Schweitzer Fachinformationen
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Der Frühling ist eine gefährliche Zeit. Ich weiß nicht, ob es die Vögel sind oder die Blumen oder die warmen Sonnenstrahlen. Es könnten auch die vielen Parship-Plakate sein. Viele Singles kommen dadurch vielleicht auf Ideen, obwohl sie den ganzen Winter glücklich und zufrieden mit ihren Netflix-Serien gelebt haben. Es sind auch ein paar Liierte dabei, die sich gerne wieder einmal wie ein Single fühlen möchten. Die Online-Partnerbörsen-Geschäfte florieren jedenfalls prächtig. So mancher, der sich vielleicht denkt: Schauen kostet ja nichts, sollte allerdings vorsichtig sein. Denn man verliebt sich schneller, als man »übrigens bin ich schon gebunden« sagen kann. Schuld daran sind die Hormone: Adrenalin hilft bei der ersten Kontaktaufnahme, Dopamin ist verantwortlich für das verliebte Hin- und Herschreiben, Testosteron und Östrogen sorgen für die erste Annäherung, und Phenylethylamin produziert Schmetterlinge im Bauch. Und wenn man nicht rechtzeitig »Stopp!« sagt, wird man mit dem Bindungshormon Oxytocin überschüttet. Als Laie sagt man dann: »Ich habe mich verliebt.«
Nicht dass Anna Bernini, Chefinspektorin der Mordabteilung des Landeskriminalamtes Wien Zentrum Ost, auf dem Weg zum Institut für Bildhauerei an die Wirkung der Hormone gedacht hätte oder an Fonsi, der diese Wirkungen seit ein paar Monaten hervorrief, sondern an die Entschuldigung, die sie gleich anbringen musste. Obwohl sie besser nicht daran gedacht hätte. Denn in Wien war es an diesem Sonntag, dem 22. Mai, drei Tage nach Christi Himmelfahrt, so heiß wie noch nie in der Geschichte der Aufzeichnungen. Sodass man ein Polizeiauto problemlos als mobile Sauna vermieten hätte können. Da war es natürlich ein Nachteil, wenn einem auch noch Schuldgefühle einheizten.
Vielleicht funktioniert die Klimaanlage nicht, dachte Anna Bernini, als sie sich im Beifahrersitz des Streifenwagens zurücklehnte und die verklebten Haarreste auf Inspektor Schwammingers Hals betrachtete. Wenn man es nicht gewöhnt ist, fällt einem das Atmen durch den Mund schwer. Außerdem bringt es nicht viel, weil sich die Riechrezeptoren nicht so leicht ausschalten lassen. Aber einer wie der Schwamminger hält ein Deodorant sicher für ebenso überflüssig wie Zahnseide, dachte Anna Bernini und verdrängte den Gedanken an Inspektor Schwammingers Gebiss, das mehr einer Reihe verkohlter Baumstämme glich als, sagen wir: einer Reihe Perlen.
Zu spät zu einer Vernissage zu kommen, wäre Anna Bernini im Normalfall natürlich völlig egal gewesen. Aber bei einem wie dem Fonsi, der nichts mehr hasste, als zu spät zu kommen, außer vielleicht: viel zu spät zu kommen, wäre es natürlich vollkommen undenkbar gewesen, zu spät zu seiner eigenen Vernissage zu kommen.
»Ich komme überallhin zehn Minuten zu früh. Aber das pünktlich«, hatte Fonsi bei ihrem ersten Date gelacht. Wenn man so etwas zum ersten Mal hört, findet man es noch charmant. Vor allem, wenn es jemand sagt, der auch als Sportbekleidungsmodel arbeiten könnte. Sogar wenn er den Grund dazu sagt: »Genauso lange dauert es nämlich, bis ich aufhöre zu schwitzen«, denkt man sich noch nichts, wenn er, wie Fonsi, überallhin mit dem Rennrad fährt. Erst wenn man feststellt, dass dieser Jemand das Schwitzen bei jeder Gelegenheit hasst und manchmal schneller unter einer Dusche steht, als die Co-Schwitzerin »Schön ist es gewesen« hauchen kann, macht man sich Gedanken, wenn die erste Dopaminphase schon langsam am Abklingen ist.
Während der Schwamminger über den Praterstern brauste, einen alten Fiat aus dem Weg blinkte und mit Karacho in die Helenengasse einbog, versuchte sich Anna Bernini zu erinnern, warum sie sich eigentlich seit gut vier Monaten mit Alfons Laller traf. Diese Frage hatte ihr auch Doktor Egger, Anna Berninis Psychoanalytikerin, gestellt. Und der ärztliche »Ich-weiß-es-aber-ich-lass-Sie-selber-draufkommen«-Blick verriet, dass Doktor Egger darüber schon eine Theorie hatte. Das war auch nicht besonders schwer. Der Grund hatte nämlich vier Buchstaben, war ein Polizeikollege und hatte am vorletzten Valentinstag die Dummheit besessen, Anna Bernini einen riesigen Rosenstrauß zu schenken. Das ist natürlich bei einer Kriminalbeamtin, die zwei und zwei zusammenzählen kann, fast schon ein Seitensprung-Eingeständnis. Seither war viel passiert, aber eine neue Liebesgeschichte war nicht dabei gewesen. Vielleicht eine halbe, aber die saß jetzt hinter Schloss und Riegel.
Daran hätte sich auch nichts geändert, wenn nicht Anna Berninis Schwester Burgi, eigentlich Nothburga, aber für den Vornamen seiner Großmutter mütterlicherseits kann man natürlich nichts, die Sache in die Hand genommen hätte. Da hatte Anna Bernini mit dem Vornamen der Großmutter väterlicherseits mehr Glück gehabt, fand die Burgi jedenfalls. Genauso wie mit ihrem Beruf, ihrem Gehalt, ihrem Wohnort und den viel interessanteren Möglichkeiten der Partnersuche. Aber auch bei der kleinen Schwester in Wien war nicht alles perfekt.
»Du hasch a nit mehr ewig Zeit!«, hatte sie zu Weihnachten in düsterstem Tirolerisch von sich gegeben. »Ab 35 hat man schon eine Risikoschwangerschaft.«
»Dann ist es ja ein Glück, dass ich nicht schwanger bin«, hatte Anna Bernini geantwortet.
»Und du wirst bald 37«, hatte sich Burgi nicht von ihrem Gedankengang abbringen lassen.
Anna Bernini hätte vielleicht nur herzlich gelacht, wenn sie nicht zufällig an diesem Abend zu viel Gewürztraminer getrunken hätte. Ich möchte nicht wissen, wie oft der Alkohol schon aus einem glücklichen Single einen unglücklichen Nicht-Single gemacht hat. Das ist durch die Verlegung der Partnersuche ins Internet auch nicht anders geworden. Denn so ein Online-Suchprofil ist schnell erstellt. Vor allem, wenn einem die eigene Schwester dabei hilft. So kam es, dass Anna Bernini am nächsten Tag mit einem Kopf dreimal so groß wie die Dorfkirche am Frühstückstisch saß und ihre Schwester schon drei zukünftige Schwäger ausgesucht hatte. Alle drei seien Lehrer, hat die Burgi munter drauflosgeplaudert, und an einer gewissen Anna Bernini interessiert, die »Beamtin« war, gerne Fahrrad fuhr und sich für Kunst interessierte.
»An meinem Profil stimmt aber nur, dass ich mit dem Fahrrad fahre. Sogar das >gerne< müsste man streichen. Gerne fahr ich nämlich mit dem Auto«, brummte Anna Bernini zwischen zwei Dreifach-Espresso-Schlucken, »nur darf ich gerade nicht, weil mir die Kollegen ja den Führerschein abgenommen haben.«
Es kann aber auch sein, dass sich Anna Bernini das nur gedacht hatte. Denn erstens waren ihre Stimmbänder noch nicht zum Sprechen aufgelegt gewesen, zweitens sprach sie nicht gern über die letztjährige Alkohol-am-Steuer-Affäre, die sie beinahe den Job gekostet hatte. Und drittens hätte man eher die Nordkette wegbewegen können, als die Burgi von einem Entschluss abbringen, an dem sie sich einmal festgekrallt hatte. Deshalb hatte sich Anna Bernini damit begnügt, ihren müden Blick über die drei Fotos gleiten zu lassen, schwach auf ein Bild zu deuten, unter dem »Alfons Laller« stand, und »luschtiger Name« zu nuscheln. Denn in Anna Berninis Kindheit, als die Menschen in den Tälern noch nichts von politisch korrekter Sprache gehört hatten, wurde »Laller« wie »Loller« ausgesprochen, ein Schimpfwort für geistig Zurückgebliebene. Vielleicht wäre es gar nie zu einem ersten Date gekommen, wenn Anna Bernini damals schon gewusst hätte, dass »Laller« gar kein Nickname war.
»Heute ist da ja wieder die Hölle los!« Inspektor Schwamminger warf Anna Bernini einen genervten Rückspiegelblick zu, als er mitten auf der Sportklubstraße scharf bremsen musste. Anna Berninis Nase wäre um Haaresbreite auf Inspektor Schwammingers Nacken gelandet. Der Schweißfilm dürfte sich aber schon auf sie übertragen haben. Oder es waren ihre eigenen besorgten Gedanken, die jetzt eine stärkere Transpiration auslösten.
Diese »Hölle«, wie es Inspektor Schwamminger genannt hatte, war eine Grundstücksbesetzung, die der Wiener Polizei schon seit Monaten Sorgen machte. Dabei war das Viertel, das zwischen dem grünen Prater und dem Donaukanal eingeklemmt war, immer eines der ruhigsten im ganzen Zweiten Bezirk gewesen. Ihre Streits haben die Bewohnerinnen und Bewohner der Villen und Gründerzeithäuser üblicherweise nicht auf der Straße ausgetragen. Was nicht heißt, dass es nicht manchmal Verletzte gegeben hätte. Aber gegenüber der Polizei oder Rettung hat man natürlich behauptet: »Ich bin am Louis-seize-Sekretär angerannt«, oder: »Die chinesische Vase ist mir auf den Kopf gefallen.«
Aber dass eines der teuersten Grundstücke am Prater wochenlang von buntem Demonstrationsvolk belagert wurde, war etwas anderes. Etwas, das man hier nicht haben wollte. Die älteren Damen der Böcklinstraße und Umgebung haben bei ihren Bridgeabenden über nichts anderes mehr geredet. Obwohl eine von ihnen schuld an dieser Misere war. Zumindest indirekt.
Angefangen hat alles mit einem Erbschaftsstreit, was ja an sich nichts Ungewöhnliches wäre. De jure wäre eigentlich auch alles klar gewesen. De facto war es aber ein Skandal. Denn jeder wusste, dass der alte Hofrat Schmid seinen Besitz Amelie Meyher vermachen wollte. Einerseits, weil er sie mochte und als die Tochter betrachtete, die er und seine Frau gerne gehabt hätten. Und andererseits, weil Amelie Meyher schon seit ein paar Jahren im Nebengebäude der Villa eine Alternativschule, die Magnoliengartenschule, betrieb, die bei der jungen urbanen Alternativelternschaft sehr beliebt war und dem Hofrat auf seine alten Tage viel Freude gemacht hatte.
Nach dem Tod des...
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