Schweitzer Fachinformationen
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Imogen sah, wie sich die Tür hinter William schloss, und ließ sich wieder in die Kissen fallen. William hatte für das Frühstücksbüfett im Hotel bezahlt und musste es deswegen ausgiebig nutzen, Imogen hatte morgens jedoch nicht genug Geduld für Touristen, die ihre Köpfe wie zum Gebet über Stadtkarten beugten. Das feierliche Schweigen, die unauffälligen, verstohlenen Blicke auf die Gäste, wenn sie den Speisesaal betraten. Touristen in Venedig waren so seriös. Um William zu gefallen, hatte Imogen das Frühstück im La Calcina ausprobiert, aber dieses ganze Hin- und Hergerenne für harte Käsestücke und kaltes Fleisch, ein trockenes Croissant und einen Butterwürfel auf Eis hatte sie nicht überzeugt. Zudem war der Frühstücksraum düster gehalten, in venezianischem Burgunderrot, und überall waren Brokatschnörkel. Es gab eine gewisse Art opulenter italienischer Inneneinrichtung, die nachts gut aussah, Imogen bei Tageslicht aber an ein tristes und abgeranztes viktorianisches Theater erinnerte.
Margo hatte immer dafür gesorgt, dass sie im Urlaub opulent frühstückten, damit sie das Mittagessen zugunsten von Kirchenbesuchen ausfallen lassen konnten. Bei Kulturreisen hatte Margo sie den ganzen Tag über rumlaufen lassen, sie marschierte vorneweg - und nach ihren lautstarken »Girls!«-Rufen wandten sich allerlei Köpfe zu ihnen um. Imogen erinnerte sich daran, wie peinlich es ihr gewesen war, weil sich »Margo« so englisch anhörte, sie war so unverkennbar sie selbst. Die Blicke, die sie auf sich zog, schienen sie nicht zu kümmern. Ermutigt von dem Gedanken, dass Margo jetzt nicht bei ihr war, sprang Imogen aus den Laken und wirbelte wie eine Spukgestalt durch das Hotelzimmer, öffnete lautstark die Fensterläden. Sie machte so viel Lärm, dass Passanten unten am Kanal hinaufschauten; die Kellner, die Besteck im schwimmenden Restaurant auslegten, drehten sich um. Wenn sie einen Blick auf sie erhascht hätten, hätten sie sie nackt gesehen. Aber noch ehe jemand Haut aufblitzen sah, war Imogen schnell wieder unter die Laken geschlüpft und badete im Sonnenlicht, das nun jede Ecke des Raumes wärmte.
Imogen sorgte sich, ihr Hotelzimmer könnte so imposant sein, dass es jegliche romantische Regung im Keim erstickte. Es verfügte nicht nur über »Kanalblick«, sondern auch über eine Privatterrasse, die nach drei Seiten hin den Blick auf die turbulente Zattere freigab. Alles schimmerte in der Frühlingssonne. Zunächst hatte Venedig wie ein unmögliches Trugbild gewirkt, das aus dem Wasser emporstieg, und dann hatte es Imogen mit einem Farbfeuerwerk überwältigt. Der kobaltblaue Himmel, die warmroten Steine, das Gold des Markusdoms, das Orange der Apéros, die sie tranken. Imogen hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich von alldem so eingeschüchtert fühlen oder derart rebellische Emotionen entwickeln würde. Zuweilen reichte die türkisgrüne Reglosigkeit der Kanäle aus, um ihr die Tränen in die Augen zu treiben. Sie hatte immer schon gewusst, dass Venedig für sie eine Bedeutung haben würde, weil ihre Eltern dort die Flitterwochen verbracht hatten. Margo war mit ihren Töchtern nie dorthin gefahren, hatte nicht einmal darüber gesprochen, obwohl doch alle wussten, dass Italien ihr Lieblingsland war. Dieses Thema durfte man auf keinen Fall anschneiden.
Als Kind hatte Imogen einmal im Nachttisch der Mutter ein Bild in einem Umschlag gefunden. Es zeigte eine junge Margo mit einem Heiligenschein aus dicken Locken. Sie hatte runde Wangen und endlose Beine. Sie lächelte auf eine Weise, die Imogen nie zuvor gesehen hatte. Ihr Vater war unscharf, doch er grinste auch, hatte einen Arm besitzergreifend um Margos Schulter gelegt. Er hatte schmale Hüften und eine Löwenmähne. Sie standen neben einer Skulptur im Garten des Guggenheim Museums. Selbst in diesem Alter hatte Imogen gewusst, dass sie dieses Bild nicht erwähnen sollte. Sie sollte sich hinsetzen und den Zauber in sich aufnehmen, stattdessen steckte sie es zurück in den Umschlag und legte ihn wieder in die Schublade.
Der erste Ort in Venedig, den sie William vorgeschlagen hatte, war das Guggenheim. Sie erzählte ihm nicht, warum sie ein Bild von sich Arm in Arm neben einer gewissen Statue haben wollte. Und als sie den blassen Abklatsch sah, den ein Passant auf ihrem Handy gemacht hatte, wusste sie: Es war hoffnungslos, Richard und Margo nachzueifern. Imogen hasste ihr Mondgesicht und die Tatsache, dass sie rein gar nicht wie eine elegante junge Margo aussah. Imogen hatte das Bild von ihrem Telefon gelöscht. Sie fragte sich, warum sie William nichts davon erzählte, als das altmodische Telefon auf dem Nachttisch mit Marmorplatte klingelte und sie hochfahren ließ. Sie nahm den Hörer ab und lehnte sich aufrechter gegen die Kissen.
Die Stimme am anderen Ende klang hastig und schrill. »Hat er es schon getan?«
Imogen war einer der wenigen Menschen, die Margo und Rachel am Telefon auseinanderhalten konnte. Sie war erleichtert, dass ihre Schwester am Apparat war. Selbst wenn es sich manchmal so anfühlte, als hätte sie zwei Mütter, war der Umgang mit Rachel auf jeden Fall einfacher. »Nein. Bitte ruf nicht mehr an und frag danach. Was soll ich denn antworten, wenn William bei mir ist? Und warum rufst du im Hotel an? Ich habe doch ein Handy.«
»Du gehst doch nie dran. Du hast eine Telefonphobie. Er ist beim Frühstück und brütet über Karten, plant euren Tag und ich wette, du fläzt dich im Bett herum. Wahrscheinlich nackt. Einige von uns sind schon seit sechs Uhr wach, weißt du - ich bin gerade mit dem Kajak nach Priory und zurück gefahren.«
»Ich darf faulenzen, ich bin im Urlaub. Wie geht es meinen Nichten? Was ist bei euch los?« Imogen hoffte, sie könnte ihre Schwester ablenken.
»Gibt nichts Neues . außer, dass Margo eine Osterparty in Sandcove plant. Du weißt schon, dem Haus, das eigentlich mir gehört. Tom hat die Idee, mit seinem Bootsanhänger Bierkisten über die Helling zu transportieren. Lizzie ist zum ersten Mal auf einem Pony von Gemma geritten, ich schick dir ein Bild. Margo fragt mich immer wieder, ob ich was von dir gehört habe. Sie ist wie die Katze auf dem heißen Blechdach.«
Imogen hasste es, dass sie alle zu Hause waren und über sie redeten, auf das Unvermeidliche warteten. Sie hatte außerdem Heimweh nach Sandcove. Sie hatte ein Bild von ihrer Schwester im Kopf, die in der Küche steht, barfuß auf den Steinplatten, mit offenem Fenster, durch das man die Geräusche des Strandes hört. Ihre kleinen Nichten Lizzie und Hannah tobten um die Kücheninsel, so wie Imogen und ihre Schwestern als Kinder. »Sie wird versuchen, die Goughs zu übertrumpfen.«
»Ich habe sie gebeten, es etwas gesitteter angehen zu lassen als letztes Jahr, aber ich bezweifele, dass sie sich daran halten wird. Hör zu, ich muss los, ich habe um elf einen Kunden am Telefon.«
Imogen hörte William auf der Hoteltreppe pfeifen. Sie freute sich, dass er glücklich war, doch das Pfeifen ging ihr auf die Nerven. »Will kommt. Ich höre ihn auf der Treppe pfeifen.«
»Wenn Gabriel ständig pfeifen würde, würde ich mich von ihm scheiden lassen.«
»Rach! Sei doch nicht so gemein.«
»Wie ist es denn so in Venedig?«
»Ich weiß nicht. Furchterregend?«
»Du bist Schriftstellerin, Imi.«
»Es ist schwer zu erklären. Umwerfend, ein wenig unwirklich.«
»Margo spricht nicht darüber, dass du da bist. Wegen ihrer Flitterwochen mit Richard.«
William kam herein, wirbelte mit einem riesigen Messingschlüssel an einer Brokatquaste herum. »Buongiorno Principessa!« Schwungvoll reichte er Imogen ein Croissant, das in eine Papierserviette eingeschlagen war. »Frühstück ist fertig.«
»Ich telefoniere. Rachel ist dran.«
William verdrehte die Augen zur Decke. »Ihr täglicher Kontrollanruf.«
»Will ist da.«
»Sag ihm viele Grüße. Ruf an, wenn es etwas Neues gibt.« Und Rachel legte einfach so auf.
Imogen versuchte, das Croissant möglichst enthusiastisch zu essen. Wie so häufig verstärkte die Ungeduld ihrer Schwester mit William ihre eigene Zuneigung für ihn. Sie beschloss, doch nicht vorzuschlagen, sie würde die Basilica dei Frari allein besichtigen und sich später mit ihm zum Mittagessen treffen. Sie sollten gemeinsam gehen. William teilte ihre Leidenschaft für Kirchen nicht, aber warum hatte sie den Versuch aufgegeben, ihn zu bekehren? Margo versuchte es bei Sasha immer noch hartnäckig weiter, auch zwanzig Jahre nachdem sie probiert hatte, sie als Achtjährige in Florenz zu indoktrinieren. Sasha verachtete Kunst. Ihre Berufung war die Medizin und sie bereiste die ganze Welt für eine NGO, die medizinische Krisenzentren aufbaute. Das war Sashas Lebensaufgabe und sie achtete darauf, dass alle wussten, wie wichtig eine sinnvolle Beschäftigung war, was Imogen manchmal das Gefühl gab, ihr Schreiben sei eine selbstgefällige Art der Selbstverwirklichung.
Imogen dachte daran, wie lang ihr letztes Treffen mit Sasha her war, wie lang Sasha nicht mehr nach Hause nach Sandcove gekommen war. War Sasha nicht da, vermisste Imogen sie, und wenn sie endlich zusammenkamen, fragte sie sich, wie sie Sashas Sarkasmus und Spitzzüngigkeit ertragen sollte. Sasha war das jüngste Kind der Familie und vermutlich diejenige, die Margos Erwartungen am weitesten hinter sich gelassen und Imogen dem gesamten Rest der Mutterliebe ausgesetzt hatte. Sie versuchte, es Sasha nicht übel zu nehmen, aber sie konnte nicht immer die gute Schwester in Gedanken und Taten sein. Imogen schob die Gedanken an ihre Familie beiseite und versuchte, sich mehr in der Gegenwart zu...
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