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Dieses ist der zweite Vortrag, den Maria Montessori 1933 beim 19. Internationalen Kurs in London hielt
Ich sagte Ihnen, dass das Zentrum unserer Pädagogik, das Fundament, auf dem alles beruht, die Verwandlung des Kindes ist. Wir verwenden das Wort "Verwandlung" in einem neuen Sinne. Im Allgemeinen bedeutet es, wenn man von Erwachsenen spricht, eine "Wandlung der Überzeugungen", indem man neue Orientierungen in Bezug auf die Einstellungen seines Gewissens findet. Wenn wir jedoch beim Kind von Verwandlung sprechen, meinen wir die Offenbarung einer Natur, die sich von der unterscheidet, die wir bisher von ihm kannten. Sie tritt so sehr hervor, dass einige der Journalisten vor 30 Jahren, als dies zum ersten Mal bemerkt wurde, den Begriff "das neue Kind" verwendeten. Was meinten sie damit? Offensichtlich eine Art Kindheit, die man vorher nicht gekannte hatte: Kinder, die mit einer anderen Wesensart ausgestattet zu sein schienen. Die Grundlage unserer Arbeit besteht also darin, zwischen diesen beiden Naturen des Kindes unterscheiden zu können. Die eine, die oberflächlichere, diejenige, die wir in den gewöhnlichen Lebensumständen beobachten, ist allen gut bekannt. Es ist die Natur, die von Psychologen als die einzige Natur des Kindes betrachtet wird.
Und es ist ausschließlich diese Natur, die von den gegenwärtigen Strömungen der Pädagogik berücksichtigt wird. Aber wenn wir von der Natur des Kindes sprechen, beziehen wir uns auf jene verborgene Natur, die besondere Bedingungen erfordert, wenn sie sich offenbaren und entwickeln soll.
Ich möchte Ihnen nun diese beiden Erscheinungsformen vor Augen führen, um den Unterschied zwischen ihren psychologischen Aspekten zu veranschaulichen. Kinder, die wir unter alltäglichen Umständen beobachten können, zeichnen sich durch bestimmte Merkmale aus, zum Beispiel durch eine Ungeordnetheit ihrer Motorik. Da sie sich ständig in Bewegung befinden, zerbrechen und zerstören sie oft Dinge. Bei solchen Kindern herrscht eine Unruhe, die der Erwachsene nicht kontrollieren kann. Selbst wenn es den Anschein hat, dass er sie eingedämmt hat, ist dies nicht wirklich geschehen. Man kann es an anderen Reaktionen erkennen. Das Kind ist ungehorsam und reagiert auf geforderte Disziplin mit Ausbrüchen, die man gemeinhin Ungezogenheit nennt, oder es reagiert damit, dass es zu weinen beginnt. Andere Merkmale dieses allgemeinen Verhaltens der Kindheit sind Schwindeln und Gier. Kinder lieben leckere Speisen, essen gern übermäßig, und der Erwachsene muss sich ständig einmischen und versuchen, sie anzuleiten. Dann gibt es Besessenheit. Kinder hängen sehr an ihrem Besitz, an ihrem Spielzeug usw. und sind immer bereit, für ihr Eigentum zu kämpfen.
Angst und Abhängigkeit sind weitere Dinge, die dieser Natur eigentümlich sind. Im Allgemeinen sind solche Kinder voller Ängste. Sie haben Angst vor der Dunkelheit, um eine Sache zu erwähnen, und sie sind in hohem Maße abhängig von Älteren. Sie suchen ständig nach jemandem, der ihnen hilft oder ihnen Gesellschaft leistet. Dies kann als natürliche Bindung emotionaler Art interpretiert werden. Wenn dem so wäre, wäre nichts dagegen einzuwenden, im Gegenteil! Aber oft handelt es sich nicht um Zuneigung. Oft erweckt das Kind, das seine Mutter oder seine Geschwister nie verlassen möchte, den Eindruck, ein Wesen zu sein, das von der Angst besessen ist, in der Welt allein gelassen zu werden, und das deshalb ständig auf Unterstützung angewiesen ist.
Auch im intellektuellen Bereich scheint es das Bedürfnis nach fortwährender Hilfe seitens der Älteren zu spüren. Es stellt ständig Fragen und fleht Erwachsene an, ihm Geschichten zu erzählen. Was die Geschichten betrifft, scheinen solche Kinder unermüdlich zu sein, und die Fragen, die sie über sie stellen, lassen oft Angst oder eine unruhige Sehnsucht erkennen.
Im Allgemeinen sind diese Kinder nicht in der Lage, sich über einen längeren Zeitraum zu beschäftigen. Sie können ihre Aufmerksamkeit nicht lange fokussieren. Wenn der Erwachsene sie zu etwas zwingen will, muss er sie ständig beaufsichtigen und ihre Aufmerksamkeit zurückrufen - und die Kinder ermüden sichtlich.
In Bezug auf die Arbeit werden solche Kinder daher sowohl als faul als auch als unfähig angesehen. Es gibt einen Aspekt ihrer Intelligenz, der sehr aktiv ist: die Phantasie. Was allgemein als eines der interessantesten Phänomene des kindlichen Geistes wahrgenommen wird, ist seine Fähigkeit, personifizieren zu können. Das Kind personifiziert Dinge seiner Umgebung. Dass es Gegenstände in etwas Lebendiges und Belebtes umwandeln kann, ist, gerade weil dabei die Wiedergabe der Wirklichkeit so weit entfernt ist, eines der Dinge, die beim Kind am meisten geschätzt werden.
Diese Merkmale und andere, die ich aufzählen möchte, gehören zu einer Natur, die nicht geeignet ist, die Begeisterung der Erwachsenen so weit zu wecken, dass man sie als Richtschnur für seine Erziehungsversuche bei Kindern ansehen könnte. Aber wir wissen sehr gut, dass der erziehende Erwachsene jedes von ihnen einzeln abwägt und dabei einige als zu korrigierende Mängel und andere als zu kultivierende positive Punkte ansieht. Zu letzteren gehören die Phantasie, der ständig geäußerte Wunsch nach Geschichten, die Fragen nach und die Bindung an Familienmitglieder. Aber obwohl bei der Erziehung einige der kindlichen Merkmale unterdrückt und andere gefördert werden, sind sie meiner Meinung nach allesamt Symptome von "abweichender" Natur.
Als Montessori-Pädagogen stellen wir fest, dass es in der Kindheit noch eine andere und tiefere Natur gibt. Sie zeigt sich im "verwandelten Kind". Die Merkmale dieser Natur sind ganz anders. Darunter ist die Liebe zur Arbeit, auf die sich der Geist des Kindes konzentriert. Die Konzentration wird sichtbar, indem ein Kind dieselben Übungen immer wieder wiederholt. Und es gibt die Ordnung in der Bewegung. Beides gehört zusammen, denn man sieht eine akribische Genauigkeit in den Bewegungen, die sich in Handlungen äußern. Sie werden nicht einfach fortgesetzt, sondern wiederholt. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass diese geordnete Tätigkeit, solange sie andauert, scheinbar ohne Ermüdung des Kindes stattfindet. Ein weiteres Merkmal dieser Natur ist die Unabhängigkeit vom Erwachsenen; die Fähigkeit des Kindes, selbstständig zu handeln, mit dem Streben nach Genauigkeit in dem, was es tut.
Andere Phänomene sind der Respekt vor dem persönlichen Eigentum anderer und das liebevolle Interesse an äußeren Gegenständen, das so intensiv ist, dass wir es "Liebe zur Umgebung" genannt haben. Es ist jedoch eine Liebe, die durch Wissen inspiriert ist, und nicht durch den Wunsch nach Besitz. Daher gibt es keinen Streit unter den Kindern. Im Gegenteil, sie entwickeln eine ruhige und liebevolle Umgangsart und damit die Möglichkeit zum sozialen Miteinander. Die Tatsache, dass Kinder Spielzeug, Süßigkeiten und Belohnungen ablehnen, solange diese Bedingungen gegeben sind, sorgte damals, als sie zum ersten Mal beobachtet wurde, und auch heute noch für großes Erstaunen. Die Kinder bitten außerdem weder um die Hilfe der Erwachsenen oder um eine übermäßige Anzahl von Geschichten noch verspüren sie ständig das Bedürfnis, Fragen zu stellen. Andere Phänomene, die keinen besonderen Grund für ihr Auftreten zu haben scheinen, sind das Verschwinden der Angst und des Geflunkers.
Das sind also die Merkmale, die diesen beiden Naturen entsprechen. Sie verlaufen parallel zueinander. Auf der einen Seite gibt es das Schwelgen in übermäßiger Phantasie als Rückzug aus der Realität, auf der anderen Seite die tiefere Natur, die Bindung an die Umgebung mit dem Interesse an einem genauen Wissen über die Gegenstände in ihr. Auf der einen Seite ungeordnete und lärmende Bewegungen, auf der anderen Seite ruhige und leise Handlungen. Auf der einen Ebene die Abhängigkeit vom Erwachsenen und auf der anderen eine weitgehende Unabhängigkeit. In der oberflächlichen Natur finden wir Faulheit. In der tieferen Natur finden wir Liebe zu Arbeit, Konzentration und Ausdauer bei der Arbeit.
Es könnte von Interesse für uns sein, die Bedingungen kennenzulernen, unter denen sich diese beiden unterschiedlichen Naturen manifestieren. Solche, die Tendenzen hervorbringen, die zur oberflächlichen Natur gehören, sind diejenigen, die üblicherweise anzutreffen sind. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Tendenzen, die zur tieferen Natur gehören, unbekannt waren. Deshalb suchte niemand nach ihnen und man konnte sie mit keinem im Voraus festgelegten Plan wecken. Es war notwendig, es nicht dem Zufall zu überlassen, diesen Offenbarungen die Möglichkeit zu geben, zu erscheinen. Um zu verstehen, was geschehen ist, muss man eine Vorstellung von zwei verschiedenen Verfahren haben, wie man zu psychologischem Wissen gelangt. Das eine ist die Forschung. Dabei geht es um einen Psychologen, der einen bestimmten Aspekt untersuchen will und sich auf den Weg macht, dies durchzuführen. Er weiß im Voraus, worauf er hinaus will und bedient sich bei seiner Untersuchung der einen oder anderen Methode.
Das andere ist die Entdeckung. Die Entdeckung betrifft etwas, das zwar bereits vorhanden ist, aber aus dem einen oder anderen Grund dem menschlichen Bewusstsein verborgen geblieben ist. In diesem Fall handelte es sich um die Entdeckung der tieferen Natur des Kindes. Denn als die richtigen Voraussetzungen geschaffen waren, war das Ergebnis das spontane Auftreten von Merkmalen, die nicht einen Teil, sondern die ganze Persönlichkeit offenbarten. Ich muss noch einmal bekräftigen, dass sie nicht die Folge eines bestimmten oder im Voraus festgelegten Erziehungsplans waren. Sie waren nicht das Ergebnis einer festgelegten...
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