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Das Inselkönigreich Melniboné pflegt noch immer seine alten Rituale, obschon die Macht dieses Volkes seit fünfhundert Jahren dahinschwindet und es seine Lebensweise nur wahren kann, weil es Handel mit den Jungen Königreichen treibt und die Hauptstadt Imrryr zu einem Treffpunkt der Kaufleute geworden ist. Erfüllen diese Rituale noch einen Zweck? Darf man sie verwerfen, ohne Unheil heraufzubeschwören? Einer, der an Elrics statt zu herrschen wünscht, will das nicht glauben. Er behauptet, Elric setze die Zukunft von Melniboné aufs Spiel, weil er nicht alle Rituale anerkennt. (Elric erkennt deren viele an.) Und nun nimmt die Tragödie, die erst in vielen Jahren ihr Ende finden und den Untergang dieser Welt herbeiführen wird, ihren Lauf.
Sie hat die Farbe eines ausgeblichenen Schädels, seine Haut; milchweiß fällt ihm das lange Haar bis über die Schultern. Aus seinem schmalen, wohlgeformten Kopf starren, blutrot und mürrisch, zwei leicht schräg stehende Augen, und aus den weiten Ärmeln seines gelben Gewandes kommen zwei zarte, bleiche Hände zum Vorschein, um auf den Armlehnen eines Thrones zu ruhen, der aus einem einzigen riesigen Rubin geschnitten ist.
Die blutroten Augen wirken bekümmert, und von Zeit zu Zeit hebt sich eine Hand, um über den Helm zu streichen, der auf den weißen Locken sitzt - ein Helm aus einer dunklen, grünlichen Legierung, kunstvoll geformt zum Ebenbild eines Drachen, der gerade die Flügel ausbreitet. An einem Finger jener Hand, die gedankenverloren die Krone liebkost, steckt ein Ring, in den ein einzelner, seltener Actorios-Stein gefasst ist, dessen Inneres sich manchmal träge bewegt und eine neue Gestalt annimmt, als bestünde es aus lebendem Rauch, in seinem kostbaren Gefängnis ebenso ruhelos wie der junge Albino auf seinem Rubinthron.
Elrics Blick schweift die weitläufige Quarztreppe hinab, an deren unterem Ende sich sein Hofstaat vergnügt. Männer und Frauen tanzen mit einer solchen Geziertheit, mit solch flüsternder Anmut, dass sie fast Gespenstern gleichen. Er grübelt über die sittlichen Belange seiner Heimat nach, und diese Tätigkeit allein unterscheidet ihn schon von der großen Mehrheit seiner Untertanen, denn sie sind keine Menschen.
Dies ist das Volk von Melniboné, das zehntausend Jahre lang über die Welt herrschte, und das Ende dieser Herrschaft liegt noch keine fünfhundert Jahre zurück. Die Bewohner der Dracheninsel sind grausam und klug, und für sie bedeutet »Moral« kaum mehr, als den Traditionen zahlloser Jahrhunderte den gebührenden Respekt zu erweisen.
Auf den jungen Mann, den vierhundertachtundzwanzigsten Magierkaiser von Melniboné in ununterbrochener Folge, wirken ihre Anmaßungen überheblich, sogar töricht; es ist offenkundig, dass die Dracheninsel ihre Macht weitgehend eingebüßt hat und dass ihr bald, in einem Jahrhundert oder zwei, ein Krieg mit den aufstrebenden Staaten der Menschen droht, die sie herablassend die »Jungen Königreiche« nennen. Schon heute haben Piratenflotten - erfolglos - Imrryr die Schöne angegriffen, die träumende Stadt, Herrschaftssitz der Dracheninsel von Melniboné.
Doch selbst die engsten Freunde des Kaisers weigern sich, auch nur die Möglichkeit zu erörtern, dass Melniboné fallen könnte. Sie sehen es ungern, wenn er darüber spricht, denn für sie sind seine Überlegungen nicht nur undenkbar, sondern auch ein außerordentlicher Verstoß gegen den guten Geschmack.
Und so sinniert der Kaiser ganz alleine über sein Schicksal. Er beklagt, dass sein Vater, Sadric der Sechsundachtzigste, nicht mehr Kinder gezeugt hat, denn dann hätte vielleicht ein geeigneterer Monarch seinen Platz auf dem Rubinthron eingenommen. Sadric ist vor einem Jahr gestorben - dem Vernehmen nach hieß er die Kreatur, die seine Seele von ihm einforderte, im Flüsterton willkommen. Fast sein ganzes Leben hatte Sadric keiner anderen Frau beigelegen als seiner Gattin, obwohl die Kaiserin gestorben war, als sie ihren einzigen, dünnblütigen Abkömmling zur Welt brachte. Die Gefühle derer von Melniboné unterscheiden sich auf merkwürdige Weise von denen der Menschen; Sadric hatte seine Frau geliebt und war nicht mehr in der Lage gewesen, an irgendeinem anderen Umgang Freude zu finden, selbst nicht an dem mit seinem Sohn, der sie getötet hatte und der alles war, was ihm von ihr geblieben. Zaubertränke, Runengesänge und seltene Heilkräuter hatten diesen Sohn am Leben erhalten, und sämtliche Künste, die den Magierkönigen von Melniboné bekannt waren, verliehen ihm Kraft. Nur der Zauberei hat er es zu verdanken, dass er den Thron besteigen konnte, denn er ist von Natur aus schwächlich, und ohne stärkende Mittel wäre er an einem normalen Tag nicht einmal in der Lage gewesen, die Hand zu heben.
Wenn der junge Kaiser denn seiner lebenslangen Schwäche einen Nutzen hat abringen können, dann wohl den, dass er zwangsläufig viel las. Bevor er fünfzehn war, hatte er sämtliche Bücher in der Bibliothek seines Vaters verschlugen, manche davon mehr als einmal. Seine magischen Fähigkeiten, anfangs von Sadric erlernt, sind inzwischen weit größer als die seiner Vorfahren. Sein Wissen über die Welt jenseits der Küsten Melnibonés ist umfassend, obgleich er sie bisher selten aus erster Hand kennengelernt hat. Wenn er wollte, könnte er die Dracheninsel zu ihrer einstigen Größe zurückführen und sowohl sein eigenes Land als auch die Jungen Königreiche als unbezwingbarer Tyrann regieren. Doch seine Lektüre hat ihn auch gelehrt, die Verlockungen der Macht und seine eigenen Motive zu hinterfragen. Er weiß nicht, ob er überhaupt tun soll, wozu er fähig ist, ganz gleich aus welchem Grund. Seine Lektüre hat ihn mit moralischen Grundsätzen konfrontiert, die er selbst kaum versteht. Und so ist er seinen Untertanen ein Rätsel, und manche halten ihn für eine Gefahr, denn weder sein Denken noch sein Handeln entsprechen ihren Vorstellungen davon, wie ein Sohn der Dracheninsel (und ihr Kaiser gar) denken und handeln sollte. Sein Vetter Yyrkoon zum Beispiel hat mehr als einmal seinen Zweifeln daran Ausdruck verliehen, dass Elric das Recht habe, über das Volk von Melniboné zu gebieten. »Dieser schwächliche Gelehrte wird uns noch alle ins Unglück stürzen«, sagte er eines Abends zu Dyvim Tvar, dem Herrn der Drachenhöhlen.
Dyvim Tvar ist einer der wenigen echten Freunde des Kaisers, und so berichtete er pflichtgemäß von diesem Gespräch. Der junge Regent tat die Bemerkung jedoch als »belanglosen Verrat« ab, wohingegen sämtliche seiner Vorfahren eine solche Äußerung mit einer ebenso langsamen wie auserlesenen öffentlichen Hinrichtung belohnt hätten.
Was die Lage des Kaisers darüber hinaus noch schwieriger gestaltet, ist die Tatsache, dass Yyrkoon, der längst keinen Hehl mehr aus seiner Ansicht macht, dass eigentlich er auf dem Thron sitzen sollte, der Bruder von Cymoril ist, einer jungen Frau, die der Kaiser als seine engste Freundin betrachtet und die dereinst seine Kaiserin werden wird.
Weit unterhalb des Throns, auf dem Mosaikboden, tanzt Prinz Yyrkoon, in feinste juwelenbesetzte Seide und Pelze gehüllt, mit einhundert Frauen, die Gerüchten zufolge alle irgendwann einmal seine Geliebten waren. Seine dunklen Gesichtszüge, zugleich wohlgestaltet und melancholisch, werden von langem schwarzem Haar umrahmt, die Locken glänzen von teurem Öl. Seine Miene ist, wie stets, hämisch und seine Haltung dünkelhaft. Der schwere Umhang aus Brokat schwingt hierhin und dorthin, trifft andere Tänzer mit nicht unerheblicher Wucht. Yyrkoon trägt ihn fast wie eine Rüstung oder, vielleicht, wie eine Waffe. Viele der Höflinge empfinden dem Prinzen gegenüber Hochachtung. Nur wenigen ist sein Hochmut zuwider, und diese behalten ihren Ärger für sich, denn auch Yyrkoon ist ein mächtiger Magier. Außerdem entspricht sein Gebaren dem, was der Hof von einem Sohn Melnibonés erwartet. Wenn nur der Kaiser ihm gliche!
Der Kaiser wiederum weiß das alles. Er würde seinem Hofstaat nur zu gerne willfahren, bemüht dieser sich doch, ihm mit seinen Tänzen und seinem Geist die Ehre zu erweisen, aber er kann sich nicht dazu bringen, an etwas teilzunehmen, das er im Stillen für eine lästige, ermüdende Folge ritueller Posen hält. In dieser Hinsicht ist er vielleicht noch hochmütiger als Yyrkoon, der sich bei aller Grobheit wenigstens im Einklang mit der Tradition befindet.
Die Musik, die von den Emporen herunterschallt, wird lauter und komplexer, denn die Sklaven, eigens ausgebildet und chirurgisch präpariert, nur einen einzigen vollkommenen Ton zu singen, werden in ihren leidenschaftlichen Bemühungen noch stärker angespornt. Sogar der Kaiser ist von den unheimlichen Harmonien ihres Gesangs bewegt, die weit über alles hinausgehen, wozu menschliche Stimmen für gewöhnlich fähig sind. Wie ist es möglich, dass ihr Schmerz eine solche Schönheit hervorbringt?, fragt er sich. Oder ist Schönheit stets eine Folge von Schmerz? Ist das das Geheimnis großer Kunst, der Kunst der Menschen wie der Melnibonéer?
Der Kaiser schließt die Augen.
Ein Raunen geht durch den Saal. Die Tore haben sich geöffnet, und die tanzenden Höflinge halten in ihren Bewegungen inne, weichen zurück und verneigen sich tief, als Soldaten hereinkommen. Diese sind in helles Blau gekleidet, ihre prächtigen Helme in den phantastischsten Formen gestaltet, ihre langen Lanzen unterhalb der breiten Klingen...
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