Rüdiger Voigt
Arcana Imperii - Das Staatsgeheimnis als Instrument der Politik
Verfassungsfeindlichkeit der AFD?
Armin Pfahl-Traughber
Ist die ,Alternative für Deutschland' eine rechtsextremistische Partei? - Eine Erörterung aus politikwissenschaftlicher Perspektive
Astrid Bötticher / Christoph Kopke / Alexander Lorenz
Ist die Alternative für Deutschland (AfD) eine verfassungsfeindliche Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollte?
Neue Polizeigesetze und Ausweitung der Befugnisse
Juliane Hundert / Valentin Lippmann
Das neue sächsische Polizeirecht - ein Angriff auf die Freiheitsrechte
Martin H. W. Möllers
Die Umsetzung des neuen Gefahrenbegriffs ,drohende Gefahr' im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz nach dem Urteil des BVerfG zum BKA-Gesetz
Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag
Ausweitung polizeilicher Befugnisse in Deutschland und Europa
Zukunft der deutschen Sicherheitsarchitektur
Jan-Hendrik Dietrich
Ansätze zur Reform des Rechts der Nachrichtendienste
Ino Augsberg
Vernachrichtendienstlichung der Polizei? - Verfassungsrechtliche Grenzen der Verlagerung polizeilicher Tätigkeit in das Gefahrenvorfeld
Matthias Jahn
Strafprozessuale Perspektiven auf eine ausgewogene Sicherheitsarchitektur: Zehn Thesen
Jens Puschke
Sicherheitsarchitektur in der Sicherheitsgesellschaft - Entwicklung, Bewertung und rechtspolitische Herausforderungen
Extremismus/Radikalismus
Udo Baron
Autonome Militanz und G-20 Gipfel
Monika Schwarz-Friesel
Antisemitismus 2.0 und die Netzkultur des Hasses - Judenfeindschaft als kulturelle Konstante und kollektiver Gefühlswert im digitalen Zeitalter (Kurzfassung)
Stefan Goertz
Eine Analyse der Phänomenbereiche Rechtsextremismus sowie ,Reichsbürger' und ,Selbstverwalter' - Radikalisierungsforschung und aktuelle Entwicklungstendenzen
Armin Pfahl-Traughber
Beiträge der intellektuellen Neuen Rechten zum politischen ,Rechtsruck' - Das ,Institut für Staatspolitik', die ,Sezession' und ihr Umfeld
Maximilian Kreter
Zwischen Ideologie, Geschäft und Subkultur - die Rechtsrockszene in Sachsen
Christoph Kopke
Unpolitische Amoktat, rechtsterroristisches Attentat, Hasskriminalität? Zur Frage und Diskussion der Bewertung des mehrfachen Mordes des David S. am Münchener Olympia Einkaufszentrum im Juli 2016
Carsten Müller
Terrorismus und das Problem der Begrifflichkeit
Öffentliche Sicherheit in Deutschland I : ,wehrhafte Demokratie '
Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode
Beschlussempfehlung und Bericht des 3. [NSU-]Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes - Sondervoten der Fraktionen
Bundesverfassungsgericht
Leitsätze der Entscheidung des BVerfG zum zweiten NPD-Verbotsverfahren
Robert Chr. van Ooyen
Rechtspolitik durch verfassungsgerichtliche Maßstabsverschiebung: Die ,neue' Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im NPD II-Urteil
Stefan Brieger
Vereinsverbote in den deutschen Ländern - Effizienz und Angemessenheit im Praxistest am Fallbeispiel Brandenburgs
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE zu 3 Vereinsverboten vom 13. Juli 2018 (Hamas-Unterstützung - Neonazi Gefangenenhilfe - Rockergruppe Hells Angels)
Öffentliche Sicherheit in Deutschland II : insbesondere Polizei
Rafael Behr
Ein neuer Rigorismus? Zwölf Thesen zur Rolle der Polizei während der Ereignisse um den G20-Gipfel
Martin H. W. Möllers
Was sind eigentlich sog. ,Widerstandsbeamte'? - Erläuterungen zu einem kriminologischen Begriff
Tim Schlun
Die Strafverfolgung von polizeilicher Gewalt durch Polizei und Staatsanwaltschaften
Irina van Ooyen
Die Problematik von Racial Profiling bei der Bundespolizei
Robert Chr. van Ooyen
Polizei und Fremde - zu einem (ver)störenden Thema im Spiegel neuerer Literatur
Philipp Buchallik / Benjamin Behschnitt
Die Zentrale Beschwerdestelle der sächsischen Polizei im Kontext des polizeilichen Beschwerdemanagements der anderen Länder
Lisa Morhardt
Das Erstarken kommunaler Sicherheitsakteure am Beispiel der Stadtpolizei Frankfurt am Main
Irina van Ooyen
Community Policing in Deutschland und die politische Theorie des Kommunitarismus
Manfred Reuter
Vorsitzende deutscher Polizeigewerkschaften und ihre politischen Verflechtungen
Robert Chr. van Ooyen
Die Geschichte der Bundes(grenzschutz)polizei aus organisationssoziologischer und rechtspolitischer Sicht sowie das föderale Problem ausufernder Unterstützungseinsätze
Marius Mayer
Polizeikostenabwälzung bei Fußball-Risikospielen - ein Blick auf die gebührenrechtliche Zurechnung
Bundesverfassungsgericht
Stadionverbot - zur Ausstrahlungswirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes in das Zivilrecht - Beschluss vom 11. April 2018 - 1 BvR 3080/09
Bundesverfassungsgericht
Entscheidung zum Gesetzes- und Richtervorbehalt bei Freiheitsentziehung in psychiatrischen Krankenhäusern - Leitsätze zum Urteil des Zweiten Senats vom 24. Juli 2018: 2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16
Helen Behn
Ein Delikt ohne Hellfeld: Fünf Jahre ,Verstümmelung weiblicher Genitalien' (§ 226a StGB)
Europäische und Internationale Sicherheit
Gerichtshof der Europäischen Union
EuGH-Urteil zur ,Schleierfahndung' der Bundespolizei
Jan Muszynski
Überwachungsrecht in Polen. Eine Bedrohung für die Freiheit?
Matthias Lemke
719 Tage - Frankreich von der Normalität zur Ausnahme - und zurück?
Evin Merve Jakob / Andreas Gorzewski
Religiöse Dienstleistung und türkischer Patriotismus - Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib)
Thomas Beck
Die Fortentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP)
Dirk Freudenberg
Hybride Bedrohungen, Zivilschutz und die Strategischen Fälle
Florian Sax
Verfassungsrechtliche Hürden für die Piratenjagd durch deutsche Soldaten
Susanne Fischer
Weder bürgernahe Soldaten noch bewaffnete Entwicklungshelfer: Polizeien in vernetzten Ansätzen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik
Daniel Burchardt
Corruption in Afghanistan
Rosalie Möllers
Der (missverstandene) Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration und der politische Umgang mit ihm
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Rüdiger Voigt
Arcana Imperii*
Das Staatsgeheimnis als Instrument der Politik
Staatsgeheimnisse sind in einem den Blicken des Publikums verborgenen Raum außerhalb der Sphäre der Moral angesiedelt (Horn 2007, S. 104). Es ist ein "rechtsfreier Raum", in dem staatliche Macht sich ohne öffentliche Kontrolle Geltung verschafft. "Der Raum des Staatsgeheimnisses ist die in der Ordnung selbst vorgesehene Aufhebung der Ordnung, der in der Kultur der Öffentlichkeit integrierte Entzug der Öffentlichkeit" (Horn 2007, S. 117 unter Bezug auf Carl Schmitt). Denn obgleich der Staat die "öffentliche Gewalt" schlechthin ist, entziehen sich Staatsgeheimnisse bewusst der Öffentlichkeit. "'Öffentlich' in diesem engeren Sinne wird synonym mit staatlich" (Habermas 1990, S. 55, 75).
"Das Prärogativ der Macht ist es, gewisse Fragen gar nicht erst zur Debatte zu stellen, sich nicht auf Rechtfertigungen einzulassen, sondern bestimmte Dinge im Verborgenen zu erledigen. [.] Macht ist das, was nicht debattiert werden muss und sich nicht rechtfertigt" (Horn 2007, S. 103f.).
Pierre Bourdieu hat diesen Aspekt der "symbolischen" Macht unter Platons Begriff "Doxa" gefasst. Darunter versteht er die für selbstverständlich gehaltenen Regeln, Funktionsmechanismen und Formen des Handelns und Wissens (Bourdieu 1980, S. 125). Indem der Staat den Rahmen alltäglicher sozialer Praktiken absteckt, "errichtet und unterrichtet der Staat symbolische Formen des gemeinsamen Denkens, soziale Grenzen der Wahrnehmung, der Verständigung oder der Erinnerung, staatliche Formen der Klassifizierung" (Bourdieu 2004, S. 224). Es liegt auf der Hand, dass diese "Doxa" von größter Bedeutung für die Politik ist, sie ist die Garantie für die Herrschenden, dass die stets beschworene "Alternativlosigkeit" politischer Entscheidungen von den Menschen für wahr gehalten wird (Voigt 2012a).
Alle gebrauchen gewisse Kunstgriffe, um ihr Ziel zu erreichen. Im Staat muss es dabei stets (wenn auch mehr oder weniger dekorative) Bemühungen geben, die einen Schein von Freiheit erwecken, um das Volk zu beruhigen (Schmitt 1921, S. 14). Bei den Arcana imperii geht es aber vor allem um das geheime Herrschaftswissen staatlicher Funktionsträger, ein Wissen also, das den Machtbestrebungen der Herrschenden dienlich ist. So gesehen handelt es sich um eine Verdoppelung des Verheimlichens: Das Staatsgeheimnis ist nicht nur selbst geheim, sondern es ist zugleich das Geheimnis des Selbsterhalts der Macht. Beide Aspekte sollen möglichst verborgen (geheim) bleiben. Besonders wirkungsvoll ist dabei der "Geheimnis-Effekt", also "das Bewusstsein, dass es ein Geheimnis gibt, ein Effekt, der, zumal in der Strukturierung von Machtbeziehungen, machtvoller sein kann als ein tatsächlich existierendes Geheimnis" (Horn 2007, S. 105 unter Bezugnahme auf Jacques Derrida). Das Staatsgeheimnis zeigt sich nicht als "normale" Regierungspraxis, sondern als Skandal, Panne oder Indiskretion. Dieser "Geheimnis-Effekt" ist besonders interessant für die quotenorientierten Massenmedien und ihre Enthüllungsjournalisten.
"Man weiß, da ist etwas, das entdeckt und entschlüsselt werden will. Es erzeugt und nährt eine ständige Aufforderung zur Suche und zum Misstrauen" (Horn 2007, S. 122).
In der Demokratie haben die Arcana imperii eine besonders große politische Bedeutung. Tatsächlich kann die aktuelle Diskussion über sie kaum von dem Diskurs über Souveränität, Staatsräson und Macht einerseits sowie Öffentlichkeit, Transparenz und Partizipation andererseits getrennt werden. Niccoló Machiavelli hat in seinem berühmten Buch Il Principe (1513) bereits deutlich gemacht, dass Politiker durch die Geheimhaltung von Informationen, Entscheidungen und Absichten versuchen, Macht zu gewinnen, zu erhalten und zu steigern. Dabei geht es um einen "Katalog geheimer Praktiken, die die Erhaltung der Herrschaft über das unmündige Volk sichern sollen" (Habermas 1990, S. 117). Solche politischen Geheimnisse haben eine jahrhundertelange Tradition. An ihnen entzündet sich heute jedoch die brisante Frage nach dem Charakter demokratischer Herrschaft. Muss nicht zumindest in der Demokratie die Regierung alle Fakten "auf den Tisch legen", damit das Volk als Souverän - i.d.R. repräsentiert durch das Parlament - auf Grund einer umfassenden Kenntnis der Tatsachen entscheiden kann? Oder gibt es auch in einem demokratischen Staat Bereiche ("Arkanbereiche"), die zu brisant sind, um auf dem öffentlichen "Markt der Informationen" be- und gehandelt zu werden? Dabei könnte es z.B. um die Sicherung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder um den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gehen. Gibt es womöglich ein Interesse des Staates an sich selbst, das im Ernstfall Vorrang vor den Anforderungen der Demokratie beanspruchen kann?
1Politisch-gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Die Antwort auf diese brisanten Fragen hängt nicht zuletzt von den politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Dabei spielt nicht nur das in der Verfassung festgelegte grundsätzliche Verständnis von Demokratie und Staat sowie ihr Verhältnis zueinander eine bestimmende Rolle, sondern auch die Beschaffenheit der modernen Kommunikationsgesellschaft. Sind für aggressive Boulevardmedien in Presse, Fernsehen bzw. Internet und ihre Enthüllungsjournalisten Sensationen um jeden Preis wichtiger als die Interessen eines "good government", dann müssen bestimmte Informationen geheim gehalten werden, um größeren Schaden zu vermeiden. Das Staatsgeheimnis erscheint so im Rahmen der Staatsräson als "politische Sachtechnik" (Carl Schmitt), als eine Art Wissensverwaltung. Dabei fragt es sich natürlich, welche Werte, Gründe bzw. Ziele eine solche Geheimhaltung oder aber ihre Durchbrechung rechtfertigen. Denn auf der anderen Seite ist die Versuchung für die Herrschenden groß, die Geheimhaltung vor allem als Instrument zur Machterhaltung zu nutzen und unter dem Vorwand der Schadensabwendung vom Staat eigene dubiose Machenschaften vor den Blicken der Öffentlichkeit zu verstecken. In der heutigen Gesellschaft sind Massenmedien für die Politik von zentraler Bedeutung. Geschickte Politiker gehen daher eine symbiotische Partnerschaft mit bestimmten Medien und ihren Journalisten ein. Sie nutzen diese Medien mit einer Mischung aus Offenheit, Verdrehung und Verheimlichung zur Verbreitung der ihnen genehmen Informationen und zur Verheimlichung ihnen unangenehmer Fakten, um so ihre politischen Ziele besser durchsetzen zu können.
1.1Postdemokratie
In der neueren politiktheoretischen Diskussion über die sog. Postdemokratie spielt die Geheimsphäre der Politik eine bedeutende Rolle. Colin Crouch hat darauf aufmerksam gemacht, dass neben der öffentlichen Seite der Politik, die in den Wahlkämpfen der Parteien ihren Höhepunkt finden sollte, konkurrierende Teams professioneller PR-Experten insgeheim die Themen für den Wahlkampf so aussuchen, dass sie die Bürger von den eigentlichen Problemen ablenken und die öffentliche Debatte zum Spektakel verkommt (Crouch 2008, S. 10).
"Secrecy, Geheimhaltung, entfaltet sich demgemäß zwischen einem Schutz von bürgerlichen Freiheitsrechten (etwa im Wahlgeheimnis) und der Unabhängigkeit von Entscheidungen (im Amtsgeheimnis) einerseits und einer Bedrohung von Gesetzlichkeit und demokratischer Transparenz andererseits" (Horn 2007, S. 118 unter Bezug auf Carl J. Friedrich).
So genannte Spin Doctors werden von Politikern dafür bezahlt, dass sie politisch relevante Ereignissen in der Mediendarstellung den "richtigen Dreh" (englisch: spin) geben, um sie in positivem Licht zu zeigen. Die wichtigen Entscheidungen werden demgegenüber nicht vor den Augen der Öffentlichkeit, sondern hinter verschlossenen Türen von Politikern und Lobbyisten ausgehandelt. Wer zu diesem "erlauchten" Kreis der Geheimnisträger gehört, sieht sich als Angehöriger einer Elite, die von dem grundsätzlich für Alle geltenden Recht "befreit" ist. Pierre Bourdieu hat in diesem Zusammenhang von "Staatsadel" gesprochen (Bourdieu 2004).
Ein Beispiel für Geheimpolitik sind die geheimen Verhandlungen der EU-Kommission mit den USA über ein Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP), die im Juli 2013 begonnen haben. Ursprünglich sollten nicht einmal die nationalen Parlamente Informationen über TTIP erhalten. Alles sollte unter dem Siegel der Verschwiegenheit behandelt werden. Man fragt sich natürlich, was die Protagonisten zu verbergen hatten. Nach massiven Protesten dürfen Bundestagsabgeordnete jedoch seit einiger Zeit in einem speziellen Leseraum TTIP-Dokumente einsehen. Ihnen ist allerdings lediglich erlaubt, handschriftliche Notizen zu machen, das Anfertigen von Kopien oder Fotografien der Unterlagen ist hingegen verboten. Ihre Mobiltelefone müssen die Abgeordneten...