Schweitzer Fachinformationen
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Die rosafarbene Marmorwand fühlte sich kühl an. Sarah fuhr mit den Fingerspitzen daran entlang, während sie sich weiter hinein in das nagelneue Royal Avenue Hotel von Toledo wagte. Große funkelnde Kristallkronleuchter ließen den riesigen Raum erstrahlen. Frische tropische Blumen und exotische, fleischblättrige Grünpflanzen in urnenförmigen Gefäßen vermittelten einen hellen, einladenden Eindruck und mäßigten die Strenge des Zierwerks aus Marmor und Messing. Wäre sie sich der wachsamen Blicke des Empfangschefs nicht bewusst gewesen, hätte Sarah ihre gerötete Wange an den Marmor geschmiegt, um etwas von dessen Kühle anzunehmen. Doch er beobachtete sie, und sie meinte zu wissen, was er dachte: Was sucht dieses freche kleine Schulmädchen in meinem prächtigen neuen Hotel?
Ihm war es nicht zu verübeln. Sie hatte gerade eine Schicht als Fremdenführerin für die Seneca-Universität hinter sich, und die Entscheidungsgewaltigen hatten verfügt, dass ihre Fremdenführer eine altmodische Uniform aus kurzem Schottenrock, steifem weißem Hemd, weißen Söckchen und schwarzen Lackschuhen zu tragen hätten.
Ihre kastanienbraunen Haare hatte sie zu zwei Rattenschwänzchen gebunden. Sie war nicht geschminkt. Sarah glaubte, kein Make-up zu brauchen - ihre Wimpern waren lang und die Lippen voll und dunkelrosa. Ihre Augen, die sie als hübschestes Merkmal ihres Gesichts ansah, standen weit auseinander und waren von solch dunklem Blau, dass sie mit Saphiren verglichen worden waren (von ihrem Dad, na schön, aber trotzdem .) und ihr Freund David sie als marineblau bezeichnet hatte. Sie hatte es nie nötig gefunden, ihre Lider, ihre Wangen oder ihren Mund anzumalen - bis eben nicht, als sie sich von Herzen wünschte, auf der Stelle wie eine erwachsene Frau aussehen zu können statt wie ein junges Mädchen. Eine Frau, die hierhingehörte.
Das würde bald vorübergehen. Die Befangenheit, die sie an ungewohnten Orten stets empfand, würde sich legen, sobald sie sich an das Hotel gewöhnte, wenn sie nur lange genug hier verweilte. Sie war versucht, ihren schweren Rucksack zu nehmen und zu verschwinden, widerstand aber dem Impuls. Draußen war es schwülheiß wie im Hochsommer, obwohl der Herbst nahte. Es gab keinen Ort, an den sie hätte gehen können, nirgendwohin außer nach Hause auf ihr Zimmer oder zu David in seine Wohnung, wo er, eine wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Geschichte, gewissenhaft die ersten Hausarbeiten des Herbstsemesters durchsah und die erste seiner allwinterlichen Erkältungen auskurierte. Ärger kam in ihr auf. Das auf keinen Fall.
Ein lauter Jauchzer hallte in der weitläufigen Empfangshalle wider.
Eine Hotelbar! Sarah hatte ihren Glückstag, und warum auch nicht? Schließlich hatte sie Geburtstag.
Sehnsüchtig schweifte ihr Blick an den exklusiven Geschäften entlang, die auf der rechten Seite der Empfangshalle sie wie Sirenen lockten. Nur zehn Minuten würde sie brauchen, um die nötige Garderobe und Schminke zu besorgen, damit sie sich als betuchte Frau maskieren konnte. Zehn Minuten und eine Kreditkarte, die nicht völlig ausgeschöpft wäre, wie es ihre war. Nein.
So sehr sie auch das Gefühl von Seide oder Wildleder auf ihrer Haut genießen würde, es sollte nicht sein. So wenig wie ein Zimmer in diesem Hotel, wahrscheinlich vornehm kühl eingerichtet, mit frischen Schnittblumen und einem großen Bett, mit edlen Leinenlaken und einer makellos weißen Decke bezogen und darauf wartend, dass sie sich hineinlegte und es zu ihrem machte. Nein.
Aber eine halbe Flasche Champagner in der Hotelbar? Ja. Das konnte sie sich beinahe leisten. Deshalb war sie hier. Lange, lange hatte sie auf diesen Augenblick gewartet und nicht ein einziges Mal dem Drang auch nur so weit nachgegeben, ein Bier hinunterzustürzen oder sich eine Margarita, einen Zombie oder Screwdriver zu gönnen. Seit ihrer Pubertät hatte sie es sich vorgenommen und immer daran gehalten: Sie würde ihre Jungfräulichkeit an genau dem Tag verlieren, da sie von Gesetz wegen Alkohol trinken dürfte, mit einundzwanzig. Nicht alt, aber auch nicht zu jung. Champagner trinken und sich in sexuellen Wonnen verlieren - beides zum allerersten Mal - waren ihr wie ein unschlagbarer Plan erschienen. Die Geduld wert. Aber leider haben es Pläne an sich, nicht aufzugehen.
Was sie jedoch nicht davon abhielt, welche zu schmieden. Sarah hatte einen klaren Verstand; sie war klug, gewissenhaft und geübt darin, Wissen aufzunehmen und Möglichkeiten weiterzudenken. Diese Fähigkeiten sollten ihr helfen, die Welt zu verstehen, und das hatte sie unbedingt vor. Nur verhielten sich die Menschen selten vorstellungsgemäß; und wie die Welt eben war, enthielt sie reichlich viele veränderliche Größen, Sarahs Meinung nach zu viele. Und allmählich kam es ihr vor, als werde sie nie ihren Platz darin finden. Sie würde immer ein schräges Bild abgeben, das einer Außenseiterin in einer Welt, die für manche Sinn ergeben muss, es für sie aber nie tun würde.
Nur weil der blöde David ihren Geburtstag vergessen hatte, musste sie nicht den ganzen Tag lang leiden. Mit einem begehrlichen Abschiedsblick auf die verlockenden Läden wandte sie sich nach links.
Ehe sie sich in die Hotelbar wagen und einen Einzeltisch suchen konnte, wurde sie vom Barkeeper abgefangen. Er streckte seine Hand aus. Einen Augenblick lang dachte sie, er erwarte ein Trinkgeld, bevor er sie bedienen würde.
«Ausweis?», fragte er.
Ach so, ja. Sarah ließ ihren Rucksack fallen und bückte sich, um nach ihrer Brieftasche zu suchen. Sie holte zwecks Altersprüfung ihren Führerschein hervor und wurde belohnt, als der Barkeeper sagte: «Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Miss Meadows.»
«Danke.»
«Ihre Gesellschaft sitzt gleich da drüben.»
Sarah hängte sich den Rucksack wieder über die Schulter und folgte dem Barkeeper. Ihre Gesellschaft? Sie sah sich um und rechnete halb damit, David an einem der Tische zu sehen, einen Kübel mit einer Flasche Champagner vor sich und einen Zimmerschlüssel in der Hand. Es wäre so toll festzustellen, dass er ihren Geburtstag doch nicht vergessen hatte, vor allem nicht diesen besonderen heute, und sich vielmehr Mühe mit diesem hinreißenden .
Der Barkeeper führte sie zu zwei Männern um die dreißig in Geschäftsanzügen und drei jüngeren, lebhaften Frauen. Alle drei trugen edel geschnittene, sexy Partykleider; eine mit einem schulterfreien Oberteil, die beiden anderen mit tiefen Ausschnitten. Noch ehe Sarah etwas einwenden konnte, wurde sie von den beiden Männern überschwänglich begrüßt und ein Stuhl für sie vorgezogen.
Sie setzte sich.
«Ich bin Jack», sagte einer der gutaussehenden Männer und streckte seine Hand aus, «und das ist mein Partner Bill. Du heißt .?»
«Ich bin Sarah.»
«Freut mich, dass du kommen konntest - endlich», murmelte eine der Frauen.
«Ich habe mich verlaufen», murmelte Sarah, der vollkommen schleierhaft war, wie sie sich zu einer Verabredung verspäten konnte, von der sie überhaupt nichts wusste. Obwohl es gewissermaßen zutraf. Nach ihrer Schicht war sie in die Innenstadt von Toledo gefahren, um ihre bei Barnes and Noble bestellten Lehrbücher gegen einen Gutschein einzulösen, den sie zu Weinachten geschenkt bekommen hatte. Die zusätzliche Mühe war es ihr wert gewesen, da sie sonst in der Universitätsbuchhandlung bar hätte bezahlen müssen. Doch auf dem Rückweg von der Innenstadt zum Campus hatte sie sich natürlich verlaufen. Ihr fehlte jeglicher Orientierungssinn. Allenfalls ein eigenes Navi hätte sie davor bewahrt, im Kreis zu laufen und zu rätseln, wo, zum Teufel, sie eigentlich war. Das passierte jedes Mal. Jedes Mal geriet sie deswegen in Rage.
Schlimmer noch, ein junges strohblondes, stupsnasiges Ding in einem zu jugendlichen, zu kurzen, bonbonfarbenen gestreiften Popelinekleid hatte sie nach dem Weg zu ebendiesem Hotel gefragt. Und Sarah hatte in ihrem besten Fremdenführertonfall geantwortet: «Das Royal Avenue liegt etwa zehn Häuserblocks südlich, glaube ich.» Das Mädchen hatte wenig erfreut auf ihrem Kaugummi herumgeschmatzt. Fünf Minuten später war Sarah um eine Ecke gebogen und auf das neue Royal Avenue Hotel in der Innenstadt von Toledo gestoßen. Eine schöne Fremdenführerin war sie!
«Macht gar nichts, macht überhaupt nichts», sagte Jack. «Was trinkst du?»
«Ich habe heute Geburtstag und wollte eigentlich eine halbe Flasche Champagner bestellen.»
«Dein Geburtstag! Wunderbar! Barkeeper, eine Magnumflasche Dom Perignon bitte.»
«Ich kann nicht - ich könnte niemals -»
«Geburtstag feiert man nur einmal im Jahr. Und wir feiern, stimmt's, Bill? Wir haben gerade unsere Internetfirma für . also . einen Haufen Geld verkauft.»
«Meinen Glückwunsch.»
«Ein Volltreffer, aber echt», warf Bill ein. «Wir haben sie gerade rechtzeitig aufgezogen, um Dorn im Fleisch der Großen im Internetgeschäft zu werden, und keine Frage, einer musste uns aufkaufen. Dank Jack hier haben wir fürs ganze Leben ausgesorgt.»
Fürs ganze Leben ausgesorgt. Wie mochte sich das wohl anfühlen? Das Studiendarlehen zurückzahlen, den Autokredit, die Autoreparaturen begleichen . Sarah konnte nicht länger darüber nachdenken.
Allen wurden geeiste Sektflöten vorgesetzt. Der Barkeeper hielt ihnen eine große, gediegen geformte Flasche hin. «Dom Perignon 1998, Sir», murmelte er. Jack nickte, und der Barkeeper löste den Korken. Jack deutete auf das Glas vor Sarah, woraufhin sie als Erste bedient wurde.
«Wie hübsch das aussieht», flüsterte sie. Sie konnte gar nicht anders. Das blassgelbe Nass perlte zu einer Schaumkrone...
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