Schweitzer Fachinformationen
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Barfuß steigt Deqo über den faulenden Mulch, der unter ihr wegrutscht. Von ihren Fingern baumeln ihre roten Plastiksandalen, von den Bäumen tropfen Wasserperlen, als schüttelten sich die Äste trocken und spritzten ihr dabei neckisch ins Gesicht und auf den Nacken. Nicht weit von zwei kauernden Gestalten entfernt, versteckt sie sich hinter einem breiten Weidenstamm; ein versengter Spalt, die Stelle, an der sich gedankenlos ein Blitz ausgetobt hat, rahmt ihr Gesicht. Um sich Mut zuzusprechen, sagt sie leise ihren Namen vor sich hin. Durch die Musik der Regentropfen hindurch ist die Unterhaltung der Männer nur schlecht zu verstehen; es pladdert auf die unzähligen Bäume im Graben, die ihre Blätter wie wächserne grüne Zungen ausgestreckt haben. Die quälende Trockenperiode, unter der sie in Saba’ad litt, ist vorüber, aber Deqo kann den Regenguss nicht genießen.
Zu beiden Seiten der Bäume streunen Straßenhunde, Diebe und Hargeisas herumflanierende Gespenster. In der Dunkelheit hört sie, wie Autos über die Brücke zischen und Beamte der Geheimpolizei wispern. Die Tonne, in der sie schläft, ist kalt, zu kalt. Die Stofffetzen, die normalerweise den Boden bedecken, schaukeln auf petroleumfleckigem Wasser. Auf der mondbeschienenen Oberfläche blitzen die Smaragde und Saphire eines Pfauenschwanzes auf. Solange sie es aushält, bibbert sie mit ihrer Gänsehaut vor sich hin, dann wagt sie sich mit dem Mut der Verzweiflung zu den Betrunkenen und ihrem Feuer vor. Was sie wohl für sie tun oder ihr antun werden? Ob Hyänen wohl nur beim Anblick eines Lamms zu Hyänen werden? Die Hitze des Feuers bläst über Deqo hinweg, sein Knacken und das Farbspiel wärmen sie. Alkoholberauscht haben die Männer einen bombastischen Brand entfacht; er springt züngelnd die dunklen, schwankenden Bäume an, bevor er zurücktaumelt und im Fass zusammenfällt. Sie atmet den Geruch feuchten Rauchs ein, den Geschmack frischer Asche.
«Waryaa, hus, Mann, sei mal still! Hörst du nicht auch was, Karnickel?», nuschelt der eine Betrunkene seinem Kameraden zu.
«Ach, Bruder Faruur, bloß die Klagen meines armen Magens», erwidert der andere.
Faruur schweigt, den Kopf zur Seite gelegt, das Gesicht ernst und konzentriert. Er erinnert Deqo an einen Hund, der die Ohren spitzt, die das kleinste Geräusch einfangen und dessen zitternde Nasenhaare den süßlich-metallischen Blutgeruch erschnuppern.
«Da ist jemand im Gebüsch dort drüben», sagt Faruur triumphierend.
Mit hämmerndem Herzen tritt Deqo ins Freie, es ist besser, sich zu erkennen zu geben, als entdeckt zu werden; sie marschiert direkt auf das brennende Fass zu, die Handflächen ausgestreckt, um die Hitze anzufangen. Ihr Wagemut zahlt sich aus; schweigend und verwirrt senken Faruur und der andere Mann den Kopf, beide besorgt, sie könnten wieder einmal halluzinieren.
Das Feuer ergreift ihre Hände und zieht sie zu sich heran. Es ist wie Baden, aber ohne dass einem das Wasser in den Augen brennt oder man sich entblößen muss, während man von verborgenen Blicken beobachtet wird, was ihr peinlich ist.
Faruurs Augen sind suppig-trüb, gelb und rosa, glänzend wie die eines Babys, die Unterlider hängen schlaff herab. Er mustert Deqo von oben bis unten.
«Geh weg hier, weg von unserem Feuer!» Er greift nach einem Stück Holz, aus dem ein Nagel hervorsteht, und hebt es wie zum Schlag. Neben seinen Schuhen mit den offenen Schnürsenkeln lehnt eine halb ausgetrunkene Flasche Wundbenzin.
Deqo sieht ihm in die Augen. Er glaubt, dass er sie wegjagen kann, alle denken das. «Mensch, benimm dich wie ein Muslim. Ich will mich bloß wärmen, und dann lass ich euch in Ruhe.»
Faruur hat immer noch den Arm erhoben, und Deqo bleibt ruhig beim Feuer stehen, ihre Hände heiß wie zwei Explosionen. Langsam gibt sein Arm nach, fällt nach unten, immer noch hält die Hand die Waffe.
Der andere Betrunkene greift nach ihrem Schenkel, flink springt sie außer Reichweite. «Igitt! Begrapsch deinen Vater, du eklige, alte Eidechse!», brüllt sie.
Die beiden Männer sehen einander an und brechen in Gelächter aus, das abgehackte, heisere, keuchende Gelächter der Tuberkulosekranken.
«Was sagst du dazu, Karnickel, wir machen uns die Mühe, bauen ein Feuerchen, sammeln Holz, kaufen Streichhölzer, opfern fürs Anzünden an diesem nassen, gottverlassenen Abend unseren kostbaren Alkohol, und dann kommt diese … diese kintir … diese verwilderte Fotze daher und klaut uns unsere Wärme.» Ein Nachtfalter umflattert Faruurs Kopf. «Wo kommen wir denn da hin?»
Karnickel tut, als betete er, hebt die Hände und sieht zum dunkel verhüllten Firmament empor. «Möge das Ende nahe sein, denn ein Mensch kann nur begrenzt Unrecht ertragen, ehe er der Verzweiflung anheimfällt.»
Deqo macht sich zum Wegrennen bereit, falls sich die beiden auf sie stürzen sollten; ihre Haut glüht, ihre Muskeln sind geschmeidig, wie auf Flügeln kann sie in die Nacht verschwinden.
Faruur wirft den Stock weg und macht eine abschätzige Handbewegung. «Mach, was du willst. Ich bin zu alt und zu betrunken, um hinter jemandem herzujagen. Außerdem ist mir kalt.» Er beugt sich vor und greift nach seiner Flasche.
Deqo hofft, dass die beiden bald einschlafen, damit sie die Nacht neben dem Feuer verbringen kann, gewärmt und wohlauf, statt mit aufgerissenen Augen, mit zum Kinn hochgezogenen Knien in ihrer Tonne zu hocken, den Rücken gegen das kalte Metall gepresst wie eine Steißgeburt in einem verhärteten, toten Mutterleib.
Karnickel und Faruur nuckeln mit geschlossenen Augen an ihren Flaschen, friedlich und abwesend wie Säuglinge, benommen von Muttermilch und leisen Wiegenliedern.
Deqo hat die beiden schon in der Stadt gesehen, ausgestreckt auf den Treppen der Lagergebäude hinter dem Krankenhaus, wie sie die heißen Stunden zwischen Mittag und Nachmittagsgebet verschliefen, in denen alles ruht; jene Stunden, in denen sie auf den Höfen entlang des Grabens Guaven, Granatäpfel, Mangos, Bananen und Papayas aufsammelt. Sie verstaut alles in einem Tuch, das sie auf dem Fakirmarkt ausbreitet, bewacht ihr kleines Revier, bis die Sonne schwächer wird und die Dienstmädchen und Köche mit ihren Strohkörben auftauchen, um für ihre eigenen Familien preiswerte Lebensmittel einzukaufen. An manchen Tagen verdient sie bis zu fünfzig Schilling – genug, um sich ein mit Lammfleisch, Zwiebeln und Kartoffeln gefülltes Baguette zu kaufen. Mädchen dürfen die Teebuden nicht betreten, also muss sie die Schuljungen in Augenschein nehmen, bis sie einen findet, der ehrlich genug aussieht, um für sie reinzugehen. Bisher ist sie nur einmal hereinlegt worden; grinsend stopfte sich der Junge in seiner Kakiuniform auf der anderen Seite der Glastür ihr Baguette in den Mund, verspottete sie mit wiegenden Hüften. Als er schließlich aus der Teebude schlenderte, versetzte sie ihm einen heftigen Tritt in den Magen, glaubte zu sehen, wie sich ihr täglich Brot unter seiner Haut wölbte.
Sie hasst Schuljungen. Eigentlich mag sie überhaupt nur wenige Menschen: Bashir, der auf seinem Esel sitzend Brunnenwasser verkauft, ihre Blechtasse aber umsonst füllt. Qamar, geschieden, groß, drall und parfümiert, die sie auf dem Markt in ihre molligen Arme schließt und herzt und küsst, und Eid, der blinde ma’alim, der den Marktkindern unter einer Weide in der Nähe des Museums Koranunterricht gibt. Karnickels Sarong hat sich bis zu den Knien hochgeschoben, sein Schnarchen wird beinahe ganz vom Prasseln des Feuers verschluckt. Ihre Beine sind müde, ihre Lider kurz vorm Zufallen, aber sie kann nicht neben ihnen hier schlafen. Schwer lässt sie sich auf den Mulch fallen und setzt sich in den Schneidersitz. Sie wird bis zum Sonnenaufgang warten, das Wasser aus ihrer Tonne kippen und ein paar Stunden schlafen.
Mit lautem Vogelgesang bricht die Morgendämmerung an, zwischen den Bäumen schlagen im schummrigen Sonnenlicht schwarze Flügel. Deqo wirft einen raschen Blick zu den Betrunkenen hinüber und ist erleichtert, dass sie immer noch neben dem Fass schlummern, in dem das Feuer niedergebrannt ist. Sie steht auf und macht sich auf zur Hargeisa-Brücke. Noch ist sie früh genug dran, um rechtzeitig bei der Hauptmoschee einzutreffen und etwas von dem Brot und dem Tee abzubekommen, die morgens kostenlos ausgegeben werden. Schon jetzt hat die Hitze den Regen der Nacht getrocknet, nur im Unterholz hängt noch ein wenig Feuchtigkeit, die ihre Plastiksandalen zum Quietschen bringt. Deqo hat sie eines Abends unter einem Whodead-Stand gefunden, wo sie der Wind hingetragen hatte, zu ramponiert, als dass es sich für den Besitzer gelohnt hätte, sie aufzuklauben, ehe er vor der Ausgangssperre nach Hause gehastet war. Sie gehören gar nicht zusammen, ein Schuh ist größer als der andere, aber immerhin fallen sie ihr nicht von den Füßen. Ihre gesamte Kleidung hat sie dem Wind entrissen: ein weißes Hemd, das sich in einer Akazie verfangen hatte, ein rotes Kleid, das verlassen am Wegrand entlangwirbelte, eine Baumwollhose, die über einem Stromkabel baumelte. Sie zieht diese von Geistern zurückgelassenen...
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