6. Handzeichnungen italienischer Meister im Kupferstichcabinet.
Inhaltsverzeichnis 6. Handzeichnungen italienischer Meister im Kupferstichcabinet.
Im Erdgeschosse der Münchener Pinakothek ist in mehreren Zimmern eine berühmte Sammlung von Kupferstichen und Handzeichnungen untergebracht. Unter letzteren sind die Zeichnungen der altitalienischen Meister besser und reichlicher vertreten als in den anderen Sammlungen Deutschlands - Wien mit seiner herrlichen Albertina ausgenommen. Im Folgenden beschränke ich mich darauf, diejenigen Blätter zu verzeichnen, welche mir als echte erschienen sind. Bei der Untersuchung der in dieser Sammlung enthaltenen Handzeichnungen italienischer Meister, hätte ich gern dieselbe Regel befolgt wie bei den Bildern, d. h. sie nach Schulen geordnet, der Reihe nach den Lernbegierigen vorgeführt; bei näherer Erwägung jedoch wurde es mir klar, daß es für denjenigen, welcher von der Richtigkeit meiner Bestimmungen mit eigenen Augen sich überzeugen möchte, eine gar zu beschwerliche und langwierige Arbeit wäre, jedes Mal von einem Bande zu einem andern übergehen zu müssen; denn wie oben die Bilder, so sind auch die Zeichnungen leider pêle mêle zusammengestellt. Die Handzeichnungen sind in etwa 16 Bänden untergebracht, ohne daß irgend ein Gedanke der Vertheilung zu Grunde gelegt wäre:
"Italiener": Band 22: Dieser Band enthält fast ausschließlich Braun'sche Photographien berühmter Bilder von Leonardo da Vinci, Perugino, Francia u. s. w.; unter diesen Photographien fand ich übrigens auch eine treffliche getuschte Zeichnung von Giulio Romano.
Band 23: Ebenso in diesem Bande befinden sich: eine gute Tuschzeichnung "die Apotheose des h. Franciscus" vom Ferraresen Scarsellino; zwei Federzeichnungen von Ann. Caracci; eine Tuschzeichnung "Christi Auferstehung" von Cigoli; drei Tuschzeichnungen von Antonio Tempesta; eine Kreidezeichnung von Cesare d'Arpino; zwei Zeichnungen von Pietro da Cortona, und sieben dem Luca Cambiaso zugeschriebene Federzeichnungen, von denen aber nur eine ihm wirklich angehört.
Band 24: enthält als Handzeichnung des Gio. Battista Tiepolo bloß eine Kopie nach einem Bilde von ihm.
Band 25: In diesem Bande befinden sich keine Originale, sondern blos Photographien von Zeichnungen des Giotto, des Giovanni da Fiesole, und von Giov. Ant. da Pordenone. Um die guten Handzeichnungen zu finden, darnach dürfen wir nicht etwa im 26. oder den folgenden Bänden aufsuchen, sondern wir müssen 25 Bände überspringen und den 50. öffnen.
Band 50: 1. Leonardo da Vinci. Von den vier diesem großen Meister zugemutheten Zeichnungen erkenne ich als echt nur das Blatt mit den drei Studien von Maschinen und beigefügter schriftlicher Erklärung. Federzeichnung, mit der Strichlage von links nach rechts.
2. Giovanni da Fiesole und 3. Masaccio. Die diesen beiden Malern zugeschriebenen Zeichnungen sind zwar gut, gehören auch florentinischen Künstlern aus der Mitte des 15. Jahrhunderts an, aber weder dem Giov. da Fiesole noch dem Masaccio.
4. Pietro Perugino. Tuschzeichnung, den vom Johannes beweinten todten Christus darstellend, Studie zu einer "Grablegung." Schön und ganz im Sinne und der Gefühlsweise des Meisters; trotzdem erscheint mir diese Zeichnung als eine Kopie nach Perugino, von einem seiner bessern Schüler ausgeführt. Die Behandlung der Haarmasse ist ängstlich und geistlos, auch ist die Form der Finger nicht die dem Pietro eigenthümliche.
5. Giovanni Bellini. Zwei der Zeichnungen unter diesem Namen gehören dem Filippo Bellini an, einem Urbinaten vom Ende des 16. Jahrhunderts; "Achilles und Polissena" einer noch spätern Zeit, und endlich dürfte der von hinten gesehene, in schwarzer Kreide ausgeführte Frauenkopf mit Netzhaube, wohl eher einem Niederländer aus dem 17. Jahrhundert, als dem Giambellino zuzuschreiben sein.
6. Andrea Mantegna. a) Christus zwischen den h. Andreas und Longinus, mit der Aufschrift: PIO ET IMMORTALI DEO, getuschte Federzeichnung, sehr schön und, wie ich glaube, auch echt. Wahrscheinlich ist diese Zeichnung für den bekannten Kupferstich entworfen.
b) Mucius Scaevola, grau in grau, auf Leinwand aquarellirt, scheint mir ebenfalls dem Mantegna selbst anzugehören.
c) Eine der Musen, welchen wir in seinem bekannten Bilde der Louvregalerie "der Parnaß" begegnen. Feder, Sepia und Kreide. Scheint mir Kopie zu sein. Eine zweite von jenen Musen, in derselben Art behandelt wie diese und auch von derselben Größe, besitzt Herr Carlo Prayer in Mailand[80] Da es noch immer zu geschehen pflegt, daß sowohl in Gemälden als auch in Handzeichnungen Andrea Mantegna mit seinem Schwager Giovanni Bellini verwechselt wird und umgekehrt, wie z. B. in der bekannten Federskizze, eine "Pietà" darstellend, der Akademie von Venedig, so erlaube ich mir hier meine jungen Freunde auf die
Form des Ohres bei Giovanni Bellini. Die Form des Ohres bei Andrea Mantegna. Die Form der Hand bei Giovanni Bellini während seiner s. g. Mantegnesken Periode, also ungefähr von 1460 bis 1475.
Verschiedenheit, wie beide Meister die Form sowohl des Ohres als der Hand auffassen als charakteristische Unterscheidungszeichen, aufmerksam zu machen.
Eine vierte Zeichnung in München, welche ebenfalls dem Mantegna zugeschrieben wird, gehört vielmehr, meiner Meinung nach, dem
Liberale da Verona an. Es ist Die gewöhnliche Form der Hand bei A. Mantegna.
dies eine mit der Feder gezeichnete Apostelfigur, unten als Mantegna bezeichnet; schön und charakteristisch für den veronesischen Meister[81].
7. Andrea del Verrocchio. Federzeichnung; Studie der verschiedenen Proportionen an einem der Bronzepferde von S. Marco in Venedig. Ob diese Zeichnung dem Verocchio, dem Al. Leopardi oder irgend einem andern Bildhauer jener Zeit angehört, meine ich, wird schwer festzustellen sein.
8. Francesco Francia. Nichts.
9. Ambrogio Borgognone (1450-1523). Zwei ganz unbedeutende Zeichnungen vom Ende des 16. Jahrhunderts, vielleicht auch später.
10. Tiziano Vecellio: David im Begriffe dem Goliath den Kopf abzuschlagen; getuschte Federzeichnung, gut, doch wüßte ich nicht zu sagen, ob dieses Blatt wirklich dem großen Cadoriner zugeschrieben werden darf. Eine andere treffliche Zeichnung, ebenfalls unter Tizian's Namen, gehört dagegen unstreitig dem Victor Carpaccio an: dieselbe stellt einen Kriegsknecht mit Sporen, Dolch und Horn bewaffnet dar, Tusche und Kreide.
Auch der venezianische Senator, mit Schwarzkreide gezeichnet, dürfte, glaub' ich, eher dem Tintoretto als Tizian angehören.
11. Francesco Carotto. Getuschte Zeichnung, die h. Familie darstellend, oben auf dem Blatte Carazzi bezeichnet, ist in der That von Lodovico Caracci, und nicht von Carotto.
12. Domenico Ghirlandajo. Eine ganz vorzügliche Federzeichnung, eine Taufe (?) in einem Tempel, im Beisein von vielen Personen, darstellend. Sehr charakteristisch für den Meister. Von demselben ist auch eine Tuschzeichnung auf röthlich grundirtem Papier, "zwei Männer in florentiner Tracht, sich mit einander unterhaltend."
Band 51: 1. Unter den "Unbekannten" befindet sich eine ganz vorzügliche Zeichnung zu einem Reiterstandbilde des Francesco Sforza.
Diese Zeichnung, leicht und sicher mit der Feder umrissen und mit dünner Sepia schattirt, stellt sich jedem auch nur einigermaßen mit den Handzeichnungen des Antonio del Pollajuolo vertrauten als von seiner Hand ausgeführt dar. Wir sehen hier vor uns einen alten, kahlköpfigen Kriegshelden zu Pferde, unter dessen Hufen der zu Boden geworfene Feind liegt. Das Antlitz des Reiters hat die bekannten Züge des Francesco Sforza.
Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte diese treffliche Zeichnung eine von den zwei Handzeichnungen des Antonio del Pollajuolo sein, die Vasari selbst besaß und welche, nach der Aussage des Aretiners, Antonio für den Konkurs zum Monument gemacht hatte, welches Lodovico il Moro in Mailand seinem großen Vater Francesco zu errichten Willens war[82]: "E si trovò dopo la morte sua (di Antonio del Pollajuolo) il disegno e modello che a Lodovico Sforza egli avea fatto per la statua a cavallo di Francesco Sforza, duca di Milano; il quale disegno è nel nostro Libro in due modi[a 16]: in uno egli ha sotto Verona; nell' altro, egli tutto armato, e sopra un basamento pieno di battaglie, fa saltare il cavallo addosso ad un armato." Leider ist dies letztere Blatt, offenbar das vorliegende der Münchener Sammlung, verstümmelt worden, indem das "basamento pieno di battaglie" gegenwärtig fehlt. Der Grund, warum Pollajuolo den einen oder den anderen seiner Entwürfe zum Monumente Sforza's nicht in Metall ausgeführt hat, möchte, täusche ich mich nicht, ungefähr der folgende sein:
Schon der ältere Bruder des Moro, der Herzog Galeazzo...