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Die Nordsee war ruhig an diesem Pfingstsonntag des Jahres 1984. Vorausberechnet ruhig könnte man sagen, denn Schleppreisen in dieser Dimension müssen vor ihrem Start äußerst präzise durchkalkuliert und vorbereitet werden .
. und dazu gehören auch eigentlich unvorhersehbare Faktoren wie das Wetter. Anlass für die gründliche Vorbereitung war, eine gigantische Öl- und Gas-Förderplattform zur Energiegewinnung auf hoher See auf ihre endgültige Position in der Nordsee zu überführen.
Zehn Tage zuvor hatte sich im norwegischen Yrkefjord der bis dahin größte und aufwendigste Schleppzug aller Zeiten in Bewegung gesetzt - auf den Weg gemacht vom geschützten Bauplatz des Monstrums tief drinnen im Fjord bis zur endgültigen Seeposition auf der Vikingbank im norwegischen Anrechtsgebiet der Nordsee. Die Reise führte über eine Distanz von 50 Seemeilen (rund 92 Kilometer) durch die zerklüfteten norwegischen Fjorde mit Kursänderungen von bis zu 90° zur offenen Nordsee und dann noch einmal 250 Seemeilen (rund 463 Kilometer) über die 300 Meter tiefe Norwegenrinne hinweg zur finalen Absenkposition im Statfjord-Ölfeld der staatlichen norwegischen Ölgesellschaft Statoil.
Es war also damals beileibe keine besonders lange Schleppfahrt, dafür aber eine, die es in sich hatte. STATFJORD C war die dritte (und größte) eines Trios von Förderplattformen der Gesellschaft Statoil, bei denen die Tagesproduktion an Rohöl jeder einzelnen der drei Plattformen ausreicht, um kilometerlange Asphaltstraßen zu verlegen, Industrieanlagen und Schiffsmotoren anzutreiben, öffentliche Gebäude und Krankenhäuser zu beheizen, den Kraftfahrzeugverkehr mit Treibstoff zu versorgen, Kerosin für Flugzeuge zu liefern und Privathaushalte und Industrie mit Erdgas zu versorgen. Als Führungsschlepper bei der Positionierung von STATFJORD C mit dabei: die Hochsee- und Bergungsschlepper OCEANIC und ARCTIC der Hamburger Bugsier-Reederei. Neben den beiden Flaggschiffen der deutschen Hochseeschlepperflotte waren noch drei niederländische und drei norwegische Hochseeschlepper mit dabei - kurz: Das Beste, was Europas Schleppreedereien zu bieten hatten, war hier am Start. Alles zusammengerechnet waren Schlepper mit einem Maschinenvermögen von rund 100 000 PS und einer Zugleistung von knapp über 1000 Tonnen eingesetzt - eine zuvor in dieser Form noch nicht dagewesene Ballung an Schleppkraft.
Auf bis zu neun Windstärken steigerte sich das Sturmtief, das der Schleppzug mit der Förderplattform STATFJORD C (im Hintergrund) zu durchfahren hatte. Die Schleppreise wurde dadurch zwar verzögert, war aber zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form gefährdet und konnte wenige Tage später programmgemäß abgeschlossen werden.
Superlative waren bei dieser denkwürdigen Operation durchaus angebracht, handelte es sich bei der Förderplattform STATFJORD C mit einer Wasserverdrängung von 760 000 Tonnen und einer Höhe vom Boden bis zur Bohrturmspitze von fast 300 Metern doch um das damals größte und vor allem um das schwerste jemals über See transportierte Objekt. Allein der Betonsockel ("Caisson") enthielt 130 000 Kubikmeter Beton - genug, um für 5000 Familien Wohnungen zu errichten. Auf dem Deck ein achtstöckiges Hotel mit 287 Kabinen, Restaurants, Kino, Aufenthaltsräumen und Krankenstation. Die Energieversorgung stellte ein eigenes Kraftwerk mit einer Leistung von 38 000 Kilowatt sicher. Aber nicht nur die technischen Dimensionen überstiegen alles bis dahin Dagewesene, auch hinsichtlich der Präzision beim Aufstellen auf dem Meeresgrund wurden Maßstäbe gesetzt: "The centre of the caisson must fall within a circle with a radius of 25 metres. The heading must be 293° +-5°", lautete die Vorgabe. Eine Toleranz von 25 Metern in der Standortgenauigkeit und von 5° in der Ausrichtung, das war bei den vorliegenden Dimensionen bei STATFJORD C ein durchaus ehrgeiziges Ziel!
Das sind die besten Schlepper der Welt: Neben drei niederländischen Einheiten (links, Mitte und rechts) hatten auch ARCTIC (2. v. l.) und OCEANIC in zentraler Position an dem Betonkoloss mit einer Wasserverdrängung von rund 760 000 Tonnen angespannt, um diesen auf die spätere Dauerposition in der zentralen Nordsee zu überführen.
Nach Auswertung der Wetteraufzeichnungen über Jahrzehnte lässt sich ein sogenanntes "Wetterfenster", ein Zeitraum mit der geringsten Schlechtwetterperiode ermitteln, das in der mittleren Nordsee - statistisch gesehen - etwa Anfang bis Mitte Juni liegt. Also war der für die Rekordschleppreise gewählte Zeitpunkt durchaus sinnvoll - eine Garantie für das Eintreten eines solchen Wetterfensters war es indes nicht. So musste bei der Verschleppung der STATFJORD C bereits vier Tage, nachdem sich das bizarre Gespann in Bewegung gesetzt hatte, die exakt vorausberechnete Planung über den Haufen geworfen werden: Ein unerwartet aufziehendes Tiefdruckgebiet brachte kurz vor Erreichen der Zielposition bis zu neun Windstärken, sodass der gewaltige Schleppzug nur noch auf der Stelle treten konnte und auf Wetterbesserung warten musste. Allerdings war man auf solche unvorhersehbaren Ereignisse bestens vorbereitet, und alternative Abläufe, ein sogenannter "Plan B", war - auch für eine Vielzahl von anderen denkbaren unerwarteten Vorkommnissen - vorhanden. Gefährlich werden konnte der Sturm den Schleppern nicht, schon gar nicht der wie festgenagelt im Wasser stehenden Betonkonstruktion STATFJORD C, aber bei hohem Wellengang, der sich zwangsläufig bei starkem Wind aufbaut, werden die Schleppverbindungen ganz anders als bei glattem Wasser zum Teil sogar extrem belastet. Also galt für die Besatzungen der Schlepper allerhöchste Konzentration. Denn der Bruch einer oder mehrerer Schleppdrähte hätte wirklich unabsehbare Folgen gehabt, ganz zu schweigen davon, dass es nahezu unmöglich gewesen wäre, hier draußen auf See die im geschützten Fjord mit hohem technischen Aufwand hergestellte Verbindung, die in einer Wassertiefe von 70 Metern an der Betonplattform befestigt war und über zahlreiche Schwimmkörper zur Abfederung von plötzlich auftretenden Belastungen zu den sechs Schleppern führte, erneut aufzubauen. Allerdings lagen auch für einen solchen Fall Alternativkonzepte vor. Es sollte einfach nichts dem Zufall überlassen werden.
70 Meter unter der Wasseroberfläche befanden sich die Fixpunkte für die Schlepptrossen der insgesamt sieben Hochseeschlepper für die STATFJORD C. Auf dieser Schemazeichnung ist die Struktur der Plattform und des Schleppgeschirrs sowie die gegebenen Dimensionen gut zu erkennen.
"Die besten Schlepper der Welt" seien für diese Operation bestellt worden, hieß es damals in norwegischen Schifffahrtskreisen - kein Wunder, bei einem Wert des geschleppten Objekts von etwa drei Milliarden US-Dollar kann man sich nicht mit dem Zweitbesten zufrieden geben. Die Hamburg/Bremerhavener Bugsier-Reederei besaß damals elf Hochsee- und Bergungsschlepper mit Antriebsleistungen von 4200 bis 13 500 PS, sechs kombinierte See- und Hafenschlepper bis 2000 PS sowie 24 reine Hafenschlepper. Sie verfügte damit nicht nur über eine hochmoderne Flotte von Fahrzeugen dieses speziellen Schiffstyps, sondern zählte auch zu den führenden Schleppreedereien der Welt und genoss aufgrund von jahrzehntelang zur Zufriedenheit der Kundschaft ausgeführten Schleppaufträgen einen ausgezeichneten Ruf.
Wenn das schwere Schleppgeschirr der ARCTIC klar gemacht wird, ist die gesamte Decksbesatzung im Einsatz. Im Vordergrund der mächtige geflochtene Perlonrecker, der plötzliche Stoßbelastungen auf das Schleppgeschirr elastisch auffangen soll.
Nachdem der Sturm sich gelegt hatte und auch der Seegang merklich zurückgegangen war (eine Positionierung durfte trotz der nahezu unbeweglich im Wasser stehenden Betonplattform nicht bei Seegang mit Wellenhöhen von zwei Metern und darüber erfolgen) konnte die letzte Etappe dieser historischen Schleppreise in Angriff genommen und nur wenige Stunden später, am Pfingstsonntag 1984, erfolgreich abgeschlossen werden. "Our heading is onetenth degree off course and we are eight metres off the cross. You all did a phantastic job, I shall say thank you, Gentleman." Nach diesen erlösenden und anerkennenden Worten von Nick Storey, dem Gesamtleiter dieser denkwürdigen Operation, die er am 10. Juni 1984 um 6.27 Uhr per UKW an die beteiligten Schlepperbesatzungen durchgab, war ein Schleppauftrag erledigt, der zwar bei Weitem nicht der längste oder weiteste, dafür aber der aufwendigste und wegen der enormen bewegten Werte der am meisten beachtete in der damaligen Zeit war. Abgesehen von dem weltweiten Interesse, das diesem Stück Seefahrtsgeschichte damals entgegengebracht wurde, hatte die Verschleppung der STATFJORD C auch innerhalb der Bugsier-Reederei einen gewissen Seltenheitswert, denn Aufträge, die die beiden Flaggschiffe der Bugsier-Schlepperflotte, die...
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