern zu laufen. Zu viel stand auf dem Spiel. Obwohl es eigentlich keinen wirklichen Grund dazu gab, fühlte Xisca sich wie ein exotischer Käfer unter einem Glas, dessen schillernder Chitinpanzer unter neugieriger, aber auch argwöhnischer Beobachtung stand. Dabei waren alle bisher ganz nett. Die einzigen dissonanten Vibes kamen vom einzigen anderen Subinspector im Team. Nachdem sie einander vorgestellt worden waren, hatte er verhaltener reagiert als die anderen Mitarbeiter, und Xisca war schon lange genug auf der Welt, um das nicht als Schüchternheit zu interpretieren. Mehr konnte sie aber nicht dazu sagen, da er sie seither aktiv ignoriert hatte.
Als aus dem Wohnzimmer die Werbepause ertönte, die unerklärlicherweise immer tausend Dezibel lauter war als der eingespielte Film, ging Xisca hinüber.
Die faltbare Glasfront von María Antonias Terrasse war aufgrund der milden Apriltemperaturen vollständig geöffnet. Aus ihrer Medusastarre erwacht, arrangierten sich ihre Mutter, María Antonia und Cati auf weichen Sitzkissen und mit leichten Wolldecken über den Knien wie in einer Theaterloge, mit freiem Blick auf die Straße, wo in Kürze die Prozession entlangziehen würde.
"Kommt Lali auch?" Xisca hatte María Antonias Tochter seit Weihnachten nicht mehr gesehen.
"Leider nein", antwortete María Antonia. "Ich soll aber liebe Grüße bestellen. Seitdem sie den Job in der neuen Kanzlei hat, ist sie bis spät in irgendwelchen Meetings."
Xisca nahm einen gierigen Bissen ihres zweiten Stücks Gató und versuchte, Herr der Kuchenmenge in ihrem Mund zu werden. Sie stutzte, als das Fallverhalten von Äpfeln nahe dem Stamm ihr in den Sinn kam, und schluckte hart. "Ich kann es immer noch nicht fassen. Die kleine Lali ist jetzt Anwältin."
"Zweiunddreißig Jahre ist nicht mehr so klein." Xiscas Mutter schob sich die Brille auf der Nase zurecht und...
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