Schweitzer Fachinformationen
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Mein neues Zuhause.
Das ist aber auch schon alles, was ich weiß. Mein neues Zuhause, das ich mir noch nicht einmal angesehen habe. Das ich blind gekauft habe. Ich Wahnsinniger. Ich zwangsverschicke mich selber an einen Ort, vor dem mich jeder vernünftige Mensch gewarnt hat:
Höchste Arbeitslosigkeit Deutschlands. Dumpfe Ossis. Alkoholiker und Neonazis. Die gesunde Bevölkerung flieht. Zurück bleiben die Loser, die Alten, die Gescheiterten, die Kaputten. Das vergessene Land. Das Land, welches Kohls berühmten Ausspruch von den «blühenden Landschaften» zum Dauerlacher werden ließ. Und da willst du hin? Da war nie was, da wird auch nie was sein, und du willst ernsthaft dahin? Du bist bekloppt!
Die Euphorie von eben weicht dem mir so vertrauten Gefühl vor Theaterpremieren oder wichtigen TV-Auftritten: dem Lampenfieber. Wenn es gut läuft: Triumph. Wenn nicht: Niedergang. Aber das hier ist kein Theaterstück, hier geht es um mein Leben. Bis jetzt habe ich mich ja immer irgendwie durchgeschlagen. Nach dem Bach-Prinzip: Der Bach sucht sich immer den Weg des geringsten Widerstandes und bringt sein Wasser, zwar über Umwege, aber dennoch ins Meer. Das funktionierte als junger, alleinstehender Mensch sehr gut: Wenn es wo nicht passt: weg, next, fertig.
Das war die Zeit, in der ich noch drauf geachtet hatte, nicht mehr irdische Güter mein Eigen zu nennen, als in einen VW-Bus passen. Also etwa die Menge, die jetzt in meinem Anhänger verstaut ist. Aber da ist noch ein ganzer Bauernhof in der Schweiz, voller Möbel, Klamotten, Bücher, Schallplatten, Teppiche, Geschirr, Tonnen von Geschäftspapier, dem Restmüll unserer aufgelösten TV-Produktionsfirma, der von Gesetzes wegen aufgehoben werden muss. Da steht noch eine riesige Scheune voll mit landwirtschaftlichem Gerät, Maschinen, Werkzeug, Zaunmaterial, Pferdekram und einem Heuwender, Zweitakt, Baujahr 59. Dieser ganze Riesenberg von Dingen und Sachen und Undingen und Unsachgemäßem, das zwei Menschen im «besten Alter» früher irgendwann einmal ganz furchtbar dringend gebraucht und deshalb angeschafft hatten und die wir jetzt am Hals haben.
Das will alles noch verladen und hierhergebracht werden. Und wenn dieses «hierher» sich als Riesenfehler entpuppt? Dann steh ich da mit 30 Tonnen Besitztum. Was tut ein Obdachloser mit 30 Tonnen Schweizer Zivilisation? Hat doch unter keiner Brücke Platz .
Ganz abgesehen davon erwarten zwei große Hunde und vier Katzen einfach von mir, irgendwo zu Hause sein zu können. Und die vier Esel, das Pferd, die Enten, die in einer Stunde per Spezialtransport unter tierärztlicher Aufsicht im neuen Zuhause eintreffen? Die stehn dann da. Die kann man ja auch nicht einfach am Halfter nehmen und sagen: «Na, schaun wir mal, ob es nicht doch in der Toscana schöner ist.»
Kurz: Meine Sonja und ich haben es hier auszuhalten, auch wenn sich herausstellen sollte, dass es nicht zum Aushalten ist . Wobei Sonja wenigstens über den kleinen psychologischen Vorteil verfügt, dass sie, im Gegensatz zu mir, den Hof in Amerika schon kennt. Sie hat ihn gefunden, sie hat entschieden: Hier ist gut sein.
Nie werde ich ihren Anruf vergessen, der mich auf dem alten Hof in der Schweiz erreichte. Sie lebte bereits in einer kleinen Wohnung in Berlin, ich hütete Hof und Tiere in der Schweiz, so gut es eben ging, neben meiner Arbeit für das Schweizer Fernsehen. Sonja hatte seit fast einem Jahr neben ihrem Berliner Job als Filmproduzentin jede freie Stunde genutzt, einen Hof zu finden, der passen könnte. «Passen» bedeutete:
1. Wir müssen ihn uns leisten können. Heißt, die vielen leerstehenden adeligen Gutshäuser: fallen weg.
2. Das dazugehörige Land muss arrondiert sein. Nicht dort ein Fleckchen und hier ein Stückchen, sondern klassisch ein Haus mit Land drum rum. Heißt, die Hunderte leerstehender sogenannter Resthöfe: fallen weg.
3. Maximal eine Stunde Fahrzeit in die Berliner City. Heißt, die Zehntausende leerstehender Gehöfte in der Uckermark, der Lausitz oder dem Oderbruch: fallen weg.
«Mein lieber Maaaaaan», scholl es aus dem Telefonhörer. «Ich sitze grade in einem kleinen Dorf namens Amerika beim Dorfwirt im Gastgarten. Es is narrisch!». (Meine Frau ist Österreicherin.)
«Es gibt wirklich ein Dorf, das Amerika heißt?», fragte ich. Als Kind habe ich mir immer vorgestellt, ich wäre gar nicht der Sohn meiner Eltern, sondern das durch einen schrecklichen Zufall vertauschte Kind reicher Amerikaner, die aussehen wie «Tammy». («Das Mädchen vom Hausboot») und Little Joe («Bonanza»), und jeden Moment konnte es geschehen, dass die beiden vor unserer Tür stünden. Tammy würde mich glücklich an ihre spitze Brust drücken, und Joe würde mir einen echten kleinen Colt schenken, und sie würden mich mitnehmen auf ihre Ranch in . verdammt, jetzt würde dieser Traum vielleicht Wirklichkeit werden: eine Farm in Amerika. Ohne Tammy und Joe. Zum Glück.
«Ja!», lachte Sonja. «Amerika, es heißt echt Amerika, es is so narrisch. Über mir das Blätterdach der alten Bäume, die Vögel zwitschern in den Büschen, die Abendsonne scheint mir ins Gesicht, und ich hab mir einen Hof angesehen.»
Blitzschnell analysierte ich: Sonja ist gut drauf («lieber Maaaaan» nennt sie mich nur, wenn sie freudig aufgelegt ist), das Dorf ist ruhig (Vogelgezwitscher), es handelt sich um kein Schlafdorf, sondern um eines mit lebendiger sozialer Struktur (Dorfwirt), es ist ein kleines Dorf (sie sitzt beim Dorfwirt und nicht bei einem Dorfwirt), es steht nicht im Schatten einer Chipfabrik oder einer Zeppelin-Montagehalle (Sonne im Gesicht), und der Hof, um den es geht, ist interessant. Immerhin hat sie ihn angeschaut, ist nicht, wie so viele Male zuvor, sofort wieder gefahren, verärgert über die Zeit, die ihr der Makler stahl mit einem Angebot, das mit unseren Suchkriterien und seinen Schilderungen so viel gemein hatte wie eine frischgefangene Lachsforelle mit den labbrigen Fischstäbchen von vorgestern.
Das hörte sich gut an. Bis jetzt.
«Und?», fragte ich mit belegter Stimme.
«No ja.» Nichts weiter, nur dieses «No ja», gefolgt von Schmatzgeräuschen. Wahrscheinlich verleibte sie sich gerade ein Stück hausgemachten Brandenburger Streuselkuchen ein oder zerkaute einen Wildschweinbraten, hiesige Jagd. Natürlich reine Verzögerungstaktik, ihre Mampferei. Sie wollte mich auf die Folter spannen. Und die Tatsache, dass sie mich auf die Folter spannte, bedeutete doch, dass sie eine sensationelle Neuigkeit mitzuteilen hatte. Das war ein gutes Zeichen, ein sehr gutes sogar. Ich wurde nervös.
«Was isst du denn gerade?», wollte ich wissen. Bloß nicht anmerken lassen, dass das mit dem Auf-die-Folter-Spannen prächtig funktionierte.
«'ne Strippe.»
«Was?»
«'ne Strippe.» Schmatz, kau, schluck.
«Telefonstrippe, Hanfseil, Kupferleitung oder was für 'ne Strippe?»
«'n Brötchen. Die heißen hier Strippen, weißt du?»
«Warum?»
«Weiß nicht.»
Sonja sitzt also bei einem Wirt, der zu Brötchen «Strippen» sagt. Ruhig bleiben.
«Ach so, 'n Brötchen isst du. Lass es dir schmecken.»
«Tu ich. Und bei dir, alles gut?»
«Ja, alles gut, aber was .»
«Schön, freut mich. Du mein lieber Maaaaaaaaan, du.»
«Sonja, du rufst mich doch nicht an, um mir zu erzählen, dass du Strippen isst.»
«Schmecken aber gut!»
Es war Folter. Sie hätte noch stundenlang smalltalken können, wissend, dass ich danach schmachtete zu erfahren, was nun mit dem besichtigten Hof ist.
«Sonja, was ist mit .»
«Hmmm?»
«Was ist mit dem Hof?»
«No ja .»
«Das sagtest du schon.»
«Nett.»
«Wie nett?»
«Sehr nett.»
«Und?»
«Das fragtest du schon.»
«Sonja!»
«Ich glaub, der isses.»
UFF! Preis? Zustand? Lage? Größe? Nebengebäude? Land? Ich ließ ein Trommelfeuer von Fragen auf Sonja niederprasseln, die sie wie aus der Pistole geschossen beantwortete. Der Hof bestand aus einem großen zweistöckigen Ziegelsteinhaus, leider nicht mehr mit der original Stuckaturfassade, sondern mit grobem Spritzverputz, wie er in der DDR Standard war - keiner weiß so recht, warum eigentlich. Aber voll...
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