Schweitzer Fachinformationen
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Fünf Jahre später
«Können Sie uns hören?»
Es ist weich und warm hier. Ich will gar nicht weg. Ich will bleiben. Für immer, oder zumindest noch für eine ganze Weile. Aber sie schubsen mich, drängen mich und sind nicht bereit nachzugeben - diese Stimmen, die ich nicht kenne.
Ich liege im Wasser, und die Sonne scheint mir auf den Bauch, ich will meine Augen nicht öffnen. Aber jedes Mal, wenn jemand sagt «Hören Sie mich?», blinzele ich automatisch. Dann wird es kälter. Das Licht wirkt plötzlich hart und verliert so viel von seinem Glanz, es ist dann einfach nur noch grell.
Ich will nicht, aber sie sind stärker. Ihre Worte sind wie Köder, ausgeworfen für einen Fisch, der es eigentlich besser weiß und trotzdem zuschnappt. Einfach, weil der Köder echt sein könnte. Die Stimmen zerren jetzt an mir, und ich kann mich nicht mehr widersetzen. Sie wollen unbedingt, dass ich aus dem Wasser komme, so sehr ich mich auch dagegen wehre.
«Wie heißen Sie?»
Mir ist schlecht. So schlecht. Ich möchte mich übergeben. Ich habe das Wasser verlassen, und das war keine gute Idee.
«Fische sterben auf dem Trockenen. Nicht, weil sie keine Luft bekommen, sondern weil ihre Kiemenlamellen austrocknen und der Gasaustausch zu stark abnimmt. Eigentlich erstickt der Fisch also doch.»
Er hat so ein schönes Lachen, der Mann, der das gerade sagt. Und ich stimme ein in dieses Lachen.
«Sie heißen also Frau Fisch?», sagt eine andere Stimme. Die klingt deutlich unangenehmer.
Vielleicht habe ich das mit dem Fisch laut gesagt? Ich weiß nicht einmal mehr, woher ich das Wissen habe. Dafür weiß ich jetzt, dass das viel zu grelle Licht aus einer Taschenlampe kommt, die mir fies in die Augen leuchtet.
«Können Sie mir noch einmal Ihren vollständigen Namen sagen, Frau Fisch?»
«Teresa», krächze ich. «Ich heiße Teresa Kempf.»
«Sehr gut», lobt der Mann und nimmt die Taschenlampe weg. Er hält einen Personalausweis hoch und nickt. Offenbar weiß er nun, dass ich wirklich ich bin.
Jetzt, da mir das Licht nicht mehr in die Augen leuchtet, kann ich ihn auch sehen. Er ist um die vierzig, trägt Sanitäterkleidung, hat dicke Augenbrauen und ein nettes Lächeln.
«Danke», sagt er.
«Wofür?», frage ich.
«Für das Kompliment.»
Schwierig, wenn man seine Gedanken unbeabsichtigt ausspricht.
«Sie können aber keine Gedanken lesen?», frage ich sicherheitshalber.
«Nein.» Er zeigt beim Lächeln schiefe Zähne, und ich konzentriere mich sehr, das jetzt nicht laut zu sagen.
Seltsamerweise fühle ich mich ein wenig beschwipst. Was Unsinn ist, ich trinke so gut wie nie Alkohol und schon gar nicht am helllichten Tag. Wobei ich feststellen muss, dass um mich herum dunkle Nacht herrscht. Und mir ist auf einmal kalt, obwohl ich in diese komische Goldfolie gewickelt bin.
«Keine Sorge, es ist normal, dass Sie etwas verwirrt sind», sagt der Sanitäter. «Sie waren kurze Zeit bewusstlos.»
«Kurze Zeit?», antworte ich. «Es war doch gerade noch hell.»
Irritiert schaue ich mich um, aber viel ist nicht zu sehen. Ich liege in einem Rettungswagen auf einer Pritsche, und offenbar hat es geregnet, denn auf den Scheiben perlt Wasser. Seltsam, für heute war doch gar kein Regen gemeldet. Außerdem riecht es komisch hier. Nach Urin - ich hoffe sehr, dass es nicht mein eigener ist. Und nach Marihuana. Und auch ein wenig nach Zigarettenrauch.
Für einen winzigen Moment ist der andere Mann wieder da. Der, dessen Stimme so weich klingt und dessen Namen ich vergessen habe.
«Du bist also wieder hier?», sage ich.
Wie schön, wie unglaublich schön, dass du wieder da bist, hätte ich beinahe hinzugefügt. Es ist schwer, diesem Ansturm von Gefühlen standzuhalten und nicht alles sofort in Worte zu verpacken.
«Ich bin wieder hier. Und du bist zum Glück auch da.»
«Es wird bald wieder hell», sagt der Mann, der mir etwas realer erscheint als der, der sich immer wieder in meine Gedanken mischt.
Hinter dem Sanitäter taucht jetzt eine dunkelblonde Frau auf, die ihm die Hände auf die Schultern legt. «Na, ist sie wieder da?»
«Ich war ja gar nicht weg», antworte ich.
«Schlagfertiges Persönchen», erklärt der Mann und dreht sich zu seiner Kollegin um, als wäre ich wirklich nicht da.
Ich will gerade protestieren, da fällt mir ein seltsames Detail auf. Auf meiner linken Hand, die wie ein Fremdkörper aus der Golddecke hervorragt, steht etwas. Hastig reiße ich die Hand hoch, wobei die Knisterfolie zur Seite rutscht, und starre auf den Buchstaben auf meinem Handrücken. Es ist ein verschlungenes C, das vom Gelenk bis zu den Fingerknöcheln reicht. Schnell spucke ich mir in die andere Hand und reibe über den Buchstaben. Aber er geht nicht weg. Das muss sehr hartnäckiger Filzstift sein. Ich hasse es, dass Sophie das immer noch macht. Als wären wir Kinder und ich wieder im Schulbus eingeschlafen.
«Das geht nicht weg», sagt die Frau und wirft ihrem Kollegen einen seltsamen Blick zu. «Das ist eine Tätowierung.»
«Ich weiß, was eine Tätowierung ist», erwidere ich. «Ich mache Tätowierungen. Das ist mein Beruf. Aber die hier, die gehört nicht zu mir.»
«Na ja, wir haben Ihnen keinen neuen Arm angeschraubt, also gehört sie wohl doch zu Ihnen.» Sie klingt gereizt. «Wir bringen Sie jetzt ins Krankenhaus, und dann machen wir ein paar Tests, um zu sehen, ob Sie Ihren kleinen Unfall hier gut überstanden haben.»
«Ich hatte einen Unfall?» Natürlich. Es muss ja einen Grund geben, dass wir hier im Krankenwagen plaudern. Um die blöde Bemalung an meiner Hand kann ich mich auch später noch kümmern.
Bevor ich eine Antwort erhalte, wird mir bewusst, was ich anhabe. Ein fast bauchfreies Top und kurze Jeansshorts. Und dass ich damit zum ersten Mal in meinem Leben ein schlimmeres Outfit trage als meine Mutter.
«Darf ich die Alufolie behalten?», frage ich, weil ich schon wieder vergessen habe, was ich eigentlich wissen wollte. «Meine Mutter würde sie lieben. Die macht sich daraus glatt ein Kleid.»
«Das ist metallisierte Plastikfolie», sagt die Frau und schaut wieder so komisch.
Klugscheißerin.
Das hab ich nicht laut gesagt. Ganz sicher nicht.
«Sie wissen also, wer Ihre Mutter ist?», fragt sie jetzt und runzelt die Nase.
«Glauben Sie mir, die könnte niemand vergessen», antworte ich, bekomme aber keinen Lacher dafür.
«Welches Jahr haben wir?», fragt sie vollkommen unvermittelt. Es wird immer dämlicher.
«2014», sage ich, woraufhin sie guckt, als hätte ich gerade behauptet, wir befänden uns in den Achtzigern, noch vor dem Mauerfall. «Was ist denn überhaupt passiert?» Ich versuche, mich auf der Liege nach oben zu drücken, um zu sehen, ob ich noch immer in der Römerstraße bin. Allerdings kann ich von meiner Position aus gar nichts sehen. Und wo ist eigentlich meine Zange? Ohne die Zange kriege ich den ersten Gang in der Möhre nie rein. Ich brauche das Ding, zumal es ja schon die Ersatzzange ist.
Bevor ich erneut fragen kann, sagt der Mann mit dem netten Lachen und den schiefen Zähnen: «Sie kamen aus der Diskothek.» Die Art, wie er Diskothek sagt, als wäre das eine ansteckende Autoimmunkrankheit, bringt mich zum Schmunzeln. «Und dann sind Sie die Treppe hinuntergestürzt. Wir haben den Verdacht, dass Sie . unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stehen und möglicherweise .»
Das ergibt alles keinen Sinn. Ich schüttele den Kopf und bereue es sofort. Der Schmerz fährt in meinen Schädel und rasiert messerscharf über meinen Verstand.
«Moment, wie soll ich denn jetzt schon irgendetwas eingeworfen haben, ich bin ja gerade erst aufgewacht!», widerspreche ich und verziehe gepeinigt das Gesicht.
«Vorher!», wirft die Frau dazwischen. «Sie sind in der Diskothek gewesen und kamen angetrunken oder unter Drogeneinfluss heraus und sind die Treppe zur U-Bahn hinuntergestürzt.»
Drogen? Haben die sie noch alle? Ich stemme mich erneut hoch und drehe meinen Brummschädel vorsichtig nach hinten, und auf einmal weiß ich, wo ich bin. Da drüben liegt das Harry Klein. Ich war noch nie drinnen, habe aber schon davorgestanden. Und dort geht es zur U-Bahn hinunter. Wenn ich nach rechts schaue, sehe ich das Gebäude, in dem der Burger King und die Spielothek beheimatet sind. Ich bin in der Nähe vom Stachus.
«War ich im Harry Klein?»
Was nicht sein kann. Warum sollte ich mitten am Tag in einen Elektroclub gehen? Warum sollte ich überhaupt in einen Elektroclub gehen. Ich mag die Musik nicht mal besonders.
Die Frau nickt.
«Oh, cool. Da wollte ich schon lange mal hin», sage ich mit einer Ironie, die keinen der beiden zu einer Reaktion veranlasst.
Beunruhigend ist allerdings vielmehr, dass ich mich nicht daran erinnere, dort gewesen zu sein. Das ist der Moment, in dem bei mir zum ersten Mal, seit man mir in die Augen geleuchtet hat, so etwas wie Angst aufkommt. Ich habe offensichtlich einen Filmriss. Erinnere mich nicht, wie ich hierhergekommen bin, was ich hier gemacht habe und warum ich die Treppen runtergefallen sein soll. Ich stand doch eben noch mit Henry auf der Straße. In Schwabing. Nicht am Stachus.
Auf einmal ist die Kälte vergessen. Alles in mir wird warm, glüht, und in meinem Innern keimt eine Panik, die es mir schwer macht, ruhig zu atmen. Wenn ich nicht aufpasse, muss ich mich gleich übergeben.
Der Sanitäter scheint das zu bemerken. Er reicht mir eine Tüte. «Wir nehmen Sie...
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