Gerhard Schmid
Außer Spesen bisher nichts gewesen - Ein Essay zur NSA-Affäre
Sonderthema NSU und Reform der Sicherheitsarchitektur
Hans Peter Bull
Die Verfassung schützen - aber richtig.
Aufgaben und Befugnisse der Sicherheitsbehörden müssen neu verteilt werden
Robert Chr. van Ooyen
Sicherheitskultur und Behördenversagen - die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses für eine ,Kulturrevolution' bei Verfassungsschutz und Polizei
Martin H. W. Möllers
Das neue Bundesgenehmigungsamt: Zur Frage einer effektiven Kontrolle der Sicherheitsbehörden zur Verhinderung ihrer stellenweisen Verwahrlosung
Dokumentation
Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder
Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus.
Zusammenfassung der Empfehlungen
Thüringer Landtag, 5. Wahlperiode
Bericht des Untersuchungsausschusses 5/1
,Rechtsterrorismus und Behördenhandeln'
Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode
Beschlussempfehlung und Bericht des 2. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes
Extremismus / Radikalismus
Johannes Kiess
50 Shades of Brown: Pegida und der Wunsch nach Autorität
Eike Brock / Dominik Hammer
Ressentiment und Demokratiefeindlichkeit
Charles A. von Denkowski
Islamfeindliche Kriminalität im Jahr 2015:
Kriminalstatistisch nicht spezifisch erfasst, teilweise frauenfeindlich - eine zweite Bestandsaufnahme binnen drei Jahren Forschung
Armin Pfahl-Traughber
Erkenntnisgewinn einer vergleichenden Betrachtung der Gewalt in den Extremismen - Besonderheiten, Entwicklungen, Prognosen und Ursachen (BEPU-Analysemodell)
Anna-Maria Haase
Rechts Motivierte Mehrfach- und Intensivtäter in Sachsen - Ergebnisse einer Studie des Hannah-Arendt-Instituts
Britta Schellenberg
Polizeilicher Umgang mit rassistischer und extrem rechter Gewalt am Fallbeispiel ,Mügeln'
Bundesverfassungsgericht
Beschluss im Zusammenhang des vom Bundesrat beantragten Parteiverbotsverfahrens gegen die NPD
Samuel Salzborn
Religionsverständnisse im Rechtsextremismus - Eine Analyse am Beispiel des neurechten Theorieorgans Sezession
Armin Pfahl-Traughber
Marxismus-Deutungen als Ideologie-Varianten des Linksextremismus - Darstellungen und Einschätzungen aus demokratietheoretischer Perspektive
Stephan Maninger
Suizidalterrorismus - Selbstaufopferung im Zeitalter von ISIS
Öffentliche Sicherheit in Deutschland
Henning Ernst Müller / Claudia Pfeffer
Satire, Religion und öffentlicher Frieden - zum Streit um § 166 StGB
Dirk Freudenberg
Ungehorsam und Widerstand aus sittlicher Verantwortung versus die ,Majestät des Rechts' - Politik- und rechtstheoretische Anmerkungen zu einem ewig aktuellen Spannungsverhältnis
Steffen B. Tanneberger
Die Sicherheitsverfassung - Zugleich ein Beitrag zu einer induktiven Methodenlehre Entparlamentarisierung der Sicherheitsgesetzgebung
Bundesministerium des Innern / Bundesministerium der Justiz
Bericht der Regierungskommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung in Deutschland
Stefan Süss
Weshalb benötigt die Polizei Legitimität, was bedeutet sie und wie kann sie gesichert werden?
Samuel Salzborn
Hüterin der Demokratie? Konzeptionelle Überlegungen zur Rolle und Funktion von Polizei in Demokratien
Deutscher Bundestag
Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen im Bundestag 2012 und 2014 zur Problematik des ,racial profiling'
Sven Srol
Die Diskussion neuer Einsatzmittel und juristischer Reaktionen als Antwort auf die zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte - Schulterkameras - Teaser - Spuckschutz - Strafrechtsänderung
Thomas Feltes
Ist die deutsche Polizeiwissenschaft schon am Ende, bevor sie angefangen hat sich zu etablieren? -
Überlegungen nach der ,Bochumer Tagung Polizeiwissenschaft'
Martin H. W. Möllers
Die Abwehrhaltung gegen Wissenschaftsbildung bei der Polizei - Ein Essay zur Frage, ob Führungskräfte der Polizei ein Diplom brauchen
Irina van Ooyen
Dolmetschen bei polizeilichen Befragungen, Russisch im Polizeialltag - Literaturbericht
Annika Krick
Polizeispezifische Stressoren und Stresssymptome: Stressbewältigungsstrategien und Ressourcen als Moderatoren?
Ralf Gnüchtel
Das Verständnis um eine Strafbegrenzungsdogmatik aus polizeiwissenschaftlicher Perspektive
Mario Bachmann
Bundesverfassungsgericht und Strafvollzug
Europäische Sicherheitsarchitektur
Thomas Beck
Ukraine zwischen Russland und EU - Dauerkrise und kein Ende
Rosalie Möllers
EUROSUR - Ein weiterer politischer Bedeutungszuwachs für FRONTEX
Anna Mrozek
Der Supranationalisierte Grenzschutz: rechtliche Ausgestaltung und die verfassungsrechtlichen Grenzen der Einbindung der Bundespolizei in die FRONTEX-Einsätze an den Außengrenzen der Europäischen Union
Susanne Rheinbay
Die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft
Gerichtshof der Europäischen Union
EuGH-Entscheidung zum Asylrecht für US-Deserteur des Irak-Kriegs
Internationale Sicherheit
Markus Thiel
,Parlamentspolizei'? Zur Idee eines ,Parlamentsvorbehalts' für internationale Einsätze deutscher Polizeikräfte
Christian Mölling / Torben Schütz
Paradigmenwechsel bei den deutschen Rüstungsexporten?
Gerhard Kümmel
UN-Resolution 1325, das Militär und die Frauen: Soldatinnen in der Bundeswehr (2000-2015)
Robert Chr. van Ooyen
,Politische Justiz'? Die Kritik afrikanischer Staaten am IStGH und die ,Nichtanwendung' des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs
Martin H. W. Möllers
Die NSA als Religion - Der amerikanische Weg in die Überwachungsdemokratie - Literaturbericht
Charles A. von Denkowski
Staatskriminalität erforschen: Erste Einblicke in das Polizieren der nordkoreanischen Staatssicherheit
,, . . . das Letzte ''
Publius d'Allemagne / Glaukon Rien zu Pupendorff
17. Lübecker Expertengespräch zu Staat und Sicherheit in Theorie und Praxis
Hans Peter Bull
Die Verfassung schützen - aber richtig*
Aufgaben und Befugnisse der Sicherheitsbehörden müssen neu verteilt werden
Die Informationssammlung der Verfassungsschutzbehörden kann Individualrechte stärker beeinträchtigen als viele andere Formen von Datenverarbeitung. Daher ist es ein wichtiges rechtspolitisches Anliegen, die Tätigkeit dieser Behörden strikt zu begrenzen und zu kontrollieren. In dem folgenden Text wird vorgeschlagen, die Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzämter einzuschränken. Sie sollen künftig nur noch als Institute zur wissenschaftlichen Analyse extremistischer Bestrebungen aus offenen Quellen fungieren, während die Abwehr und Verfolgung strafbarer extremistischer Handlungen (Staatsschutzdelikte) ausschließlich der Polizei obliegen soll. Damit würden auf diesem Gebiet die rechtsstaatlich ausgeformten (und teilweise weiter zu überprüfenden) Regelungen für das polizeiliche Handeln gelten.
Die Experten sind sich einig, dass die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern reformiert werden müssen. Allzu schwer wiegen die Versäumnisse und Fehler, die bei der Aufklärung der NSU-Affäre gemacht worden sind, und vielen ist wieder bewusst geworden, dass die geheime Informationssammlung der Nachrichtendienste das Persönlichkeitsrecht einer großen Zahl von Menschen gefährdet. Aber wie die Reform aussehen soll, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Die politisch Verantwortlichen sind bisher nicht zu größeren Änderungen bereit - und schon gar nicht zu radikalen Reformen, also solchen, die konsequent an die Wurzeln des Übels gehen.
Das größte Übel besteht darin, dass die verschiedenen Behörden, die für den Schutz vor Straftaten und verfassungsfeindlichen Bestrebungen zuständig sind, nicht angemessen kooperieren, sondern sich gegeneinander abschotten und ihre Informationen eifersüchtig hüten. Dieses Übel ist altbekannt: Schon zu Zeiten der RAF-Attentate haben Verfassungsschutzbeamte ihr Wissen über einige Top-Terroristen vor den Kriminalisten versteckt, die diese hätten festnehmen können - BKA-Chef Herold hat sich seinerzeit mit Recht beschwert, dass die Gesuchten den Strafverfolgern zunächst durch die Lappen gingen.1 Die Konkurrenz der Sicherheitsbehörden führt schnell zu Doppelarbeit, die nicht nur den Aufwand der Behörden erhöht, sondern die Privatsphäre der betroffenen Bürger doppelt beeinträchtigt. Die Kooperation ist gesetzlich teils geboten, teils eingeschränkt. In der Praxis misstrauen sich Polizei und Verfassungsschutz; man hält sich gegenseitig für leistungsschwach, und den Erfolg will jeder für sich. Daraus folgen überdies Freiräume für die, deren Taten man eigentlich aufdecken will. Ob neue Informationsgebote daran etwas ändern würden, ist fraglich.
I. Die Entflechtung der sicherheitsbehördlichen Aufgaben
Oberstes Gebot einer Verfassungsschutzreform muss daher sein, die Aufgaben dieser Behörden neu und möglichst überschneidungsfrei festzulegen.2
1. Die grundsätzliche Abgrenzung
Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, das BVerfSchG und die Polizeigesetze unterscheiden zwischen den beiderseitigen Zuständigkeiten: Die Verfassungsschützer sollen extremistische "Bestrebungen" beobachten und bewerten, die Polizei soll Straftaten bekämpfen, die in den ersten Abschnitten des Strafgesetzbuchs unter Titeln wie "Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates" (§§ 84 - 91 StGB), "Landesverrat" (§ 93 ff. StGB) und "Straftaten gegen Verfassungsorgane" (§§ 105 ff. StGB) aufgeführt sind und die polizeiorganisatorisch als "Staatsschutz"3 bezeichnet werden. Bei den vom Verfassungsschutz zu bekämpfenden "Bestrebungen"4 handelt es sich zum Teil um interne theoretische Überlegungen und Planungen, die nicht verboten sind und als Grundrechtsausübung vom Staat geduldet werden müssen, zum Teil bestehen sie aus der Vorbereitung von Straftaten. Daher müssen sich unter dem geltenden Recht sowohl Verfassungsschutz wie Polizei darum kümmern, ob verfassungsfeindliche Gruppen Straftaten planen. Dabei gewinnen beide Seiten regelmäßig auch Informationen, die für die jeweils andere Seite von Interesse sind: Die Verfassungsschützer erfahren von Straftaten gegen Leib und Leben oder auch von Diebstählen und Betrügereien, die Kriminalpolizisten klären "nebenbei" auch verfassungsfeindliche Bestrebungen auf, z. B. wenn sie wegen der "Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" (§ 86 a StGB) ermitteln.
2. Die Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden
a) Der Katalog des § 3 BVerfSchG
Betrachtet man die gegenwärtige Aufgabenbestimmung der Verfassungsschutzbehörden genauer,5 so ist deren praktisch wichtigste Funktion, nämlich die Verhinderung oder Verfolgung politisch motivierter Gewalttaten, nur ein Nebenzweck. Nach der zentralen Aufgabenbestimmung des § 3 BVerfSchG6 ist die bedeutsamste Aufgabe
"die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über
1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben".
Daneben ist den Verfassungsschutzämtern aufgegeben, Informationen zu sammeln und auszuwerten über
"2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht.
3. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
4. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind."
Schon die grundgesetzliche Legaldefinition von "Verfassungsschutz" ist "nicht frei von Redundanzen"7 und lässt unterschiedliche Deutungen zu. Diese Unschärfen können hier nicht untersucht werden. Für den Grundrechtsschutz ist es bedeutsam, dass die bezeichneten "Bestrebungen" keineswegs immer rechtswidrig sind; mit dem Ziel des Verfassungsschutzes können vielmehr auch rechtmäßige Verhaltensweisen beobachtet werden.8
Zwischen der Extremismusabwehr (Nr. 1) und der Spionage- und Sabotagebekämpfung (Nr. 2) bestehen kaum Verknüpfungen. Das ist für die Organisationsfrage bedeutsam; diese Aufgaben werden in den Verfassungsschutzämtern von unterschiedlichen, gegeneinander abgeschotteten Organisationseinheiten bearbeitet. Sie sind unter dem Aspekt der Bürgerrechte weniger umstritten.
Rechtsstaatliche Probleme und Zweifel an der Effizienz betreffen in größerem Maße die Extremismus-Abteilungen und -Referate. Das Tatbestandsmerkmal der "Gewalt" taucht erst in der reichlich obskuren Nr. 3 des Aufgabenkataloges9 auf, für die in der Praxis der Begriff "Ausländerextremismus" gebräuchlich ist, obwohl darunter auch Handlungen von Deutschen zu verstehen sind.10 Diese Aufgabe lässt sich ebenso wenig klar abgrenzen wie die in Nr. 4 aufgeführte.11
Zu der "finalen" tritt die "modale" Begrenzung des Verfassungsschutzes12 hinzu: Der Verfassungsschutz soll Informationen sammeln. Er soll Regierungen und Parlamente und nicht zuletzt die Öffentlichkeit über den politischen Extremismus informieren. "Exekutive" Befugnisse sind ihm versagt - aber seit die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten als Grundrechtseingriffe angesehen werden, ist diese Abgrenzung relativiert worden: "Informationseingriffe" sind den Verfassungsschutzbehörden gesetzlich ausdrücklich erlaubt worden. "Besondere Verfolgungs- oder Abwehrbefugnisse stehen ihnen nicht zu".13 Aber die beiden Behördenzweige haben inzwischen "teilweise einander überschneidende Befugnisse";14 die Unterschiede im Handlungsmodus zwischen den "eigentlichen" Exekutivbehörden und den Informationsbehörden sind geringer geworden.
b) "Bestrebungen" und Einzelaktionen
Informationen über geplante Gewaltakte fallen bei der Beobachtung der "Bestrebungen" - sozusagen als "Beifang" der...