Schweitzer Fachinformationen
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Reich sein ist auch nicht immer leicht. Denn es ist ein ständiger Wettlauf mit der Masse. Kaum hat sich etwas als Luxus etabliert, wird es schon eine Massenbewegung. Zum Beispiel der Sommerurlaub oder das tägliche Unterwäsche wechseln. Oder das Offroad-Fahrzeug. Zuerst sind nur ein paar Walderben mit so etwas gefahren, und inzwischen hat schon jeder Großstadt-Single sein Four-Wheel-Drive-Parkplatzproblem. Sicher, alles wird immer größer und mehr. Auch das Essen. Zuerst gab es nur am Sonntag ein Ei, dann täglich - und jetzt sind die täglichen Eier schon so groß, dass sie in einen Lilienporzellan-Eierbecher gar nicht mehr passen. Oder die Fleischportionen. Heutige 30-Jährige wurden mit so vielen Fleischlaberln gefüttert, dass jeder zweite zu groß für ein Ikea Bett geworden ist. Oder die Lactoseunverträglichkeit. Irgendwann hat einmal eine kreative Zweitmutter am Prenzlauer Berg mit dem Café-Latte-Trinken ein Problem bekommen, und inzwischen gibt es mehr Unverträglichkeitsmediziner als Kühe. Dafür grasen sie bald in absoluter Stille. Neulich las ich auf einer Autobahnbaustelle: »Hier werden 800 Bewohner vor Lärm geschützt.« Früher gab es Lärmschutzwände nur vor größeren Siedlungen, und sie sahen aus wie Zäune. Jetzt haben sie mehrere Stockwerke und schützen nicht nur vor Lärm, sondern auch vor der Sonne, vor dem Wind und dem Dritten Weltkrieg. Bald wird jeder Österreicher eine haben.
Es gibt Zufälle im Leben, die glaubt man nicht. Zum Beispiel, dass man gerade in dem Moment aus dem Haus geht, wenn ein vielleicht schon seit Jahren lockerer Ziegelstein durch ein zufälliges Räuspern der Erdkruste herunterfällt. Oder wenn der Ziegelstein zwar herunterfällt, während man selbst gerade aus der Tür tritt, aber eine Zehntelsekunde, bevor er einem das Scheitelbein durchschlagen kann, kehrt man um, um nachzusehen, ob auch die Herdplatte ausgeschaltet ist.
So ein Zufall ist es gewesen, als eine Frau namens Trixi Gentian eines Vormittags Ende Juli aus ihrem Penthouse am Graben stürzte, direkt neben einer mit einem Enzian bestickten Schirmkappe zum Liegen gekommen ist, die sie im Fallen einer zu Tode erschrockenen japanischen Touristin vom Kopf gewischt hat, während Chefinspektorin Anna Bernini 550 Kilometer weiter westlich gerade auf der Enzianalm einen Kaiserschmarrn verzehrte. Dass der Nachname der Toten, Gentian, auf Deutsch »Enzian« geheißen hat, ist das eine, aber dass sie von der Dachterrasse gefallen ist, nur zwei Jahre, nachdem ihr Gatte, Gabriel Gentian, Haubenkoch und Ex-Politiker, über einen Korruptionsskandal gestolpert war und dann mehrere Politikerkarrierenstockwerke auf einmal hinuntergestürzt ist, das andere. Aber man muss sagen: Der »Enzianfall« ist von Anfang an eine Ansammlung von lauter verflixten Zufällen gewesen. Wie vielleicht das ganze Leben, wenn man es von der philosophischen Seite betrachtet.
Der »tiefe Fall« des Gabriel Gentian ist jetzt natürlich wieder genüsslich von den Medien aus den Archiven geholt und vor den schläfrigen Augen der U-Bahnzeitungsleser lang und breit ausgewalzt worden. Früher ist das Ehepaar Gentian noch der Liebling des Kleinformats gewesen. Bis zum Korruptionsskandal haben sie fast so oft von den österreichischen Yellow-Press-Titelseiten gelächelt wie Prinz William und Kate. Nach dem Korruptionsskandal war der Gentian kurzfristig sogar auf noch mehr Titelseiten gewesen, auch ausländischen, aber eher solchen, die seine früheren Wähler nicht lesen hätten können, weil ihre Arme für die großen Formate zu kurz gewesen wären. Danach ist es allerdings bald ziemlich still um das Paar geworden. Bis auf das eine bürgerliche Blatt, das vor ein paar Wochen hämisch getitelt hat: »Gabriel Gentian kehrt zurück an den Herd.«
Und rein von den Fakten her stimmte das auch, denn der Ex-Parteichef einer Kleinpartei und Ex-EU-Abgeordnete war gelernter Koch. Ganz früher einmal hatte er den Reichen und Schönen in Kitzbühel Edel-Tirolerknödel serviert. Und so manch anderes auch, was man hört. Und als er jetzt das pleitegegangene Haubenlokal in der Annagasse übernommen hat, hat er praktisch wieder ganz von vorn angefangen. Also nicht ganz von vorn. Denn seine treuen Social-Media-Freunde, und von denen hatte er noch Tausende besessen, sind ihm auch dahin gefolgt. Obwohl sie sich in seinem Haubenlokal nicht einmal eine Vorspeise leisten hätten können. Genauso wie sie ihm einst ins Parlament und dann nach Brüssel gefolgt sind. Und man will es sich gar nicht vorstellen, wohin sie ihm ohne seinen tiefen Fall noch gefolgt wären. Die meisten seiner politischen Freunde und sogar die meisten seiner privaten Freunde sind jedenfalls längst von ihm abgerückt.
So war es auch kein Wunder, dass in Wien viele Menschen erst durch die Todesnachricht seiner Frau wieder an das einstige Glamourpaar erinnert worden sind. Schon möglich, dass die eine oder andere von den früheren Bussi-Bussi-Freundinnen Trixi Gentians beim Starfriseur oder der Promi-Kosmetikerin, in eine Klatschspalte vertieft, gewispert hat: »Ach, die Trixi Gentian gibt's auch noch?« Aber da war es natürlich schon zu spät. Weil es sie ja leider nicht mehr gegeben hat. Schade eigentlich, dass sie es nicht mehr erlebt hat, wie mühelos sie es jetzt wieder in die Medien geschafft hat. Noch dazu, weil jetzt jeder sehen konnte, wie toll sie nackt mit ihren 59 Jahren immer noch ausgesehen hat.
Sicher, in den meisten Zeitungen hat man es nicht gesehen. Weil das ist unethisch, haben die Chefredaktionen gesagt, Handyfotos vom Tatort zu verwenden. Auch der eine oder andere Social-Media-Riese hat die Nacktfotos gespammt. Aber privat ist das grausig-schöne Foto von der schönen nackten Frau mit den verdrehten Gliedern und der blonden Haarwolke, umrahmt von einem Blutheiligenschein, am Fuß der Pestsäule dafür umso fleißiger herumverschickt worden. Und all ihre gehässigen Ex-Freundinnen konnten sich das Maul darüber zerreißen, dass natürliche Brüste wohl kaum wie zwei Orangen oben auf einem Körper draufliegen können. Da muss man wieder sagen: Doch ein Glück, dass sie dieses Geschwätz nicht mehr mitbekommen hat.
Die vielen hämischen Gerüchte, dass die Trixi Gentian immer nackt in ihrer Wohnung herumgelaufen ist, oder die noch gemeineren, von denen ich gar nicht reden will, stimmten aber nicht. Denn als sie über die Marmorbalustrade ihrer Dachwohnung gefallen ist, hatte sie noch einen seidenen Morgenmantel getragen. Wunderschön in Schwarz mit Papageien und Palmen bestickt. Aber der hat sich im Fallen von ihr gelöst und ist ein paar Meter neben ihr heruntergesegelt und auf den Stufen der Pestsäule liegen geblieben. Laut Polizeiprotokoll war es ein Bettler ohne Beine, der nach ein paar Minuten, in denen die Passanten schockgefroren oder schreiend vor ihr standen, als Erster zu der einfachen menschlichen Geste fähig war, von seiner Decke aufzustehen, zum Morgenrock zu humpeln und die Leiche damit zuzudecken. Sicher, dass er keine Beine mehr hat, hatte er dann niemandem mehr weismachen können. Und das Betteln hatte er für diesen Tag natürlich auch vergessen können.
Das Nacktfoto muss in dieser kurzen Zwischenzeit entstanden sein. Aber die meisten Leute, die ihre Zeitungen auf dem Weg zur Arbeit aufschlugen, interessierte sowieso mehr, was hinter diesem »Todesfall unter ungeklärten Umständen« steckte. War es Selbstmord oder ein Unfall? Und weil es die Polizei nicht sagen wollte, hat die Gerüchteküche daraus schnell einen Mord zusammengebraut. Und den Täter hat die Gerüchteküche auch schnell gefunden. Den Ehemann natürlich. Denn nichts ist befriedigender, als jemanden fallen zu sehen, den man immer für sein Luxusleben beneidet hat. Da waren durchaus ein paar Mitglieder dieser Kleinpartei dabei, die der Gentian einmal zu einer mittelgroßen Partei gemacht hatte. Bevor er sie dann wieder zu einer Kleinpartei gemacht hat.
Kein Wunder also, dass es ein gewaltiges Echo auf den Social- Media-Kanälen gab, als die Staatsanwaltschaft nach dem Tod der Gattin überall Hausdurchsuchungen angeordnet hatte. In der Wohnung, im Haubenlokal in der Annagasse und in allen Unternehmen seiner Gattin. Natürlich hat die Polizei keine Einzelheiten über die Ermittlungen verlauten lassen. Ein paar Tage lang ist noch wild in den Medien und am Stammtisch über Motive und Beweise spekuliert worden. Aber in Österreich dauert es ja nie lange, bis der nächste Politikerskandal aufgedeckt wird, über den man den Kopf schütteln oder gar ans Auswandern denken muss.
Während all dieser Vorkommnisse ist Anna Bernini, Chefinspektorin für Leib und Leben im Wiener Landeskriminalamt Zentrum Ost, im Urlaub auf einer Alm in Tirol gewesen. Ein Umstand, der auf dem besten Weg war, zu einem Dauerzustand zu werden.
Angefangen hat alles ganz harmlos mit einem Erbe. Das war natürlich nicht für alle Beteiligten harmlos. Für die Großtante Resi, die im 91. Lebensjahr von ihrem Kirschenbaum gefallen war, war es tragisch. Denn mit ihrer Kondition und dem unbeugsamen Willen hätte die Großtante sicher noch zehn gute Jahre gehabt. Ihre beiden Großnichten sind allerdings nicht nur von ihrem Tod überrascht worden, sondern auch von ihrem Notar, der ihnen an einem schwülen Julinachmittag in einer eleganten Innsbrucker Notariatskanzlei eröffnete, dass sie die Erben seien. Denn seit sie denken konnten, haben Anna Bernini und ihre Schwester Burgi von ihrer Großtante Resi nur gehört, dass sie bestimmt keinen Cent von ihr kriegen werden. Die Gründe dafür wechselten. Zuerst waren ihr die Kinder ihrer Nichte zu wenig katholisch, dann waren sie ihr zu wenig keusch und zum Schluss zu wenig daran interessiert, ihren Bauernhof im hintersten Winkel des letzten Tales vor der Brennergrenze...
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