Schweitzer Fachinformationen
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»Also, während ich mich durch den Supermarkt gekämpft habe, hast du im Bastelgeschäft nicht nur Christbaumkugeln und Draht besorgt . sondern auch ein Weihnachtsmannkostüm?«
Laurel richtete den Blick kurz von der gewundenen Straße nach Middledip auf ihre vierzehnjährige Nichte Daisy, die neben ihr auf dem Beifahrersitz saß. Die Scheibenwischer ihres Autos schoben die winzigen Schneeflocken zur Seite, die vom bereits dunkler werdenden Nachmittagshimmel fielen.
Daisy kicherte. »Ich weiß, es ist erst Mitte November, aber ich muss langsam anfangen, Adventskränze zu basteln. Für die aus frischem Tannengrün ist es zu früh, die sind bis Weihnachten zu trocken, aber die aus Kugeln und Plastikzweigen mache ich jetzt schon. Das Weihnachtsmannkostüm ist für die Weihnachtsfeier der Siebtklässler, da helfe ich der Schule bei der Planung. In fünf Wochen beginnen schließlich schon die Ferien.«
»Dann gehen wohl auch schon bald die Weihnachtsveranstaltungen los«, sagte Laurel. »Huch! Was ist denn hier los?«
Ruckartig stieg sie auf die Bremse. Ein Mann war plötzlich mitten aus dem Schneegestöber aufgetaucht und wedelte wild mit den Armen.
»Wo kommt der denn her?« Daisy schnappte nach Luft, als der SUV ins Schlingern geriet und auf dem Rücksitz die Einkaufstüten geräuschvoll herumrutschten.
»Da am Straßenrand steht ein Auto. Vielleicht ist es liegengeblieben. Mach bloß nicht das Fenster auf!«, fügte Laurel hastig hinzu.
»Da ist noch ein anderer Mann bei dem Auto.« Daisy lugte durch die Scheibe und kniff unter ihrem dunkelbraun gelockten Pony angestrengt die Augen zusammen. Sie kicherte. »Was macht der denn da? Es sieht so aus, als würde er sich am Türgriff festhalten. Und er hat eine Jacke umgebunden. Sieh mal, seine Beine sind ja ganz nackt. Und er trägt keine Schuhe.«
»Das ist wirklich seltsam.« Laurel kaute auf ihrer Lippe, während sie die bizarre Szene betrachtete. Wäre es nicht besser, den Mann zu ignorieren und einfach weiterzufahren? Sie befanden sich immer noch fünf Kilometer von Middledip entfernt, auf einer abgelegenen Straße, die nur von den Scheinwerfern ihres Autos erhellt wurde. Sofort hatte sie Bilder von Autoentführungen vor Augen. Immerhin hatte sie ihre Nichte dabei, für die sie verantwortlich war.
Der Mann, der ihnen vors Auto gerannt war, lief nun auf sie zu und klopfte ans Fenster. Laurel zuckte zusammen, als sie erkannte, um wen es sich handelte.
Grady Cassidy.
Sie wusste zwar, dass Grady noch in Middledip wohnte - Daisy war mit seinem Neffen Niall befreundet -, doch er hatte früher mal einen besonderen Platz in ihrem Herzen gehabt, so dass sie nicht verhindern konnte, dass sein plötzliches Auftauchen ihr einen Schock versetzte.
Im nächsten Moment prustete Daisy, die immer noch den anderen Mann bei dem Auto anstarrte, los vor Lachen. »Das ist Nialls Dad, Mac Cassidy, unser Stufenleiter in der Schule. Anscheinend haben sie ihm einen Streich gespielt!«
Laurel fuhr herum und starrte Gradys Bruder Mac an, der halbnackt vor seinem Auto stand, die kurzen Haare wehten im stürmischen Wind. Es war tatsächlich Mac Cassidy - ohne Hose. Was zum Teufel tat er da?
Langsam drehte sie sich wieder zu Grady um. Er war nicht mehr der brave, rehäugige Teenager, an den sie sich erinnerte. Die glatten Haare trug er schulterlang und hatte sie hinter die Ohren gestrichen, die dunklen Augenbrauen waren buschig. Sein Anblick war vertraut, aber seine Schultern deutlich breiter, das Kinn mit Bartstoppeln übersät und die Stirn, die er nun angestrengt in Falten legte, während er versuchte, etwas im Inneren des Autos zu erkennen, höher.
Bis Laurel mit sechzehn Jahren das Dorf verlassen hatte, waren sie und Grady durchaus so etwas wie ein Paar gewesen. Ihm hatte sie ihre Träume von einem Künstlerleben anvertraut, und die hohle, alles verschlingende Trauer, die sie nach dem Tod ihrer Mutter zwei Jahre zuvor durchlitten hatte. Im Gegenzug hatte er bei ihr seine Sorgen abgeladen, wenn die Familie mal wieder von den Konflikten zwischen seinem rebellischen Bruder und seinem dominanten Dad erschüttert wurde. Bis zu dem Ereignis in jener Nacht .
»Können Sie uns helfen?«, rief Grady durch die Scheibe. »Jemand hat uns zum Anhalten gebracht und unsere Handys gestohlen. Mein Bruder ist halb erfroren.« Grady schlang fröstelnd die Arme um sich, er trug nur einen Kapuzenpullover. Vermutlich hatte er seine Jacke Mac gegeben.
Mit unangenehm klopfendem Herzen ließ Laurel die Scheibe ein paar Zentimeter runter, und Grady kam näher. In seinem Blick lag kein Erkennen, doch es war auch neunzehn Jahre her, und Laurel wusste, dass sie sich verändert hatte.
»Ein paar junge Kerle haben uns überholt und dann so getan, als hätten sie einen Motorschaden. Als wir angehalten haben, um ihnen zu helfen, sind sie rausgesprungen - sie waren zu fünft. Während die einen mich festgehalten haben, hat der Rest sich über Mac hergemacht, ihm seine Jeans und Stiefel ausgezogen und ihn dann mit Kabelbinder an der Autotür festgebunden. Die fanden das extrem lustig«, fügte er verbittert hinzu.
Laurel schaute wieder zu Mac, der ihnen notgedrungen den Rücken zuwandte, jedoch versuchte, den Kopf zu drehen, als wollte er ihr Gespräch mitbekommen, die Augen gegen den Schneesturm zusammengekniffen, der ihm ins Gesicht blies. »Sie haben eure Handys geklaut?«, wiederholte Laurel und stellte sich kurz vor, wie es wäre, einfach davonzufahren und Mac Cassidy in seiner misslichen, unwürdigen Lage zurückzulassen. Die Rache wäre so süß, dass ihre Finger tatsächlich über der Gangschaltung zuckten. Dann wurde ihr bewusst, dass sie inzwischen zu alt war für solche Rachephantasien, egal, wie sehr der ältere Cassidy-Bruder es verdient hatte. Sie zog die Handbremse und schaltete die Warnleuchten ein. »Im Kofferraum habe ich Werkzeug, mit dem wir ihn befreien können. Dann können Sie nach Hause fahren.«
»Die Mistkerle haben auch Macs Autoschlüssel mitgenommen«, sagte Grady, während er zurücktrat, damit sie die Autotür öffnen konnte. »Meinen eigenen Schlüssel hab ich zwar noch, aber das hilft uns nicht viel, mein Auto steht vier Kilometer weit weg.« Dann fügte er hinzu, als ob Laurels Schweigen eine Frage gewesen wäre: »Ich weiß, ich hätte ins Dorf laufen können, aber es wäre zu gefährlich gewesen, meinen Bruder hier allein am Straßenrand zurückzulassen. Was, wenn ein Autofahrer ihn übersehen hätte?«
Laurel musste zugeben, dass er damit nicht ganz unrecht hatte. Der Wagen parkte direkt hinter einer Kurve. Dann sah sie, wie Daisy ihr Handy unauffällig mit der Kamera in Richtung des unglücklichen Mac ausrichtete. »Hör auf damit«, zischte sie ihr zu. »Ich meine es ernst, Daisy. Es ist mir egal, ob er euer Stufenleiter ist und dir mal Nachsitzen aufgebrummt hat. Das gibt dir nicht das Recht, solche Fotos in Umlauf zu bringen.«
»Ich wollte sie doch bloß an Niall schicken.« Daisy grinste, ließ jedoch die Hand mit dem Telefon sinken.
»Bleib bitte im Auto«, setzte Laurel an.
Doch Daisy sprang bereits mit einem fröhlichen »Hallo, Grady! Guten Abend, Mr. Cassidy« aus dem Wagen.
»Mist«, murmelte Laurel und kletterte so schnell wie möglich aus dem Auto, wobei sie sich hastig die Kapuze gegen die eisige Luft über den Kopf zog.
Sie bekam nicht mit, ob Mac auf Daisys Begrüßung reagiert hatte, denn sie eilte bereits zum Kofferraum, wo ihr Leatherman-Multitool-Werkzeug lag, mit dem sie normalerweise beim Malen die verkrusteten Farbentuben wiederverwendbar machte. Sie fragte auch nicht nach, wieso die Angreifer es nur auf Mac abgesehen hatten. Es war vermutlich immer noch so wie früher: Grady war der Kumpeltyp, Mac derjenige, der Ärger machte. Sie klappte das Werkzeug auf, bis sie die Schere gefunden hatte, die sie dann an Grady weitergab, und achtete darauf, zu Mac den größtmöglichen Abstand zu bewahren.
Erleichterung machte sich auf Gradys Gesicht breit, als er das Werkzeug entgegennahm. »Danke.« Sein Mund entspannte sich zu einem plötzlichen Lächeln. »Sie sind ein Engel.«
Laurel nickte, und Grady ging zu Mac, den er mit ein paar geschickt platzierten Schnitten erlöste.
»Danke.« Mac nickte in Laurels Richtung, war aber gleichzeitig damit beschäftigt, seine Handgelenke zu reiben und dabei nicht den Griff um die Jacke zu verlieren. Keiner der beiden Männer schien sie zu erkennen.
Daisy öffnete die hintere Tür von Laurels Auto und steckte den Oberkörper hinein, nur um Sekunden später mit einem triumphierenden Ausdruck auf dem Gesicht wieder aufzutauchen. »Bitte schön, Mr. Cassidy. Das habe ich gerade für die Weihnachtsfeier der Siebtklässler gekauft, Sie können es gerne ausleihen.« Strahlend überreichte sie Mac die rote Hose des Weihnachtsmannkostüms.
»Oh, ähm, danke, Daisy«, murmelte Mac verdrossen.
Er nahm die gefaltete Filzhose mit solch augenscheinlichem Widerwillen entgegen, dass Laurel spürte, wie ein irrer Drang zu kichern in ihr aufstieg wie ein mit Helium gefüllter Luftballon. Mit bebender Stimme sagte sie zu Daisy: »Komm, wir gehen zurück ins Auto, damit Mr. Cassidy sich in Ruhe anziehen kann.«
Mac murmelte ein schwaches »Danke«, doch Grady schob sich an ihm vorbei und lugte in die Tiefen von Laurels Kapuze, als versuchte er, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. »Äh . ich will nicht undankbar klingen oder so, aber Sie haben jetzt nicht vor, wegzufahren und uns hier zurückzulassen, oder?«
Daisy saß bereits wieder auf dem Beifahrersitz, und Laurel zögerte genau den einen Moment lang, den sie...
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