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KAPITEL 1: DER MENSCH - EINE MISSGLÜCKTE SCHÖPFUNG?
1. Wie sich der Mensch zum Problem wurde
Zum Beginn der europäischen »Neuzeit« erhob sich ein Teil der Menschheit aus den Gesetzen und Rhythmen der Natur und erklärte sich zur gottgleichen Mitte seiner Welt.1 Mit Entdeckungen, Eroberungen und Erfindungen wurde eine menschliche Umwelt aus der Natur der Erde geschaffen. Damit wurde der neuzeitliche Mensch einsam.2 Auf die Frage »Wer bin ich?« muss er sich selbst Antwort geben. Die moderne, deutsche, philosophische Anthropologie beginnt mit Herders Klage über die Natur: »Die Natur war gegen ihn die härteste Stiefmutter, da sie gegen jedes Insekt die liebreichste Mutter war . Bei dem Menschen ist alles in dem größten Missverhältnis«.3 Der Mensch ist von Natur ein Mängelwesen, dafür hat er die Freiheit, den »Keim für Ersatz seiner Mängel«. Max Scheler und Arnold Gehlen sind ihm darin gefolgt, aber sie haben so wenig wie Herder nach der Natur der Erde gefragt und wie die Natur aus »Mutter Erde«, wie sie in früheren Kulturen verehrt wurde, zu des modernen Menschen »härtester Stiefmutter« wurde.
Zu Herders Zeiten stand die deutsche »Neuzeit« noch unter dem Eindruck des »philosophischen Chiliasmus« von Lessing und dem jungen Kant.4 Darum ist die »Neuzeit« das »Dritte Zeitalter« nach dem Mittelalter und der Antike, das Joachim von Fiore vorausgesagt hat. »Die Erziehung des Menschengeschlechts« zum Guten ist möglich, denn nach Offb 20,1 ist der »Satan für tausend Jahre gebunden«, so dass sich das Gute ungehindert ausbreiten kann. Der Übergang vom partikularen Kirchenglauben zum universalen Vernunftglauben ist der Weg: Völkerfrieden ist möglich. Das Tor zum Weltfrieden ist offen. Es winkt »das goldene Zeitalter«, wie die schwäbischen Reich-Gottes-Pietisten Albrecht Bengel, Friedrich Oetinger und Christoph Blumhardt weissagten. Als ein messianisches Zeichen galt die Emanzipation der Juden aus dem Ghetto in die bürgerliche Menschenrechtsgesellschaft.
Das 20. Jahrhundert brachte den Zusammenbruch der westlichen Fortschrittswelt und der imperialen Welteroberungen. Die europäischen Großmächte vernichteten sich gegenseitig in den »Materialschlachten« des ersten Weltkriegs. Der zweite Weltkrieg kostete 55 Millionen Menschen das Leben. Nazideutschland ermordete 6 Millionen Juden. Die Amerikaner beendeten den zweiten Weltkrieg mit Atombomben und eröffneten die nukleare Endzeit. Dies ist das Zeitalter, in dem der »nukleare Selbstmord« (Sacharow) der Menschheit möglich wird. Der Fortschrittsblick in die Zukunft wandelte sich zum Blick in den Abgrund. An die Stelle des »philosophischen Chiliasmus« trat die säkulare Apokalypse der »Selbstabschaffung der Menschheit«: Weltuntergang ohne Hoffnung. Das geht mit Kernwaffen plötzlich in wenigen Stunden, das geht durch ökologische Katastrophen langsam, aber unaufhaltsam, das geht durch das digitale Gefängnis der unbegrenzten Überwachung und Manipulation, ohne dass wir es bemerken.5
Damit stehen wir vor der existentiellen Frage: Ob eine Menschheit sein soll oder nicht? Die Evolution des Lebens zeigt kein »starkes anthropisches Prinzip«. Das Weltall wirkt auf uns sinnlos, je mehr wir davon begreifen. Jedenfalls sagen uns weder die Sterne noch unsere Gene, ob eine Menschheit sein soll oder nicht, und wozu sie da sein soll. Und unsere eigenen Selbsterfindungen und Umbaupläne sind nicht überzeugend. Wie können wir das Leben lieben und »Mut zum Sein« (Paul Tillich) fassen, wenn unser Leben möglicherweise eine Fehlentwicklung der Evolution ist und unser Dasein für diese Welt im besten Fall belanglos ist? Gibt es eine »Pflicht zum Dasein« und »eine Pflicht zur Zukunft«, wie Hans Jonas meinte?
Fassen wir beides zusammen: Wenn wir die Möglichkeit zur Erziehung des Menschengeschlechts zum Leben in Frieden und die Möglichkeiten der tödlichen Selbstabschaffungen des Menschengeschlechts nebeneinanderstellen, kommen wir auf den Begriff »Experiment« - der Mensch ist ein Experiment der Natur und seiner Selbst. Wie jedes Experiment kann das Experiment »Mensch« gut und schlecht ausgehen. Ernst Bloch hat die ganze Welt zu einem großen »Experimentum Mundi« erklärt.6 Alles ist noch in der Vorgeschichte, das Ziel ist noch nicht erreicht, aber auch noch nicht verloren: Es kommt auf uns an, dass es gelingt. Aber der Begriff hat auch seine Misslichkeit: Ein Experiment kann man wiederholen oder anders anlegen, das Experiment »Mensch« gibt es nur einmal. Wenn es misslingt, ist kein Mensch mehr da, der daraus klug werden kann.
2. Die Reue Gottes über die misslungene Schöpfung »Mensch«
Vor 2500 Jahren haben die Weisen in Israel schon über die Abschaffung des Menschengeschlechts nachgedacht.7 Anlass waren das Erdbeben und die große Flut, die ganze Kulturen im östlichen Mittelmeer zerstörten, die »Sintflut« genannt. Unser Wort »Weltuntergang« erinnert noch an diese urzeitliche Flut. Genesis 6 hat diese Geschichte:
»Als Gott sah, dass die Bosheit der Menschen auf der Erde groß war, und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war allzeit, da reute es Gott, dass er die Menschen auf der Erde gemacht hatte und er war tief bekümmert.
Und Gott sprach:
Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, von der Oberfläche der Erde austilgen, von den Menschen bis zum Vieh, den Kriechtieren und den Vögeln des Himmels, denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe. Noah aber hatte Gnade gefunden in den Augen Gottes« (Gen 6,5-8).
Wir wollen zunächst nach der Bosheit der Menschen fragen, die zur Reue Gottes geführt hat; danach fragen wir nach der Reue und der Treue Gottes.
»Und es geschah, als die Menschen auf der Erde sich zu mehren begannen und ihnen Töchter geboren wurden, da sahen die Göttersöhne, wie schön die Menschentöchter waren und sie nahmen sich von ihnen allen, an welchen sie Gefallen fanden« (Gen 6,1-2).
Es sieht danach aus, als seien zwei verschiedene Geschichten zusammengesetzt worden, aber auch dann stellt sich die Frage: Warum? Gewöhnlich wird diese Geschichte mythologisch ausgelegt als ,,Engelehen«, aber mir fällt eine politische Deutung der antiken »Tyrannen« ein.
Die mythologische Deutung geht von den Göttersöhnen und den Menschentöchtern aus: »Mit der ehelichen Verbindung dieser zwei Gruppen ist ein Spannungsmoment gegeben«, stellt Claus Westermann fest, und hält es für einen »die Grenzen des Menschen gefährdenden Übergriff der Göttersöhne . gegen den Gottesinbegriff«.8 Wer aber sind die »Göttersöhne«? Sind sie Götter oder Engel, Halbgötter oder Übermenschen, Titanen oder Giganten, Dämonen oder Heroen? Auf jeden Fall sind es männliche Wesen, die von der Schönheit der Menschenfrauen angezogen werden und zeugungsfähig sind. Das verwischt aber die Grenze vom Göttlichen zum Menschlichen.
In der griechischen Antike war die Vorstellung einer göttlichen Zeugung mit einer menschlichen Frau weit verbreitet. Aber das erklärt nicht, warum diese Geschichte mit der Sintflutgeschichte und der »Reue Gottes« zusammengesetzt wurde.
Meine politische Deutung geht nicht von oben vor, sondern von unten. Wer waren in jener Zeit die »Göttersöhne«, für die schöne Frauen Freiwild waren? Es waren die Herrscher, die sich über das Volk erhoben und ihren übermenschlichen Status mit politischer Religion schützten. In Ägypten wurden die Pharaonen nach den Göttern benannt, wie Tutench-Amon. Amon war der Reichsgott. In Israel wurde demgegenüber der Gott Israels nach den Menschen genannt, denen er erschienen war: »Der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs«. Auf Vergottung der Herrscher reagierte Israel empfindlich und widerständig. Also nehmen wir an, dass die »Göttersöhne« vor der Sintflut menschliche Herrscher waren und dass die schönen Töchter des Landes ihrer Willkür ausgeliefert waren: Harem und Jus primae noctis.
Für die mythologische Deutung müsste die Sintflut eigentlich nicht auf der Erde, sondern im Himmel stattfinden, weil nicht die Menschen, sondern die »Göttersöhne« böse wurden und ihre Grenzen überschritten.
Für die politische Deutung besteht die Bosheit der Menschen darin, sich solchen Tyrannen und Diktatoren und ihrer Willkürherrschaft zu unterwerfen, indem sie diese vergöttern und ihnen ihre schönen Töchter ausliefern. Mit der Aufgabe der Freiheit an die Willkürherrschaft von Tyrannen beginnt die Bosheit und das Verderben der Menschen. Sie dienen nicht mehr dem lebendigen Gott, sondern opfern ihre Töchter den politischen Götzen, die sie als »Göttersöhne« ehren. Damit wird das Herz der untertänigen Menschen böse von Grund auf. Die Deutschen haben diesen Wandel zur Bosheit in der Nazi-Zeit erlebt: »Führer befiel, wir folgen dir« - bis ins Morden nach Auschwitz und bis in den eigenen Untergang in Berlin.
Vielleicht versteckt sich hinter der Komposition der beiden Geschichten auch eine Ironie, mit der die heldischen Tyrannen als Liebhaber der Frauenschönheit lächerlich gemacht werden. Denn das »Verderbnis der Menschen« in Vers 13 besteht nicht in etwas, das unter dem Begriff »Sünde« gefasst werden kann, sondern bezeichnet etwas Außerordentliches, einen Frevel, eine Vernichtung. »Die Gewalttaten der Menschen hatten ein Maß angenommen, dass die Erde, die Menschenwelt, davon verderbt...
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